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Ausgabe:

1966

Spalte:

661-664

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bächle, Otto

Titel/Untertitel:

Israel und die Völker. Eine Studie zum Deuteronomium 1966

Rezensent:

Herrmann, Siegfried

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 9

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Die Übersetzung, die J. Macdonald in englischer Sprache vorlegt,
ist die erste des vollständigen Memar Marqa überhaupt. Sie fußt primär
auf dem aramäischen Text. Hierbei waren wesentliche Schwierigkeiten zu
überwinden; nicht nur der Wortbestand der jüdischen Targume, des Syrischen
und anderer semitischer Idiome mußte herangezogen werden,
sondern auch das Griechische, das teilweise in aramaisierten Formen begegnet
. Vielfach haben audi die arabischen Versionen weitergeholfen.
Der zum Teil recht monotone Stil hat es erforderlich gemacht, hier und
da etwas freier zu übersetzen. So ist eine Übertragung entstanden, die
— ohne ihre wissenschaftliche Zuverlässigkeit einzubüßen — auch dem
Fernerstehenden verständlich und anziehend ist.

Der Wert der vorliegenden Ausgabe kann nicht hoch genug
angeschlagen werden. Das gilt — um nur einige Beispiele zu
nennen — zunächst in bezug auf die alttestamentliche Textüberlieferung
. Marqa zitiert den Pentateuch teils nach dem samaritani-
schen Targum, teils nach dem Samaritanus; aber im letzten Falle
bietet er eine Reihe abweichender Lesarten, die, falls richtig überliefert
, nach Meinung des Hrsg. um Jahrhunderte älter sein dürften
als die berühmte Abisa'-Rolle, von der wir neuerdings ja die
wissenschaftlich zuverlässige, durch F. Perez Castro besorgte Ausgabe
besitzen Drei Anhänge bieten die Zitate Marqa's aus dem
Pentateuch, dem Targum und solche, die teils dem einen, teils den
anderen entnommen sind (II, S. 249—255); sie bieten somit eine
wertvolle Handreichung für denjenigen, der an der Geschichte des
Pentateuchtextes interessiert ist.

Für die Einleitung in das Alte Testament dürfte nicht ohne
Bedeutung sein, daß, wie Hrsg. in Buch I festgestellt hat, Abschnitte
aus dem Jahwisten und dem Priesterschriftsteller entweder
ganz ausgelassen sind oder nur kurz interpretiert werden,
während das elohistische Material voll ausgewertet ist. Sollte sich
im samaritanischen Bereich die Tradition des Elohisten durch die
Zeiten einer stärkeren Nachwirkung erfreut haben, als dies nach
der heutigen Gestalt des Pentateuchs erscheint? Möglich wäre es
immerhin; wohnen doch die Samaritaner ohne Unterbrechung seit
der Konstituierung Israels bis auf den heutigen Tag auf dem
sichemitischen Territorium ihrer Vorfahren (S. XLI f).

Schließlich sei noch auf einen theologicgeschichtlich interessanten
Punkt hingewiesen. In Buch VI § 1 (aram. I, S. 132;
engl. II, S. 214 f) sagt Marqa, daß man Leute, die die Schöpfung
der Erde aus der Sonnenmaterie ableiteten, n'cht zurückweisen,
sondern mit ihnen gemeinsam forschen solle; dieser große samari-
tanische Theologe, der „Weisheit" bzw. „Wissenschaft" und
..Religion" auf höherer Ebene zu vereinen weiß, nimmt unter
seinen Zeitgenossen — und nicht nur unter ihnen I — im wahren
Sinne des Wortes eine Sonderstellung ein.

Der vorgegebene Rahmen verbietet größere Ausführlichkeit;
aber die wenigen Beispiele dürften gezeigt haben, daß der Memar
Marqa — ganz abgesehen von dem philologischen Neuland, das er
bietet — Anspruch darauf erheben kann, sowohl von Theologen
als auch von Religionswissenschaftlern aufs stärkste beachtet zu
werden. Wer — wie der Rezensent — von der Erforschung des sog.
■•normativen" Judentums und seiner Vorgeschichte herkommt,
wird den Unterschied in der Weite des Blickfeldes zur Kenntnis
nehmen müssen und dem Hrsg. gern zugeben, daß die Welt der
Samaritaner weit weniger eingeengt war als die des palästinischen
Judentums und daß sie in der Lage waren, ihr Glaubenssystem
ohne Hilfe und Anregung seitens der Juden zu entwickeln
(S. XLIII).

Man darf mit dem Dank an den Hrsg. für die hier geleistete
Arbeit zugleich den Wunsch verbinden, daß der nunmehr so bequem
zugänglich gemachte Memar Marqa genügend Beachtung im
Sinne der eingehenden Einzelforschung am dargebotenen Material
finden möge.

Jena Rudolf Meyer

') F. Perez Castro, Sefer Abisa'. Ediciön del fragmento antiguo.
Madrid 1959 (Textos y estudios del seminario filolögico Cardinal Cis-
neros 2).

fächle, Otto: Israel und die Völker. Eine Studie zum Deutero-
nomium. Zürich-Stuttgart: Zwingli Verlag 1962. 235 S. 8° = Abhandlungen
z. Theologie d. Alten u. Neuen Testaments, hrsg. v.
W. Eichrodt u. O. Cullmann, 41. Kart. sfr./DM 21.50.

