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Ausgabe:

1966

Spalte:

35-36

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kapelrud, Arvid Schou

Titel/Untertitel:

Vaux, Roland 1966

Rezensent:

Michel, Otto

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 1

36

P a 1 m e r, Martin: The Cardinal Points in Psalm 48 (Bibl 46, 1965
S. 357—358).

Priest John: The Covenant of Brothers (JBL LXXXIV, 1965 S. 40O
—406).

Reese, James M.: Plan and Structure in the Book of Wisdom

(CBQ XXVII, 1965 S. 391-399).
Rosenberg, Roy A.: Jesus, Isaac, and the „Suffering Servant"

(JBL LXXXIV, 1965 S. 381-388).

Seierstadt, Ivar P.: Die Offenbarungserlebnisse der Propheten
Arnos, Jesaja und Jeremia. Eine Untersuchung der Erlebnisvorgänge
unter besonderer Berücksichtigung ihrer religiös-sittlichen Art und
Auswirkung. 2. Aufl. Oslo: Universitetsforlaget [1965). 271 S. 8°.
N. Kr. 48.-.

s. Bespr. in ThLZ 1950 (75. Jg.), Sp. 604.

Tsevat, Matitiahu: The House of David in Nathan's Prophecy
(Bibl 46, 1965 S. 353—356).

T r i 11 i n g , Wolfgang: Im Anfang schuf Gott. . . Eine Einführung in
den Schöpfungsbericht der Bibel. Freiburg—Basel—Wien: Herder
[1964]. 141 S. 8°. DM 10.80.
(s. Bespr. in ThLZ 1965 (90. Jg.), Sp. 825.)

T u n y o g i, Andrew C.: The Book of the Conquest (JBL LXXXIV,
1965 S. 374—380).

Ungern-Sternberg, Rolf von: Die Bezeichnungen „Licht" und
„Finsternis" im Alten Testament (DtPfrBl 65, 1965 S. 642—646).

Vawter, Francis: Neue Literatur über die Propheten (Concilium 1,
1965 S. 848—854).

Vogt, E.: „Regen in Fülle" (Psalm 68, 10—11) (Bibl 46, 1965 S. 3 59
—361).

Wallis, Gerhard: Die vierzig Jahre der achten Zeile der Mesa-
Inschrift (ZDPV 81, 1965 S. 180—186).

Welten, Peter: Bezeq (ZDPV 81, 1965 S. 138-165).

W i 1 d b e r g e r , Hans: Das Abbild Gottes, Gen. 1, 26—30 (II)
(ThZ 21, 1965 S. 481—501).

Yamauchi, Edwin M.: Tammuz and the Bible (JBL LXXXIV, 1965
S. 283—290).

NEUES TESTAMENT

Grass er, Erich: Der Glaube im Hebräerbrief. Marburg: EI wert 1965.
VII, 252 S. gr. 8° = Marburger theologische Studien, hrsg. v. H. Graß
und W.G.Kümmel, 2. DM 34.—; Lw. DM 39.—.

