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Ausgabe:

1966

Spalte:

47-49

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Tränkle, Hermann

Titel/Untertitel:

Q. S. F. Tertulliani Adversus Iudaeos 1966

Rezensent:

Karpp, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 1

4B

liches Seinkönnen zu vollziehen vermag, zu stellen usw." Es
fehlt nur noch ein Zitat von Stefan George oder von Trakl. Das
alles hat nichts mit Augustin zu tun und beruht auf der Neigung
des Verfassers, seine Gesichtspunkte und Begriffe in die
Augustintexte hineinzulegen. So erscheint gleich zu Anfang die
unvermeidliche „Geschichtlichkeit". Das Vorverständnis des
Daseins bei Augustin ist (angeblich) geschichtlich, weil es Unruhe
ist (S. 3), und das Wesen des Menschen sei geschichtlich,
weil es variabel ist (S. 5). Diese Begriffe sind unscharf (sind die
Verbindungen chemischer Elemente, die variabel sind, ebenfalls
„geschichtlich"?) und nicht augustinisch. Dann taucht die
„Partnerschaft" auf. Weil Augustin (De mus. 1, 6) im Begriff
der ars außer dem rationalen Verfahren auch das Moment der
Nachahmung notiert, folgert der Verfasser: „Gegenüber dem
Von-sich-her-sein des Lebenden ist es (seil, die ars) ein Angewiesensein
auf Mitexistenz" (S. 12). Dieser Aspekt liegt völlig
außerhalb der Absichten Augustins bei seiner Analyse des Begriffes
ars- Außerdem wird vom Verfasser die ars einem Naturbegriff
gegenübergestellt (Natur als die Weise des Wachsens,
nasci, sei von sich her), der ebenfalls nicht das trifft, was Augustin
unter Natur versteht. Dazu hätte De gen. ad litt, herangezogen
werden müssen (vgl. zum Naturbegriff Augustins ZKG
75 (1964) S. 60—75). Ebenso willkürlich ist die Eintragung der
„Partnerschaft" in den Begriff superbia. „Der Stolz geschieht
also im Nachahmen, also im Horizont der Partnerschaft, die sich
in einer Isolierung zeigt" (S. 77). Ähnlich steht es mit der Rolle,
welche der Verfasser der Sprache für das Daseinsverständnis
Augustins zuweist. Gegenüber der Behauptung, daß Augustin
meine, „der Mensch vollzieht seine wesentliche Menschlichkeit
in dem wesentlichen Gespräch" (S. 16), kann der Rezensent
unter Verweis auf seine Ausführungen in ZKG 67 (195 5/56)
S. 232—39 und neuerdings auf U. Ducherow, Sprachverständnis
und biblisches Hören bei Augustin, Tübingen 1965, S-240 f
nur seinen Dissensus erklären.

Die Übernahme existentialphilosophischer Kategorien
führt dazu, daß die metaphysischen Aussagen Augustins in
anthropologische verkehrt werden. So werden etwa S. 52 die an
der Trinitätsmetaphysik gewonnenen Feststellungen Augustins
anthropologisch isoliert. Ein anderes Beispiel bietet die Stelle
De mus. 6, 29: Delectatio quippe quasi pondus est animae.
Delectatio ergo ordinal animam. Ubi enim erit thesaurus tuus
ibi erit cor tuum. Augustinus geht es um die Einordnung des
Menschen in die Stufenfolge des Seins, wobei die delectatio der
physikalischen Größe pondus entspricht. Für den Verfasser dagegen
besagt der Text: „Was die Freude erschließt, ist das
Geglücktsein des Daseins, das Sich-befinden in der wesentlichen
Lage der menschlichen Existenz" (S. 22/23) — eine deutliche
Verschiebung zum Anthropologischen hin.

Der Rezensent ist der Ansicht, daß ein zutreffendes Bild
Augustins und des augustinischen Daseinsverständnisses aus der
vorliegenden Schrift nicht gewonnen werden kann.

Mainz Rudolf Lorenz

T e r t u 11 i a n i, Q. S. F.: Adversus Iudaeos. Mit Einleitung u. kritischem
Kommentar hrsg. v. H. T r ä n k 1 e. Wiesbaden: Steiner 1964.
CXXVIII, 121 S. gr. 8°. DM 36.-; Lw. DM 42.-.

Tertullians kleine Schrift „Gegen die Juden" entspringt dem
Bemühen, das richtige Verständnis des Alten Testamentes allein
den Christen zuzusprechen; sie tut dies aber so, daß die literarischen
Anstöße in der Forschung sehr viel mehr Aufmerksamkeit
erregt haben als der theologische Gehalt. Die ersten acht Kapitel
zeigen in einem stetigen Gedankenfortgang, daß das alttestament-
liche Gesetz nach Gottes Willen nur eine begrenzte Gültigkeit
besitzt (2—5) und daß in Jesus bereits der Messias gekommen ist,
durch den das Heil zu allen Völkern gelangen soll. Der zweite
Teil (Kap. 9—14) führt zwar dieses Thema weiter, indem er nachweist
, daß die Geschichte Jesu und die ihr folgende Heimsuchung
der Juden den Weissagungen des Alten Testamentes entsprechen;
aber diese Ausführungen sind von mancherlei Unebenheiten und
Wiederholungen belastet und kehren überdies größtenteils im
3. Buch gegen Marcion fast wörtlich, aber in anderer Reihenfolge
wieder. Auf Grund dieser Beobachtungen hat man die Echtheit

der ganzen Schrift oder ihres zweiten Teiles bestritten oder
wenigstens die Einheitlichkeit der beiden Teile angezweifelt. Vor
einigen Jahren folgerte G. Säflund aus stilgeschichtlichen Beobachtungen
die Echtheit der ganzen Schrift, der aber Tertullian nicht
mehr die abschließende Form gegeben habe (vgl. ThLZ 1958,
Sp. 580 f.).

