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Ausgabe:

1966

Spalte:

649-652

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Gottes Wort und Gottes Land 1966

Rezensent:

Wallis, Gerhard

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649

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 9

650

Geschichte so betonen, daß Baal den Zuhörern als der Feind des
Lebens erscheint.

Unser zweites Beispiel bezieht sich auf die sog. Nachgeschichte
der Worte der Propheten. Die Sache selbst ist schon mehrfach
beobachtet worden". Man muß damit rechnen, daß die Worte
der Propheten in gewissen Kreisen weitergelebt haben und immer
wieder auf neue Situationen angewandt, aber dabei auch umgeformt
und angepaßt worden sind. Von Rad führt in seiner Theologie
des AT " als Schulbeispiel die Worte über Schebna in Jes. 22
an, wo man deutlich drei Stufen des Anwachsens erkennen kann:
!) das Urteil über Schebna, 2) der Spruch über seinen Nachfolger
und 3) der Untergang des Nachfolgers.

Ein anderes Beispiel liegt gewiß in der bekannten Immanuelstelle
in Jes. 7 vor ~". Hier ist Altes und Neues so zusammengemischt
worden, daß die Vertreter der Literarkritik sogar im
Zweifel gewesen sind, ob der Spruch eigentlich positiv oder
negativ ist. Er beginnt mit der Verheißung, daß die junge Frau
schwanger werden und einen Sohn gebären wird; dieser wird
Dickmilch und Honig essen, und ehe er ins reife Alter gekommen
ist, werden die feindlichen Könige vernichtet sein. Soweit ist der
Spruch klar positiv. Dann aber kommt ein Stück, das die Verheerung
des Landes durch den König von Assyrien voraussagt:
a'so eine rein negative Aussage. Die Fortsetzung ist problematisch
. Zunächst heißt es, daß das Land so arm werden wird,

•'H) von Rad, Theologie des AT II S. 59 f.

") Ich habe die Frage gestreift in Teologinen Aikakauskirja (Helsinki
) 60 (1955) S. 72.

daß ein jeder nur eine Kuh und zwei Schafe halten kann; ferner
heißt es, daß man deshalb nur von Dickmilch und Honig leben
wird (ist das positiv oder negativ gemeint?), und dann schließlich,
daß das bebaute Land verödet und verwildert liegen wird. Es ist
wohl unmöglich, hier die „echten" und die hinzugefügten „unechten
" Worte genau voneinander zu trennen. Man ahnt aber
hinter den Unebenheiten des Textes die Bemühungen mehrerer
Generationen um das Verständnis eines schwierigen Prophetenwortes
, besonders des Wortes über Dickmilch und Honig, das
man je nach den Umständen bald positiv, bald negativ verstanden
hat.

Auf ähnliche Weise kann man dann auch die zahlreichen
Zitate von Deuterojesaja in Jes. 60—62 verstehen. Es handelt sich
sozusagen um Predigten der Prophetenjünger über die Worte des
Meisters, die man auf die neue Situation anwendet. Die Umbie-
gungen der ursprünglichen Bedeutung stellen die notwendige Anpassung
an die veränderte Lage dar. Das Prophetenwort bleibt
aber göttliche Botschaft, die noch in neuen Situationen relevant
ist.

Wenn auch diese Auffassung die Frage nach den ipsissima
verba des Propheten nicht aufgibt, kommt sie jedoch im Verständnis
des „lebendigen Umformungsprozesses" der Auffassung
der skandinavischen Traditionsgeschichte sehr nahe. Die Unterschiede
sollen natürlich nicht geleugnet werden. Aber wir befinden
uns jetzt in einer Lage, in der ein gegenseitiger Austausch
zwischen Schulen und Methoden der alttestamentlichen Wissenschaft
sehr förderlich sein würde.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

[Hertzberg, Hans-Wilhelm:] Gottes Wort und Gottes Land. Festschrift
für Hans-Wilhelm Hertzberg zum 70. Geburtstag am 16. Januar
1965 dargebracht von Kollegen, Freunden und Schülern, hrsg. v. H.
Graf Reventlow. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1965].
228 S., l Porträt, gr. 8°. Lw. DM 28.-.

Der für die Festschrift gewählte Titel möchte den langjährigen
Propst von Jerusalem und späteren ordentlichen Professor für
Altes Testament in Kiel als einen der hervorragendsten Kenner
des Heiligen Landes und kundigsten Bibelausleger (s. opera S. 221
—228) würdigen. Der Band erfüllt seine Aufgabe um so tiefer, als
der Geehrte kurz nach seinem 70. Geburtstag am 1. Juni 1965
heimgerufen wurde. Weniger allerdings treffen die Beiträge auf
den Titel zu.