Diese breit angelegte Studie des Schweizer Pfarrers Otto

Bächli lag im Herbst 1960 der Theologischen Fakultät der Universität
Basel als Dissertation vor. Titel und Untertitel lassen zunächst
eine Spezialuntersuchung erwarten, die eine besondere
Fragestellung innerhalb des Deuteronomiums klären will. Tatsächlich
aber handelt es sich um eine tiefgreifende Durchfurchung
des Deuteronomiums überhaupt und aller mit ihm zusammenhängenden
Probleme unter beständiger Heranziehung neuester
Literatur und also auch in Auseinandersetzung mit der neuesten
Forschungsarbeit am Deuteronomium (Dt) *.

Entstehung und Absicht des Dt sieht Verf. vor allem unter
dem einen Gesichtspunkt, den er im Titel andeutet, daß nämlich
das Dt aus der unmittelbaren Auseinandersetzung Israels mit den
bedrohlichen Nachbarvölkern hervorgegangen sei. Diese Völker
beanspruchten Israels Land, dessen legitimer Besitz für das
Gottesvolk feststand, weil es das von Jahwe verheißene und geschenkte
Land war. Israel hatte jedoch sein Territorium nicht
allein gegen solche Versuche machtpolitischer Annexionen zu verteidigen
; es lehnte mit den fremden Völkern zugleich ihre Religion
ab und versuchte dabei, sich als das heilige Volk Jahwes zu
integrieren. So ergibt sich für B. jener doppelte Aspekt, der sich
durch sein ganzes Buch hindurchzieht und dem alle anderen Gesichtspunkte
mehr oder minder ein- oder untergeordnet sind: die
Abwehr der Fremdvölkergefahr nach außen hin und die Festigung
Israels nach innen. Das sind seiner Meinung nach zugleich die
Gesichtspunkte, die bei der Entstehung des Dt maßgebend waren.
Schon die Inhaltsübersicht läßt erkennen, wie das Thema im einzelnen
entfaltet ist: Nach einer Einleitung (1. Kapitel) wird zuerst
über die „Völkergefahr" (2. Kapitel) gesprochen, sodann über
ihre „Abwehr" (3. Kapitel), schließlich über „Israel" (4. Kapitel).
Das 5. Kapitel handelt unter der Überschrift „Abschluß" über den
Ursprung des Dt sowie unter den Stichworten „Restauration",
„Repristination" und „Integration" über seine historischen
Hintergründe und seine sachliche Bedeutung. Beachtenswert ist,
daß die Völkergefahr vor allem in den anderen Religionen der
Völker gesehen wird und entsprechend im 3. Kapitel als „Abwehr
" die deuteronomische Predigt, das Recht, der Kult und die
Gewalt (Ausrottung, Bann und heiliger Krieg) wirksam gedacht
sind. Mit seinen Aufstellungen wendet sich der Verf. letztlich
gegen die These, das Dt sei lediglich ein Reformprogramm ohne
einen unmittelbar erkennbaren aktuellen Hintergrund. Er hält es
für erwiesen, daß das Dt kein Reformprogramm sei (S. 200), es
leite vielmehr zum praktischen Handeln an, „um Israel zu Jahves
heiligem Volk umzuformen: Durch die Verkündigung des Heilshandelns
Jahves in der Predigt, mit Hilfe einer Auswahl von
Gesetzen verschiedenen Alters und verschiedener Herkunft, durch
Reinigung und Zentralisierung des Kultus und durch die Anwendung
von Gewalt in Ausrottung, Bann und heiligem Krieg soll
das Fremde abgewehrt und dem Volk das von Jahve zugesagte
Land gesichert werden" (S. 200 f.). Daraus folgt, daß das Dt auch
in einem ganz bestimmten Augenblick geschichtlicher Entwicklung
entstanden sein muß, als die Fremdvölkergefahr als akute Krise
begriffen und zugleich als Bedrohung für das ganze Volk Israel
erkannt war. Das kann nach B. auf keinen Fall vor Josia gewesen
sein. Von exilischen und nachexilischen Zusätzen abgesehen, sei
das Dt in seiner jetzigen Gestalt bald nach Josias Tod entstanden.
Jedoch bleibt es in der Schwebe, wie groß der Teil des Dt gewesen
sein kann, der schon zu Josias Lebzeiten entstand oder bestand,
um erst später weiter ausgebaut zu werden. Das mag etwa dieser
Satz zeigen (S.203):

„Das auffällige Zurücktreten des Königs im Dt beweist, daß das
Dt seine jetzige Form nicht vor Josias Tod gefunden hat; es ist
der Niederschlag der Ereignisse in der Zeit des Königs
Josia; kurz nach 608 dürfte diese Bearbeitung vorgenommen
worden sein" (Sperrungen vom Rez.).

Im Dt berufen sich die Träger der Abwehrkräfte gegen die
Fremden letztlich auf die Autorität des Mose „und besitzen in
ihm ihre Einheit, auch wenn diese Kräfte in der Praxis auf ver-

') Hingewiesen werden konnte in einem Nachtrag gerade noch
auf Kraus, Die prophetisdie Verkündigung des Rechts in Israel (1957)
und auf Mendenhall, Recht und Bund in Israel und dem Alten Vorderen
Orient (1960). In beiden Arbeiten findet Verf. Bestätigungen
seiner Thesen. Die Arbeit von N. Lohfink, Das Hauptgebot (1963) und
weitere kleinere einschlägige Aufsätze von Lohfink kamen erst nach
der Drucklegung des Buches von Bächli heraus I