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Ausgabe:

1966

Spalte:

584

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Böcher, Otto

Titel/Untertitel:

Der johanneische Dualismus im Zusammenhang des nachbiblischen Judentums 1966

Rezensent:

Haenchen, Ernst

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Seite 1

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583

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 8

584

.3HH nDIfO) in den übrigen Teilen, auch den anderen Büchern des

Mst. Geschichtswerks, überall findet, sei in den anderen Gliedern keine
dst. Mentalität vorausgesetzt oder dst. Einfluß zu spüren (S. 67 f). Nun
sind die übrigen Glieder aber durch den Stoff, den sie umrahmen, und
die geschichtliche Epoche, die Dtr hier zeichnet, bedingt, und gerade das
erste Glied bindet den Rahmen ja an die anderen dst. Stücke. R. sagt
aber, dieses erste Glied brauche, da es sich einmal auf Israel, ein andermal
auf Einzelgestalten bezieht und in der Beurteilung nicht immer an der
gleichen Stelle steht, nicht auf eine Hand zu verweisen. R. glaubt
ferner, die Frage der dst. Chronologie, die über das Richterbuch hinausgreift
und durch 1 Reg 6, 1 gestellt wird, lösen zu können. Freilich
kommt auch er ohne hypothetische Urteile nicht aus, die er gerade an den
vorangegangenen Lösungsversuchen moniert. Ri 10, 8 z.B. sollen die
18 Jahre nicht mitzurechnen sein, sondern nur die Größe der Not zum
Ausdruck bringen (S. 138 f). Das ist sehr unwahrscheinlich, denn in
einem solchen Fall wählt man eine runde Zahl.

Das mag genügen, um an einigen Beispielen die Art der Analyse
und der Urteile, die sich darauf gründen, zu beleuchten. Es liegt eben
überhaupt eine Schwäche der Arbeit darin, daß sie meint, die Fragen,
welche die bearbeitenden Stücke des Richterbuches stellen, allein von
ihnen her beurteilen zu können, ohne zu beachten, in welchem Verhältnis
zum Quellenbestand sie stehen. Aus den redaktionellen Teilen allein
kann man nicht zu befriedigenden Ergebnissen gelangen.

R. muß selbst immer wieder (vgl. vor allem die Tabellen und
die sich daran knüpfenden Erörterungen) darauf verweisen, wie
sich die von ihm unterschiedenen und verschiedenen Verfassern
zugeschriebenen Teile in ihren Aussagen überschneiden, und den
engen inneren Kontakt dieser Teile anerkennen. Umso weniger
können seine Argumente überzeugen, wenn er davon spricht, das
„Beispielstück" 3,7—11 baue auf dem Rahmen auf, womit eine
Umdeutung verbunden sei, welche unter dem Einfluß von deutero-
nomischen Gesetzen stand, und die Einleitung 2, 11—19 führe 3,
7—11 weiter und hätte vollständig in der Gedankenwelt des Dt
gestanden. Der Sachverhalt dieser sukzessiven Umdeutungen
werde am ehesten der Annahme dreier verschiedener Bearbeiter
gerecht (S. 8 5). Wie soll man glauben, daß die unterschiedliche
formale Gestaltung der Rahmenteile, des Abschnitts 3, 7—11 sowie
der Einleitung 2, 11—19 und der längeren Einschaltung 10,
6—16 auf verschiedene Verfasser schließen lassen müsse? Liegt das
nicht an der unterschiedlichen Abzweckung dieser Stücke? Will
man einem Autor nicht mehr zutrauen? Darf ein Verfasser nur
mit wenigen Begriffen und wenigen feststehenden Wendungen
operieren? Beim Verfasser eines umfänglichen Geschichtswerkes
ist mehr Denkarbeit vorauszusetzen. Er setzt seine Akzente von
Fall zu Fall, auch immer wieder mit einer neuen Nuance, um so
den Leser einen folgerichtigen Weg zu führen. Es ist eine Verkürzung
, wenn R. sagt (S. 86): „Der Rahmen allein und Rahmen
und Beispielstück zusammen warten zuversichtlich auf eine Befriedung
des Landes durch gottgesandte Retter im heiligen Krieg".
Dtr habe dagegen die Sicht zweier aufeinanderfolgender Epochen:
die Zeit der Retter und die Zeit der Richter. In beiden Traditionen
liege die Wurzel des Königtums, und die Degeneration des
Richtertums habe zur Wahl eines Retters, zum König geführt. Die
beiden Einleitungen (2, 11—19 zur Retterepoche und 10, 6—16
zur Richterepoche) und 1 Sam 12 seien die „Drehscheiben" des
dst. Geschichtswerks. Eine solche Sicht der Dinge trifft im Blick
auf das Gesamtwerk eben gerade nicht das Richtige, v. Rad, gegen
den sich R. ausdrücklich wendet, hat nicht die „Markierung Ri
10, 6 ff" übergangen (Theol. I, 326). Dem Abschnitt kann man
nur dann besondere Bedeutung beimessen, wenn man wie R. hier
den Beginn einer neuen Geschichtsepoche in der Sicht des Dtr
sieht. R. selbst muß jedoch anerkennen, daß der erste König als
Retter auftritt, und in Jiftach auf Grund der Überlieferung über
ihn nicht auch einen Retter sehen zu wollen, geht doch wohl nicht
an. Hier hat Noth in Bezug auf die Verzahnung der Tradition
von den Rettern und Richtern durch Dtr m. E. das Zutreffende
gesehen.

