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Ausgabe:

1966

Spalte:

690-691

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Biéler, André

Titel/Untertitel:

Kirchbau und Gottesdienst 1966

Rezensent:

Langmaack, Gerhard

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689

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 9

690

Die Darstellung selbst ist auf die Probleme der dogmatischen
Prinzipienlehre bzw. der Fundamentaltheologie konzentriert. Die
spezielle historische und exegetische Arbeit der Tübinger bleibt
im Hintergrund. Untersucht werden nach systematischen Gesichts-
Punkten die Erwägungen der einzelnen Vertreter der Tübinger
Schule zu den Begriffen der Offenbarung, des Dogmas, der Tradition
, zum Verständnis von Ekklesiologie und Pneumatologie,
zur Reich-Gottes-Theologie, zum Verhältnis von Philosophie
und Theologie, von Natur und Übernatur. Die geistesgeschichtlichen
Hintergründe treten besonders anschaulich in dem 14. Kapitel
über „Die Ideenwelt der Romantik als der geistesgeschichtliche
Rahmen der Deutung des frühen Möhlers von der sog. Ein-
wohnung des Heiligen Geistes" sowie in dem 19. Kapitel über
..Die Aufklärung in der katholischen Tübinger Schule" hervor.

Die Eigenart der Tübinger Schule bildet auch die Eigenart
dieser Darstellung, nämlich eine geistesgeschichtliche und denkerische
Dialektik, die nicht auf den formalisierten statischen
Gegensatz von Irrtum und Wahrheit reduziert wird, sondern für
die legitime geschichtliche Dynamik des Erkennens und Ver-
stehens geöffnet ist. Diese Bewegung wird von Geiselmann ebenso
in ihrem Gcsamtvcrlauf wie auch in der individuellen theologischen
Arbeit verfolgt. Die minutiösen Analysen etwa zum
Glaubensbegriff Möhlers (146 ff), zu dem Geschichtsverständnis
bei Drey (291 ff) oder zur Auseinandersetzung um die Gnadenlehre
(426 ff), um nur einige Beispiele zu nennen, enthüllen eine
Fülle theologischer Möglichkeiten und Anregungen, die erst in
neuester Zeit in der katholischen Theologie allmählich wieder zur
Geltung kommen.

Folgt man den Einzelheiten der Darstellung Geiselmanns, so
ist es verständlich, daß die Entscheidungen des ersten Vatikanischen
Konzils, zumal die über die Offenbarung und die Kirche,
sowie der Kampf gegen den sogen. Modernismus der von der
Tübinger Schule vertretenen Theologie ein Ende bereiteten und
sie durch die Neuscholastik verdrängt oder eingeebnet wurde.
Aber es ist auch abzusehen, daß eine Verdrängung keine Lösung
ist. Vieles, was damals an Gedanken heranreifte und lange im
Verborgenen blieb, stellt sich heute mit neuer Dringlichkeit. Die
Anregungen, die z. B. von Geiselmanns früheren theologiegeschichtlichen
Untersuchungen über den Traditionsbegriff ausgegangen
sind, werden mit dieser Gesamtdarstellung wesentlich
bereichert. Sie werden sicher nicht nur die Diskussion innerhalb
■der römisch -katholischen Theologie um die .lebendige Überlieferung
' weiterführen, sondern, wie es in Tübingen schon im vorigen
Jahrhundert der Fall war, auch das Gespräch mit der evangelischen
Theologie.

Bedauerlich ist bei der sonst sehr ansprechenden Veröffentlichung
die große Zahl von Druckfehlern. S. 153 Z. 15 v. u. steht eine Zeile von
* 155; bei dem Zitat aus Möhlers Symbolik fehlt daher die Zeile
■ ■ • • Gnade erleuchteten und gestärkten Erkenntniskräfte, womit die
Frregung von..." S. 532 Z. 8 v. u. muß es wohl statt „Anschaffung"
-Anschauung" heißen. Schade ist außerdem, daß bei dem Umfang des
Perkes offenbar auf eine zusammenfassende Bibliographie verzichtet
Verden mußte.

Heidelberg Reinhard Slenczka

•>etz, Johannes: Die Theologie und das Zweite Vatikanische Konzil
GThZ 75, 1966 S. 89—107).

Haavio, Ari: Zur Soziologie der evangelischen Bewegung in Finnland
(Temenos 1, 1965, S. 31—54).

^>se, Hans Christoph von: Der Durchbruch zur Erneuerung des Dia-
konats auf dem II. Vatikanischen Konzil (Quatember 30, 1965/66
S. 99—107).

^äron, Gottfried: Der römische Katholizismus nach dem Konzil
(MDKI 17, 1966 S. 1-8).

Pfürtner, Stephanus: Der ökumenische Gedanke auf dem Zweiten
Vatikanischen Konzil (Wort und Antwort 7, 1966 S. 77—83).

Tanzmann, Peter: Zur Praxis des Aufopferns bei den katholischen
Christen (Quatember 30, 1965/66 S. 114—117).

V i s c h e r , Lukas: Nach der vierten Session des II, Vatikanischen Konzils
(ZdZ 20, 1966 S. 161 — 17b and 217—220).

