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Ausgabe:

1966

Spalte:

589-591

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Knoch, Otto

Titel/Untertitel:

Eigenart und Bedeutung der Eschatologie im theologischen Aufriß des ersten Clemensbriefes 1966

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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589

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 8

590

Knoch, Otto, Dr. theol.: Eigenart und Bedeutung der Eschatologie
im theologischen Aufriß des ersten Clemensbriefes. Eine auslegungsgeschichtliche
Untersuchung. Bonn: Hanstein 1964. 483 S., 1 Abb.
gr. 8° = Theophaneia. Beiträge zur Religions- und Kirchengeschichte
des Altertums, hrsg. v. Th. Klauser, 17. DM 42.—.

Adolf von Harnack hat in seiner berühmten Abschiedsgabe
den 1. Clem. als Einführung in die alte Kirchengeschichte dargeboten
. Er hatte darauf hingewiesen, „daß für die schnell und stark
m der Kirche einsetzende Depotenzierung der eschatologischen
realistischen Hoffnung dieser Brief besonders wichtig ist" (S: 101),
war aber selbst dem Problem nicht näher nachgegangen. Der
Eschatologie des 1. Clem. ist die vorliegende Studie gewidmet,
die drei Jahrzehnte später, 1959, als von Karl Hermann Schelkle
betreute Tübinger Dissertation zum Abschluß gebracht wurde.
Der Verfasser, Otto Knoch, ist Neutestamentier, Direktor des
Katholischen Bibelwerks in Stuttgart, und es macht den Reiz
dieser Arbeit aus, das was Harnack mit der Blickrichtung auf die
alte Kirchengeschichte betrachtet hat, nun als Abschluß einer Entwicklung
zu sehen, auf die das Neue Testament hinführt.

Der problemgeschichtliche Hintergrund ist unschwer zu erkennen
: Die Diskussion um die Parusieverzögerung, die mit
Martin Werners Entstehung des christlichen Dogmas (1941) begonnen
hatte und durch die kritischen Stellungnahmen von
Michaelis, Kümmel, Cullmann u. a. weitergeführt wurde, legte
eine Untersuchung der Eschatologie in den Schriften des nachapostolischen
Zeitalters nahe. Wenn irgendwo, dann mußte hier
eine durch das Nichteintreffen der Naherwartung ausgelöste
Krise ihren Niederschlag gefunden haben. Der l.Clem. erschien
wegen seines Umfangs, seiner weitgespannten Thematik und
seiner geschichtlichen Stellung dazu besonders geeignet.

Was die historische Einordnung angeht, so schließt sich der Autor
der seit Harnack weithin anerkannten Datierung auf die Zeit zwischen
96 und "8 n. Chr. an, entgegen der jetzt u. a. von Alfred Adam vertretenen
Voranstcllung der Didache sieht er ihn als ältestes außerkano-
m'sches christliches Zeugnis an. Der Verfasser ist Heidenchrist, der das
Schreiben auslösende Konflikt ist nicht ein Kampf zwischen Amt und
Charisma (gegen Lütgert und P. Meinhold), sondern die Auseinandersetzung
mit einer Abspaltung, die durch das Eingreifen des Clem. beseitigt
werden soll. Der Brief ist geschrieben im Stil der Nuthesia, eines
'm Anschluß an die kynisch-stoische Diatribe entstandenen Predigttypus,
der über die jüdisch-hellenistische Homilic in das Heidenchristentum
einkam. Hauptqucllcn seiner Frömmigkeit und Theologie sind die LXX,
die als Geschichte der von Gott erwählten Gerechten und Frommen
gelesen wird und die Liturgie der römischen Gemeinde (Spuren: 19,
3—20, 12. 33, 2—6. 59, 3—61, 3. 64), die in der Grundhaltung jüdisch-
hellenistisch bestimmt ist. in der die schöpfungstheologischen Aussagen
gegenüber den eschatologischen weit überwiegen. Während die Beziehungen
zur Stoa, v. a. zu Scneca, kurz, aber übersichtlich zusammengestellt
werden (zugrunde lag Sanders, L'Hellenisme de St. Clement de Rome et
le Paulinisme Louvain 1943), ist das Verhältnis zum NT ausführlich,
getrennt nach Schriftengruppen behandelt (S. 68—101). Der Autor meint,
daß Clem. eine verhältnismäßig umfassende Kenntnis der urchristl.
Überlieferung hat. die Tradition aber in seiner Zeit noch so lebendig
ist, daß den ntl. Autoritäten nur zukommt, eine unabhängig von ihnen
vertretene Überzeugung nachträglich zu begründen. Bei aller Vertrautheit
mit der ntl. Überlieferung ist die Gedankenführung selbst nur selten
unmittelbar von ihr bestimmt.

So gerüstet tritt der Verfasser in die eigentliche Untersuchung
ein. Sein Verständnis der Eschatologie, in dem er sich mit

0. Cullmann wie mit W. G. Kümmel darin einig weiß, daß für
das NT nicht die Naherwartung, sondern die Verbindung des
Glaubens an die Gegenwärtigkeit des Endheils und der Hoffnung
auf die noch ausstehende Erfüllung das Spezifische ist (S. 317),
ermöglicht ihm eine umfassende Betrachtungsweise. So vermag er
einen großen Kreis der theologisch relevanten Aussagen des

1. Clem. in seine Darstellung einzubeziehen und die bislang wohl
umfangreichste Spezialmonographie über diesen Brief vorzulegen.
Er gliedert sie in die Untersuchung der Aussagen über die Zukünftigkeit
des Heils (S. 102—220), der auf das Eschaton bezogenen
christlichen Grundhaltungen (S. 221—316), der Aussagen
über die Gegenwärtigkeit des Heils (S. 317—396) und die Darstellung
des heilsgeschichtlichen Aufrisses (S. 397—447).