Zur allgemeinen Orientierung: Es handelt sich hier um
eine Marburger Habilitationsschrift, die um einen nachgetragenen
Exkurs erweitert wurde, und deren Anregung vor allem auf W. G.
Kümmel zurückgeht. Die Durcharbeitung der ganzen theologischen
Fragestellung, vor allem auch der gegenwärtigen systematischen
Diskussion und die Herausstellung eines eigenen theologischen
Entwurfes und Wollens fallen jedem Leser angenehm auf und zeigen
ebenso wie der vorangehende Literaturbericht (Theol. Rundsch. 30,
1964) eine intensive Beschäftigung mit der Exegese des Hebräerbriefes
an. In der Akzentuierung und thematischen Durchführung
schließt sich der Verfasser stark dem Entwurf von E. Käsemann,
Das wandernde Gottesvolk, 1938, an. Religionsgeschichtlich bedeutet
dies: trotz aller Rückgriffe auf AT und späteres Judentum
legt sich der besondere geistesgeschichtliche Akzent ganz von
selbst auf hellenistische Begrifflichkeit und die (als wahrscheinlich
angenommene) gnostische Tradition (vgl. S. 115.117.144). „Ohne
das Medium des Alexandrinismus und des von ihm bewahrten
griechisch-hellenistischen Erbes führt kein Weg zum Verständnis
des Glaubensbegriffes im Hb. Das at.liehe Erbe ist ihm nicht einfach
versunken. Im Gegenteil: in kaum einer zweiten Schrift des
NT's lebt es so kräftig fort wie in unserem Brief. Aber in
einer so charakteristisch modifizierten Weise, wie sie allein im
geistigen Bereich des spätjüdischen Hellenismus möglich war"
(S. 144). Allerdings setzt sich der Verfasser von der religionsgeschichtlichen
Fragestellung, wie sie eindrucksvoll von H. Windisch
(Kommentar 2. Aufl. 1931) betont, ab: es geht in unserem
Brief letzlich um eine hermeneutische Sorge, nämlich die
Neuinterpretation des Kerygmas in der nachapostolischen Zeit.
Damit ist der Anschluß an bestimmte grundsätzliche Überlegungen
gewonnen, die in den letzten Jahren weithin Boden gefaßt haben:
Wir dürfen bei einer Spätverkündigung niemals nach der „Identität
" mit der Erstverkündigung fragen, sondern nach ihrer
„Korrespondenz" zu ihr: die Veränderung ist notwendig, gefährlich
ist aber die „Verfälschung" (S. 219). Zur Besonderheit
der Fragestellung: 1. Wichtig ist die Feststellung, daß zwar
das österliche Kerygma aufgenommen und entfaltet wird, nicht
aber der nachösterliche Glaubensbegriff. Wie ist die Zerreißung
dieser inneren Einheit möglich? (S. 147). Linser Verfasser geht
hier einen bestimmten Weg: Er befragt das benachbarte Schrifttum
der nachapostolischen Briefliteratur nach seinen Struktureigentümlichkeiten
und vergleicht es mit unserem Brief. Dabei stellt
sich das Besondere unseres Briefes heraus: seine eschatologischen
Grundbegriffe und Vorstellungen sind nicht mehr zeitlich, sondern
transzendental räumlich; es kommt ihnen nicht so sehr auf die
Dauer als vielmehr auf die Stabilität an (S. 174). Der Hebräerbrief
hat offenbar den gnostischen Gedanken vom Aufstieg der
Seele zur himmlischen Ruhe umgedeutet in den Gedanken von
der Wanderschaft des Gottesvolkes auf Erden zur himmlischen
Heimat (S. 182). Glaube ist für Hb nicht mehr ein die christliche
Existenz begründendes Ereignis, sondern eine bestimmte Haltung.
Bewährung, Tugend und Erkenntnis (im letzten Sinn: Einsicht in
die wahren Realitätsverhältnisse). „Freilich hat man zu fragen, ob
unser Verfasser hier um seines weltbildlichen Schemas willen und
der versuchten Akkomodation des Glaubensverständnisses an dasselbe
nicht einen intellektuellen Zug in die Pistis einträgt, mit
dem er die Grenze der Rechtgläubigkeit überschreitet" (S. 215).
2. Ein Christentum, das die grundlegende Paradoxie des Schon
jetzt =: Noch-nicht nicht mehr durchführen kann bzw. sich gegen
die andringende unerlöste Wirklichkeit nicht mehr zu behaupten
weiß, kann phänomenologisch wieder als „Judentum" erscheinen.
Denn eine wesentlich zukünftig gerichtete Heilserwartung, ein
Verstehen des eschatologischen „Zwischen" als purer Zwischenzeit,
ein Nichtverstehen des im Indikativ begründeten Imperativs muß
zwangsweise dieselben religiösen Kräfte und Motive mobilisieren,
die das Judentum bereits hatte — und nicht nur das Judentum
(S. 167). Hb steht, wie sein weltbildartig strukturierter Glaubensbegriff
beweist, in einer neuen Zeit, so daß eine bezeichnende
Umformung und Uminterpretation der christlichen Verkündigung
notwendig ist (S. 219). An diesem Punkt scheint mir die durchgehende
Fragestellung nicht konsequent durchgehalten zu sein:
wenn gerade das Bezeichnende der urchristlichen Verkündigung —
die eschatologische Paradoxie — nicht mehr zur Frage steht, wie
kann es dann noch eine legitime Interpretation geben? Noch ein
zweites Bedenken grundsätzlicher Art soll auch zur Sprache
kommen: E. Grässer schließt sich ohne Vorbehalt dem Gnosis-
Entwurf von E. Käsemann 193 8 an und sieht sogar in dem Erscheinen
dieses sicherlich wichtigen Werkes geradezu eine neue
Epoche der Forschung anbrechen (vgl. das Referat in der Theol.
Rundschau). Als Mitbeteiligter wenigstens im deutschen Sprachraum
möchte ich nicht widersprechen, doch halte ich auch andere
Akzentsetzungen in der Geschichte der Forschung für möglich.
Solange die verschiedenen Entwicklungen der jüdischen Chokma-
tradition so wenig gekannt sind, die Lebens- und Denkformen
des jüdischen Hellenismus so summarisch behandelt werden, wie
es oft geschieht, ist es sehr schwer, analoge christliche Erscheinungen
einzuordnen. Die Dialektik zwischen Judentum und Christentum
, jüdischer und christlicher Diasporaexistenz könnte den
Hebräerbrief auch in einem neuen Licht erscheinen lassen.

Einzelne Literaturwünsche: C. Colpes Buch (1961) wird zwar in der
Literatur aufgeführt, ist aber auffallenderweise nicht wirklich zu Rate
gezogen (vgl. S. 23 8 Index); eine Auseinandersetzung mit C. Colpe hätte
vielleicht das religionsgeschichtlidie Bild modifizieren können. Schmerzlich
vermisse ich in der deutschen Forschung die Kenntnis der Werke
von A. Tcherikover und S. Lieberman über den jüdischen Hellenismus.
Jedenfalls besteht aller Grund, sich vor historischen und religionsgeschichtlichen
Verfestigungen im Urteil zu hüten, die Prozesse sind
noch sehr im Fluß. Nicht benutzt scheint in Theol. Rundschau — soviel
ich sehe — und im Buch F. W. Grosheides Kommentar. Da sonst die
Literatur sehr sorgfältig benutzt wurde, soll diese Anmerkung ergänzen,
nicht kritisieren.

Ich darf hoffen, daß diese besonnene und fleißige Arbeit in
die Auseinandersetzung über den Hebräerbrief befruchtend eingreift
.

Tübingen Otto Michel