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Ausgabe:

1966

Spalte:

632

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Piepkorn, Arthur Carl

Titel/Untertitel:

Die liturgischen Gewänder in der Lutherischen Kirche seit 1555 1966

Rezensent:

Schanze, Wolfgang

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 8

632

1960) unter Beweis gestellt. In den vorliegenden Studien an zeitlich
und sachlich begrenztem Stoff waltet ein vorwiegend deskriptives
Interesse: Das Liedgut zweier Jahrhunderte, im
Zusammenhang mit seinem Ort im Kirchenjahr, seiner Stellung in
den Gesangbüchern und seiner Verbindung mit den Choralmelodien
, bestandmäßig aus den Quellen zu erheben und seine
dichterisch-bekenntnisartigen Aussagen theologisch zu bestimmen.
Der I. Teil behandelt die Lieder von der Menschwerdung Jesu
Christi, der II. Teil die Lieder von der Zukunft Jesu Christi. Zu
dieser Gruppierung kommt es aufgrund des eigentümlichen
„Doppelcharakters" der Adventszeit, als Buße und Freude;
anders gesagt: Eschatologie und Inkarnation stehen nebeneinander
, oft auch in einer gewissen Spannung zu einander. Neben
der Entstehung, den verschiedenen Textfassungen und der
wechselnden Beheimatung in den Gesangbüchern (was seinerseits
wieder die Sonderfrage nach dem bewahrten oder preisgegebenen
De tempore wachruft) ist vor allem die dogmatische Aussage des
Adventsliedes von Bedeutung. Man findet darin reichen Schriftbezug
(AT und NT), dichten Anschluß an Lehr- und Bekenntnisformulierungen
und eine — den neutestamentlichen Briefdispositionen
vergleichbare — Struktur von Indikativ und Imperativ,
d. h. im ersten Teil Rühmung der Gottestat in Christus, im zweiten
Teil Ruf zum dankbaren Gehorsam der Gemeinde. Der
Charakter dieser Lieder ist, im ganzen, ein betont theologischer,
durch die Entsprechung von Kerygma und Paränese, ohne daß
ihnen das betrachtende oder erbauliche Element abginge. Es ist
kein Zufall, daß viele dieser Adventslieder sich bis heute gehalten
haben: sie waren sprachlich gefüllt von der Schrift und sie
wagten es, der singenden Gemeinde etwas zuzumuten. In beidem
also das Gegenteil heutiger Bestrebungen, die auf sprachliche
Verflachung und musikalische Verkitschung gerichtet sind, um bei
den Leuten anzukommen. Freilich sind die Maßstäbe des 16. und
17. Jahrhunderts nicht ohne weiteres die unsrigen; und was
damals möglich war (Lieder mit ausführlicher Besingung der Zweinaturenlehre
oder gereimtem heilsgeschichtlichem Programm), ist
heute eben unmöglich. Was nicht besagen will, daß wir diese
Lieder abweisen (der Zugang zu ihnen ist leicht, wenn Kirche und
Schule Talent zur Erläuterung haben), sondern daß wir heute den
gleichen Mut und die gleiche Freiheit gewinnen müssen, mit unserer
Sprache und Musik auszusagen, was Freude und Erwartung des
Advents, Nähe und Zukunft des Herrn ist, wie sie es damals auf
ihre Weise sagten und sangen. So (und nur so) ist Nachbarschaft
alten und neuen Liedes möglich. Man möge sich auch daran erinnern
lassen, daß frühere Gesangbücher mit Bildern versehen
waren (vgl. S. 68—79). Hymnologie, recht betrieben, ist stets
auch Theologiegeschichte. Diese Lieder geben Einblick in den
Charakter der Hoffnung, auch in die unterschiedliche Gestalt
(man möchte sagen: Gestimmtheit) des Advent (als „Zukunft ins
Fleisch, zum Gottesdienst und zum Gericht").

Die Verfasserin zieht alle einschlägige Literatur zu Vergleich
und Kritik heran, führt zahlreiche Liedfassungen in originaler
Schreibweise auf und verfolgt da und dort auch die Wege
zur künstlerisch-instrumentalen Formung der Lieder (Bachs
Choralwerk). Dadurch entstand ein solides Arbeitsbuch, das alles
nötige Material zu Einführung und Verständnis des überlieferten
Liedgutes enthält.

Hier meldet sich allerdings die kritische Rückfrage, ob das
Normative (auch bei rein historischen Gegenständen) so
ausgeklammert werden kann? Die Zurückhaltung im Urteil ist
löblich; es hat aber den Anschein, als würden die lehrmäßig überfrachteten
und mit (damaliger) Theologie geradezu vollgestopften
Lieder ziemlich bedenkenlos übernommen. „Dabei spielt es keine
große Rolle, ob diese Zukunft historisch, gegenwärtig oder escha-
tologisch verstanden wird" (S. 164); damals vielleicht nicht (obwohl
auch das nicht so sicher ist), heute aber sehr! Es müssen,
gerade in der Hymnologie, die Maßstäbe wenigstens andeutungsweise
genannt werden, die für eine sag- und singbare Hoffnung
der Kirche heute gelten sollen; sonst kommt historische Arbeit in
die Gefahr der Museumsführung. Was soll, nach der Beschreibung
der massiven Menchwerdungsvorstellungen (S. 39.41) oder des
naiven eschatologischen Programms (S. 165), der Satz: „Denn von
diesem Glauben hängt für alle Menschen die ewige Seligkeit ab";

