Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1966

Spalte:

575-576

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Gelebte Einheit 1966

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

575

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 8

576

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

[Visser 't H o o f t, W. A.:] Gelebte Einheit. Ökumenischer
Dialog. Festschrift für W. A. Visser 't Hooft, hrsg. v. R. C. M a c k i e
u. Ch. C. West. Übers, v. A. B o y e n s. Mit Geleitwort v. D. A.
Wischmann. Stuttgart: Evang. Missionsverlag [1965]. 227 S.,
4Taf. gr. 8°. Lw. DM 19.80.

Die englische Originalausgabe war die Festschrift zum 25jäh-
rigen Dienstiubiläum von W. A. Visser 't Hooft als Generalsekretär
des Ökumenischen Rates der Kirchen im Jahre 1963. Die
deutsche Ausgabe erschien nun im Jahr seines 65. Geburtstags.

Die Herausgeber und Mitarbeiter haben gar nicht erst den
ohnehin aussichtslosen Versuch unternommen, in diesem Sammelwerk
die weitgespannte Tätigkeit des Generalsekretärs darzustellen
und die große Zahl derer zu Wort kommen zu lassen, die
mit ihm in der Ökumenischen Bewegung zusammengewirkt haben.
Trotzdem oder gerade deshalb vermitteln die fünfzehn Beiträge
dieses Bandes einen beziehungsreichen Einblick in die ersten
25 Jahre des Ökumenischen Rates, die durch die Initiative und
den Dienst von Visser 't Hooft geprägt sind.

Es sind Einzelszenen, in denen etwa R. C. Mackie, J. L. Hro-
madka, Suzanne de Dietrich und Bischof H. K. Sherill von ihrer
Begegnung und Zusammenarbeit mit dem Generalsekretär berichten
, die aber zugleich zeigen, wie schwierig es ist, diese Persönlichkeit
und ihr Wirken im journalistischen Stil als ,image' oder
im erbaulichen Sinne als ,Ikone' zu beschreiben.

Als ein gewiß mehr zufälliges aber doch bezeichnendes Merkmal
kommt in fast allen Beiträgen zum Ausdruck, wie stark die
Ökumenische Bewegung das theologische Denken in den einzelnen
Gliedkirchen des Ökumenischen Rates angeregt hat, wie
aber auch in gegenseitigem Geben und Empfangen theologische
Erkenntnisse und lebendige Erfahrungen einzelner Kirchen zu
einem Gemeingut der Christenheit werden. So schildert z. B.
Martin Fischer in seinem Beitrag die Zusammenhänge zwischen
der Bekennenden Kirche und der Ökumenischen Bewegung in der
Zeit des Kirchenkampfes. Einige Seiten später berichtet M. M.
Thomas, ein Mitglied der indisch-syrischen Mar-Thoma-Kirche,
von der Bedeutung, die die Erfahrungen der Christenheit in
Deutschland für das christliche Bekenntnis in den nationalistischen
Bestrebungen und der Unabhängigkeitsbewegung in Asien und
Afrika gewonnen haben.

Ein ähnliches Beispiel für die Durchbrechung der konfessionellen
und geographischen Differenz bilden auch die beiden Beiträge
ostkirchlicher Theologen. G. Florovsky entwickelt seinen
.Lieblingsgedanken', die Unterscheidung zwischen "Ecumenism in
time" und "Ecumenism in space". „Ökumene im Raum" versteht
er als die Konfrontation der getrennten Kirchen im Sinne einer
traditionellen Kontroverstheologie oder komparativen Ekklesio-
logie. „Ökumene in der Zeit" hingegen steht für den seit der
Lunder Konferenz für Glauben und Kirchenverfassung von 1952
in den Vordergrund gerückten Gedanken, nach dem Zertrennung
und Einheit unter dem geschichtlich-eschatologischen Aspekt der
einen Kirche gesehen werden. Dabei wird deutlich, wie hier ein
Berührungspunkt für in ihrem Ansatz zunächst völlig divergierende
ekklesiologische Konzeptionen gefunden wurde. Dasselbe
zeigt sich in den Erwägungen, die N. A. Nissiotis unter dem
programmatischen Thema „Die Einheit der Gnade" vorlegt.

Einen Einblick in die Anregungen, die von der Ökumenischen
Bewegung für die Entwicklung der Sozialethik ausgegangen
sind, bieten die Aufsätze von Reinhold Niebuhr, Paul R.
Abrecht und H. R. Weber. Es ist eindrucksvoll zu sehen, wie gerade
auf diesem Gebiet die Ausweitung des Horizonts in der
Begegnung verschiedener Kirchen und theologischer Traditionen
nicht zu einem ökumenischen oder sozialethischen Pragmatismus,
sondern, wie besonders die Untersuchung von Weber über die
Charismen zeigt, zu echter theologischer Besinnung geführt hat.

Mit Yves Congar ist auch eine Stimme aus der römischkatholischen
Kirche vertreten. In diesem Beitrag wird vor allem
das Problem der Einheit unter dem Gesichtspunkt von Buße oder
Umkehr der Kirche aufgenommen.

