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Ausgabe:

1966

Spalte:

602-604

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Heinzmann, Richard

Titel/Untertitel:

Die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung des Leibes 1966

Rezensent:

Werbeck, Wilfrid

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 8

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zwischen Origenes und einem Bischof Heraklides wiedergibt, die
von Stenographen aufgenommen ist. Von Didymus sind Erklärungen
zu Hiob, Prediger, Psalmen und Sacharja gefunden, von
denen der umfangreiche Sacharjakommentar durch Doutreleau
herausgegeben wurde"', während die übrigen Texte noch der
Edition harren. Zu ihnen zählt der Psalmenkommentar. Von ihm
sind 16 Quaternionen erhalten, die 225 beschriebene Seiten enthalten
. Nach bekanntem üblem Brauch sorgten die Finder für eine
Verstümmelung des Codex, so daß er nun über mehrere Sammlungen
verstreut ist. Ein Heft kam in die Papyrussammlung des
Instituts für Altertumskunde der Kölner Universität, und Kehl
legt die 16 Seiten nun vor. Die Herausgabe des vollständigen
Kommentars wird von A. Gesche vorbereitet, der sich bereits in
zwei Arbeiten über den Inhalt verbreitet hat *.

Die Edition der in Köln befindlichen Lage geht auf eine
von A. Dihle und R. Merkelbach betreute Dissertation zurück,
die i960 der Kölner philosophischen Fakultät vorlag. In der Einleitung
wird die Handschrift sehr ausführlich beschrieben und die
Verfasserfrage erörtert; es folgen, nebeneinandergestellt, Text
und Übersetzung, fast 100 Seiten Erläuterungen und fünf Register
zu Text und Kommentierung. 2 Seiten der Handschrift sind auf
Tafeln abgebildet. Alles ist sorgsam und übersichtlich angelegt
und durchgeführt, so daß der Band die neue Serie würdig eröffnet.

Kehl entnimmt seine Beobachtungen allein dem Kölner
Quaternio, aber die von Gesche bisher mitgeteilten Angaben
über die übrigen Seiten des Papyrusbuches fügen sich in das gewonnene
Bild ohne Widerspruch ein. Die Handschrift entstammt
dem 6. Jh.; alles weist darauf hin, daß wir in dem von ihr gebotenen
Text die Abschrift einer Nachschrift erhalten haben, die ein
Hörer der exegetischen Vorträge des Didymus angefertigt hat.
Es liegt also ein ähnlicher Fall vor, wie in dem erwähnten Gespräch
des Origenes. Die vorhandenen Unklarheiten im Ausdruck
müssen daher mindestens zum Teil dem Hörer zugeschrieben
Werden. Wir haben also die Abschrift eines regelrechten Kollegheftes
vor uns, mit allen Schwächen, die einem derartigen Erzeugnis
anhaften. Immerhin läßt der Inhalt soviel an kennzeichnenden
Zügen erkennen, daß die Zuweisung wenigstens der im Kölner
Quaternio erhaltenen Auslegung von Psalm 29, 1 bis 30, 13 a an
Didymus in einem hohen Wahrscheinlichkeistgrade gerechtfertigt
erscheint. Die Gesamtedition wird ein endgültiges Urteil hoffentlich
ermöglichen; es darf natürlich nicht vergessen werden, daß es
sich lediglich um eine Nachschrift handelt.

Im Erläuterungsteil hat Kehl den 16 Seiten einen reichhaltigen
Kommentar gewidmet, der das Verständnis der oft sehr verkürzt
formulierten Aussagen des Textes erschließt, die sich erklären
lassen, wenn man sie im Lichte der übrigen Schriften des Didymus
liest. In Exegese und Theologie stoßen wir auf Eigenheiten des
Stiles und der Denkweise, die aus den Werken des blinden Lehrers
bekannt sind, der einer der letzten großen „Didaskaloi" war, die
für Ägypten so charakteristisch waren. Sätze Philos, Plotins und
des Origenes leben in seiner Gedankenwelt weiter. Der Kommentar
Kehls ist eine tüchtige Leistung, die der weiteren Arbeit an
der Herausgabe der Didymiana zugute kommen wird. Schon die
Beigabe der Übersetzung zeigt an, daß Verf. nicht über sprachliche
und sachliche Schwierigkeiten hinweggleitet, und in den Erläuterungen
hat mehr als eine schwierige Stelle eine einleuchtende
E'klörung gefunden. Die Besprechung der Handschrift ist in ihrer
Ausführlichket und Umsicht geradezu pädagogisch angelegt; sie
gibt dem Nichtpapyrologen eine bequeme Einführung in die Lektüre
eines Papyrus.

Der Inhalt des exegetischen Kollegs selbst aber bietet keine
Überraschungen; Didymus trägt Gedanken vor, die sich in seinen
Schriften auch finden. Es ist die Art zu denken und zu sprechen,
die ihm überhaupt eigen ist: sorgfältige Betrachtung des Textes
und eine fast besinnlich anmutende Gedankenführung, alles
zurückhaltend und etwas blaß. Seiner nicht geringen Denkleistung

~) L. Doutreleau, Didyme l'Aveuglc, Sur Zacharie, 3 Bde. (Sourccs
diretiennes 8 3—85). 1962.

