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Ausgabe:

1966

Spalte:

551-553

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Reinerth, Karl

Titel/Untertitel:

Das Heltauer Missale 1966

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 7

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stand, aus unserer Generation etwa 20 neue Lieder in künftige
Gesangbücher hinein, so wäre das angesichts des beim Kirchenlied
gebotenen strengen Maßstabs eine glänzende Leistung. Ein „gültiges
" Gesangbuchlied ist ja keine Marktware, sondern eine köstliche
Perle.

Beim Überblick über das Vorhandene (und das ist der Hauptteil
des Buches) ist zwar die Großzügigkeit des zur Debatte aufgebotenen
Materials anzuerkennen, jedoch die geschmackliche Toleranzgrenze wird
weit überschritten. Es ist kein Fehler, sondern die einzige Qualität des
neuen Anhangs zum Württ. Gesangbuch, daß Verse von Helmut Bornhak,
neben anderer Mittelqualität, nicht auch noch darin Aufnahme gefunden
haben. „Ach, du siehst doch unsre Sünden/in den tiefsten Seelengründen"
. . . „Wie ist deine heil'ge Liebe, Herr, so stark! Alle hält sie uns umschlungen
, jedem ist sie eingedrungen/bis in seines Lebens Mark" — das
ist nicht gesangbuchreif, sondern gartenlaublich. Das Kirchenlied kann
hinter den Anspruch des .Klassischen' nie zurückgehen; .klassisch' nicht
als Epochenbegriff verstanden, sondern als Harmonie von Form und
Inhalt, freilich in einer heute verantwortbaren, redlichen Sprache, nicht
als gut imitierter Reformatorenstil, was überhaupt keine Kunst ist.
Heinrich Vogels geistige Kraft im Lied wird beständig neutralisiert
durch archaisierende Sprache. R. A. Schröder überzeugt mehr, steht aber
(seiner phänomenalen Sprachbegabung wegen) dauernd in der Gefahr des
klingenden Formalismus, — von „Dichtern" wie Kurt Ihlenfeld gar nicht
zu reden. Elementar und unmittelbar spricht dagegen — in wenigen,
echten Versen —Jochen Klepper; in einem einzigen („Von guten Mächten
") Dietrich Bonhoeffer. Aber beide sind nicht mehr . . . Neues Lied
der Kirche kommt eben nicht aus christbürgerlicher Ruhe, sondern aus
radikaler Anfechtung. Das hieße aber: Aus einer Kirche, die sich (auch
in ihrem Lied) nicht bloß bestätigt hören oder mittels des Gemeindegesangs
sich vor der Welt fromm produzieren will, sondern die sich begründeter
Kritik (auch einer kritischen Theologie) stellt. Luther war
zugleich Kritiker und Dichter der Kirche. Es ist eine anmutige Wanderlegende
, aber dennoch eine Legende, daß „ein Pfarrer formuliert hat,
man finde jeden zweiten Sonntag im ganzen Gesangbuch kein passendes
Lied, das dem anthropologischen Ansatz moderner Bultmannscher Theologie
gerecht würde" (S. 127). Wir finden deren immer genug; und es ist
andererseits keine Legende, sondern eine Tatsache, daß die Theologen
genannter Provenienz die großen, klassischen Osterlieder sehr gerne
singen lassen (weil sie vorzüglich zu ihrer Predigt passen), während der
Pietismus sie links liegen läßt.

Der Vf. gibt (Teil IV, S. 129 ff) interessanten Einblick in
briefliche und mündliche Äußerungen und Stellungnahmen zum
heiklen Problem neuer Lied-Melodien (Willy Burkhard; Hans
Friedrich Micheelsen). Ob man mit dem (übrigens vorsichtigen
und selbstkritischen) Urteil der Komponisten einig geht, stehe
dahin; sicher aber ist, daß Pfarrer und Kantoren sich selber, alsdann
auch der Gemeinde, gut und gerne Neues zumuten dürfen
und sollen; allerdings mit Geduld und mit erläuterndem Lernen.
Die Einheit von neuem Wort und neuer Weise (sofern sie gelingt)
ist besser als der Umweg über Leih-Melodien. Mit diesem Kapitel
wird aber kein Buch fertig; auch dieses nicht. Die Kirche ist hinsichtlich
der Verschwisterung von Wort und Ton immer unterwegs
.

