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Ausgabe:

1966

Spalte:

615-616

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Zeeden, Ernst Walter

Titel/Untertitel:

Die Entstehung der Konfessionen 1966

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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Seite 1

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615

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 8

616

Weltanschauung bei voller Einsicht in den Charakter des totalen
Staates so nicht unterschrieben werden dürfen" (Dok. 73 b).

Daß im übrigen trotz gelegentlich notwendiger stark gesamt-
kirchlicher Ausweitung des Themas, was die Bekennende Kirche
betrifft, die deutschchristliche Gesamtentwicklung nicht sonderlich
in Erscheinung tritt und auch nicht näher auf das vielschichtige
theologische Gesicht der Deutschen Christen eingegangen werden
konnte, obwohl auch hier notwendige differenzierte Hinweise
keineswegs fehlen, ist methodisch darin begründet, daß der Gesamtzusammenhang
des Kirchenkampfes immer in Korrelation
zur hannoverschen Landeskirche und ihrem Bischof gesehen und
dargestellt wird. Die Deutschen Christen in Hannover (vorwiegend
politisch und kirchenpolitisch orientiert und bald in Gruppen
zerfallend, sich auflösend oder den Anschluß an die Thüringer
Nationalkirchler suchend) haben einen Beitrag zum theologischen
Gespräch — soviel ich sehe — nicht geleistet; andererseits
ist Hannover nicht zum besondern Einflußgebiet theologischer
Reformkräfte im DC-Bereich (z. B. der Luther-Deutschen) zu
rechnen. Auch das Echo der um Bischof Weidemann (Bremen) und
seiner „Kommenden Kirche" wie „Bremer Bibelschule" sich
sammelnden Kreise scheint in Hannover nicht von großem Belang
gewesen zu sein, wenn man nicht an Hochschullehrer wie Emanuel
Hirsch in Göttingen denken will, die von vornherein und später
auch im Zusammenhang mit Weidemanns Bibelschule das deutschchristliche
Anliegen theologisch zu präzisieren versuchten. Den
Einfluß Hirschs auf die jüngere Pfarrerschaft vermerkt indes der
Verfasser, ebenso die Auseinandersetzungen zwischen Göttinger
Fakultät und hannoverscher Kirchenregierung in Besetzungs- und
Prüfungsfragen. Nicht zuletzt auch durch den Anhang (S. 488 ff),
der die Mission im Kirchenkampf, die Stellung zum Judentum
und das Verhältnis zur Widerstandsbewegung und eine Liste der
Gewaltakte des Staates und der NSDAP gegenüber der Kirche behandelt
, gewinnt die Publikation ein höchst instruktives kirchen-
kundliches Gepräge, das dem wohlfundierten Werk Klügeis bleibende
Bedeutung und Beachtung in der Forschung sichern dürfte.

Leipzig Kurt Meier

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

Zeeden, Ernst Walter: Die Entstehung der Konfessionen. Grundlagen
und Formen der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe
. München-Wien: Oldenbourg 1965. 213 S. 8°. DM 14.50.

Der Vorgang der „Konfessionsbildung" im 16. Jahrhundert
ist bisher fast ausschließlich nur in religionalgeschichtlichen
Einzeluntersuchungen erforscht worden. Der Tübinger Historiker
E. W. Zeeden hat durch eigene Arbeiten wie auch durch' eine
Reihe von Dissertationen seiner Schüler in den letzten Jahren
wesentliche Beiträge zur Erhellung dieser überaus komplizierten
Problematik geleistet. Als erster hat er auch vor einigen Jahren
den Versuch einer zusammenfassenden Darstellung der „Grundlagen
und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter
der Reformation" (Hist. Zeitschr. 185 (1958) 249-299)
unternommen. Das Buch ist eine Erweiterung dieses ersten Entwurfs
. Das Besondere liegt dabei weniger in neuen Forschungsergebnissen
als in einer Fragestellung, deren Bedeutung, aber
auch deren Schwierigkeiten kaum zu überschätzen sind. Der historische
Sachverhalt ist außerordentlich verwickelt und entzieht sich
weitgehend, worauf auch Zeeden mehrfach hinweist (S. 54, 97
u. ö.), einer Typisierung und Systematisierung, da die politischen
und soziologischen Faktoren bei der Einführung und Durchführung
der Reformation örtlich und zeitlich sehr verschieden
sind. Vor allem aber ist auch der Begriff der „Konfessionsbildung
" schon ein Problem für sich. Man wird berücksichtigen
müssen, daß von „Konfessionen" im heutigen Verständnis selbständiger
Kirchengemeinschaften wohl erst seit dem vorigen Jahrhundert
gesprochen werden kann.

