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Ausgabe:

1966

Spalte:

671-673

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Seybold, Michael

Titel/Untertitel:

Sozialtheologische Aspekte der Sünde bei Augustinus 1966

Rezensent:

Lorenz, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 9

672

V i e 1 h a u e r, Philipp: Einleitung in das Neue Testament [Fortsetzung]

(ThR N. F. 31, 1966 S. 193-231).
Walker, Rolf: Jüngerwort und Herrenwort, zur Auslegung von Joh.

4, 39-42 (ZNW 57, 1966 S. 49—54).

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Seybold, Michael: Sozialtheologische Aspekte der Sünde bei
Augustinus. Regensburg: Pustet 1963. 301 S. 8° = Studien z. Geschichte
d. Moraltheologie, hrsg. v. Michael Müller, 11. Bd. Kart.
DM 28.—.

Wie eine ganze Reihe neuerer katholischer Arbeiten zu
Augustin geht auch dieses Buch von Fragen aus, welche
die moderne katholische Theologie bewegen. Das Interesse an der
Kirche als mystischem Leib Christi fragt nach der sozialen Dimension
von Erlösung und Gnade und von daher weiter nach der
sozialtheologischen Bedeutung der Sünde. Wieso betrifft die
Sünde nicht bloß den einzelnen, sondern ist eine das sündige Individuum
übergreifende Realität? Diese Frage soll anhand der Aussagen
Augustins beleuchtet werden.

Ein einleitender Abschnitt orientiert noch einmal knapp über
die Ausbildung des augustinischen Sündenbegriffs in der Auseinandersetzung
mit Manichäismus und Neuplatonismus vom
Boden des christlichen Schöpferglaubens aus. Die Ablehnung der
manichäischen These vom Bösen als Substanz und die Hervorhebung
der Freiheit als Voraussetzung für schuldhaftes Tun wird
etwas summarisch auf die Formel gebracht: Verinnerlichung der
Moral gegen manichäische Veräußerlichung. In dem das Buch
durchziehenden Bestreben, jeden Verdacht manichäischer Nachwirkungen
von Augustin fernzuhalten, wird der Manichäismus zu
sehr im häresiologischen Blickwinkel und nicht genau genug ins
Auge gefaßt — angefangen von dem lapsus calami, daß er „anfangs
des vierten Jahrhunderts entstanden" sei (S. 42).

Die soziale Dimension der Sünde bei Augustin zeigt sich in
der erbsündigen Gemeinchaft aller Menschen, darüber hinaus in
der, sündige Engel und Menschen umfassenden, civitas diaboli.und
schließlich in der Beeinträchtigung der Heilsfunktion der mater
ecclesia.

Das Kernstück des Buchs besteht in einer Untersuchung des
Erbsündenproblems: in wiefern und wodurch ist die Menschheit
in der Gemeinsamkeit der Erbsünde beschlossen? Die Erbsünde
ist poena und peccatum, Strafe und Schuld. In seiner antimanichä-
ischen Periode hebt Augustin den Strafzusammenhang mit der
Adamssünde hervor. Gegen Julian v. Aeclanum schließt er dann
aus der Allgemeinheit der Leiden und Widerwärtigkeiten, die der
Mensch auf Erden erfahren muß, auf eine Schuldgemeinschaft aller
Menschen. Wie ist aber die Vermittlung der Sünde Adams an die
Menschheit zu denken? Der eine Aspekt dieser Frage: die Einheit
des Menschengeschlechtes in Adam — omnis homo Adam — wird
nur kurz angedeutet. Die gerade für diesen Punkt wichtige Dissertation
von E. Franz, Totus Christus, Bonn 1956, ist leider vom
Vf. nicht ausgenutzt worden, ebensowenig wie später bei der Behandlung
des Begriffes corpus Christi. Dafür widmet er dem zweiten
Aspekt, der erbsündenvermittelnden Funktion der Konkupis-
zenz, scharfsinnige Ausführungen. Im Hintergrund der Konkupis-
zenz, der Unbotmäßigkeit des Willens bei der Geschlechtslust,
steht die Störung der Harmonie zwischen Leib und Geist, die auf
die Ursünde zurückgeht, auf den Entschluß des Menschen, nach
eignem Willen zu leben statt nach GottesWillen. Der Konkupis-
zenzbegriff Augustins steht in dieser Zurückführung auf das
secundum seipsum vivere dem des jungen Luther nicht allzu fern.
Die Konkupiszenz im engeren Sinne der Gcschlechtslust gliedert
den Gezeugten in die Schuldgemeinschaft mit Adam ein und übt
so erbsündenvermittelnde Funktion (S. 99, 101). Von der richtigen
Voraussetzung aus, daß für Augustin Sünde in der willentlichen
Bejahung der Tat liegt, wird der Nachweis geführt, daß die
coneupiscentia bei der Zeugung an sich nicht notwendig Sünde
sei, obwohl beim Nichtgetauften vom reatus coneupiscentiae die
Rede ist (De pecc. mer. et rem. 2, 28.46). Sie bewirke im Gezeugten
auch nicht Sünde, sondern ein malum, eine bestimmte (verschlechterte
) Beschaffenheit der menschlichen Natur, die aber durch
die Taufe nicht mehr als Schuld angerechnet wird. Im Ganzen

kommt der Vf. hier zum gleichen Ergebnis, wie schon R. Seeberg,
Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. II (Nachdruck 1960), S. 509
und 456—58. Zu letzter Klarheit über den Grund der Vererbung
der Adamssünde ist Augustin jedoch nicht gelangt (S. 174).