3) L'äme humainc de Jesus dans la Christologic du IV<" siede. Le
temoignagc du Commentaire Sur les Psaumcs decouvert ä Toura (Revue
dfHistoire Ecclcsiastique 54, 1959, 385—425). La Christologie du
'Commentaire Sur les Psaumes' decouvert ä Toura. Gembloux 1962.

ist daher ja auch durchschlagende Wirkung versagt geblieben.
Didymus ist bis heute in der Stille geblieben, die ihn schon zu
Lebzeiten zu einer zwar immer wieder gerühmten, aber doch
letztlich einflußlosen Gestalt machte. Wie verborgen wirkt er in
dem Alexandrien des Athanasius und seiner Nachfolger! Dabei
ist der Blinde ein aufmerksamer Beobachter, der über Arianer
und Macedonianer erstaunlich gut unterrichtet ist, wie aus seinen
Schriften erhellt. So ist es schon ein Gewinn, daß wir jetzt auch
in den Alltag des unterrichtenden Exegeten einen Einblick nehmen
können, weil ein Mann des 6. Jh.s sich von der Kollegnachschrift
eine Kopie angefertigt hat. Möchte der schönen Edition des Kölner
Stückes bald die Gesamtveröffentlichung folgen; dem so
wohl unterrichteten Herausgeber möchte ich wünschen, daß er
seine papyrologischen und patristischen Studien fortsetzen kann *.

Der Druck des Buches ist musterhaft; auf S. 147 hat sich ein ,,Ori-
gines" eingeschlichen; Rufin sollte nicht mehr nach Migne zitiert
werden, wie es S. 46 geschieht, während auf S. 47 die gleiche Stelle auch
nach Mommsen gegeben wird, wobei die Buchzählung wechselt. Im
übrigen verdienen Stil und Gestalt des Buches Lob.

Tübingen Hans-Dietridi AI ten d o rf

*) Kehl nimmt auf Grund von S. 4, 25 f und 7, 15 der Handschrift
„ca. 365" als terminus post quem des Kollegs an. An der ersten Stelle
werden Überlegungen über die ipr/r] Xoytxr) vorausgesetzt, die in der
Tat an das System des Apollinaris von Laodicea denken lassen, und
gleichfalls in die siebziger Jahre deuten. Aber zwingend sind die Indizien
keineswegs; der Hinweis auf Apollinaris scheint mir noch am ehesten
von Bedeutung zu sein. Da wir jedoch nicht sagen können, in welchem
Jahre Apollinaris seine Auffassung zuerst vorgetragen hat, kann man
auf Grund des Kölner Quaternio lediglich sagen, daß der Text im
letzten Drittel des 4. Jh.s entstanden ist. Kehls Formulierungen auf
S-45 sind übrigens unzutreffend; auf der Synode von 362 ist des ausgebildeten
Systems des Apollinaris bekanntlich noch mit keinem Worte
gedacht worden, und auf S. 7, 15 der Hs. wird auf die Formel /na ovaia,
TqcTs fmoatäaeis nicht im geringsten angespielt. Der zum Vergleich
herangezogene Traktat des Didymus über den Heiligen Geist (S. 139)
ist übrigens vielleicht schon 355'358 entstanden, wenn E. Staimer, Die
Schrift „De Spiriru Sancto" von Didymus dem Blinden (München 1960)
recht hat; ich kenne die Arbeit nur aus der Anzeige in Vigiliae Chri-
stianae 18 (1964) 248 f.

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Heinzmann, Richard: Die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung
des Leibes. Eine problemgeschichtliche Untersuchung der
frühscholastischen Sentenzen- und Summcnliteratur von Anselm von
Laon bis Wilhelm von Auxerre. Münster/W.: Aschendorff 1965. XX,
252 S. gr. 8° = Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie
des Mittelalters, hrsg. v. M. Schmaus, Bd. XL, 3. Kart. DM 34.—.

Die Erforschung der Dogmen- und Theologiegeschichte des
12. Jh.s hat in den beiden letzten Jahrzehnten erfreuliche Fortschritte
gemacht und läßt nicht nur die Vielfalt, sondern auch die
Eigengeprägtheit der theologischen Bemühungen dieser früh-
scholastischen Periode immer deutlicher erkennen. Außer auf das
Lebenswerk A. M. Landgrafs sei hierfür vor allem auf die beiden
bedeutenden Bücher von M.-D. Chenu, La theologic au douzieme
siede (Paris 1957; vgl. ThLZ 86, 1961, 355-360) und L. Hödl,
Die Geschichte der scholastischen Literatur und der Theologie der
Schlüsselgewalt I (Münstcr'W. 1960; vgl. ThLZ, a.a.O. 839-841)
verwiesen. Unsere Kenntnis hat nunmehr R. Heinzmann bereichert
durch die vorliegende, von Prof. Schmaus angeregte und 1961 als
Dissertation in München angenommene LIntcrsuchung zur Anthropologie
und Eschatologie der Frühscholastik. Diese Themen sind
deshalb von besonderem Interesse, weil angesichts des in der
Frühscholastik weithin dominierenden Piatonismus (vgl. dazu
Chenu, aaO 108 ff; Heinzmann 2 f, 248 f u. ö.) die Frage auftaucht
, ob er auch für das Verständnis des Menschen in Urständ
und Endstand bestimmend war, so daß dann die Aristotelesrezeption
und -Verarbeitung des 13. Jh.s einen völligen Neuansatz in
der Behandlung der anthropologischen Probleme notwendig gemacht
hätte, oder ob die neuplatonisch-augustinische Tradition
nicht mehr so ungebrochen in Geltung stand, wie man auf Grund
der gängigen Meinung vermuten würde.

Im ersten Teil seines Werkes („Die Grundstrukturen der
frühscholastischen Anthropologie", 6—146) weist H. durch ein-