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Ausgabe:

1966

Spalte:

579-581

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ringgren, Helmer

Titel/Untertitel:

Israelitische Religion 1966

Rezensent:

Wagner, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 8

580

Ringgren, Helmer: Israelitische Religion. Stuttgart: Kohlhammer
[1963]. XI, 326 S., 1 Ktn.-Skizze gr. 8° = Die Religionen der Menschheit
, hrsg. v. Chr. M. Schröder, Bd. 26. Lw. DM 34.—.

In der von Christel Matthias Schröder herausgegebenen
Reihe „Die Religionen der Menschheit" liegt nun auch ein Band
über die „Israelitische Religion" vor, für den der bekannte
schwedische Alttestamentler und Religionshistoriker Helmer
Ringgren verantwortlich zeichnet. Mit ihm konnte für dieses
Unternehmen ein souveräner Kenner aller Probleme gewonnen
werden, die die Religion des Alten Testaments der Forschung
aufgibt. Die einschlägige Literatur ist bis in die neueste Zeit
hinein verarbeitet, die bescheidene Literaturübersicht auf S. X
verzeichnet wirklich nur die oft angeführten Bücher und Standardwerke
. Ringgren verfolgt bei der Darstellung der israelitischen
Religion die Absicht, „durch den Urwald verschiedener
Schulmeinungen und dogmatisch bedingter Urteile" hindurch
einen eigenen Weg zu gehen, der nicht einseitig einer bestimmten
Forschungsrichtung verpflichtet ist. Er weiß sich selber aber zugestandenermaßen
mit der sogenannten Uppsala-Schule freundschaftlich
verbunden (S. V), und diese Verbundenheit kann der
Verfasser eigentlich bei keinem Kapitel seines hervorragenden
Buches verleugnen, auch wenn er zuweilen erstaunlich viel Kritik
an seinen Freunden übt (z. B. an bestimmten Fragen der Pattern-
Theorie, des Kultdramas in Israel, der Gottheit Jahwes als einer
sterbenden und auferstehenden Gottheit u. a. m., vgl. S. 4. 78 f.
168. 175 f u. ö.). R. legt Wert darauf zu betonen, daß es ihm in
diesem Werk nicht um eine alttestamentliche Theologie zu tun
ist, sondern um die „deskriptive Darstellung" einer Geschichte
der israelitischen Religion (S. V. l). Er glaubt, dieser Aufgabe am
besten gerecht werden zu können, wenn er die Fragen der
Inspirition und Offenbarung von vornherein aus seiner Betrachtung
ausklammert und die alttestamentlichen Schriften „in erster
Linie als menschliche, historische Dokumente" ansieht, die „anderen
religiösen Urkunden" grundsätzlich gleichen und darum
mit den „Methoden historischer Kritik untersucht werden können
und müssen" (S. 2). Die Berücksichtigung „ .heilsgeschichtlicher'
Gesichtspunkte" gehöre dem Aufgabenbereich einer alttestamentlichen
Theologie zu. Durch solche Abgrenzungen meint R., seiner
Untersuchung den Charakter des Streng-Wissenschaftlichen erhalten
zu können. Leider begnügt sich der Verfasser mit wenigen
Bemerkungen zu diesen grundsätzlichen und methodischen Erwägungen
. Der interessierte Laie, an den sich vorliegende Publikation
hauptsächlich richtet, wird dabei keinen Mangel empfinden,
der Fachmann bedauert diese Zurückhaltung, da hier bereits wichtige
Weichen für den Weg der Stoffdarbietung gestellt werden.