Nicht zum Austrag kommen die Bemerkungen über nachdst.
Zusätze. Auf sie sollte man mehr Aufmerksamkeit richten. Das
Buch kann aber dazu dienen, in der Konfrontierung mit ihm die
Arbeit des Dtr genauer zu erkennen. So wird man an der vorliegenden
Veröffentlichung R.s bei der Beschäftigung mit dem
Richterbuch in Zukunft nicht vorübergehen können.

Leipzig Wolfram Htfrrmann

NEUES TESTAMENT

Bö eher, Otto: Der johanneische Dualismus im Zusammenhang des
nachbiblischen Judentums. Gütersloh: Gerd Mohn [1965]. 196 S. gr.
8°. Lw. DM 19.80.

Diese Dissertation will zeigen: Evangelium und Briefe des
Johannes lassen sich weithin „in die Theologie und Vorstellungswelt
des apokalyptisch bestimmten nachbiblischen Judentums"
einfügen (11). Damit versucht sie (wie so manche Schrift vor ihr),
die besondere Verbundenheit des vierten Evangeliums mit dem
Judentum nachzuweisen und so Bultmanns Verbindung von
Johannesevangelium und Gnosis zu widerlegen.

Der erste Teil der Abhandlung (A = 23—71) gibt eine „allgemeine
Übersicht über die Lehre von Kosmos, Gott, Satan, Engel- und
Geisterwelt und vom Menschen". Dabei bespricht der Vf. zunächst das
dualistische Weltbild (23—26), sodann die Lehre von Gott und Satan
(27—32), weiter die von den Geistern, Engeln und Dämonen (3 3—50)
und schließlich die Anthropologie und Sündenlehre (51—71). Der zweite
Teil (B = 72—127) ist der dualistischen Vorstellungswelt gewidmet.
Zunächst (72—75) ist vom Dualismus „im Menschenherzen" die Rede,
darauf von dem in der Welt (76—127). Der letzte Teil (C = 128—165)
ist überschrieben: „Die Gemeinde und ihre ethischen Ansprüche" und
gliedert sich in Abschnitt I: „Die Selbstbezeichnungen der Gemeinde"
(„Söhne des Lichts"; Schafherde usw.: 128—132); II: „Die Einheit der
Gemeinde und das Liebesgebot" (133—1 35); III: „Das Gebot der Gottes-
und Nächstenliebe" (13 5—142); IV: „Liebe und Haß" („Die Abgrenzung
nach außen": 142—147); V: „Rechtes und falsches Verhalten" (148—
153, mit einem Exkurs: „Tugend- und Lasterkataloge" 151 f); VI: „Das
Tun' der Tora" (153—165). Ein Literaturverzeichnis (166—177), ein
Sachregister (178) und ein sehr nützliches Stellenverzeichnis (179—196)
beschließen das mit großem Fleiß erarbeitete Buch.

Die Schwierigkeiten, vor die das Thema den Vf. stellte,
waren sehr groß. Das biblische Judentum wußte (auch wenn der
Schöpfungsglaube nicht immer so stark hervortrat wie in Gen.
1—2) von einem Dualismus so gut wie nichts. Wie ist dieser dann
in das nachbiblische Judentum hineingekommen? Der Vf. (der als
die Vertreter des „apokalyptisch bestimmten nachbiblischen
Judentums" die „Testamente der 12 Patriarchen" [= Test. XIII
und die Qumranschriften gewählt hat) antwortet: durch den Einfluß
des „chaldäisch-iranischen Synkretismus" (12). D.h. doch
wohl: Das Judentum wurde im Exil (und später) dem Einfluß des
babylonischen und persischen Dualismus ausgesetzt. Aber erklärt
das den Dualismus in einem Teil der Sektenschrift (1 QS III 13—
IV 26) wirklich (wo er unausgeglichen mit der Alleinherrschaft
Gottes streitet)?

Eine zweite Schwierigkeit entsteht dadurch, das sich der Vf.
auf die Test. XII beruft. Er hält sie für eine „Gruppe jüdischer
Schriften" (mit christlichen Interpolationen), deren wohl aramäischer
Grundstock aus dem 2. Jh. v. Chr. stamme. Allein die
griechischen Handschriften der Test. XII (die der Vf. benutzt),
sind spät (10.-16. Jh.). In Qumran (und der Geniza von Kairo)
haben sich Fragmente eines aramäischen Test. Levi gefunden, in
Qumran weiter Bruchstücke eines aram. Test. Naphtali. Daß im
1. Jh. n. Chr. schon die Test. XII, wie sie der Vf. verwertet, existierten
, ist nicht erwiesen. De Jonge, F. M. Braun und Rost halten
es für möglich, daß die griechischen Test. XII eine christliche Bearbeitung
und Erweiterung aus dem 2. Jh. n. Chr. sind.

Eine dritte Schwierigkeit liegt in der Tatsache, daß man beim
Johannesevangelium zwar von einem „eschatologischen Dualismus
" (der Jetzt-Entscheidung) reden kann, aber nicht von apokalyptischer
Zukunftserwartung. Der Vf. hilft sich durch die Annahme
: Das Evangelium und die Briefe des Johannes stammen
alle vom selben Autor (dem Zebedaiden?); also dürfe man stellvertretend
mit den apokalyptischen Aussagen des ersten Johannesbriefes
operieren. Diese Einheit des johanneischen Schrifttums ist
jedoch alles andere als sicher.

So sind diese (besonders von G. Stählin und Stauffer beeinflußten
) Lösungsversuche des Vf.s ernsthaften Widerständen
ausgesetzt, und erst die Zukunft wird erweisen, wie weit er sich
durchzusetzen vermag.

Münster/Westf. Ernst Haenchen