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Ausgabe:

1966

Spalte:

688-689

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Geiselmann, Josef Rupert

Titel/Untertitel:

Die Katholische Tuebinger Schule 1966

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 9

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lischen wie dem evangelischen Lager geübt ist, wird nie offen erwähnt,
wenn auch die Ideenführung sie bisweilen indirekt dem Kenner verrät.
Polemik fehlt, — eigentlich selbstverständlich in einem Buch zur intensiven
persönlichen Frömmigkeitspflege, in jedem Fall hocherfreulich. Die
ganze Energie ist auf die Gewinnung des mystischen Heilsweges gerichtet
, seinen bitteren Anfang und sein berauschendes Ziel, den Aufbruch
aus der Hölle der Sünde und die Einung mit dem auferstandenen und
zum Himmel emporgefahrenen Christus. Wir werden „sohnsförmig"
(1193). „Dann kann es nicht anders sein, als daß auch das innerste
Fühlen Christi mein innerstes Fühlen wird" (ebd). „Mich gebend in das
Atmen und Strömen Seines Lebens empfange ich Sein Ich" (194). Die
theologische Rechtfertigung dieser Mystik geschieht, wie man aus einem
andern Hauptwerk des Verfassers weiß, durch die Lehre von der ana-
logia entis. Göttliches Leben ist überall latent da, darum ist der Weg
der Vergottung möglich, der methodisch zu weisen ist. Wie die Meditation
der Evangelien das objektiv-historische Geschehen in das göttliche
nunc aeternum einschmilzt, in dem der Mystiker versinkt, wird
Kapitel für Kapitel meisterhaft demonstriert. So fern die evangelische
Frömmigkeit der Gegenwart dieser Mystik ist, so notwendig bleibt ihre
Kenntnis, die man durch Przywara nicht lehrmäßig, sondern mystago-
gisch empfängt. Das packt den willigen Leser und macht das Buch
lebendig. Also auch der protestantische Leser wird nicht selten dankbarer
Empfänger werden, so bei Themen wie: drei Weisen der Demut,
drei Arten des Betens, Gebetsordnung, Regeln über Essen, Almosen und
Skrupel, oft auch bei der Meditation biblischer Texte, bei der man allerdings
oft nach der Grundlage in der modernen Bibelwissenschaft nicht
fragen darf. Des Befremdlichen bleibt trotz häufigen inneren Angesprochenseins
genug. Dazu rechnen wir nicht das so oft neu beschworene
Angstgefühl des Barockmenschen, der das Bewußtsein hat, in
die kalte Unendlichkeit des Kosmos zu stürzen. Wir haben wahrlich teil
an diesem Verlorenheitsbewußtsein, das sich gerade in unsern Jahren
bedrückend erneuert hat und das man, wie Ignatius es tat, neu mit der
geweckten Sündenerkenntnis konfrontieren sollte, wobei allerdings die
sinnlichen Ausmalungen der Sündenwelt nur von untergeordnetem Wert
sein dürften, falls man ihnen überhaupt einen Wert zuerkennen darf.
Zwei besonders befremdliche Komplexe stellen wir deutlicher heraus.

1. Die Schau der Kirche. Sofort im Anfang heißt es von
Christus: „dessen Leib die sichtbare Kirche ist" (I 11). Die entscheidenden
Aussagen begegnen gehäuft in den „Regeln zum
Fühlen mit der Kirche" (II 277 ff.). Sie beginnen spirituell, aber
stürmen geradezu in massive Konkretheit hinein. „Die Kirche
als Braut und Mutter erscheint erfüllt in der Kirche als Hierarchie
" (279), welcher gehorcht werden muß (281). Mit den
Worten des Ignatius heißt das so (Nr. 353): „In Absetzung
alles Urteils müssen wir halten den Geist bereit und zur Hand,
dazu hin, zu gehorchen in allem der wahren Braut Christi, die
da ist Unsere Heilige Mutter, die Hierarchische Kirche". Das
Wort Christi Matth. 10, 39 muß den Satz des Kommentators
tragen: „Gewonnen wird im Mutterschoß Unserer Heiligen
Mutter der Hierarchischen Kirche das Urteil von oben" (283).
Und Eph. 5, 27 sei Beweis dafür, daß die sichtbare Kirche die
Kirche der Glorie sei (ebd.)! Der „blinde Gehorsam" gilt „der
inappellablen Definition des Geistes der Kirche, die nicht irren
kann und darum das „Weiß" der Vernunft für „Schwarz" erklären
kann und notfalls muß und darin die Gläubigen zu
inappellablem Gehorsam verpflichtet (292). Die kirchliche
Hierarchie führt sich nach einem Wort des Ignatius anderwärts
zurück „auf einen allgemeinen Stellvertreter Christi" (3 50). Der
Gehorsam gegen ihn — ein „Blindhindurch" — ist Gehorsam
„hin zu Christus selbst" (3 51). Hier gibt es keine Erweichung,
wie auch die interessante Zugabe zur Neuauflage — „Theolo-
gumenon und Philosophumenon der Gesellschaft Jesu" (II 357 ff.)
— deutlich zeigt. Das Proprium der Gesellschaft Jesu ist „ein
Heeresdiensten (militare) unter dem lebendigen Gott, wie er
lebendig ist in der Lebendigkeit Christi in der aktuell lebendigen
Kirche und darum unter dem Papst, wie die volle formula
Instituti der Bulle Julius' III. es sagt" (368). „Folgerichtig steht
inhaltlich im Mittelpunkt solcher Theologie die souveräne
Lebendigkeit Gottes in Christo in der souverän lebendigen
Kirche (und darum hinein in die Betonung der Rechtskirche und
der päpstlichen Unfehlbarkeit: weil hier das Eigentliche des Jetzt-
Hier der souveränen Autorität Gottes erscheint)" (374). Das
sind klare Bekenntnisse, die der weiteren Zusätze nicht bedürfen
.