Nach einer kurzen Einleitung, in der auch die Quellenfrage erörtert
wird (S. 1—13), kommt im ersten Hauptteil die Religion der vordavi-
dischen Zeit zur Darstellung (S. 15—49). Dieser Abschnitt ist unterteilt
in drei Kapitel, in denen nacheinander die religionsgeschichtlichen Probleme
der Erzväter-, der Mose- und der Richterzeit verhandelt werden.
Nach R. spiegeln die Patriarchenerzählungen „die Zusammenschmelzung
oder Identifizierung des Vätergottes und des kanaanäischen Hochgottes
" wider (S. 20). Das Schwergewicht des Buches liegt (auch umfangmäßig
) auf dem zweiten Hauptteil, der sich mit der Religion der Königszeit
befaßt (S. 50—271). Der Abhandlung geht wiederum eine kurzgehaltene
Einleitung voraus, in welcher der Autor auf literarische Fragen
und auf historische Ereignisse zu sprechen kommt, soweit sie für die Erhellung
der Religion in dieser Epoche Israels von Bedeutung sind. Hier
erhält der Leser geschichtliche Informationen über die Entstehung des
Königtums, über die neue Hauptstadt und den Tempel, sowie über das
einschneidende Ereignis der Reichsteilung mit den daraus resultierenden
religiösen Erscheinungsformen. Saul wird in diesem Zusammenhang bereits
als Inhaber eines sakralen Königtums vorgestellt, während die
„Ausgestaltung der Königsideologie" nach der Auffassung R.s erst unter
der maßgeblichen Beteiligung Davids erfolgt ist (S. 52). Ein besonderes
Problem stellt das der Uneinheitlichkeit der israelitischen Religion während
der Königszeit dar. R. rechnet hier mit dem Nebeneinanderbestehen
verschiedener Religionen, der offiziellen des Tempels, der des Königtums
, der volkstümlich-synkretistischen, der „der großen Schriftpropheten
" und der „des deuteronomistischen Kreises." Trotzdem habe jedoch
„eine gewisse grundsätzliche Einheit" geherrscht, die sich in der Assimilierung
und Umgestaltung nichtisraelitischer religiöser Elemente durch
den Jahweglauben vollzieht. Die Einheit liege im Endergebnis, nicht in
den „miteinander wetteifernden Tendenzen der Königszeit" (S. 51).
Wer nun bei solchen thetischen Darlegungen die Hoffnung hegt, diese
nebeneinander bestehenden Religionen definiert und in ihrem Verhältnis

zueinander abgestimmt zu erhalten, und wer zusätzlich die letzte Einheit
der Religion Israels sehen möchte, wird in den folgenden Kapiteln
weithin enttäuscht sein müssen. Der Autor kommt auf diese interessanten
Thesen leider nicht mehr zurück. Zur Verhandlung stehen jetzt die
großen Themen: Gott, Erscheinungsformen Gottes, Jahwe und die Götter,
Engel und Geister, Gott und Welt, Schöpfung und Geschichte, der
Mensch, der Mensch vor Gott, der Kult, die kultischen Amtsträger, das
Königtum, der Totenglaube, die Schriftpropheten (in dieser Abfolge und
stellenweise mit noch stärkerer thematischer Untergliederung). Ihre Behandlung
hat stark phänomenologischen Charakter. An der Ausbreitung
des immensen, diffizilen Materials zu all den religiösen Phänomenen
scheint dieser Hauptteil sein besonderes Interesse zu haben, weniger an
der historischen Fragestellung, weshalb es niemand wundern darf, daß
für das Thema „Gott in der Geschichte" (Unterabschnitt d. zu Kap. 5
„Gott und die Welt. Schöpfung und Geschichte") nur reichlich zwei
Druckseiten zur Verfügung stehen (S. 100—102). In der Quellenverwendung
fällt die reichliche Zitierung von Psalmstellen ins Auge. Dabei
werden unbekümmert älteste und jüngste Texte nebeneinander für die
Religion der Königszeit in Anspruch genommen. Die Datierung der einzelnen
alttestamentlichen Psalmen ist ja zugegebenermaßen außerordentlich
schwierig, aber R. hält auch sonst die Beweiskraft unbestritten alter
Belege neben erwiesenermaßen jungen Zeugnissen für ein und dasselbe
religiöse Phänomen in der .Königszeit' für gegeben. Die Geschichte der
israelitischen Religion (bzw. Religionen) ist ihm — wie es den Anschein
hat — kein überlieferungsgeschichtliches Problem. Zwar sind R. die
Schwierigkeiten in der Quellenlage nicht unbekannt, fordert er doch bei
Auswertung von Texten nachexilischen Ursprungs für eine Schilderung
vorexilischer Zeitereignisse ihre kritische Untersuchung und Vergleichung
mit vorhandenem vorexilischen Material (S. 50), doch ist eine solche
literarkritische Beurteilung der zur Darstellung dann tatsächlich herangezogenen
Belege schwer erkennbar. —

