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Ausgabe:

1966

Spalte:

695-697

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Mann, Ulrich

Titel/Untertitel:

Vom Wesen des Protestantismus 1966

Rezensent:

Andersen, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 9

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zeugt!) Den Dissens zu der reformatorischen sieht er mit Recht
in der beiderseitigen Auffassung dessen, wie sich die „Apostolizi-
tät" der Kirche, die zu ihrem Wesen gehört, geschichtlich verwirklicht
(S. 657 ff.).

Im Blick auf die reformatorischen Kirchen sagt G. gegen
Ende: „Zweifellos wollen diese Kirchen noch Kirchen der Gemeinschaft
sein. Doch haben sie jede Tendenz, dem Menschen
oder den geschaffenen Dingen eine Teilhabe am Göttlichen zuzuschreiben
, so endgültig verurteilt, daß die Gemeinschaft in Wirklichkeit
einzig auf der spirituellen Ebene ihren Ort haben kann"
Muß die römisch-katholische Kirche noch stärker zu einer „dynamischen
Katholizität" (in der „missionarischen Dimension" der
Kirche) finden (S. 452 f.), so geht es im Blick auf alle Kirchen um
die „Katholizität in Fülle", um ihre Hinwendung zu einer „Theologie
der communio" in ihrem umfassenden Sinne. Dabei muß
nach der ernsthaften Ansicht des Verfs. der Protestantismus sowohl
die ihm fehlende „authentische Hierarchie" als auch die
anderen Sakramente, die er verlor, neu wiedergewinnen (S. 462). —
Durch ihre missionarische Dynamik sind alle Kirchen auf die katholische
Kirche hingeordnet (S. 463), und „die Kirche" hat
hier gegenüber den getrennten Gemeinschaften einen Versöhnungsauftrag
(S. 465 ff.). Die „Rückkehr" aber zur „Fülle" des
Katholischen, die nur durch lebendige Wiedergewinnung der
„missionarischen Dimension" hindurch geht, „kann nur nach
vorn und in einem gemeinsamen Bemühen um die Fülle verwirklicht
werden" (S. 474).

Weil G. dieses Programm immer unter Berücksichtigung der
allen Christen aufgegebenen missionarischen Verpflichtung vertritt
, verdient es ernsthafte Beachtung auch da, wo man seiner
Grundkonzeption nicht zu folgen vermag. G. sagt auch, daß sich
auch die römisch-katholische Kirche die Begegnung mit den getrennten
Gemeinschaften ihrerseits zum Appell werden lassen
muß, „ihre Katholizität in ihrer Dynamik, in einem lebendigen
Streben, ihre eigenen spezifischen Prinzipien zu einer großen Ausstrahlung
zu bringen". Auf jeden Fall bekommt der ökumenisch
interessierte Leser durch die Stoff- wie Gedankenfülle dieses
Buches reiche Anregungen.

Ein alter Mangel von Übersetzungen zeigt sich auch in diesem
Buch: Eine Reihe von Literatur, besonders aus der ökumenischen Bewegung
, wird nach französischen Ausgaben angegeben, obwohl sie
ebenso gut auf deutsch vorliegt.

Münster/W. Ernst Kinder

Mann, Ulrich, Prof. Dr. theol.: Vom Wesen des Protestantismus.

Heidelberg: Quelle & Meyer 1964. 228 S. 8°. Hlw. DM 15.80.

U. Mann ist einer der wenigen Theologen im aktiven Lehramt
, die sich dem geistigen Erbe von Karl Heim verantwortlich
wissen und dieses für das theologische Denken der Gegenwart
fruchtbar zu machen suchen. Das mag ein Grund dafür gewesen
sein, daß der Verlag Quelle & Meyer, der vor 40 Jahren (1925)
K. Heims Schrift: Das Wesen des evangelischen Christentums
herausbrachte, ihn mit einer Bearbeitung des gleichen Themas
beauftragte. Der nach dem Tode K. Heims (1958) erwogene Plan,
eine überarbeitete Neuauflage herauszubringen, war wieder fallen
gelassen worden. Bedenkt man die Geschehnisse seit den zwanziger
Jahren — K. Heims Schrift war gedacht als Gegenstück zu
K. Adam: Das Wesen des Katholizismus —, so kann man diese
Entcheidung nur für richtig halten. Denn da die Frage nach dem
Wesen des Protestantismus notwendig das römisch-katholische
Gegenüber heute mitbedenken muß, dürfen die Ereignisse bis zum
Zweiten Vatikanischen Konzil hin nicht außer Betracht bleiben.

U. Mann hat seinem Buch bewußt den Titel: Vom Wesen
des Protestantismus und nicht: Das Wesen des Protestantismus
gegeben. Er sagt: „Mit dieser Beschränkung soll angedeutet werden
, daß unsere Darstellung unabgeschlossen bleiben muß" (S. 16).
Sie will kein letztes Wort, sondern ein Beitrag für ein weiterführendes
Gespräch sein. Zu den besonderen Kennzeichen der
theologischen Lage der Gegenwart gehört die Tatsache, daß dieser
Dialog Ausmaße und Intensität angenommen hat, die vor 40 Jahren
kaum jemand erwartet hatte.