2. Maria Unsere Herrin. Sie ist Eins mit Christus ,,in der
Einheit des Mittlertums der Erlösung" (II 348). Im Zusammenhang
muß sich 1. Tim. 2, 5 die Vergewaltigung gefallen lassen,
Christus und Maria ständen „im Eins" „als ,den Mittlern' in der
Einen Mittlerschaft". In welche Bedrängnisse müssen die katholischen
Bibeltheologen durch die römische Mariologie gekommen
sein, wenn zu solchen Exegesen geflüchtet werden muß!

Bei der unabsehbaren Bedeutung der ignatianischen Exerzitien
einst und jetzt sei das besprochene Werk der ernsten Beachtung
empfohlen. Über dem Studium erfährt man neu, daß die
Frömmigkeit in den Kirchen und ihren Gruppen sowohl verbindet
wie trennt. Des Verbindenden aber wird man nur bedingt
froh, weil das Trennende die aufkeimende Gemeinschaft im Geist
hart und grob zerschlägt.

Rostock Gottfried Holtz

Geiselmann, Josef Rupert: Die Katholische Tübinger Schule. Ihre
theologische Eigenart. Freiburg-Basel-Wien: Herder [1964]. 624 S-
gr. 8°. Lw. DM 38.50.

Vor vier Jahren veröffentlichte der Aachener Dogmatiker
H. J. Brosen seine bereits 1935 von der Gregoriana angenommene
Dissertation „Das Übernatürliche in der katholischen
Tübinger Schule" (Essen 1962). In der „Tübinger Theologischen
Quartalschrift" (143 (1963) 422—453) hat Geiselmann an dieser
Arbeit scharfe Kritik geübt. Neben einigen Einwänden gegen
Geiselmanns Ausgabe der Symbolik von J. A. Möhler, die Brosch
in dem Vorwort seines Buches erhoben hatte, zeichnen sich in
dieser Auseinandersetzung zwei unterschiedliche Standpunkte in
der Beurteilung der katholischen Tübinger Schule ab. Nach Brosch,
der sich im wesentlichen auf Drey, Hirscher und Möhler stützt,
besteht die Eigenart der katholischen Tübinger Theologie darin,
daß die anfänglichen Einflüsse des Rationalismus und Idealismus
allmählich und vor allem beim späten Möhler zu einer Neugewinnung
der scholastischen Tradition führen. Von einem antischolastischen
Prinzip könne jedenfalls nicht die Rede sein. Demgegenüber
vertritt Geiselmann mit allem Nachdruck die Auffassung
, die katholische Tübinger Schule dürfe nicht einfach als
Wegbereiter der Neuscholastik verstanden werden; ihre Eigenart
sei vielmehr unter dem Stichwort der .lebendigen Tradition' zu
sehen.

Die umfangreiche Gesamtdarstellung ist der Ertrag jahrzehntelangen
Forschens, aus dem bereits zahlreiche Einzeluntersuchungen
und vor allem die kritischen Ausgaben der Schriften
Möhlers hervorgegangen sind. Sie ist zugleich die Apologie einer
die Geschichtlichkeit der Kirche, ihrer Verkündigung und Lehre
bejahenden Theologie und in diesem Sinn ein theologisches Programm
: „Die Tübinger Schule wird in der Methode ihres theologischen
Forschens nicht vom Syllogismus, dem Schlußfolgern,
sondern von der Dialektik der realen, geschichtlichen Gegensätze
und deren Ausgleich bestimmt. Sie lebt und stirbt mit ihrem
Prinzip von der lebendigen Tradition, von der her sie die Antwort
auf die uns bedrängenden Fragen sucht" (342). — „Die
Schule ist nicht tot. Sie greift auch heute die aktuellen Probleme,
die mit der Heideggerschen Existentialphilosophie und der Bult-
mannschen Entmythologisierung gegeben sind, auf und sucht sie
von der Geschichtlichkeit der Offenbarung aus zu lösen" (611)-

Als Einzelkritik mag die fortlaufende und mitunter sehr
harte Auseinandersetzung mit der Arbeit von Brosch übertrieben
erscheinen, zumal in den letzten Jahren auch in der katholischen
Theologie — mindestens im deutschen und französischen Bereich —
die Front zwischen einer neuscholastisch und einer historisch
orientierten Theologie in Bewegung gekommen ist. Aber dieser
Gegensatz hat zweifellos dazu beigetragen, daß die einzelnen
Standpunkte sehr pointiert herausgestellt werden. Die detaillierte
Kenntnis der gedruckten Quellen und zahlreicher unveröffentlichter
Manuskripte und Vorlesungsnachschriften gibt dem Werk
Geiselmanns größtes Gewicht. An verschiedenen Stellen des
Buches werden auch Exzerpte aus dem ungedruckten Material mitgeteilt
, darunter aus den bisher noch nicht bekannten Vorlesungen
Möhlers über Kirchengeschichte und Patrologie.

Die Einleitung bildet ein kurzer, keineswegs erschöpfender
Überblick über die unterschiedliche Beurteilung der Tübinger
Schule sowie eine erheblich umfangreichere summarische Kritik
an dem Buch von Brosch.