CHRISTLICHE ARCHÄOLOGIE
UND GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN KUNST

B i e I e r, Andre: Kirchbau und Gottesdienst. Übers, v. D. R. P f i s t e-

r e r (Die französische Originalausgabe erschien unter dem Titel
„Liturgie et Architecture [Le temple des chretiens]" im Verlag Labor
et Fides S.A., Genf). Neukirchen - Vluyn: Neukirchener Verlag d.
Erziehungsvereins 1965. 112 S., 45 Abb. 8°. Kart. DM 7.20.

Der Verfasser, Privatdozent an der Theologischen Fakultät
der Genfer Universität, bezeichnet sein Buch im französischen
LIntcrtitel als eine „Skizze der Beziehungen, die zwischen der
Theologie des Gottesdienstes und der architektonischen Konzeption
der christlichen Kirchen bestehen, von ihrem Ursprung
an bis heute". Damit sind bereits die beiden Aspekte gezeigt,
unter denen die Probleme gesehen werden: Gottesdienst und
Architektur. Bieler spürt den Zusammenhängen nach, die schon
im Heidentum und im frühen Judentum die Baugestalt der Kultstätten
bestimmten und die als ein verstecktes antikes Erbgut
bis in die modernen Bauten hinein festzustellen seien. Man
wird ihm bei diesen bau- und religionsgeschichtlichen Überlegungen
willig folgen und einen guten Überblick gewinnen.
Die kurzen einleitenden Texte zu den Bildtafeln und die Erklärungen
der recht instruktiven Zeichnungen führen durch die
Jahrhunderte hindurch und lassen ein anschauliches Bild der
Entwicklung entstehen.

In 7 Kapiteln untersucht Bieler, wo sich „das dreifache
antike Erbe" in den christlichen Kirchenbauten nachweisen läßt
und welche theologischen Rückschlüsse daraus zu ziehen sind.

1. ) Charakteristika des heidnischen Tempels: Aller-
heiligstes mit Götterbild; heiliger Bezirk, der nur von der Priesterschaft
betreten wird; Vorplatz für das Volk, das nur durch die Priester Verbindung
zur Gottheit findet. „Verführende Wirkung" für das Christentum
: Götterbilder als Zeichen der leibhaften Gottesgegenwart; Priesterschaft
als Vermittlerin zwischen Gottheit und Gemeinde. Bieler sieht
dies Erbe in der Christenheit immer dann lebendig werden, wenn die
Verehrung heiliger Stätten zur Übung wird und die klerikale Hierarchie
sich als Machtfaktor zwischen die Gläubigen und Gott stellt. Baulicher
Ausdruck für diese geistliche Haltung ist das Langhaus mit dem erhöhten
Chor, dem Lettner als Trennwand zwischen Klerus und Ge
meinde und den durch Reliquien oder Gnadenbilder geheiligten Stätten.

2. Charakteristika des jüdischen Tempels in Jerusalem:
das „Allerheiligste" ohne Götterbild (denn Gott ist unsichtbar und
undarstellbar); das „Heilige" als Bezirk für die amtierenden Priester
und ihren Opferdienst; der Vorhof für das Volk.

3. Charakteristika der Synagoge: Ohne Opferdienst, ohne
Klerus, nur Versammlungsstätte der zum Gebet und zur Belehrung
vereinten Laiengemeinde; im Mittelpunkt das Lesepult.

Die Urchristenheit, noch ohne Klerus, übernimmt als Erbe
von der Synagoge die Verlesung der Schrift und das freie oder
gebundene Gebet und vom Tempel den Gedanken an das Opfer,
das allerdings für sie nicht mehr durch den Dienst von Priestern
dargebracht wird, sondern ein für alle Mal von ihrem Herrn
und Meister Jesus Christus erfüllt ist. Die Eucharistie, in Dank
und Freude gefeiert, vergewissert sie dieses Opfers und wird
zum Mittelpunkt des Gottesdienstes und der „Versammlung".
Baulichen Ausdruck findet dieses Erbe aus Synagoge und Tempel
in der Urchristenheit noch nicht. Die Gemeinde kommt in Häusern
, in Synagogen, im Freien oder in einer Markthalle zusammen
. Sie selbst ist das Haus Gottes, der Tempel des Heiligen
Geistes. Erst, als die Gemeinden zu stark anwachsen, bauen sie
sich — von Ort und Gegebenheiten bestimmt — sehr verschiedene
Versammlungsstätten, deren Zentrum der Tisch für das heilige
Mahl ist. (Der Verfasser benutzt, obwohl er die Entwicklung des
Tisches zum Altar für eine Fehlentwicklung und ein Zurückfallen
in eine heidnische Geisteshaltung hält, merkwürdigerweise
oft den Ausdruck „heiliger Tisch".)

Über drei große Zeitabschnitte in der Entwicklung des
Kirchenbaues bringen die folgenden Kapitel eine Übersicht und
manche interessante Einzelheit:

Die ersten drei Jahrhunderte bis Konstantin. Von Konstantin
bis zur Reformation. Von der Reformation bis zur
Gegenwart.