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Ausgabe:

1966

Spalte:

600-602

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Der Psalmenkommentar von Tura Quaternio IX 1966

Rezensent:

Altendorf, Hans-Dietrich

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 8

600

zu Hefele und Neander. Der Zeitraum bis 1886 wird charakterisiert:
Sammlung der Quellen, Entstehung eines Geschichtsbildes, Anfänge zur
Kritik, seit 1700 Versuche der Rechtfertigung Priszillians (S. 18/19). Die
eigentliche Hauptzeit der Priszillianforschung war von 1889—1914 (§2).
Einerseits bemühten sich viele um eine völlige Rehabilitierung Priszillians,
andererseits ging es um neue Texte, die man als priszillianistisch oder
antipriszillianistisch einzuordnen suchte. Nach Morin war es besonders
Künstle, der fast 30 Schriften als antipriszillianistisch abstempelte, während
z. B. Chapman und De Bruyne Spuren Priszillians in bestimmten
Quellen nachweisen wollten. Die Problematik sieht V. deutlich: „Nach
wie vor wußte man nicht, wie weit die großkirchlichen Quellen zuverlässig
waren, wie der Kampf der Hierarchie mit der Sekte sich genau
abgespielt hatte, wie weit Priszillian mit seinen Anschauungen vom
Glauben der Großkirche sich entfernt hatte . . . Diese ganze Unsicherheit
mußte sich notwendigerweise auf die neugefundenen Texte übertragen:
wenn man nicht sicher definieren kann, welches die Kennzeichen seiner
Lehre sind, so wird es schwer halten aus dieser Lehre Zusammengehörigkeit
und NichtZusammengehörigkeit zu bestimmen . . ." (S. 37). Der
3. Paragraph „1918—1964" setzt die Linien fort bis zu einer ungedruckten
Dissertation von Willy Schatz „Der Beginn des Mönchtums im Abendland
" (Freiburg/Br.), 1957, in der der Priszillianismus als unmittelbare
Vorstufe zum abendländischen Mönchtum dargestellt wird. „Die Gründe
des bekannten Konfliktes mit dem spanischen Episkopat seien ... die
Polarität von Amt und Charisma, die Spannung zwischen asketischer
Sonderorganisation und kirchlicher Gemeindeordnung" (S. 41). Die Heranziehung
östlicher Quellen (Origenes, Rufin, Cassian) wird an der Arbeit
von Schatz gerühmt, dem V. dann freilich doch gewisse Einwände entgegenhält
. — Die 3 einleitenden Paragraphen gewinnen dadurch noch an
Wert, daß V. ihnen 2 Literaturverzeichnisse mit über 300 Titeln vorangestellt
hat; bei jedem Titel wird auf die Seitenzahl verwiesen, auf der
die betreffende Arbeit behandelt wird.

Ebenso gründlich ist das II. Kapitel „Die Quellen" gearbeitet. Den
Anfang machen Quellen mit Nachrichten über den Priszillianismus (§ 4).
Kleinere Quellcnstücke werden vollständig abgedruckt, so daß einem
späteren Bearbeiter manches Nachschlagen erspart wird. Bei den größeren
Berichten (z. B. Sulpicius Severus) wird nur der Anfag und Schluß zitiert.
V. gibt schon bei dieser Übersicht seine Meinung zu den Quellen deutlich
zu verstehen. Noch stärker geschieht dies im § 5 „Priszillianistische und
antipriszillianistische Texte"; V. stellt u. a. „Die Antipriszillianea Karl
Künstles" zusammen (S. 75—82), wobei er wohl nur mit Mühe das Wort
„angeblich" unterdrückte. Ähnlich kritisch steht V. Textdeutungen von
Dufourcq und Lang gegenüber. Ein letzter Versuch Stegmüllers in dieser
Richtung (Z. kath. Th. 74, 1952) wird in einem Anhang zurückgewiesen:
Das in Frage stehende Fragment ist nicht mit den Priszillianistcn in Verbindung
zu bringen, sondern es gehört nach Irland (S. 84 sowie schon
vorher S. 47/48). Methodisch kann man V. nur zustimmen, wenn er hinter
alle Texte, die nicht ausdrücklich auf den Priszillianismus Bezug nehmen,
ein Fragezeichen setzt. Allein die Betonung enkratitischer Tendenzen oder
die Verwendung von Apokryphen sind kein Grund, eine Schrift für
priszillianistisch zu halten. Mit gutem Grunde kommt V. zu der These:
„Wenn man sich heute mit der Erforschung des Priszillianismus beschäftigen
will, dann sollte dies m. E. mit einem neuorientierten Studium der
Quellen beginnen" (S. 49).