Der dritte und letzte, knapp 50 Seiten umfassende Hauptteil
(S. 272—318) versucht, die Religion im exilischen und nachexilischen
Zeitalter, im Judentum nachzuzeichnen. Methodisch ist der gleiche Weg
wie im 2. Hauptteil gewählt. Eine historische Einleitung stellt die geschichtlichen
Bezüge her. Das zweite Kapitel umreißt die allgemeinen
Kennzeichen des Spätjudentums, unter denen das Gesetz, die Gesetzesfrömmigkeit
und die torah-Theologie die dominierende, alles andere
gestaltende Stellung einnehmen (S. 276 ff). Und dann begegnen wir wieder
den nach systematischen Gesichtspunkten gegliederten Themen über
Gott und die Engel, Satan und die Dämonen, Gott und die Welt, den
Menschen vor Gott, den Auferstehungsglauben, den Kult und die
Priester, Eschatologie und Apokalyptik. Den Beschluß macht in diesem
Hauptteil das 10. Kapitel, das sich mit den .Parteiungen und Richtungen
im Spätjudentum beschäftigt (S 311 ff). Von des Josephus .drei philosophischen
Richtungen' ausgehend spannt sich der Bogen über Qumran.
das Diasporajudentum (mit Seitenblicken auf die jüdischen Söldner von
Elephantine im 5. Jh. v. Chr., auf den Oniastempel in Ägypten und auf
die hellenistischen Kreise, die hinter dem LXX-Unternehmen stehen)
bis hin zu Philo von Alexandrien. Den Darlegungen folgt eine Zeittafel
mit 2 5 chronologischen Angaben. Mit Dank wird der Leser das ausführliche
Namen- und Sachregister benutzen, das fehlende Stellenregister
wird er aber sehr vermissen.

Ein unbestrittener Vorzug des Buches besteht darin, daß es
überall eine sachkundige Information vermittelt, die durch die
zahlreichen Literaturhinweise nicht bei sich selber bleiben will-
Auch der Fachtheologe wird gern diese ,ReIigionsgeschichtc
Israels' als Nachschlagewerk nutzen, selbst wenn er an vielen
Stellen ganz anderer Auffassung ist. Die Ausführungen R.s regen
zur Auseinandersetzung an. Das gilt nicht nur für einzelne Probleme
, sondern — wie schon angedeutet werden konnte — auch
für grundsätzliche Fragen. Um aus der Fülle des Diskussionsstoffes
ein paar Streitpunkte herauszugreifen, so sei das Verständnis
des Königtums auf den S. 201—218 erwähnt, das zu Gesprächen
mit dem Verfasser auffordert. Es dürfte viele geben, die
Ringgren in der Bevorzugung der „(jerusalemischen) Königspsalmen
" als Quelle, vor allem in dieser Breite nicht zustimmen
werden. Daß die nachexilische Prophetie „keine grundsätzlichen
Unterschiede zur vorexilischen" aufweist (S. 302), ist wohl ein
wenig extrem gesagt, so wie überhaupt einige Definitionen zum
Thema „Die Schriftpropheten" (S. 226 ff) sicherlich von den verschiedensten
Positionen her angefochten werden können. Kant1
man wirklich so ungeschützt sagen, daß die israelitischen Pr0'
pheten unbewußt „in der Schuld kanaanäischer . . . Vorstellungen
und Bräuche" standen, daß ihre prophetische Messiashoffnung der
„ursprünglich kanaanäisch beeinflußten Königsideologie" entstammt
(S. 227)? Und ist tatsächlich die Grenze zwischen Pf°"
phetie und Apokalyptik nicht absteckbar (S. 303)? Oder liegt das