Zeeden schickt seiner Untersuchung die folgende Definition
voraus: „Unter Konfessionsbildung sei also verstanden: die geistige
und organisatorische Verfestigung der seit der Glaubensspaltung
auseinanderstrebenden christlichen Bekenntnisse zu einem
halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und

religiös-sittlicher Lebensform. Zugleich ihr Ausgreifen in die
christliche Welt des frühneuzeitlichen Europa; ihre Abschirmung
gegen Einbrüche und Gefährdungen; und ihre Mitgestaltung durch
außerkirchliche Kräfte, insonderheit durch die Staatsgewalt"
(S. 9 f). Hierzu gehört ferner der Universalitäts- und Legitimitätsanspruch
der einzelnen „Konfessionen" in ihrer Kontinuität mit
der Ecclesia Catholica.

Diese Definition ist pragmatisch an den historischen Phänomenen
„im Bereich des Gegenständlichen und Konkreten" (S. 191)
orientiert. Die theologischen und speziell die ekklesiologischen
Gesichtspunkte bleiben unberücksichtigt. Das historische Phänomen
der „Konfessionsbildung" wird demgemäß als der Übergang
von der Kircheneinheit zur Kirchenvielheit aufgefaßt und dargestellt
, wobei die „Glaubensspaltung" als eine bekannte Größe
vorausgesetzt wird.

Der eigentliche Prozeß der „Konfessionsbildung" wird unter
drei Hauptpunkten angegangen:

1. wird die Ausbildung der konfessionellen Gruppierungen
im Luthertum, im Calvinismus, im Anglikanismus und im triden-
tinischen Katholizismus skizziert. Im Vordergrund steht dabei die
Situation in Mitteleuropa.

2. wird gezeigt, wie sich die „Konfessionsbildung" nur allmählich
in einer wechselvollen Geschichte durchsetzt und konsolidiert
. Besonders interessant sind hier die zahlreichen Beispiele
von Misch- und Übergangsformen, die in manchen Gegenden als
eine Art von Bikonfessionalität auftreten und mitunter noch weit
über das 16. Jahrhundert hinaus erhalten bleiben. Zeeden beurteilt
diese bisher viel zu wenig beachtete Erscheinung gewiß zu
Recht als Symptom einer Glaubensverwirrung, wo man sich der
konfessionellen Gegensätze noch nicht bewußt geworden ist. Er
verweist auch, wie bereits in seiner früheren Untersuchung über
die „Katholischen Überlieferungen in den lutherischen Kirchenordnungen
des 16. Jahrhunderts" (1959) auf die „Reste" vor-
reformatorischer und altkirchlicher Tradition in der kirchlichen
Praxis und Frömmigkeit. Die Auseinandersetzungen um die
Adiaphora werden dabei nicht berücksichtigt; hier könnte das
Grundsätzliche in der Zufälligkeit der Mischformen deutlich gemacht
werden.

3. schließlich werden die Prinzipien der konfessionellen
Stabilisierung speziell im lutherischen Landeskirchentum und im
nachtridentinischen Katholizismus aufgezeigt, bei denen bemerkenswerte
Parallelen nachweisbar sind. Den Abschluß bildet ein
geraffter, doch gerade durch die Unterschiede zu der Situation in
Deutschland sehr interessanter Überblick über die konfessionelle
Entwicklung in Osteuropa, besonders in Böhmen, Polen und
Ungarn.

Die Untersuchung von Zeeden könnte eine Anregung sein,
einmal der Frage nachzugehen, seit wann in diesem Prozeß der
Konfessionsbildung überhaupt ein selbständiges Kirchenbewußtsein
im theologisch-ekklesiologischen Sinne angesetzt werden
kann. Im allgemeinen vollzog sich der Glaubenswechsel zunächst
immer im Rahmen einer bestehenden Gemeinschaft, und die örtliche
Koexistenz verschiedener Glaubensgemeinschaften bildet
eine Ausnahme. Wo die Verhältnisse anders liegen, wie etwa in
Osteuropa, wird die Grenze zwischen den Konfessionen, wie
Zeeden zeigt, durch die Nationalitätszugehörigkeit bestimmt. Es
ist jedoch auffallend, daß trotz aller heftigen Polemik selbst in
der Theologie die konfessionellen Grenzen keineswegs so eindeutig
bestimmt werden, wie es vielfach als selbstverständlich
angenommen wird. Neben den „Resten" aus dem Mittelalter
bleibt immer noch in allen Konfessionen ein Bewußtsein der auch
in der Zertrennung bestehenden Gemeinsamkeit erhalten, das
jedoch schwerlich als Symptom des Übergangs im Prozeß der konfessionellen
Verselbständigung erklärbar ist. Hierzu müßten dann
auch die anhaltenden Bemühungen um eine Verständigung berücksichtigt
werden.

Heidelberg Reinhard Slenczka

W a n t u 1 a , Andrzej, Dr.: Die Evangelisch-Augsburgische Kirche '°
Polen. Warszawa 1965. 27 S. m. 4 Abb., 12Taf. 8°. ZI. 10.—.