Die eschatologische Haltung des 1. Clem. bestimmt er als die
einer relativen Naherwartung (S. 105). Dabei ist der Begriff des
Reiches Gottes streng futurisch gefaßt, es ist durch die Ereignisse

von Ostern und Pfingsten noch nicht eingeleitet oder anfanghaft
angebrochen. Der Verfasser sieht hier eine Entsprechung zum ge-
schichtstheologischen Aufriß des Lk. Mit dem etwa gleichzeitigem
2. Petr. verbindet den 1. Clem. die Verzögerungsapologetik.
Sie ist der Ort des aus spätjüdisch-apokalyptischem Zusammenhang
stammenden und auf die eschatologische Erwartung übertragenen
Begriffs der diyjvxia (S. 111—125). Eindrucksvoll wird
gezeigt, in welchem Maße die Eschatologie jetzt anthropozentrisch
ausgerichtet ist. Im Mittelpunkt steht nicht die Nähe des
Herrn, sondern der Vergeltungsgedanke, nicht die Heilsvollendung
, sondern die dem Einzelnen verheißenen eschatologischen
Heilsgüter: die beweisbare leibliche Auferstehung (c. 24 unter
bewußter Anknüpfung an 1. Kor. 15 geschrieben) und das Bestehen
im künftigen Gericht, wobei das am Lohnmotiv orientierte
Bild vom postmortalen Schicksal in den Vordergrund tritt gegenüber
der im Dienst des Erwählungsgedankens stehenden Vorstellung
vom Endgericht (S. 136—193). Umgeformt erscheint auch
der Begriff &XZy>t(, der nicht die endzeitliche Trübsal bezeichnet,
sondern die göttliche Heimsuchung, welche die Gottlosen, Sünder
und Aufrührer gegen den Gotteswillen trifft und diese durch
Strafen bessern soll — im Sinne der Theologie der Weisheitsliteratur
(S. 193-202).

Der Satan ist nicht wie in der Apokalyptik der Herrscher
des Kosmos, der die Menschen knechtet, sondern der Versucher,
der Widerpart des Frommen im Glaubensagon. Am Weltuntergang
interessiert nur das Daß, nicht das Wie.

Die dieser Eschatologie entsprechende Ethik ist nicht mehr
dynamische Entfaltung der Naherwartung, sondern Eschatologie
und Ethik sind im Schema des Motivs verbunden. Ethik wird zur
Tugendlehre. Voran steht die Gottesfurcht, auch der Glaube wird
zur Tugend, zur Erscheinungsform der evotße.ia — mitbestimmt
durch den römischen Begriff der pietas —, Hoffnung ist Heilsgewißheit
im Blick auf die individuellen eschatologischen Heils-
gütcr, vnoßovr] die Tugend des Beharrens in der von Gott gewollten
Ordnung, /uftavoia ist schon auf die sich herausbildende
kirchliche Bußpraxis bezogen, die Liebe als die die Gesamtheit
der Heilsoffenbarung umschließende Verbindung von Gott und
Menschenwelt ist auch die den Christen verpflichtende Haltung.
So ist auch die Stellung zum Kosmos nicht die eschatologische
Distanz des e&c fiij von 1. Kor. 7, 29 ff, sondern eine schöpfungstheologisch
motivierte Bejahung, was besonders an der Stellung
zu Staat und Ehe deutlich wird (S. 221—316).

Das Verständnis der Heilsgegenwart in 1. Clem. wird in drei
Problemkreisen entfaltet: der Frage nach den Heilsgütern, nach
der Ekklesia und nach der die Gegenwart bestimmenden Haltung.

In der Beschreibung der Heilsgüter, die als eschatologische Gaben
schon gegenwärtig sind, ist die ntl. Spannung zwischen Schon und Noch-
nicht festgehalten (S. 323), wenn auch das Verständnis von Gnosis und
Unsterblichkeit durch eine vom Clem. rationalisierte gnostische Erlösungslehre
mitbestimmt ist. Seine Konzeption erlaubt es dem Autor,
an dieser Stelle auch auf einige Züge der Ekklesiologie des Briefes einzugehen
. Für sein Kirchenverständnis ist der Gedanke des Leibes grundlegend
, jedoch eher in der Gestalt, wie wir ihn in 1. Kor. und Rom.
finden, als in der Nachfolge der oßpa -XjMorov-Vorstellung von Kol./
Eph. Dennoch meint der Autor, daß das if XpiariT) im Anschluß an Paulus
eschatologisch zu fassen ist (S. 359), die Pneumatologie jedodi eher
ekklesiologisch (wie bei Lk.) als christologisch (wie bei Paulus) verstanden
wird.

Die Ausführungen des Schlußteils über den heilsgeschichtlichen
Aufriß des 1. Clem. werden durch die beigefügte schematische Darstellung
(S. 483) verdeutlicht. Die Besonderheiten liegen in der Herausstellung
des Noah als Bußprediger und Anfänger einer neuen Menschheit
sowie im völligen Verzicht auf das 2-Äonen-Sdiema, wodurch die Ileils-
zeit mit der Schöpfungszeit zusammenfällt, in die dann freilich die
Scheidung der Zeit Israels und der Zeit der Kirche eingezeichnet ist
(S. 397—447).

Blickt man von diesen Ergebnissen auf das eingangs gestellte
Problem zurück, so ergibt sich, daß die Verankerung der theologischen
Aussagen in dem so beschriebenen heilsgeschichtlichen
Rahmen nicht die Inhalte verändert, wohl aber die Gewichte
anders verteilt. Nicht eine Umformungskrise steht am Ausgang
des urchristlichen Zeitalters, sondern eine Verlagerung der Aus-