Von dieser Lösung unbefriedigt, hat H. Tränkle in seiner
Habilitationsschrift die Echtheit und Entstehung des Werkes neu
untersucht. Da er Kroymanns Textbearbeitung im Wiener Korpus
— die das Corpus Christianorum übernommen hat — als verbesserungsbedürftig
erkannte, hat er mit seiner Untersuchung
eine kritische Ausgabe verbunden und jene als ausführliche Einleitung
vorausgeschickt. In ihr prüft Tr. nach einem Blick auf die
Geschichte der Frage sehr eingehend den Aufbau der Schrift. Er
kommt zu dem Ergebnis, schon der erste Teil sei „eine schnell
entworfene Skizze". Diese Formulierung ist überspitzt, aber ihr
richtiger Kern erleichtert es, den zweiten Teil besser zu verstehen
. Diesem fehlt nicht bloß die abschließende Glättung, sondern
er enthält mehrere echte Entwürfe, die Tertullian nicht mehr
durch Ausscheidung, Verbindung und Überarbeitung zu einem
einheitlichen Ganzen umgestaltet hat. Ein anderer hat diese
Fassungen zusammengestellt, aber in falscher Anordnung. Tr.s
Unterscheidung dreier echter Entwürfe macht die Wiederholungen
und Überschneidungen gut verständlich; er braucht daher nicht
wie Kroymann mit größeren Eingriffen eines ungeschickten
Herausgebers zu rechnen. Allerdings kommt auch Tr. nicht ganz
ohne die Annahme einiger kleiner Zusätze aus. Mindestens soll
dem Unbekannten ein Rückverweis (14, 12) gehören, der das
jetzige Nebeneinander der „Fassungen" als beabsichtigt voraussetzt
und nach Tr.s Entwurf der Entstehungsgeschichte nicht von
Tertullian stammen kann. Die scharfsinnige Untersuchung ergibt
als ursprüngliche Reihenfole der Entwürfe: 13, 1—23; Kap. 9—12
und schließlich 1 3, 24—Kap. 14 Ende. M. E. kann man auch angeben
, warum der Verwalter des Nachlasses, oder wer es sonst
war, die Entwürfe umgestellt hat. An die Spitze rückte er die
vollständige Fassung (Kap. 9—12), danach die zwei Teilentwürfe,
in der Reihenfolge, in der sie dem Aufbau von Kap. 9—12 am
besten entsprechen. Denn 13, 1—23 läuft annähernd parallel mit
Kap. 9—10 und 13, 24-Kap. 14 Ende mit Kap. 11-12. Der Bruch
zwischen 13,23 und 13,24 zeigt, daß diese beiden Stücke nicht
zusammen entwarfen worden sind. Der moderne Philologe kann
von hier aus die zeitliche Folge der Entwürfe erschließen, während
sich der antike Herausgeber nach dem Inhalt richtete.

Um Adv. Iudaeos in Tertullians Lebenswerk einordnen zu
können, fragt Tr. weiter nach den Tendenzen, die hinter den verschiedenen
Bearbeitungen derselben Gedanken stehen (I, 3; ergänzt
durch Abschnitt I, 4 über die Vorgänger und Quellen). Die
entsprechenden Stücke in der Schrift gegen Marcion erweisen
sich — vor allem in einer Analyse ihres Aufbaus — als die reifere,
abschließende Gestaltung; sie sind also nicht das Material, aus
dem der Bearbeiter von Adv. lud., wie man zuweilen angenommen
hat, ungeschickt exzerpierte. Wie die neuere Forschung eine Entwicklung
von Tertullians Schrift Ad nationes zur ersten Fassung
des Apologeticums und weiter zu dessen zweiter nachgewiesen
hat, so kann Tr. den Weg von Adv. lud. 12 zur Neufassung in
Kap. 14 und zur Vollendung in Adv. Marcionem aufzeigen. Doch
übersteigert er die Starrheit der Entwicklung, wenn er aus ihr
folgert, Tertullian müsse Adv. Iudaeos noch vor dem Apolo-
geticum verfaßt haben; diese neue Datierung hat er m. E. nicht
bewiesen.

Aus der vorzüglichen Behandlung der Handschriften und
Ausgaben (Teil II der Einleitung) ist die kritische Beurteilung der
Handschrift von Troyes, die erst in unserem Jahrhundert entdeckt
und daher zunächst oft überschätzt wurde, auch für die Textherstellung
anderer Schriften Tertullians von Bedeutung; dasselbe
gilt von dem Urteil über die Angaben, die Modius über eine verlorene
Fuldaer Handschrift gemacht hat.

In der Ausgabe des Textes selber gelangt Tr. vielfach über
Kroymann hinaus. Seine andere Auffassung von der Entstehung
des zweiten Teiles und gute sprachgeschichtliche Beobachtungen
erlauben es ihm, auf die klugen, aber oft allzu kühnen Vorschläge
seines Vorgängers meistens zu verzichten. Der kritische Apparat