V. setzt neu ein bei dem 15. Brief Papst Leos d. Gr., den dieser
447 an den spanischen Bischof Turibius richtete. Wir bekommen
eine kritische Edition; dem Text (§ 7) sind ausführliche Prolego-
mena vorangestellt, die auf die einzelnen Handschriften eingehen
(§ 6). Einwände gegen die Echtheit des Briefes werden entkräftet
(S. 139—41). Der Brief geht auf Berichte ein, die Leo aus Spanien
erhalten hatte. Nun erklärt V., er wolle herausfinden „was und
welche Informationen Leo d. Gr. aus Spanien bekommen hat. Soviel
nämlich auch im Laufe der letzten drei Jahrhunderte über die
epistula XV geschrieben und diskutiert worden ist, es wurde doch
nie der Versuch einer solchen Scheidung gemacht. Mir scheint aber,
es könnte hieraus mancher Einblick in das Wesen der priszilliani-
stischen Bewegung gewonnen werden" (S. 141). Des näheren will
V. drei Schriftstücke unterscheiden, die der spanische Bischof
Turibius an Papst Leo geschickt habe: eine epistola familiaris, ein
commonitorium und einen libellus.

Unter Hinweis auf Augustins ep. 177 an Papst Innozenz I. wegen
Pelagius — im CSEL XLIV, 669 fehlt freilich dieser Begriff — charakterisiert
V. eine epistola familiaris als „ein nicht offizielles, aber sehr ernsthaftes
, die Fragen kirchlicher Lehre und des kirchlichen Lebens behandelndes
Dokument" (144); es waren „die delikateren Dinge, die Turibius
im Interesse der Reditgläubigkeit seiner Heimat über die eigenen bischöflichen
Nachbarn aussagen mußte . . . Diese heikle Berichterstattung wird
dann auch Leo d. Gr. persönlich zugedacht gewesen sein, nicht der Kanzlei,
und so wird man in dem .familiaris' auch die Nuance .vertraulich, geheim
' wiederentdecken dürfen..." (S. 146). Auch zur Klärung des Begriffs
„Commonitorium" wird auf Augustin verwiesen, ebenso auf
Orosius und Marius Mercator. V. kommt zu einem bestimmten Ergebnis,
wie das Commonitorium des Turibius ausgesehen haben müsse: „eine
kurze dokumentierte Schilderung der Sekte, ihrer Geschichte, ihrer Schriften
(Apokryphen!) und ihrer Lehre samt deren Verurteilungen, wobei das
Hauptgewicht auf den Verhältnissen der Gegenwart gelegen haben mag.
Der Abschluß der Darlegung wird dann in die . . . Bitte um entsprechende
Gegenmaßnahmen (Anordnung eines Konzils) gemündet haben" (S. 148).
Am ergiebigsten ist der Libellus des Turibius, da Leo jeweils den irrigen
Lehrsatz nennt, den Turibius ihm gemeldet hatte. V. versucht, „aus den
Antworten des Papstes den .Bericht" des spanischen Bischofs herauszuschälen
. Gibt uns dieses Verfahren auch nicht eine Gesamtinformation für
.den' Priszillianismus an die Hand, so bringt es uns doch weiter in der
Erkenntnis dessen, was man in der Mitte des 5. Jahrhunderts in Spanien
für Priszillianismus gehalten hat, und, wie ich glaube, sogar dessen, was
damals Priszillianismus gewesen ist" (S. 151). Die Untersuchung madit
deutlich, wie fern Leo d. Gr. den Vorgängen in Spanien steht. V. lobt
„die nüchterne Genauigkeit des Turibius" im Gegensatz zu der „gerne
abschweifenden Widerlegung Papst Leos" (S. 167). Leos Interpretation
der Priszillianistcn als Manichäer wird ebenso als Fehlurteil bezeichnet
(S. 160) wie seine Bemühung die Ehelosigkeit jener spanischen Bewegung
als Zeichen libertinistischer Grundhaltung zu diskreditieren (S. 162).