„dieser Glaube, von dem letzten Endes die Rettung der Menschen
allein abhängt" — ? Das tut sie keineswegs. Das Kirchenjahr ist,
unbeschadet seines hohen Wertes, immer zugleich Last; denn
seine heilsgeschichtliche Thematisierung hemmt jeweils die freie
Aktualität der Botschaft. Und „das Verhalten des Menschen dem
Ereignis der Menschwerdung gegenüber" (S. 36—39) ist just nicht
die verständnislos-gläubige Bestaunung eines physiologischen
Mirakels (was sollen wir damit anfangen?), sondern das glaubende
Verstehen des eigentlichen Interesses, das in Lied und Bekenntnis
vergangener Zeiten sich — entsprechend verschlüsselt — ausspricht.
Die Aufgabe selbständig-theologischer Würdigung des alten
Kirchenliedes fängt also da an, wo das Buch aufhört.

Mainz Manfred Mczger

P i e p k o r n , Arthur Carl, Prof., B. D., Ph. D.: Die liturgischen Gewänder
in der Lutherischen Kirche seit 1555. Übers, u. hrsg. v. J. Schöne
u. E. S e y b o 1 d. Marburg/L.: Ökumenischer Verlag F. Edel [19651-
112 S., 23 Abb. a. Taf. 8° = Ökumenische Texte u. Studien, hrsg. v.
R.-F. Edel, 32. DM 9.80.

Im amerikanischen Original lautet der Titel dieser Studie
"The survival of the historic vestments in the Lutheran Church
after 1555" (2. revised edition, St. Louis, Concordia Seminary,
1958). Die Übersetzer haben den Text leicht gekürzt hinsichtlich
weniger spezifisch amerikanischer Partien und ihn leicht erweitert
um neu zugänglich gewordenes deutsches Material, das durch
eckige Klammern gekennzeichnet ist. Die deutsche Ausgabe ist
durch Bilder ergänzt. Leider fehlt ihr ein Register.

Diese Studie des Systematikers am Seminar der Missouri-
Synode muß dankbar begrüßt werden. Sie bemüht sich um ein
bisher nur sporadisch und unzureichend (wie in dem einschlägige11
Artikel in RGG'1) behandeltes Thema. Dargeboten wird im wesentlichen
eine Materialsammlung historischer Notizen über den Gebrauch
liturgischer Gewänder im deutschen und außerdeutschen
Luthertum. Sie wurde in erstaunlicher Fülle aus Urkunden, Berichten
, literarischen und bildlichen Darstellungen zusammengetragen
und wird sicherlich manchen interessierten Leser zu Ergänzungen
anregen. Der Rezensent nennt die Darstellung kirchlicher Handlungen
auf einem Gemälde in der Trinitatiskirche zu Gera (v. J. 1630)
und einem anderen in der Marienkirche zu Hälsingborg. Neben den
mittelalterlichen Meßgewändern findet sich in den lutherischen
Kirchen vor allem das weiße „Chorhemd" (superpelliceum, engl-
surplice).

An diesem Material wird deutlich, daß das alte Luthertum
unbefangen und in weitem Ausmaße farbige oder weiße liturgische
Gewandung gebraucht hat. Auch heute wird diese weithin noch
oder von neuem getragen. In Deutschland haben sowohl pietistische
wie rationalistische Einflüsse, aber auch, wie am preußischen Hofe,
calvinisierende Tendenzen die Reduzierung auf die schwarze Amtstracht
gefördert.

Den Verfasser bewegt ein historisches und ein praktisches Interesse
. Er möchte einerseits den Legenden, Übertreibungen und
Verallgemeinerungen begegnen, die über die liturgischen Gewänder
im Schwange sind. Auf der anderen Seite möchte er den Bemühungen
um eine sinnvolle Erneuerung dieses liturgischen Brauchtums
eine Hilfe leisten.

Die Arbeit beschränkt sich auf die nachreformatorische Zeit'
Sie hängt insofern etwas in der Luft. Notwendig ist ein Unterbau»
der die reformatorische Zeit behandelt und insonderheit die Auswirkungen
des Interims auf die Gewänderfrage genauer untersucht
. Piepkorn sagt in seiner „Zusammenfassung": „Die mit Bedacht
gepflegte und verbreitete Überzeugung eines gewissen Pietismus
, der Aufklärung und heutiger Lutheraner von allzu protestantischer
Ausrichtung, liturgische Gewänder seien das Erbe ceS
Interims und echtes Luthertum habe sie allezeit verworfen, ist, s"
haben wir gezeigt, ohne historische Fundierung." Es kann aber
nicht übersehen werden, daß diese ganze Frage durch das Interim "
wenigstens für eine gewisse Zeit — aus der Sphäre der Unbefangenheit
herausgerückt worden ist, worüber eine genauere Untersuchung
lohnend wäre. — Für eine spätere Auflage ist als Anhang
zu wünschen eine genaue Erhebung über den heutigen gebrauch
liturgischer Gewänder in den lutherischen Kirchen de
Welt.

Weimar Wolfgang Schanze