Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1966

Spalte:

595-597

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Roth, Erich

Titel/Untertitel:

Die Reformation in Siebenbürgen 1966

Rezensent:

Moeller, Bernd

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

595

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 8

596

sowie der von Frings, Weisweiler u. a. bemerkte Einfluß der
irischen religiösen Terminologie auf die frühdeutsche („barmherzig
" !) ist nur auf dem Hintergrund der einzigartigen Sprachsituation
Irlands zu jener Zeit zu verstehen (57). Irland, das einzige
Land Westeuropas, das die Römer nicht erobert hatten, war
das erste Land Westeuropas, das eine vom Latein wenig beeinflußte
kirchliche Terminologie entwickelte und in der Volkssprache
eine blühende, vielseitige religiöse Literatur besaß, als
das übrige Westeuropa noch im Dunkel lag. Der Heliand-Kom-
plex existierte in Irland nicht, denn die Christianisierung hatte
sich reibungslos vollzogen. Leider hat sich bislang kein des Altirischen
kundiger Exegesehistoriker gefunden, der dartun könnte,
daß die irische Bibelwissenschaft, insbes. in den sog. Mailänder und
Turiner Glossen, nicht als „antiquarisches Wissen oder Scheinwissen
" (36) abzutun ist. Die Keltologen — in ihren allerdings
durchweg unvollendeten Wörterbüchern — haben jedenfalls die
terminologische Bedeutsamkeit dieser Glossen gezeigt. Der Stowe
Traktat über die Messe und die umfangreiche paraliturgische Literatur
des alten Irland sind überragende Beispiele volkssprachlicher
religiöser Literatur, umso erhabener, als sie von einer nunmehr
praktisch ausgestorbenen sprachlichen Entwicklung zeugen.

Ferner möchte Rez. anregen, durch Weiterentwicklung der
von Mgr. Lentner gemachten Andeutungen über soziologische
Aspekte zu zeigen, daß es sich hier wirklich um eine Lebensfrage
handelt. Die Forderung nach (intellektueller) Verständlichkeit ist
von jeher Ausdruck der bürgerlichen Mentalität gewesen. Die
bis heute in ihren Abwandlungen die elementare Diskussion beherrschenden
Wertungen „klassisch" und „barbarisch" sind soziologisch
zu verstehen. Im Verhältnis zu Sakralsprache und Volkssprache
geht es um die Frage, welche Rolle kulturelle Bildung
spielt und welchem Stand sie gehört. Heute erhoffen im deutschen
Sprachbereich die fortschrittlichen Katholiken, daß der ausgedehntere
Gebrauch der Muttersprache u. a. eine Annäherung an
das Bildungsniveau der Protestanten mit sich bringt, während die
Konservativen (Laien eher denn Geistliche) fürchten, daß die mit
der Vernakulisierung verbundene Pedestrianisierung sie in das
kulturelle Ghetto zurückstößt. Die Auflockerung der vom Triden-
tinum eingenommenen Position heute bedeutet an dieser wie an
anderen Stellen, daß anerkannt wird, daß sich die gesellschaftliche
Grundlage der Kirche stark zusammengezogen hat.

Die vorstehenden Anregungen zu Überschreitungen der
Grenzen, die sich Mgr. Lentner gesetzt hatte, konnten nur gewagt
werden unter dankbarem Bezug auf seine Offenheit in der Problematik
und auf die Solidität der von ihm gelegten Grundlagen.

Basel John H en n i g

Roth, Erich: Die Reformation in Siebenbürgen. Ihr Verhältnis zu
Wittenberg und der Schweiz. I: Der Durchbruch. II: Von Honterus
zur Augustana. Köln-Graz: Böhlau 1962/64. XVI, 224 S. u. XII,
138 S. gr. 86 = Siebenbürgisches Archiv. Archiv des Vereins für
siebenbürgische Landeskunde, 3. Folge, hrsg. v. Arbeitskreis f. sieben-
bürgische Landeskunde, Bd. 2 und 4. DM 19.80 u. DM 15.—.

Dieses Werk, im ersten Teil philosophische Dissertation, im
zweiten Teil theologische Habilitationsschrift der Universität
Göttingen, ist das wissenschaftliche Vermächtnis seines Verfassers
, der 1956 im Alter von 3 8 Jahren als Professor der Kirchengeschichte
in Göttingen verstorben ist; der Altmeister der
siebenbürgischen Reformationsgeschichtsforschung, Karl Reinerth,
hat es zum Druck gebracht.

Weniger der Titel als der Untertitel bezeichnet den Inhalt.
Das Problem, welche kirchlich-theologische Position der als der
wichtigste Reformator Siebenbürgens geltende Kronstadter Schulmann
und spätere Stadtpfarrer Johannes Honterus (f 1549) vertreten
habe, ist das eigentliche Thema; die Gesamtgeschichte der
siebenbürgischen Reformation wird im Zeichen der neuen Thesen,
die der Verfasser zum Thema „Honterus" verficht, geschildert.