Mainz Manfred Mezger

Reiner th, Karl: Das Heltauer Missale (Cod. Heltensis Nr. 8/l3/m
saec. XIV). Eine Brücke zum Lande der Herkunft der Siebenbürger
Sachsen. Köln-Graz: Böhlau 1963. XXIII, 151 S., 3.Taf. gr. 8° = Sie-
benbürgisches Archiv, 3. Folge. Hrsg. v. Arbeitskreis f. Sieben-
bürgische Landeskunde, Bd. 3. Kart. DM 16.—.

In einem Aufsatz in Jg. 84/1959, Sp. 25—44 dieser Zeitschrift
(„Ein neuer liturgiegeschichtlicher Beitrag zur Erforschung
der Herkunft der Siebenbürger Sachsen") hat der Verf. die Ergebnisse
seiner Untersuchungen zur Geschichte des siebenbürgisch-
sächsischen Gottesdienstes in vorreformatorischer Zeit bereits in
den Grundzügen dargelegt. Die dort (Sp. 26, Anm. 6) angekündigte
Arbeit über das Heltauer Missale liegt nun im Druck vor.
Gegenstand dieser Spezialuntersuchung ist eine Handschrift aus
dem 14. Jahrhundert, die im Pfarramtsarchiv der Gemeinde
Heitau bei Hermannstadt aufbewahrt wird und ein vormals dort
verwendetes Vollmissale darstellt, das sich in wesentlichen Punkten
von den anderen liturgischen Handschriften der siebenbür-
gisch-sächsischen Kirche — insbesondere von denen der Hermannstädter
Observanz („Missale Cibiniense") — unterscheidet.

Der Versuch ist nicht neu, mit Hilfe liturgiegeschichtlicher
Zusammenhänge die „Urheimat" der Siebenbürger Sachsen näher

zu bestimmen. Gegenüber Adolf Schullerus („Geschichte des
Gottesdienstes in der siebenbürgisch-sächsischen Kirche", Hermannstadt
1928) und Erich Roth („Die Geschichte des Gottesdienstes
der Siebenbürger Sachsen", Göttingen 1954) beschreitet
der Verf. jedoch einen neuen Weg: Während jene ihre Untersuchungen
im wesentlichen auf Handschriften vom Typus des
Cibiniense beschränken, legt der Verf. seiner Arbeit die von
seinen Vorgängern nicht beachtete Heltauer Handschrift zugrunde,
die — wie er nachzuweisen versucht — die ursprüngliche Überlieferung
besser bewahrt hat als die anderen Handschriften, und
deshalb besonders geeignet ist, Aufschlüsse über die Urheimat
und den Wanderweg der Siedler zu geben, die im 12. Jahrhundert
nach Siebenbürgen einwanderten.

In seiner sehr gründlichen, alle Einzelheiten erfassenden
Darstellung folgt der Verf. dem Aufbau des Meßbuches und behandelt
nacheinander das Proprium de tempore, das Proprium de
Sanctis und das Commune Sanctorum (einschließlich Votiv- und
Requiemsmessen). Innerhalb der beiden ersten Abschnitte untersucht
er zunächst die Oration, dann die Lesungen und Gesänge,
wie es ja auch durch die ursprüngliche Gliederung der liturgischen
Bücher in Sakramentar, Lektionar und Antiphonar nahegelegt
wird (die sich im Commune Sanctorum der Heltauer Handschrift
noch erhalten hat). Besondere Aufmerksamkeit wendet der Verf.
den Weihehandlungen zu. während die Präfationen und der —
zwischen Pfingstvigil und Tagesmesse des Pfingstfestes — eingefügte
Kanon (der ursprüngliche Kanon wurde herausgeschnitten
und im 15. Jahrhundert durch einen am Cibiniense orientierten
Kanon ersetzt) für seinen Zweck weniger ergiebig sind. Ein eigentliches
„Ordinarium Missae" fehlt in der Handschrift ganz. In
einem letzten Abschnitt untersucht der Verf. die Sequenzensammlung
, die dem Missale als Anhang beigefügt ist.