In diesem Zusammenhang behauptet der Vf. im Anschluß an P.
Dubarle, La pluralitc des peches hereditates dans la tradition augu-
stinienne, Rev. des etud. august. 3 (1957) 113—36 auch, daß Augustin
im Anschluß an Ex. 20, 5 bzw. Dt. 5, 9 die Vererbung persönlicher Sünden
von den Eltern auf die Kinder lehre. In der Tat besagen die angezogenen
Texte, daß die Kinder für Sünden der Eltern von Gott gestraft
werden. Da Gott gerecht ist, folgt aus dieser Strafe auch eine
Schuld der Kinder. Aber von der Forterbung des sich in den Sünden
der Eltern auswirkenden speziellen sündigen Hanges oder der besonderen
Sündenaktivität der Eltern ist keine Rede. Der Schuldzusammenhang
der Kinder mit den persönlichen Sünden der Eltern beruht vielmehr
auf der Imputation und Vergeltung durch Gott: reatu obligant
(peccata) (Ench. 46, 13), redduntur ejus (Gottes) occulto justoque
judicio (C. Jul. op. imp. 3, 65), die Kinder sind hereditarii debitores
(C. Jul. op. imp. 6, 21). Es ist mißverständlich, diese Imputation als
Vererbung persönlicher Sünden zu bezeichnen. Die in dem Abschnitt:
Die These der Vererbung persönlicher Sündenschuld als Konsequenz
der These von der sündenvermittelnden Funktion der Konkupiszenz
(S. 113—16) gezogenen Folgerungen ruhen somit auf schwacher Basis.

Bei diesen schwierigen Fragen, in denen das Gewicht dogmatischer
und dogmengeschichtlicher Traditionen eine schwer
durchschaubare Rolle spielt, müßte trotz aller damit gegebenen
Wiederholungen doch durch von Grund auf geführte begriffliche
Untersuchungen eine Klärung über die Sündenterminologie
Augustins angestrebt werden, insbesondere darüber, in welchem
Maße in den Begriffen peccatum, reatus u. a. die Faktoren Schuld,
Willenstat, Verflechtung in den Seinszusammenhang, göttliches
Urteil enthalten sind und wie sich diese Faktoren zueinander verhalten
.

Die große Rolle, welche Satan in der Sündenlehre Augustins
spielt, wird mit Recht betont. Macht und Recht Satans über den
Sünder sind die sozialen Ausläufer der Sünde des Teufels.

Da die Ursünde in der Hinwendung des geschaffenen Geistes
zu sich selbst besteht, in der superbia, deren Kern der Egoismus
ist, müßte die Sünde eigentlich zur Isolierung führen und es
könnte keine Gemeinschaft der Sünder geben.

Die Behauptung, Augustins Aussagen über den Verband der Bösen
seien zunächst Aussagen über den einzelnen (S. 170), wird frcilidi
durch die Belegstellen (bes. De ver. rel. 26, 48 — 27, 50) nicht gedeckt,
Augustin stellt nur eine Analogie fest zwischen den beiden „Völkern"
und dem Leben des einzelnen, bzw. dem Typus „alter Mensch",
„neuer Mensch".

Daß es trotz der vereinzelnden Tendenz der Sünde doch eine
Gemeinschaft der Bösen gibt, beruht auf dem ihnen verbleibenden
schöpfungsmäßigen Sein und ihrem Sein in der Schöpfung. Sie
sind geeint auf Grund 1) der ihr Sein ermöglichenden und erhaltenden
Rückbindung an Gott 2) der psychologischen Soziabilität
der Menschen 3) der Falschrichtung ihrer Liebe auf die irdischen
Teilgüter (S. 172-73).

Zu den sozialtheologischen Aspekten der Sünde gehört, daß
der Sünder und die Gemeinschaft der Sünder in Gegensatz tritt
zur Gemeinschaft der Guten. Das führt den Vf. zur Erörterung
von Problemen der augustinischen Ekklesiologie und der Lehre
von der civitas dei. Hier folgt er der traditionellen katholischen
Interpretation.

Die obligate Polemik gegen den doppelten Kirchenbegriff mag auf
sich beruhen, da sie für den Skopos des Buches nicht entscheidend ist.
Doch sei kurz auf den Versuch hingewiesen, die Einheit von civitas
dei und ecclesia nicht durch philologische Wortvergleichung nachzuweisen
, die nicht zum Ziele führe, sondern auf logischem Wege. Eni'
heit und Unterschied von civitas dei und ecclesia seien nach der
Analogie der beiden Seinsweisen des Verbum als Vcrbum apud dem11
und Verbum caro factum zu verstehen (S. 229). Das wirkt zunäal*'
bestechend, leistet aber das Gewünschte nicht. Denn die Einheit des
göttlichen Wortes und des Wortes im Fleisch beruht auf der Inkarnation
, die Kirche ist aber keine Inkarnation der civitas dei. So mul>
der Vf. zu einer dritten Größe, dem heiligen Geist, als gemeinsamem
Prinzip der „englischen" civitas dei und der Kirche seine Zuflucht
nehmen. Die christologische Analogie erweist sich damit als überflüssig
, sie erklärt nichts. Wenn die philologische Wortuntersuchung
kein einliniges Resultat ergibt, so ist das eben in der Sache begründe