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Ausgabe:

1966

Spalte:

612-615

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Klügel, Eberhard

Titel/Untertitel:

Die lutherische Landeskirche Hannovers und ihr Bischof 1933 - 1945 1966

Rezensent:

Meier, Kurt

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611

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. S

612

von denen die erste (S. 114) die Ausdehnung der separatistischen
Bewegung zeigt, während die andere (S. 256) die geographische
Lage der entstandenen separierten Baptistengemeinden im Überblick
darstellt. Auf S. 328—346 werden die Quellen angegeben,
wiederum sorgfältig untergliedert nach Primärquellen, orts- und
ortskirchengeschichtlichen Quellen und schließlich nach Einzelstudien
, unter denen zahlreiche, unbekanntere Arbeiten, die der
großen Erweckungsbewegung als solcher gewidmet sind, aufgeführt
werden. S. 347—370 folgt ein umfangreicher Namenindex,
der das Buch nach Personen, Orten und Sachen erschließt.

Entsprechend seiner Untersuchungsthematik spricht der Verfasser
nur im ersten Abschnitt abrißartig von den kongregationalistischen
Kirchen, die bei Beginn der großen Erweckung in New England vorhanden
waren, dann werden die Vorstufen der Erweckung, insbesondere
Solomon Stoddard von Northampton, Massachusetts, besprochen. Es
folgt eine Skizze der Erweckungsbewegungen mit der in drei Stufen sich
vollziehenden Bekehrung. Einzelne Erweckungsprediger werden in ihren
Methoden kurz charakterisiert. Auch manche emotionale Erscheinungen,
die bedenklich stimmen mußten, werden erörtert, desgleichen die kirchliche
Reaktion, die die Geistlichkeit in drei Lager schied.

Im zweiten Kapitel werden die Ausgangspunkte der separatistischen
Bewegung an Hand der Anschauungen über Kirche. Theologie, kirchliche
und evangelistische Praxis dargestellt. Schön werden die beiden Fronten
in den gegensätzlichen Kampfparolen „Ordnung und Zucht" und „Recht
des Gewissens" charakterisiert.

Im dritten Kapitel zeichnet der Verfasser an ausgewählten Einzelbeispielen
, wie es durch die Erweckung in den Kirchen zu einer Spaltung
und dann zur Separation und Ausbildung neuer Gemeinschaften kam,
z. T. auch zu Abwanderungen der Erweckten und zur Gründung von Gemeinden
an den neuen Siedlungsorten.

Die Führer und die Lehren, die sie unter den Separierten vertraten
und verbreiteten, werden — wiederum mit zahlreichen illustrierenden
Einzelheiten, mit Namen und mit verschiedenen Bekenntnissen, die von
den Separierten abgelegt wurden — im vierten Kapitel gezeichnet.

Das fünfte Kapitel bietet nach den quellenmäßigen Darlegunsen
eine willkommene Zusammenfassung der charakteristischen theologischen
und kirchlichen Eigenheiten der Separierten, wobei auch die nichttheologischen
Elemente berücksichtigt werden. Bei der Darstellung der
letzteren bezieht sich der Verfasser auf die Anschauung von Max Weber,
daß bestimmte religiöse Ideen mit den sozialen Umständen einzelner
Menschengruppen in Verbindung stehen (S. 186). Die geographischen
Faktoren sind zumeist durch das gleiche Siedlungsgebiet gegeben. Schwieriger
lassen sich die sozialen Umstände erfassen, die aber immerhin den
Schluß zulassen, daß sich unter den erweckten Separierten auch Mitglieder
höherer sozialer Stufen befanden. Hinsichtlich der psychologischen Faktoren
geht der Verfasser sehr vorsichtig vor. Er lehnt etwa ein Buch wie
Frederick Morgan Davenport, Primitive Traits in Religious Revivals. A
Study in Mental and Social Evolution (New York 1917) ab und hält sich
an die Begriffsbestimmung der Sekte, die eine Bewegung mit dem
hauptsächlichen Anliegen eines Versuches ist, mit religiösen Mitteln
grundlegende Notwendigkeiten der Persönlichkeit zu befriedigen. Es
sind also die besonderen religiösen Neigungen (religious propensities),
die die eigentlichen psychologischen Faktoren der Eeweckungsbewegung
wie auch der aus ihr sich ergebenden Separationen sind. In dem
schließenden Abschnitt dieses Kapitels "Decline of the Congregational
Separates" (S. 193—207) entwickelt der Autor ein packendes Bild von
den Verfolgungen, denen die erweckten Separatisten ausgesetzt waren,
da sie sich weigerten, zu den Kosten für die Kirche, von der sie sich getrennt
hatten, beizutragen. Eine Reihe von Originalbriefen wird abgedruckt
. Zugleich deutet der Verfasser an, daß die baptistischen Strömungen
unter den erweckten Separierten immer stärker wurden, "the
more permanent fruits of the Great Awakening were borne off by the
Baptists" (S. 207).

In den beiden letzten Kapiteln werden das Aufkommen der baptistischen
Neigungen und die immer stärkere Angliederung der aus der
Erweckungsbewegung hervorgegangenen, von der kongregationalistischcn
Kirche separierten Gemeinden an die baptistischen Gemeinden ausführlich
geschildert. Dabei wird auch eine eingehende Darstellung des
Wirkens von Isaac Backus (S. 215—224) gegeben. Der Verfasser zieht
eine Parallele zwischen der Mi6sionsmethode des Paulus, der in die jüdische
Synagoge ging, um Christus zu predigen, und der der baptistischen
Prediger, die zum Ort ihrer Evangelisation das „Congregational
meetinghouse" wählten (S. 28 3). In diesen neuen baptistischen Gemeinden
blieb der „evangelistische Imperativ" beherrschend. Mit ihm wirkten
noch andere Motive zusammen, z. B. die Animosität gegenüber der
„established religion", das Bestehen auf der bewußten Bekehrung, der
Glaube an unmittelbare Inspiration, die vorwiegende Verwendung von

Laienpredigem und der durchgehende Biblizismus der Verkündigung
(S. 284).

