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Ausgabe:

1966

Spalte:

667-669

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Suhl, Alfred

Titel/Untertitel:

Die Funktion der alttestamentlichen Zitate und Anspielungen im Markusevangelium 1966

Rezensent:

Gräßer, Erich

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 9

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einem Weg, dem modernen Menschen die Frohbotschaft wieder
verständlich zu machen, und wenn er auch richtig das Heilsmittel
für die heutige Glaubensnot in einer ,neuen' Verkündigung
der Offenbarungswahrheiten sieht, so müssen wir doch
am Schluß dieser Arbeit der Überzeugung sein, daß sein
,Wie-Verkündigen' im Rahmen einer eisernen Sola-fide-Anwen-
dung keine befriedigende Lösung bringen kann.

Wir sind aber sicher, daß alle, die sich der Not unserer
Zeit bewußt sind, das edle Anliegen Bultmanns anerkennen
und ihm Dank wissen dafür, daß er sie gezwungen hat, nicht
nur über eine zeitgemäße Verkündigung, sondern auch vor
allem über die Grundlagen ihres Glaubens und ihre vitalen
Konsequenzen ernsthaft nachzudenken."

Göttingen Hans Co n z el m a n n

Suhl, Alfred: Die Funktion der alttestamentlidien Zitate und Anspielungen
im Markusevangelium. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
G. Mohn [1965]. 198 S. gr. 8°. Lw. DM 34.—.

Die in Münster bei W. M a r x s e n angefertigte Dissertation
versucht nachzuweisen, daß unter Voraussetzung der Markus
- Interpretation Marxsens auch der Schriftgebrauch des ältesten
Evangeliums sachgemäßer erfaßt werden kann. Bisher habe
man denselben nämlich immer unter dem erst später (von Mt
u. Lk) ausgebildeten Schema von Weissagung und Erfüllung betrachtet
. Gerade davon zeige sich aber das Mk-Ev noch völlig
unbeeinflußt. Wie die Jesustradition gebrauche der Redaktor mit
historischer Interesselosigkeit auch das AT lediglich als „Material
für die gegenwärtige Verkündigung" (14), als „Farbe"
(47- 50), „Illustration" (137) bzw. als „qualifizierte Sprache"
(169) „zur Qualifizierung der Gegenwart" (96). Er will lediglich
zeigen, „daß das Jesusgeschehen y.mh rag ygaqpag verlaufen
sei, daß in Jesus Gott, und zwar der Gott des AT gehandelt
habe" (65); er will das nur als „ schrift g e m ä ß " kennzeichnen
, er will es aber nicht aus der Schrift „beweisen" (40 ff.
157 ff.). Vor allem: „er deutet noch nicht die Jesusgeschichte als
Heilsgeschichte, die im AT vorausgesagt ist", obwohl er „um
erfüllte Weissagungen bzw. Vorbedingungen" „weiß" (66). Mit
größter Einseitigkeit werden diese weitgreifenden Behauptungen
durchgezogen, was freilich nur um den Preis von z. T. sehr gewaltsamen
Exegesen gelingt.

Schon der methodische Ansatz ist ungenügend. In der „Einleitung"
(9—25) wird Marxsens These, das Mk-Ev sei „Anrede, nicht aber .Bericht
von Jesus'" (14), einfach übernommen und insofern überzogen, als behauptet
wird, Markus sei an der Vergangenheit (und also auch am Weissagungsbeweis
) überhaupt nicht interessiert (166 ff.; 157 f.). Wo doch
allenfalls gelten kann, daß der Evangelist die Geschichte lesu „nicht
nur (!) als bewahrende Erinnerung an den Irdischen, sondern als vergegenwärtigende
Verkündigung und Anrede" erzählt (G. Bornkamm,
RGG'1 II 761). — Verwunderlich ist, daß S. auch Marxsens These von der
gesteigerten Naherwartung des Evangelisten übernimmt, ohne daß ihm
eine solidere exegetische Begründung als seinem Lehrer gelänge. Aber
S. braucht diese These für seine Behauptung, daß die Ausbildung des
Schemas „Weissagung und Erfüllung" in späterer Zeit mit dem Problem
der Parusieverzögerung zusammenhängt — wiederum eine These, die
nirgendwo im Buch schlüssig bewiesen wird.