Danach hat der aus Kronstadt stammende Honterus, der uns
erstmals in den Jahren um 1530 in süddeutschen Humanistenkreisen
und als Autor humanistischer Bücher (einer Kosmogra-
phie und einer lateinischen Grammatik) greifbar wird und der
seit 1538 wieder in seiner Heimatstadt tätig war, hier der Reformation
, die 1542 mit der Abschaffung der Messe eingeführt
wurde, ein spezifisch „schweizerisches", d. h. zwinglianisches

Gepräge gegeben. Diese seine Tendenz hat er freilich nur im erbitterten
Ringen mit anders ausgerichteten Geistlichen, vor allem
seinem Vorgänger im Kronstadter Stadtpfarramt Jeremias Jekel
und dem Hermannstadter Reformator Matthias Ramser, durchsetzen
können, und sie ist nach seinem Tod durch seinen Nachfolger
Valentin Wagner zugunsten eines gemäßigten Luthertums
aufgegeben worden. Erst seither ist die bis zur Gegenwart fortdauernde
einheitlich lutherische Prägung der Kirche Siebenbürgens
gegeben, und die schweren Existenzkämpfe, in denen der
siebenbürgische Protestantismus seit den fünfziger Jahren stand —
der Gegensatz gegen den mit nationalistischem Pathos auftretenden
ungarischen Calvinismus, die Auseinandersetzungen um
Stancarus und die Antitrinitarier und schließlich seit 1571 die
Abwehr der Gegenreformation — haben diesen inneren Ausgleich
und Zusammenschluß maßgebend begünstigt.

Diese von der älteren Auffassung ziemlich beträchtlich abweichende
Sicht der Dinge, die die siebenbürgische Reformationsgeschichte
der vierziger und frühen fünfziger Jahre zu einem sehr
viel bewegteren Vorgang macht, als man bisher angenommen
hatte, und die auch die Persönlichkeit mehrerer anderer Führer
der Reformation des Landes in neue Beleuchtung rückt, ist von
den siebenbürgischen Forschern, vor allem von dem Herausgeber
Reinerth selbst, mit großer Reserve aufgenommen worden, und
die Vor- und Nachworte, mit denen das vorliegende Werk versehen
ist, sprechen diese Reserve deutlich aus; Bd. 2, S. 124
schreibt P. Philippi: „Die Übernahme von Roths Reformationsgeschichte
ins Siebenbürgische Archiv bedeutet nicht deren Kanonisierung
".

Die Arbeit bringt gegenüber der älteren Forschung, soweit
ich sehe, nirgends neues Material bei, sondern sie wendet sich
von ihr ab aufgrund neuer Interpretation der übrigens für die in
Frage kommende Zeit nur sehr spärlich fließenden Quellen.
Hierbei hat der Verfasser m. E. an zwei Stellen echte und bemerkenswerte
Fortschritte erreicht. Einmal führt er den insgesamt
überzeugenden Nachweis, daß die wichtigste reformatorische
Schrift Honters, die „Reformatio Ecclesiae Coronensis ac totius
Barcensis provinciae", die Kronstadter Kirchenordnung von
1543, bis in merkwürdige Einzelheiten hinein von einer Nürnberger
Ratsschrift von 1524 (?) abhängig ist. Zum anderen zeigt
er, daß ein schon seit längerem bekannter Brief Bullingers an
Honter, ebenfalls von 1543, der in Form eines Gutachtens zur
Frage der Beichte, der Bilder und der Kirchengüter Stellung
nimmt, nicht, wie bisher, so verstanden werden kann, als wollte
der Zürcher Reformator den Kronstadter zu seiner Auffassung
bekehren, sondern vielmehr mit dem vollen oder weitgehenden
Einverständnis Honters rechnet

Diese beiden Dokumente sind zugleich die wichtigsten Belegstücke
für die Thesen des Verfassers. Dabei wird der Brief
Bullingers als fundamentale Quelle für Honters „schweizerische"
Gesinnung genommen, während die Verwendung der Nürnberger
Schrift, die gewiß nicht „zwinglianisch", immerhin aber auch
nicht direkt und spezifisch „lutherisch" ist, als Versuch des Kronstadters
gedeutet wird, seinen „lutherischen" Gegenspielern die
Argumente aus dem Mund zu nehmen.

So sehr, wie gesagt, die Gesamtwürdigung dieser beiden
Schriften einleuchtet, so wenig überzeugt diese Anwendung.

Roth

nennt an versteckter Stelle selbst den m. E. durchschlagenden
Einwand, den man gegen seine Arbeit erheben muß: „Überhaupt
muß man sich hüten, die schroffe Abgrenzung aller ,Wittenberger'
und .Schweizer' gegeneinander schon für die Zeit der ersten
Generation der Reformatoren sich ganz aus Luthers kurzem
Bekenntnis vom Heiligen Sakrament 1544 zurecht zu legen
(2, 31 Anm. 10). Tatsächlich scheint mir der Verfasser eben
diesem Fehler selbst verfallen zu sein. Er behauptet, „Honters
endgültige Reformation nicht als lutherische, sondern als eine

') Dieser Tatsache wird m. E. der neueste Versuch einer Widerlegung
Roths nicht gerecht, den K. Reinerth in Zwingliana 12/4,
1965, 287 ff, unternommen hat. Reinerth versucht dort den — übrigens
auch in sich keineswegs überzeugenden — Nachweis, daß Bullingers Briet
gar nicht abgesandt worden sei. Wie es sich damit immer verhalten haben
mag — Roth hat die Annahme nahegelegt, daß, um es so auszudrücken,
Honter des Briefes des Zürcher Reformators gar nicht bedurfte, um dessen
Ansicht zu teilen.