Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1966

Spalte:

606-608

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Wölfel, Eberhard

Titel/Untertitel:

Seinsstruktur und Trinitätsproblem 1966

Rezensent:

Junghans, Helmar

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

805

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 8

606

St. Anselm's Proslogion. With a Reply on Behalf of thc Fool by
Gaunilo and the Author's Reply to Gaunilo. Transl. with an Intro-
duction and Philosophical Commentary by M. J. C h a r 1 e s w o r t h.
Oxford: Clarendon Press; London: Oxford University Press 1965.
VII, 196 S. 8°. Lw. 3 5 s.

Anselms Gottesbeweis, den man später den „ontologischen"
genannt hat, beweist eine merkwürdige Lebenskraft. So oft man
ihn „widerlegt" hat, so oft hat man ihn verbessert und verteidigt.
Descartes und Leibniz haben ihn gegen die thomistische Kritik
in Schutz genommen. Man versteht eine wesentliche Intention der
„Kritik der reinen Vernunft" und der Hegeischen „Logik", wenn
man erstere als Bestreitung des ontologischen Arguments und
letztere als seine erneute Rehabilitierung faßt. Zwar mochte es
um 1900 scheinen, Anselms Beweis sei für immer erledigt; er
schien sich nicht halten zu können gegen den thomistischen Vorwurf
, er gehe zu schnell von der logischen zur ontologischen Ordnung
über. Wer sich nicht auf Thomas berief, stützte sich auf den
kantischen Einwand, die Existenz sei kein Prädikat. Beide Formeln
sind unendlich oft wiederholt worden, aber beide treffen
nicht das, was Anselm gemeint hat. Heute haben diese Formeln
ihre Autorität verloren, und eine neue Diskussion um Anselms
Argument ist die Folge — im angelsächsischen, im französischen
und im deutschen Sprachraum. Dabei wird von allen Seiten anerkannt
: Auch wenn Anselm keinen schlüssigen Beweis für das Dasein
Gottes geführt haben sollte, so weist er doch auf philosophische
Probleme von unverminderter Aktualität hin, insbesondere
auf das Verhältnis von Begriff und Wirklichkeit, Denken
und Sein, Subjekt und Objekt. Ein englischer Historiker hat mit
Recht gesagt, daß jeder, der sich das Philosophieren des 11. Jahrhunderts
als primitiv, monolithisch oder theologisch gegängelt
vorstellt, Anselms Proslogion und seine Diskussion mit Gaunilo
studieren sollte.

Diese Texte legt M. J. Charlesworth vor, zusammen mit einer
englischen Übersetzung und einem philosophischen Kommentar.
Der lat. Text ist der der Opera, den Fr. S. Schmitt erstellt hat,
doch ohne daß am Seitenrand dessen Seiten- und Zeilenzählung
mitgegeben wurde — was beim Nachdruck antiker Texte allgemein
üblich ist und was mal auch bei sekundären Ausgaben
mittelalterlicher Texte einführen sollte. Charlesworth gibt überdies
eine ausführliche, gut orientierte Einführung über das Proslo-
gionargument, das Leben Anselms und sein „System". Hier rechtfertigt
der Vf. sein Vorhaben, einen philosophischen
Kommentar zu Anselms Texten zu geben, denn wenn, wie Karl
Barth wollte, das Proslogion keinen Vernunftbeweis für das
Dasein Gottes geben will, dann ist ein philosophischer Kommentar
sinnlos.

Nun kann man nach der Diskussion, die Karl Barth 1931 ausgelöst
hat, Anselms philosophische Beweisabsicht eigentlich nicht mehr bezweifeln
. Hätte nicht Karl Barth in den letzten Jahren sein Buch unverändert
nachdrucken sowie ins Englische und Französische übersetzen
lassen, hätte Charlesworth die philosophische Intention Anselms nidit
loch einmal sichern müssen. Was er sachlich vorbringt, ist riditig und
gegenüber fideistischen, mystischen und überhaupt frömmelnden Anselmdeutungen
erfrischend: Die Gebetstexte im Proslogion dürfe man nicht
strapazieren; es handle sich um „augustinische Gemeinplätze" (Augusti-
nian commonplaces, S. 54); Anselms Appell an Gaunilos christlichen
Glauben besage nidits, da Anselm später selbst die Vernunftbegründung
für das zunächst im Glauben Vorausgesetzte nachhole (S. 90 und
S. 97).

Damit ist Anselm zu Recht wieder als Philosoph genommen. Wenn
Gh. dabei etwas zu rigoros verfahren ist, so muß man ihm zugutchaltcn,
daß auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört. Doch ist damit die
geistige Einheit des Proslogion — und das heißt die besondere Art, in
der Anselm ein Philosoph war — noch nicht wieder ins Auge gefaßt.
Dies kommt schon äußerlich dadurch zum Ausdruck, daß Charlesworth'
Kommentar zu c. 6 — 26 nur vier Seiten umfaßt, ein Mißverhältnis, das
der Autor selbst empfindet (S. 78 A. 2).