Erst recht aber bleibt man von der Durchführung des Themas unbefriedigt
. Es ist hier nicht der Raum, über die vielen literarkritischen
Operationen zu rechten, auch nicht über die redaktionsgeschichtlichen
Urteile — tatsächlich sind die synoptischen Vergleiche die interessantesten
Stücke des Buches. Unerörtert soll auch bleiben, ob ein sachliches
Ordnungsprinzip (das AT in der Paränese, in der Eschatologie, in der
Christologie etc.) nicht besser gewesen wäre, als nur das redaktionsgeschichtliche
(Die atl. Zitate in der Leidensgeschichte, 26—66; in den
Gesprächen, 67—96; in den vormarkiniseben Einzelperikopen MK 1,9—
11; 9,2—8; 14,22—25; 10,45; 14,24; 1,40—45, S. 97—132; Die
Zitate des Redaktors Mk 9, 11—13; 1,2—6 etc., S. 132—1 57). Dadurdi
wäre vielleicht die Verschiedenartigkeit der Funktion atl. Zitate besser
herausgekommen. Uns genügen hier einige exegetische Proben, die ein
Muster sind für die Art, wie man um einer fertigen These willen die
Texte bis zur Unkenntlichkeit beugt: Einmal angenommen, mit dem
zweimaligen xaza xae ypmpdc 1. Kor. 15, 3 f. habe Paulus wirklich nur
eine „Schrift gemäßheit" ( nicht einen Schrift beweis !) postuliert
, die streng zu scheiden sei von einer Schrift erfüllung — darf
man diese Erkenntnis so hurtig zu der Behauptung ausweiten,
Paulus denke nicht heilsgeschichtlich? Wozu dann als Beleg nur noch
drei Texte genannt werden; 1. Kor. 10,1—11; 2. Kor. 3,7—12 und

Rm 5, 12—21 (auf Rm 4 und 9—11 weist S. einfach nicht hinl). Zu
den ersten beiden Texten wird behauptet, es ginge hier ,,gar nicht
um eine heilsgeschichtliche Steigerung von Typ zu Anti-
typ, sondern um Illustration" bzw. „Illustrationsmatcrial"
(176 f., Sperrungen von S.)! Und zum letzten Text einfach nur die
kommentarlose Behauptung: „In diesem Sinne dürfte auch Rom 5,
12—21 zu verstehen sein" (177). Wer das behauptet, dem fällt die
Beweislast zu!

