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Ausgabe:

1966

Spalte:

593-595

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lentner, Leopold

Titel/Untertitel:

Volkssprache und Sakralsprache 1966

Rezensent:

Hennig, John

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 8

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dem Christusgeschehen das Taufgeschehen, so daß die christliche
Taufe von ihren Entsprechungen wesentlich unterschieden werden
muß. Ausführlich wird die Taufsymbolik (das dreimalige Untertauchen
, der doppelte Aspekt des Taufwassers, Absage an den
Satan und Zusage an Gott usw.) untersucht. Ein eigener Abschnitt
ist der Taufe Jesu im Jordan als Urbild der christlichen Taufe gewidmet
. Die Erkenntnis vom archetypischen Charakter der Taufsymbole
bewahrt den Verf. vor dem Rat, althergebrachte Formeln
usw. wieder einzuführen. Er schließt sich hier Tillichs Meinung an.

Im neunten Kapitel wird das Jona-Motiv in der Deutung
unserer Zeit lebendig. Es ist erstaunlich, wieviele Beispiele aus
Bild- und Dichtkunst unserer Tage der Verf. herangezogen hat, um
die Bedeutung des Verschlingungsmotivs für den modernen Menschen
glaubhaft zu machen. Das Jona-Motiv wird zum Ausdruck
künstlerischen Erlebens, oder Jona ist Chiffre gegenwärtiger
Existenzdeutung. Hierbei wird Jona zum Prototyp für den Menschen
auf der Flucht vor Gott, seine Antwort im Gebet wird typisch
für das Bekenntnis zu Gott und die Bereitschaft zur Schuldübernahme
, und er wird zum Sinnbild für den Menschen, der der Hölle
entrann. Gerade das letzte Kapitel erbringt den Beweis, daß es sich
bei dem Jona-Motiv um ein menschliches Urmotiv handelt.

Der kritische Leser ist erfreut über die Fülle des Stoffes, die zu
diesem einen Thema herangezogen worden ist, ebenso über die
Klarheit der Gliederung: Der Bogen wölbt sich von der Religionsgeschichte
über das Alte Testament hin zum christologisch-litur-
g'schen und künstlerischen Verständnis des Motivs. Wichtig
seheint mir auch die häufige Bezogenheit auf die Gegenwart, der
Leser wird immer wieder zu eigener Stellungnahme genötigt. Gute
Bildbeigaben und die Zusammenfassungen am Ende der Kapitel
erleichtern das Verständnis.

Doch einige kritische Bemerkungen dürfen nicht fehlen: Das
Buch würde durch Straffung mancher Partien nur gewinnen. Hinter
der zu großen Zahl der Zitate scheint sich eine gewisse Unsicherheit
im Urteil zu verbergen, die der Verf. m. E. nicht nötig hat, da
et an einigen Stellen klar sein eigenes Urteil kundgibt. Aber die
theologische Linie ist doch nicht immer deutlich. Es dürfte nicht
leicht sein, die Ansichten Barths und Tillichs zu kombinieren. An
dem Motto von van der Leeuw, das dem Buche vorangestellt ist,
scheiden sich die Geister. Daß der Mythos im christlichen Glauben
ungehindert weiterlebt, sei zugegeben, aber „daß mit seinem Verschwinden
dieser Glaube (der christliche!) selber hinfällig würde",
wird nicht jeder Christ zugeben wollen.

Jena Hanna Jn rsch

Lentner, Leopold: Volkssprache und Sakralsprachc. Gesdiichte einer
Lebensfrage bis zum Ende des Konzils von Trient. Wien: Herder
[1964], 318 S. gr. 8° = Wiener Beiträge zur Theologie, hrsg. v. d.
katholisch-theolog. Fakultät d. Univ. Wien, V.