Methodisch geht U. Mann so vor, daß er das Wesentliche
am Protestantismus von seinem geschichtlichen Anfang her zu

verstehen versucht. Aber da er keine rein historische Darstellung
geben will, muß er die reformatorischen Aussagen „zugleich in
unser heutiges Verständnis übertragen" (S. 13). Das entscheidende
methodische Problem sieht er aber darin, daß der Protestantismus
sein Wesen gar nicht in sich selbst suchen darf, sondern als eine
„hermeneutische" Bestrebung gesehen werden muß. So kann er
sagen: „Das Wesen, das wir suchen, liegt also im Schriftzeugnis
und in der schriftgemäßen Verkündigung; und eben auf dieses
Wesen hin befragen wir die wesentlichen Erscheinungen des
Prostenstantismus" (S. 14).

In drei Arbeitsgängen, die jeweils dreifach gegliedert sind,
versucht U. Mann das Phänomen des Protestantismus zu erfassen.
I. Der protestantische Protest; II. Die protestantische Idee;
III. Der protestantische Glaube.

Protest, abgeleitet von „protestari" meint ursprünglich nicht
„widersprechen" sondern öffentlich bezeugen, bekennen. Das Bekenntnis
gehört zum Wesen des Glaubens (S. 19). Es ist ursprunghafte
Antwort auf die Anrede Gottes an den Menschen. Erst als
Folge davon ist es auch Absage an den Unglauben und Irrglauben.
Nach U. Mann ist der Protestantismus von seinem geschichtlichen
Ursprung her in diesem zweiten Sinne als Protest gegen eine
falsche Weltordnung, gegen eine verkehrte Weltweisheit und
gegen eine falsche Religiosität zu verstehen. Der Protest gegen
die falsche Religiosität, d. h. gegen eine verkehrte Grund-
einstcllung des Menschen zu Gott ist dabei das innerste Motiv.
U. Mann interpretiert den Vorwurf der Reformatoren gegen die
spätmittelalterliche Kirche dahin, daß sie „Gott allzusehr als
Mittel in Dienst genommen hatte" (S. 84). Das habe nicht nur
die Religiosität, sondern ebenfalls das Denken und Handeln der
Kirche geprägt.

Das zweite Kapitel: „Die protestantische Idee" stellt die
reformatorische Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Evangelium
in den Mittelpunkt der Besinnung. Wenn U. Mann der
Barthschen Vorordnung des Evangeliums vor dem Gesetz in bestimmter
Hinsicht auch seine Zustimmung gibt — er sagt: theologisch
gesprochen kommt das Evangelium vor dem Gesetz
(S. 103) —,so zieht er daraus doch keine Folgerungen. Er geht
von einem Gesetzesbegriff aus, nach dem „prinzipiell kein Wesensunterschied
besteht zwischen dem Gesetz der Heiden, der Juden
und der Christen" (S. 105). Mit der Lehre vom „doppelten Sinn
und Gebrauch des Gesetzes (S. 107) sucht er die Brücke zum Hcils-
handeln Gottes in Christus zu schlagen. Aber bevor er sich diesen
Fragen in extenso im dritten Kapitel zuwendet, bemüht er sich,
die überkommene Lehre vom politischen Brauch des Gesetzes mit
Hilfe der Deutung des Gesetzes als Idee neu zu interpretieren.

Sein Leitgedanke ist dabei: „Das Gesetz muß in seinem zunächst
und vorläufig heilsamen Wert erkannt werden" (S. 108).
Das wird von ihm im Bereich der Politik, der Wissenschaft und
hinsichtlich der Humanität herauszustellen versucht. Die protestantische
Idee, die dem politischen Handeln zugrunde liegt und
ihm Ziel und Richtung gibt, sieht er im Recht und in der Freiheit
(vgl. S. 130), ihr vorgeordnet ist aber die Idee der Wahrheit, der
alle Wissenschaft zu dienen hat (vgl. S. 157). Diese Idee muß
wiederum als der unmittelbare weltliche Niederschlag der geistlichen
Grunderfahrung von der Personhaftigket der menschlichen
Existenz, xlie in der Begegnung mit dem personhaften Gott gewonnen
wird, verstanden werden (vgl. S. 169).

U. Mann geht dabei — oft allerdings nur streiflichtartig —
auf eine Fülle von Einzelfragen und Problemen ein, die hier nicht
alle erwähnt werden können. Wichtig ist uns, wie s. E. am
Gesetzesverständnis die „Wegscheide" zwischen "Protestantismus
und Katholizismus offenkundig wird (vgl. S. 184). Wird im Katholizismus
das politische Miteinandersein der Menschen vorwiegend
am Recht orientiert — er hat „notorisch" nicht dieselbe Nähe zur
Freiheitsidee wie der Protestantismus — so ist die Wahrheit letztlich
immer die vom Lehramt gebilligte und bestätigte Wahrheit;
und die Personhaftigkeit der menschlichen Existenz wird durch
vermittelnde Instanzen infrage gestellt, die sich zwischen Gott
und den Menschen schieben. — Mit diesen Sätzen will U. Mann
aber keine endgültigen Urteile fällen. Er gibt ausdrücklich zu,
daß die Wirklichkeit des Protestantismus keineswegs immer
ihrem „Wesen" entspricht (vgl. S. 184) und daß die „zunehmende