Die Festschrift für den Generalsekretär des Ökumenischen
Rates ist eine Sammlung von mehr oder minder zufälligen Ausschnitten
. Sie alle lassen aber das besondere Verdienst Von Visser
't Hooft erkennen, der in der zunehmenden Kompliziertheit des
ökumenischen Apparats und der kirchlichen Beziehungen immer
wieder auf eine theologische Besinnung gedrungen und Mitarbeiter
für diese wichtige Aufgabe gewonnen und begeistert hat.

Heidelberg Reinhard Sie n czka

ALTES TESTAMENT

Scharbert, Josef: Heilsmittler im Alten Testament und im Alten
Orient. Frciburg-Basel-Wien: Herder |1964]. 346 S. 8° = Quaestiones
Disputatae, ed. K. Rahner und H. Schlier, 23/24. Kart. DM 26.80.

Der Verf. hat das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft
bereits 1958 in einer umfassenden Arbeit über „Väterfluch und
Vätersegen" behandelt, die als 1. Band eines umfassenden Werkes
über die Solidarität in Segen und Fluch im Alten Testament und
in seiner Umwelt gedacht war und die Forschung durch wichtige
Erkenntnisse über den Solidaritätsgedanken in Familie und Sippe
bereicherte. In engem Zusammenhang damit, aber als selbständige
Publikation veröffentlicht er nun eine Untersuchung über das
Problem der Solidarität zwischen Mittler und Volk in der richtigen
Erkenntnis, daß das Thema ..Heilsmittler im Alten Testament
und im Alten Orient" schon für sich betrachtet allgemeines
Interesse in der wissenschaftlichen Welt finden müsse. In der Tat
faßt dieses Werk bisher nur in Einzcluntcrsuchungen vorliegende
Ansätze zur Behandlung des Problems in einer umfassenden und
die Vielseitigkeit des Gegenstands ausschöpfenden Gesamtbetrachtung
zusammen, die der Bedeutung des Gegenstandes gerecht
wird und das Interesse weitester Kreise gewinnen dürfte.

Der erste Teil, „Mittler im Alten Orient", bietet eine wohlfundierte
Übersicht über den Mitt'ergedanken in der Umwelt
Israels, der die bisher feststellbaren Tatsachen in nüchterner und
allen Übertreibungen gegenüber kritischer Auswertung vorführt.
Dabei muß sich allerdings die zeitweise stark überschätzte Mittlerfunktion
des sakralen Königtums eine starke Reduktion gefallen
lassen. Es treten nicht nur die bedeutsamen Unterschiede im
Denken der .i'torientaliscben Völker hervor die eine einheitliche
altorientalicche Mittlervorstellnng nicht aufkommen lassen, sondern
auch die Verbindung zwirnen König und Volk läßt es nur
selten zu einer eigentlichen Mitt-lei-stellung de« ereteren kommen,
die über die allgemeine Beschaffung der Woh'fihrt der Untertanen
hinausginge und zu einer sühnenden Mittlerschaft für die
Schuld des Volkes führen würde. Ob damit allerdings über die
babylonische Bußzeremonie des Königs am Neujahrsfest das letzte
Wort gesprochen ist, läßt sich bezweifeln.

Der weitaus größte Teil des Buches ist aber der Durchmusterung
der für das behandelte Thema wichtigen alttestamentlichcn
Texte gewidmet, die in der Reihenfolge der alttestamentlichcn
Bücher vom Pentateuch bis zur Wcisheitsliteratur auf ihre Aussagen
über Mittlerpersonen überprüft und ausgelegt werden. Das
hat den Vorzug, genügenden Raum für eine sorgfältige Exegese
zu lassen, die denn auch in umsichtiger Berücksichtigung der schon
vorhandenen Erklärungsversuche dargeboten wird, wobei neben
den Geschichtsüberlieterungen die Propheten besonders ausführlich
zu Worte kommen und stark umstrittene Perikopen wie die
Ebed-Jahwe-Lieder (der Verf. glaubt im Ebed den Propheten selbst
erkennen zu müssen) die gebührende Beachtung finden. Freilich
hat diese Möglichkeit vertiefter Exegese den Nachteil, daß Zusammengehöriges
auseinandergerissen und Überschneidungen in
Kauf genommen werden müssen, die die Gewinnung eines geschlossenen
Bildes erschweren. Der Verf. sucht diesen Mangel
dadurch auszugleichen, daß er das weit zerstreute Material i"1
dritten Teil noch einmal in systematischer Ordnung mit seinen
Aussagen über die verschiedenen Bundesmittler: Vorkönigliche
Charismatiker, Könige, Priester, Propheten, Märtyrer und das
Volk vorführt und so zur Auswertung der breit angelegten Exegese
schreitet. Dabei kommen dann auch die Verschiebungen in1
Bilde großer Führer wie des Mose, der Richter u. a. durch die
verschiedenen Traditionsschichten zur Geltung. Der Vf. sieht