Mgr. Lentner geht der „Rolle der deutschen Volkssprache
im Verhältnis zum Latein der Kirche" nach. Innerhalb der nun-
tnehr kaum noch übersehbaren Literatur zu diesem Thema
zeichnet sich sein Werk in drei Hinsichten aus. 1. Die Rolle des
Deutschen wird im Vergleich zu der Rolle anderer Volkssprachen
(italienisch, englisch, französisch und — besonders wertvoll —
tschechisch) auf diesem Gebiete betrachtet. 2. Zwar wird die
Entwicklung zunächst nur bis zum Ende des Tridentinums verfolgt
(die weitere Entwicklung soll in einer späteren Publikation
behandelt werden), aber während dieses Zeitraumes werden doch
bereits praktisch alle Aspekte deutlich, die heute so oft diskutiert
Werden, als wären Argumente und Gegenargumente nicht längst
vielfach — und oft tiefer — abgehandelt worden. 3. In einer durch
umfangreiche Dokumentation begründeten Sorgfalt wird buchstäblich
von der ersten bis zur letzten Seite nachgewiesen, daß
das Problem zwei Seiten hat, die natürlich immer einander korrigieren
müssen.

Der erste Hauptteil (christliches Altertum) verfolgt das Nebeneinander
von Griechisch und Latein, Latein und Punisch, klassischem und
vulgärem Latein und die Entstehung einer hieratischen Sprache im
Westen, sowie die Stellung des Gotischen und Slawischen als Kult-
sPrachen.

Der zweite Hauptteil (Mittelalter) behandelt zunächst die Anfänge
des religiösen Schrifttums in deutscher Sprache, ausgehend von der
Schaffung einer religiösen Terminologie (Glossarien, lateinisch-deutsche

Mischprosa) zu den ersten Übersetzungen kirchlicher Texte und der Entstehung
einer christlidien Dichtersprache bis zur deutschen Predigt und
Bibel und den Anfängen deutscher Liturgietexte (schon 68: karolingi-
scher Taufordo), insbes. Litaneien, Lieder, Legenden und Spiele. (Hier
wäre für den deutschen Sprachbereich ein Vergleich mit der Entwicklung
der Piutim in der jüdischen Liturgie lehrreich.) Die verschiedenen Faktoren
, die die Entwicklung der religiösen Literatur in deutscher Sprache
förderten (Meßerklärung, Marienverehrung, Bildungsbedüfnis der Laien,
insbes. Bildungsstand der Klosterfrauen) oder hemmten (Arkanismus,
Lehre von den drei heiligen Sprachen und von der Eminenz des Lateins),
werden eingehend diskutiert.

Die Gesdiichte der Einstellung zur Bibel im späteren Mittelalter
wird im Mittelteil dargestellt. Dabei kommen so allgemeine Dinge zur
Sprache wie die Lehre von den verschiedenen Sinnen der Heiligen
Schriften und die Betonung der Zeichcnhaftigkeit der Liturgie. Der Einfluß
der Häretiker und der Bettelorden auf die Verbreitung volkssprachiger
Bibeltexte und der Widerstand der kirchlichen Behörden dagegen
werden in ihrer geschichtlichen Bedeutung gewürdigt. Ausgezeichnet
sind dabei die Bemerkungen über die Begriffe „lernen" und
..Geschichte". Bei der Darstellung des Beitrages der Mystik zur Entwicklung
einer deutschen Terminologie der Innerlichkeit hätte man vielleicht
mehr praktische Beispiele bieten können. Jost Triers Untersuchungen
zur deutschen Terminologie im Sinnbezirk des Verstandes wären zu
berücksichtigen.