Mit Palästina beschäftigt sich allein A. Kuschke in „Historisch
-topographische Beiträge zum Buche Josua" (S. 90—109).
K. bietet einen trefflichen Überblick über Untersuchungen zu Jos.
1?, 15—23.24—28; 16,6—8; 17, 7 f; 18,21—24, die unter seiner
Leitung während der Lehrkurse des Palästina-Instituts (1957—
1961) durchgeführt wurden, und faßt, mit der Sicdlungsgeschichte
Syriens und Palästinas wohl vertraut, die in ZDPV vorgelegten
Ergebnisse ordnend und wertend zusammen.

Alle weiteren Abhandlungen befassen sich in dieser oder
Jener Weise mit Text und Auslegung des Alten Testaments. W.
" e y e r 1 i n befragt in „Die Paränese im Bundesbuch und ihre
Herkunft" (S. 9—29) die nichtrechtlichen Ausführungen dieser Gesetzessammlung
nach ihrem Wesen und Herkommen: die bedingte
Segensverheißung (20, 24 b), Verwarnung (22, 26 b), Vermahnung
(23,13 a), Begründungsklauseln verschiedener Art (20,25 b; 22,
20 b. 22 b. 26 bß; 23, 7 bß. 8 b. 15 a; 21, 21 bß; 20, 26 b; 23, 9 b;
20,22 b; 22,30 a). Solche paränetischen Wendungen möchten
einer verständigen Befolgung der Gebote dienen. Sie lassen ihren
«Sitz im Leben" in der mündlichen Rechtsverkündung des Jahwe-
lestkultcs erkennen, haben ihre ersten Ursprünge bereits in der
Vorlandnahmezeit und können somit als Vorläuferin der deute-
ronomischen Paränese gelten.

Mit einer ähnlichen Materie befaßt sich unter Anwendung
der gleichen Methode H. Graf Reventlow in „Gebotskern

und Entfaltungsstufen in Deuteronomium 12" (S. 174—185). Auf
Grund der Untersuchung „Die Lirsprünge des israelitischen Rechts"
von A. Alt (1934) sieht er das apodiktische Gebot, die (sc. heidnischen
) Höhenheiligtümer zu vernichten (v. 2), als den Kern des
Kapitels an und verlegt es wie die Entstehung der Apodiktik
überhaupt in die Zeit nach der Landnahme (!), „als die erste Berührung
mit den heidnischen Kultstätten ein Lebensproblem für
den Jahweglauben darstellte" (S. 178). Alle anderen Stadien des
Zentralisationsgesetzes legen sich dann wie „Jahresringe an einem
Baum" um diesen Kern und sind noch an der Endform des Textes
abzulesen (ebd.). Das Vernichtungsgebot der heidnischen Heiligtümer
ist von priesterlicher Seite im mittleren Stadium der Textentfaltung
(S. 182) auf die israelitischen Kultstätten angewandt
worden (wann?). Wie der Autor seine Ausführungen mit der erkennbaren
Kultgeschichte Israels in Einklang zu bringen gedenkt,
bleibt offen.

Ähnlich widmet S. L e h m i n g sein Interesse „Erwägungen
zur Zelttradition" (S. 110—132), welche in jüngster Zeit verschiedentlich
Gegenstand von Erörterungen gewesen ist. Nach einer
Trennung der miskän- von den 'öhel-Texten (Ex. 26, 7—14.36 f;
36,14—19.37 f; 33,7—11 Num. 9,17) weist er diese letztere Textgruppe
dem J zu, der die Tradition des Offenbarungszelts von der
Jerusalemer Priesterschaft der Davidszeit bezogen hat. In der traditionsgeschichtlichen
Verbindung mit der Führungswolke gewinnt
dieses dann seine weittragende Bedeutung. So konnte die 'ohel-
Tradition später mit der 'ohel mö'ed-Tradition der Orakelpriester
von Mispa verbunden werden. Erst nach der Aufnahme der Lade
und vollends nach dem Tempelbau ist die Bedeutung der Zelt-
tradition dann dahingeschwunden. Wie aber alle diese sich verbindenden
Traditionen zu ihrem Gegenstand gekommen sind, darüber
erfahren wir allerdings nichts.

Um so bewußter kehrt O. E i ß f e 1 d t in seinem ebenso
knappen wie gehaltreichen Beitrag „Jakob-Lea und Jakob-Rahel"
(S. 50—55) wieder zu historischen Fragestellungen zurück. Für
diese wirft allerdings das novellistische und namenetymologische
Material von Gen. 29, 16—30, 24; 35, 16—20 wenig ab, während
der Jakob-Esau- und der Jakob-Rahel-Komplex für die Existenz
zweier Jakob-Gruppen, mit verschiedenen Wohn- und Weidegebieten
, spricht, deren erstes sich mit dem der vier Lea-Söhne
und deren anderes sich mit dem des Rahel-Sohns Joseph deckt.