Reinerth gelingt der Nachweis, daß dem Heltauer Missale ein
„Sakramentar der Alkuinklasse* zugrundeliegt, eine typische „gregorianische
Mischhandschrift", in der die Verschmelzung von Gregorianum
und dem Supplement des Alkuin noch nicht restlos erfolgt ist. Diese
Vorlage, die mindestens bis in das 11. Jahrhundert zurückreicht, muß
von den Siedlern aus ihrer Urheimat mitgebracht worden sein. U. a.
macht das der Verf. an den Orationen der Pfingstoktav und des 3. Sonntags
nach der Pfingstoktav deutlich, die in unserer Handschrift noch (wie
bei Alkuin) als Dubletten erscheinen, während sie in den späteren Handschriften
(seit dem 11. Jahrhundert) ganz verschwinden.

Dem Verf. gelingt es weiter, als ursprüngliche Heimat jenes grundlegenden
Sakramentars den Bereich der Kölner Diözese (insbesondere
die „Linie Köln-Aachen-Lüttich") wahrscheinlich zu machen. Nach ihrem
Aufbruch aus dieser ihrer niederrheinischen Heimat müssen sich die Siedler
dann noch längere Zeit im niederdeutschen Raum, insbesondere in
der Gegend von Magdeburg, aufgehalten haben; hier wurde das Sakramentar
durch ein Lektionar und ein Graduale ergänzt, die beide ganz
wesentlich auf niederdeutschen, vornehmlich magdeburgischen Ursprung
zurückzuführen sind, wie eine Untersuchung der betreffenden Partien
des Heltauer Meßbuches ziemlich eindeutig ausweist. Ebenfalls im niederdeutschen
Raum wurden die Weihehandlungen sowie eine zusätzliche
Reihe von Heiligenmessen in das Formular aufgenommen. Die einzelnen
Teile wurden vielleicht erst in der neuen Heimat zu einem Vollmissale
zusammengefügt.

Durch diese Darstellung wird die gängige Auffassung, nach
der die mittelalterliche Gestalt des siebenbürgisch-sächsischen
Gottesdienstes im wesentlichen auf den Graner Ritus (das „Missale
Strigoniense") zurückzuführen sei, zumindest für den Codex
Heltensis widerlegt; widerlegt wird auch die (noch von Schullerus
und Roth angenommene) These von der „moselfränkisch-luxemburgischen
Urheimat" der Siedler. Kölner und Magdeburger,
niederrheinisch-niederdeutscher Einfluß ist vielmehr in ganz entscheidendem
Maße an der Entwicklung des Gottesdienstes der
Siebenbürger Sachsen beteiligt gewesen; die vom Verf. in seinem
erwähnten Aufsatz angeführte These der neueren Mundartforschung
von der „rheinischen Grundlegung" und der (nieder-)
„sächsischen Eindachung" der siebenbürgisch-sächsischen Mundart
scheint auch auf die liturgiegeschichtlichen Gegebenheiten Anwendung
finden zu können.

An drei Stellen (S. 50, 52, 140) sieht sich der Verf. veranlaßt
, auf seinen evangelischen Standpunkt hinzuweisen; ansonsten
muß man das Geschick bewundern, mit dem er in das nicht immer
erfreuliche „Urwalddickicht" der mittelalterlichen Liturgiege-