Von den Berichten des spanischen Bischofs Turibius meint V.
nicht nur, daß sie rekonstruierbar seien, sondern er wagt — anfängliche
Vorbehalte beiseitelassend — den Schluß: „Die Informationen,
die der Libellus uns bietet, sind objektiv. Sie zeichnen uns das
wahre Bild des Priszillianismus in der Mitte des 5. Jahrhunderts.
Von diesem Libellus aus — nicht von den Kapiteln Leos! — sind
auch eventuelle priszillianistische und antipriszillianistische Quellen
der gleichen Zeit und unter Umständen sogar — mit Vorsicht —
Quellen der vorausgehenden und nachfolgenden Periode zu beurteilen
" (S. 167). Bei aller Freude an der Darstellung des Verfassers
und der Scharfsinnigkeit seiner Argumente kann man bei dieser
letzten Konsequenz doch gewisse Vorbehalte nicht überwinden.
Sicher ist es richtig, daß die 16 Kapitel des Libellus „in klarer
Sprache bestimmte Anklagen gegen die priszillianistische Sekte erheben
" (S. 167). Ebenso ist zuzugeben, daß sich diese Anklagen
„ohne Zwang zu einem in sich logisch verständlichen, wenn auch
nicht sehr hochstehenden gnostisch-manichäischen System verbinden
" (S. 167). Aber müssen wegen dieser inneren Logik die Anklagen
zutreffen? Das scheint mir doch eine offene Frage zu
bleiben. Was wissen wir denn sonst von jenem Turibius? Wollte er
überhaupt den Papst objektiv unterrichten, oder wollte er ihn nur
um jeden Preis zum Eingreifen veranlassen? Hatte jener Turibius
überhaupt ein objektives Bild von seinen Gegnern? Konnte er ein
objektives Bild haben von einer Sekte, gegen die man jahrzehntelang
erbittert stritt? Als Ergebnis stellt V. heraus: Die Wirklichkeit
des Priszillianimus „stellte sich dar als eine unter dem Volk und
Bichöfen weit verbreitete Bewegung, die asketische Ideale mit
gnostisch-manichäischen Spekulationen verband" (S. 174). Das
kann stimmen. Niemand wird den asketischen Charakter des
Priszillianismus bestreiten, — aber die lehrmäßige Darstellung, die
V. aus dem Libellus des Turibius rekonstruiert, ist nicht restlos
gesichert. Trotz dieser Vorbehalte, die sich mit den Urteilen des
Autors auf S. 141 und 151 decken, sei nochmals festgestellt, daß
das vorliegende Buch sehr nützlich ist und unser Wissen über den
Priszillianismus erweitert; der Ansatz bei den Berichten des Turibius
ist neu und sollte zu weiteren Arbeiten anregen .

Rostock Gert Haen die r

Kehl, Aloys: Der Psalmenkommentar von Tura Quatcrnio IX. (Pap-
Colon. Theol. 1) hrsg., übers, u. erläutert. Köln-Opladen: Westdeutscher
Verlag [1964]. 223 S., 2 Taf. gr. 8° = Wissenschaftl. Abhandlungen
d. Arbeitsgemeinschaft f. Forschung d. Landes Nordrhein'
Westfalen, hrsg. v. L.Brandt. Sonderreihe: Papyrologica Coloniensia>
Vol. I. Lw. DM 41.70.

Die im letzten Kriege in der Nähe von Kairo gemachten
Papyrusfunde 1 haben unsere Kenntnis von der Tätigkeit zweier
alexandrinischer Theologen erfreulich bereichert: die Fundmasse
aus Tura enthält Schriften von Origenes und Didymus dem Blinden
neben Texten, die mittelbar auf diese Autoren zurückgehen,
wie es für den 1949 edierten „Dialektes* gilt, der eine Diskussion

') In der ThLZ berichtete darüber zuerst E. Klostermann: ThLZ "2
(1947) 47—50.