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Ausgabe:

1966

Spalte:

682-683

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Lieb, Fritz

Titel/Untertitel:

Valentin Weigels Kommentar zur Schöpfungsgeschichte und das Schrifttum seines Schülers Benedikt Biedermann 1966

Rezensent:

Zeller, Winfried

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 9

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intellektive Form, also drei Formen, angenommen hatten. Mit
dem Ökonomieprinzip — paucitas Semper ponenda — bekennt sich
Biel zu der Ansicht des Gregor von Rimini, der lediglich eine
intellektive Form annahm. Das sei zwar eine Aussage, die für den
Philosophen eine Unmöglichkeit darstelle, aber für den gläubigen
Christen annehmbar sei, denn für das Allmachtsprinzip bedeute
das keinen Widerspruch (Lee. 42, A—K).

Wann tritt nun Christus mit seiner ganzen Menschheit und
seiner ganzen Gottheit in das Sakrament der Eucharistie? Die
Lehre von der Konkomitanz macht es unserem Autor möglich,
daß er nach dem Aussprechen des letzten Einsetzungswortes den
Beginn der Anwesenheit des eucharistischen Christusleibes annehmen
kann (Lee. 42, L—S). In der nun anschließenden Frage
nach der Quantität, nach der räumlichen Lage des eucharistischen
Christus in der Hostie, klaffen die naturphilosophischen Unterschiede
gegenüber dem Realismus auf. Kann ein Accidenz ein
eigenes Sein haben? Was bei dem Realisten Thomas v. A. onto-
logisch möglich ist, wird hier von dem Nominalisten Biel in Anlehnung
an Occam scharf bekämpft, da die Quantität nur in der
Koherenz mit der Substanz, also im quantum, die Existenz haben
könne (Lee. 43, A—R). Zur Begründung der Möglichkeit subjekt-
und substanzloser Akzidentien — das wären Brot und Wein nach
der Wandlung gemäß der Kirchenlehre — weist unser Magister
auf die Allmacht Gottes hin, die dieses Dasein der Akzidentien
möglich mache. Biel geht hierin den Weg Occams (Lee. 44, A—E).

Die Eigenbewegung und die Fremdbewegung der Hostie wird
für unseren Autor durch die Allmacht Gottes möglich (Lee. 45,1).
Könnte sich Christus in der Hostie nicht etwa mit Hilfe seiner
Seele selbst bewegen? Hier glaubt Biel die Eigenbewegung des
intellectus separatus zugestehen zu müssen (Lee. 45, N—X).

Die Möglichkeit der Multiquität des Leibes Christi — nicht
Ubiquität — wird durch die Allmacht Gottes begründet; denn das
schließe für den Christen keinen Widerspruch ein (Lee. 46 A—
47 I).

Liegt nun die Kraft für den Vollzug der Wandlung in den
Einsetzungsworten? Haben sie eine übernatürliche Kraft? Diese
Frage wird gewöhnlich in der allgemeinen Sakramentenlehre verhandelt
. Biels Antwort auf diese Quaestionen kann nur mit dem
Rückzug auf die Allmacht Gottes beantwortet werden. Gottes
Kraft vollzieht die Wandlung auf Grund der Einsetzungsworte
und der damit von Gott übernommenen Verpflichtung, die Anwesenheit
des eucharistischen Leibes zu vollziehen (Lee. 47 M—U).
Ob die Einsetzungsworte signifikativ oder rezitativ vorzutragen
und zu deuten sind, wird von unserem Magister im Pro und
Contra der kirchengeschichtlichen Antworten dargestellt. Biel
sieht sie in demonstrativem Sinne. Das „hoc" demonstriere den
Leib Christi, in den das den sichtbaren Zeichen unterworfene Brot
verwandelt werden muß (Lee. 48 A—Y).

Nach der grammatikalisch-logischen Erörterung über den
rechten Begriff „Wandlung", prüft unser Autor „die rechte Verehrung
der Hostie"; diese Erörterung dehnt unser Magister auf
die „Bilderverehrung" aus (Lee. 49, A—X). Die Probleme einer
Rcliquienverehrung bewegen unseren Verfasser in Lee.
5o. desgleichen auftretende Irrtümer und Gefahren einer Idolo-
'atrie in der Verehrung des eucharistischen Christus (Lee. 50 A—S).
Ir> Lee. 51 und 52 wird der Text des Meßkanons ohne besonders
Wichtige Fragestellungen kommentiert. Unser Autor beschäftigt
s'ch noch einmal mit den von Skotus dargelegten Zweifeln an der
rechten Form der Weihe des Blutes. Biel ist der Überzeugung,
daß der Priester diesen Schwierigkeiten und Zweifeln entgehen
kann, wenn er sich ganz auf die Intention seiner Mutter Kirche
verläßt und danach handelt. Da nun jede Form der Eucharistie —
die Form des Brotes und des Weines — ihre besondere Wirkung
hat, so stellt sich die Quaestio, ob unter diesen Umständen die
Einheit der Eucharistie als Sakrament gewahrt werden könne.
L*ic göttliche Anordnung im Einsetzungsbefehl garantiert die Einheit
des Altarsakramcntcs (Lee. 53, A—M).