Dabei ist es nicht so, als minimalisiere Ch. die Bedeutung des
Glaubens für Anselm. Er arbeitet sorgfältig das Nebeneinander eines
Vorrangs des Glaubens und eines eigenen Zugangs der Vernunft zur
göttlichen Wahrheit heraus (S. 30 ff). Hier, wie durchweg, urteilt Ch.
Sehr abgewogen. Doch daß der Vf. zu einer gewissen Abschwädiung der
anselmianischcn rationes necessariae zu bloßen Konvenienzgründen
ne'gt (in bestimmten Fällen), das überzeugt nach den Klarstellungen von
* S. Schmitt im Spicilegium Beccense, Paris 1959, S. 362—364 nicht

(Charlesworth S. 36 A. 1). Auch daß er, entgegen seiner erklärten
Absicht, Anselms Verhältnisbestimmung von Wissen und Glauben von
Thomas her beurteilt und sie dann unklar finden muß (S. 39), scheint
mir an der Sache vorbeizugehen. Denn es wäre die Aufgabe, die Lösung
Anselms nicht als primitive Vorstufe des späteren Thomismus zu begreifen
, sondern als eine andersartige Lösung, die nicht von Thomas
, wohl aber von Bonaventura und Raymundus Lullus fortgeführt
worden ist.

Charlesworth' scharfsinnige Analyse des anselmianischen
Arguments kann hier nur kurz referiert werden. Es mache zwei
wesentliche Voraussetzungen: 1. daß ein id quo maius cogitari
nequit logisch möglich, also sinnvoll sei, was wiederum voraussetze
, daß wir nicht nur relativ (in einer begrenzten Hinsicht),
sondern absolut vergleichen und also von etwas behaupten können
, es sei schlechtweg vollkommener als ein anderes; 2. daß es
sinnvoll sei, einen Gedankeninhalt (esse in intellectu) zu vergleichen
mit einem Wirklichen (esse in re) und aufgrund dieses
Vergleichs dem Wirklichen eine höhere Vollkommenheit zuzusprechen
. Anselm beweise schlüssig, daß, wenn der Begriff des
id quo maius cogitari nequit sinnvoll sei, er damit auch eo
ipso verifiziert sei. Allerdings habe Anselm jene Voraussetzungen
nicht gerechtfertigt. Dies sei auch nicht möglich, ohne den Gedankengang
Anselms durch kausale („kosmologische") Argumentationen
zu ergänzen (S. 77).

Ähnlich wie Leibniz meint der Vf., Anselm hätte erst den
Begriff Gottes in seiner logischen Possibilität rechtfertigen
müssen — dann sei der Beweis schlüssig. Dem ist insofern zuzustimmen
, als das „id quo maius cogitari nequit" im Kontext des
Proslogion nicht philosophisch legitimiert ist; diese Wendung
kommt in der Tat wie aus der Pistole geschossen. Dennoch muß
man fragen, ob Anselm von einem „Begriff" ausgegangen ist,
dessen logische Sinnmöglichkeit allererst zu beweisen notwendig
gewesen wäre. Charlesworth unterläßt eine Analyse des Begriffs
und verläßt daher nicht das Schema von leerer, bloß logischer
Möglichkeit und zusätzlicher, von außen kommender Verbürgung
von Wirklichem. Wenn sich zeigen ließe, daß das id quo maius
cogitari nequit für Anselm einfach die Bedingung für menschlichen
, d. h. beurteilenden Weltumgang ist, dann ist es nicht nur
logisch möglich und von sich aus weltbezogen (ohne kosmologische
Abstützung), dann kann man den Beweisanspruch von
Anselms Argument (wieder einmal) neu diskutieren. Daß das
klare, philosophisch eindringende und kenntnisreiche Werk des
englischen Gelehrten eine weiterführende Diskussion über den
Philosophen Anselm wesentlich fördert — daran ist kein Zweifel.

Frankfurt/Main Kurt Fliisi h

W 5 I f e 1 , Eberhard: Seinsstruktur und Trinitätsproblem. Untersuchungen
zur Grundlegung der natürlichen Theologie bei Johannes Duns Scotus.
Münster/W.: Aschendorff [1965]. VIII, 275 S. gr. 8° = Beiträge z. Geschichte
d. Philosophie u. Theologie d. Mittelalters. Texte u. Untersuchungen
, hrsg. v. M.Schmaus, XL, 5. Kart. DM 45.—.

Der Verf. untersucht die Frage, wie Duns Scotus trotz der
Vielheit der Attribute und der Dreizahl der Personen die Einheit
Gottes wahrt, ohne daß die Attribute oder die Personen in
der Einheit aufgehen. Vor Scotus war das Problem mit Hilfe der
distinetio virtualis gelöst worden, die eine von der Vernunft gebildete
distinetio cum fundamento in re sein sollte. Da sie aber
keinen realen Unterschied im Objekt anerkannte, drohte eine
amorphe Vermischung der Attribute in Gott. Duns löste die
Frage durch seine distinetio formalis, die eine tatsächliche Unterscheidung
in den Dingen, also im ens reale, voraussetzte, ohne
jedoch die essentiale Einheit in Frage zu stellen. Da Duns an
einer Synthese zwischen Philosophie und Theologie lag, mußte er
die Bedeutung des um der Trinität willen entwickelten formalen
Seins für das gesamte reale Sein durchdenken.

Nachdem Duns durch seine distinetio formalis der Verwischung
der Unterschiede in Gott gewehrt hatte, mußte er sich
um die Beschreibung der Einheit sorgen. Er entwickelte dabei ein
transzendentales, reines Sein, an dem Schöpfer und Schöpfung im
gleichen Maße teilhaben. Dieses reine Sein wurde zur Brücke für
eine natürliche Gotteserkenntnis. Das Sein Gottes trennte er vom
reinen Sein durch die Unendlichkeit, die als spezielle Eigenart