Man legt die Arbeit sehr befriedigt aus der Hand. Neben
dem eingehenden kirchengeschichtlichen Ertrag für ein bestimmtes
Gebiet und einen bestimmten Zeitabschnitt ist die Linter-
suchung ein wertvoller Beitrag zur Phänomenologie und Ätiologie
religiöser Erweckungen und zu ihren geschichtlichen und
kirchengeschichtlichen Auswirkungen. Für diese Wirkungen muß
man auch die geringe Bildung der Prediger und der von ihnen
Angesprochenen im Auge behalten. Erstaunlich ist dabei, daß die
erweckliche Kraft und der Expansionsdrang der Erweckung durch
Jahrzehnte hindurch sich bewährt zu haben scheinen.

Leipzig HansBardtke

KI ü gel, Eberhard: Die lutherische Landeskirche Hannovers und ihr
Bischof 1933—1945. Berlin-Hamburg: Lutherisches Verlagshaus 1964.
XXIII, 531 S., 1 Porträt, gr. 8°. Lw. DM 24.-.
— dasselbe. Dokumente. Ebda. 1965. IV, 248 S. gr. 8°. Lw. DM 24.—.

Nicht zuletzt als Grundlage für eine noch ausstehende wissen-
ffchaftliche Gesamtdarstellung des Kirchenkampfes im Dritten
Reich, die den spezifischen Verlauf der Auseinandersetzungen in
den einzelnen Landeskirchen berücksichtigt und die dadurch bedingte
Differenziertheit dem Gesamtbild aufprägt, veröffentlicht
die „Kommission der Evangelischen Kirche in Deutschland für
die Geschichte des Kirchenkampfes" neben Quellen und Darstellungen
zu grundsätzlichen Themen auch landeskirchlich orientierte
„Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes". Der Verfasser
— selbst Mitglied der genannten Kommission — legt als
Ertrag langjähriger wissenschaftlicher Forschungsarbeit „eine mit
Dokumentation verbundene Darstellung der hannoverschen
Landeskirche im Kirchenkampf" (IX) vör, die sich sachlich diesen
Publikationen anschließt, wenn sie auch außerhalb der Reihe und
nicht im gleichen Verlag erschienen ist. Die umfangreiche, materialgesättigte
, ins Detail gehende, in ihren Aussagen und Urteilen
sorgfältig begründete und belegte Darstellung, die in einem in
Fußnotenform gebotenen Anmerkungsteil selbst schon reichhaltige
Quellenbelege bringt und oft genug auch eine umsichtige
Auseinandersetzung mit der Literatur bietet, wird durch einen
Dokumentenband ergänzt, der so gut wie durchweg unveröffent'
lichtes Material aus dem unter Leitung des Verfassers aufgebauten
hannoverschen Kirchenkampfarchiv enthält. Die Dokumente

des

Quellenbandes, der ein vorzügliches Sachregister zugleich auch für
den Darstellungsband enthält, sind ungekürzt abgedruckt und
enthalten Seitenverweise, so daß eine rasche Orientierung mög'
lieh ist. Auch umgekehrt ist rasches Auffinden gewährleistet, da
die im wesentlichen chronologische Ordnung der Dokumente
dem Gang der Darstellung folgt, die durch den Anmerkungsapparat
freilich schon so gestaltet wurde, daß sie auch ohne jeweilige
Einsichtnahme in den Dokumentenband voll benutzbar ist-
Dieser Dokumentenband stellt nun aber auch für sich genommen
ein in sich geschlossenes repräsentatives Korpus von höchst
charakteristischen Quellen dar, deren Lektüre an sich schon sehr
interessant ist und für die Differenziertheit des Kirchenkampf'
geschehens neue Aspekte bietet.

Daß ein kurzer Rückblick auf die als solche im 19. Jahrhundert
entstandene Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers am
Anfang steht, dient ebenso der Einordnung des Kirchenkampfe5
in die historische Kontinuität wie die Tatsache, daß vornehmlieh
der Quellenband auch Dokumente rückblickender Selbstbeurteilung
des hannoverschen Weges im Kirchenkampf aus der Zeit
nach 1945 enthält. Die apologetische Funktion, die jene

Rückblicke
seinerzeit erfüllten, versteht sich als notwendige Reaktionserscheinung
auf die schon während des Kirchenkampfes beobachtbare
Polemik des Dahlemer Flügels der Bekennenden Kirche und
die darin enthaltene scharfe Kritik gegenüber den sogenannten
„intakten" Kirchen, vor allem gegen Hannover, und gegen den
als „lutherischen Sonderweg" gebrandmarkten Zusammenschluß
lutherischer Landeskirchen und Bekenntnisgemeinschaften im Rat
der Ev.-Luth. Kirche Deutschlands im Jahre 1936. Darüber, dal>
der Ausdruck der „Intaktheit" nur sehr beschränkt auf die hau"-
Landeskirche sich anwenden läßt, hat sich der Verfasser schon
früher geäußert, so im Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische
Kirchengeschichte, 51. Bd., 1953, S. 186 ff. Daß eine