In Lee. 54 geht der Tübinger Universitätslehrer dazu über,
die Messe in ihrem Charakter als „Opfer" darzustellen (Lee. 54,
^5). anschließend als suffragium für die Entschlafenen
U-ec. 56). Biel stellt die grundsätzliche Frage, ob denn überhaupt

die Möglichkeit bestehe, den Entschlafenen Hilfen (suffragia) zu
bringen? (Lee, 57 A—G).

Helfen denn überhaupt die Ablässe den Verstorbenen? Nach
Hostiensis gehe doch die Gewalt des Stellvertreters Christi auf
Erden nur über die Lebenden. Unser Magister betont hier die
Dringlichkeit, über diese Zweifelsfrage eine Lehrbestimmung der
Kirche herbeizuführen (Lee. 57, H). Während dieser Meßkanonauslegung
und Vorlesung kommt die Ablaßerklärung des Papstes
Sixtus in seine Hand, daß die Suffragien der Lebenden den Seelen
im Fegefeuer nützen (Lee. 57, K). Biel untersucht hier einzelne
päpstliche Ablaß-Determinationen und kommentiert noch einmal
gründlich Mt. 16, 19. Er kommt zum Ergebnis, daß die Worte
„super terram" in Mt. 16, 19 auch die Seelen im Purgatorium
einschließen, so daß es also möglich sei, den Seelen im Fegefeuer
Hilfen zu spenden; die Schlüsselgewalt Petri erstrecke sich also
auch auf das Purgatorium (Lee. 57, L—N). Biel erkennt diese Ablässe
mit ganzer Hingabe an; er sieht in ihnen ein Wadisen der
christlichen Liebe (Lee. 57, O—P). Allerdings scheinen ihm die
Hilfen für die Abgeschiedenen, die aus der christlichen Liebe als
Taten erwachsen, doch besser zu sein als die nur der päpstlichen
Schlüsselgewalt erteilten Ablässe, da sie die Seligkeit für die im
Purgatorium befindlichen Seelen schneller verwirklichen (Lee. 57,
R ff). Nun noch eine spezielle Frage, die Biel bewegt: Helfen die
von einem Erblasser verfügten Suffragien ihm selbst, auch wenn
sie von den Erben nicht ausgeführt werden? Wenn sie aus der
Liebe zur Kirche erwachsen, sind sie wirksam (Lee. 58, A—C). In
Lee. 59 betrachtet unser Autor die Messe unter dem Aspekt der
Hilfe für die Lebenden.

Für den, der sich mit den Grundlagen der Reformation und
der Frömmigkeit des Spätmittelalters beschäftigt, dürfte dieser
Band — er ist zum größten Teil wissenschaftlich erhoben — doch
manche wertvolle Frucht schenken. In diesem zweiten Teil der
Gesamtausgabe wird deutlich, daß Biel im Grundsätzlichen eine
Antipode des Thomas v. A. ist. Es muß jedes Lehrstück Biels einzeln
untersucht werden, um ein zutreffendes wissenschaftliches
Bild über Biel zu gewinnen.

Marburg/Lahn Rudolf Damerou

Lieb, Fritz: Valentin Weigcls Kommentar zur Schöpfungsgeschichte
und das Schrifttum seines Schülers Benedikt Biedermann. Eine literar-
kritische Untersuchung zur mystischen Theologie des 16. Jahrhunderts.
Zürich: EVZ-Verlag [1962]. 188 S. m. 10 Abb. gr. 8°. Lw. DM 22.80.

Das literarische Werk und die theologische Geisteswclr.
Valentin Weigels geben nicht nur immer noch viele reizvolle-
Probleme auf. Es stehen vielmehr auch mancherlei Wege für ein
eigenständiges Suchen und Fragen offen. Das beweisen die beiden
Neueinsätze der Weigel-Forschung, die vor dem Kriege voneinander
unabhängig unternommen, in besonderem Maße die Ungunst
der Kriegs- und Nachkriegszeit erfahren mußten. So wurde der
Verfasser des vorliegenden Werkes durch die Kriegsereignisse bedauerlicherweise
zum Abbruch seiner langjährigen Weigelstudien
gezwungen. Aber auch dem Berichterstatter war es nur vergönnt,
ein«n schmalen Auszug aus umfangreichen Niederschriften über
die Literaturkritik der echten und unechten Weigeliana zu veröffentlichen
. Blieb dadurch leider vieles ungesagt, so war doch der
Umfang des Weigelmaterials derart beträchtlich, daß jeweils
noch genügend Raum für eigene Forschungsergebnisse zur Verfügung
stand. Um so dankbarer aber wird man es nunmehr begrüßen
, daß auf der einen Seite Fritz Lieb jetzt den Ertrag seiner
sorgfältigen und weitreichenden Weigelstudien zusammenfassen
konnte, während andererseits die von Will-Erich Peuckert und
dem Rezensenten begründete Weigel-Ausgabe das literarische
Werk Weigels in einer kritisch erarbeiteten Edition zu erschließen
beginnt.

Es erweist sich als unmöglich, auf die zahlreichen speziellen
Beobachtungen des Verfassers hier im einzelnen einzugehen. Aus
der Fülle der anregenden Untersuchungsergebnisse seien darum
hier wenigstens zwei Schwerpunkte herausgegriffen. Einmal hat
Lieb die Weigelforschung zweifelsohne durch den Nachweis gefördert
, daß die „Viererley Auslegung über das Erste Capitel
Mosis" Weigel selbst zum Verfasser haben dürfte. Das gilt auch
unabhängig von der Frage, ob man Liebs Datierungsvorschlag auf