Die paulinische Schrift g e m ä ß h e i t (nicht der Schriftbeweis!)
soll nun auch die Verfahrensweise des Markus sein. Das wird z. B.
zu Mk 14, 27 b gegen den Wortlaut behauptet (S. 64). Der Leidensgeschichte
lag angeblich ,,an keiner Stelle ( !) ein Denken im Schema
Weissagung und Erfüllung" nahe (65). In einem Zwischensatz wird
allerdings eingeräumt: „mit Ausnahme der Behauptungen der Schrift-
gemäßheit Mk 14,21.49 b." Weiter vorn wurde dieses Zugeständnis
jedoch schon wertlos gemacht: der auffallende Plural Mk 14.49
dXk' Iva nXrjO0>Hi»mv ai ygnqpat erinnere nämlich an das xara r«?
ygarpä; von 1. Kor. 15. Und so „ist auch dies eher eine bloße Behauptung
als ein ausgeführter Beweis" (43) ! ! — Die Sadduzäerfrage
Mk 12, 18—27 sei primär ein Angriff auf die Auferstehung Jesu! Erst
in dem sek. Zusatz (!) V 26 f. weite die Gemeinde das Thema auf, die
allgemeine Totenauferstehung aus, und zwar unter dem Eindruck der
Parusieverzögerung, die plötzlich mit unerwarteten Sterbefällen konfrontiert
habe (71). „Aus dieser Problematik entstand notwendig der
Glaube an die Auferstehung der Toten, zumindest aber mußte er jetzt
in der Gemeinde expliziert werden, wenn er auch implizit schon vorgegeben
gewesen sein mag" (72). — Im Streitgespräch über Rein und
Unrein Mk 7,1—23 soll das Zitat V 6 f. „die gegenwärtigen Gegner
der Gemeinde des Markus" als solche ,.qualifizieren", die „schon
immer die Feinde Gottes waren ... Es wird nicht im Sinne eines
Iva Jilrjpaiflfj, sondern eher im Sinne des xntu riic ygcupüc; argumentiert
. Die Haltung der Gegner läßt sich sehr gut mit den Worten des
Jesajas umschreiben" (81). V6 steht nun aber einmal: „Gut hat Jc-
saja über euch Heuchler geweissagt..." Damit werden die Gesprächspartner
Jesu nicht als Feinde Gottes „qualifiziert", sondern als die
bloßgestellt, die lesaja vorausblickend meinte. — Die Taufperikope
Mk 1, 9—11 sei vollkommen unbeeinflußt vom Weissagungs- und
Erfüllungsdenken. Die Himmelsstimme „expliziere" nur mit „atl. Anklängen
" ein Wissen, das man ohnehin schon habe, nämlich daß lesus
Gottessohn sei (103). „Die atl. Sprache ist . . . lediglich Ausdruck
der Gewißheit, daß die Gottcsereignung (?) in lesus mit dem Gott zu
tun hat, mit dem man schon immer lebte" (104). — Daß Markus sein
Evangelium sehr gewichtig mit einer Prophetengestalt, dem Täufer,
beginnt, ja, ihn sogar mit „wie geschrieben steht in dem Propheten
lesaja" einführt (Mk 1,-2), macht S. nicht irre. Denn sagt
noch nicht viel" (137)! Jedenfalls mache das Zitat aus dem Täufer
keinen Erfüller alter Prophetie (obwohl gerade das dasteht!). Sondern
Markus will damit nur sagen, „daß die in das Christusgeschehen
hineingehörende Geschichte vom Täufer sich auch alttestamcntlidi
sagen läßt" (136)! Leider sagt S. nie, warum Markus gerade das AT
so sehr als Farbkasten für sein Evangelium geschätzt hat. Die Auskunft
zu Mk 1, ,,daß der Anfang einer Schrift eine .feierliche' o.ä. (0
Einleitung erforderte" 137), ist angesichts der theol. Gewichtigkeit
dieser äoyjj tov evayyeXlov nicht ernst zu nehmen.

Nun ist es freilich richtig, aber auch selbstverständlich, daß
die Technik des Weissagungsbeweises im NT Stufen der Entwicklung
aufweist. Die von Mt gehandhabte Erfüllungstheorie
war nicht von allem Anfang an ausgebildet da. Sie mag mit den
apo'ogetischen Interessen gewachsen sein. Und die „Heils'
geschichte" bei Lk ist sicher das Produkt seiner historisierenden
Betrachtung. Mk verfolgt eine andere theol. Absicht und ist am
Schriftbeweis nicht in demselben Maße interessiert, wie Mt und
Lk — alles richtig! Aber man darf daraus nicht einen radikalen
Unterschied der Sache machen, wie es S. besonders in seinen
beiden Schlußkapiteln („Markus und die Heilsgeschichte", 162
—169; „Zur Hermeneutik des AT", 169—186) versucht. Ob hier
nicht die Fragestellung seines Buches von präjudiziert hermeneuti-
schen Erwägungen her einfach überfremdet wird? Natürlich ist
nicht jede atl. Anspielung im Mk-Ev schon ein theologisch reflektierter
„Schriftgebrauch", und es ist löblich, daß S. dafür
Kriterien erarbeitet und die Entdeckerfreude mancher Zitatensammler
dämpft (S. 157 f.). Auch kann nicht jedes eindeutig0
Zitat in das Schema Weissagung und Erfüllung gepreßt werden.
Aber ebensowenig kann man umgekehrt dem Redaktor nun jedweden
„Gedanken einer kontinuierlichen .Heilsgeschichte' von
Weissagung zu Erfüllung" (104) absprechen. Die Schriftbenutzung
des Markus ist vielmehr als solche und in ihrer Weise ein
Teil jener besonderen Ausdrucksform des urchristlichen Glau-