Beim Übergang zum dritten Teil (Reformation und Tridentinum)
wird dem 14. Jahrhundert, als dem der Laienbibel, und insbes. Böhmen
besondere Beachtung geschenkt (167 ff, 197 f, 213). Die ersten dem
Problem der deutschen Volkssprache ausdrücklich gewidmeten Schriften
(Gerard Zerbolt) werden besprochen. Es wird deutlich, daß das Bedürfnis
nach der unerschütterlichen Autorität der Bibel aus der Unsicherheit
nach dem Zusammenbruch des Univcrsalismus entsprang (187, 227). Im
Zusammenhang mit den 18 deutschen Bibelübersetzungen zwischen 1461
und 1 522 werden die Plenarien und ersten Meßübersetzungen betrachtet.
In der humanistischen Einstellung treten der bürgerliche Bildungsdrang
und das Nationalbewußtsein hervor. Die Reformdenkschriften von
Giustiniani und Quirini enthalten praktisch alle Argumente gegen die
Latina miseria, die bis heute aufgeführt werden. In Anschluß an
Ludwig Pralles Forschungen wird der Ideen Georg Witzeis zur Liturgiegeschichte
gedacht. Mit seiner Erkenntnis: „Die Protestanten haben
wohl die deutsche Sprache (in die Liturgie) eingeführt, aber diese deutsche
Messe versteht das deutsche Volk ebenso wenig wie das Missale
Romanum" (223 f) hat Witzel in einer später immer wieder vergessenen
Weise angedeutet, was auf diesem Gebiete „verstehen" heißen muß (ein
Thema, das im ersten Band von J.Wachs Verstehen unberücksichtigt
blieb). M. W. ist Mgr. Lentner erstmalig der Frage nachgegangen,
warum in den europäischen Ländern das Interesse an der Bibel so unterschiedlich
war. Das Bedürfnis nach Übersetzungen liturgischer Texte war
ebenfalls unterschiedlich; vor allem wurde früh erkannt, daß der Gebrauch
moderner Volkssprachen in der Liturgie unweigerlich auf die
Ausprägung nationaler Eigenarten hinausläuft, da es echte muttersprachliche
Liturgie nur als Neuschöpfung geben kann. (Hier wäre der relativ
ungebrochenen Tradition der Primer-Übcrsetzungen liturgischer Gebete
im Anglikanismus zu gedenken, s. meine Arbeiten in Modern Language
Review 39 (1944) 325—332 u. 40 (1946) 131, sowie Hermathena 77
(1951) 47—51.)

Die abschließende Darlegung der Stadien der Arbeiten des Tridentinums
ergibt, daß damals die heute noch bestehende Situation vorlag,
daß sidi unzureichende Argumente auf beiden Seiten gegenüberstehen
(294), eine Tatsache, der die von dem 2. Vaticanum getroffene Kompromißlösung
Rechnung zu tragen scheint.

Rez. erlaubt sich, eine Einbeziehung Irlands in die Betrachtung
(auf der Schwelle vom ersten zum zweiten Hauptteil) anzuregen
und zwar nicht nur der Rolle der Iren auf dem Festland.
(Zu den Bemerkungen über Gallus: F. Blanke hat gezeigt, daß die
burgundischen Gefährten es dem Iren Gallus überließen, alemannisch
zu predigen; andererseits überließ bei der Einsetzung
seines Schülers Johannes als Bischof von Konstanz Gallus diesem
taktvoll die alemannische Übersetzung seiner lateinischen Predigt
: Für die damals in dem betreffenden Gebiet erforderliche
zweisprachige Seelsorge bieten die Berichte über Gallus unschätzbares
Material.) Die Tätigkeit Kolumbans und seiner Gefährten ',

*) Die Bemerkungen hierzu werden durch Druckfehler beeinträchtigt
. S. 5 5 Z. 4 v. u. sollte es, wie auf S. 48 u. 91 „Columban" statt
„Columba" heißen, und das Register S. 310 wäre entsprechend zu berichtigen
. S. 316 muß es statt „Irland" „Island" heißen.

Weitere Druckf.: S. 32 Anm. 16 „Levison" statt „Lewison". Die
Thomasstelle über den Literalsinn wird S. 151 und 160 zweimal zitiert.
S. 218 Anm. 19 Z. 18 v. u. nach Haec kein Punkt. Zu S. 94 Anm. 37/38
vgl. A. Cabanis, Amalarius of Metz (Amsterdam 1954).