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Ausgabe:

1966

Spalte:

541-544

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Rahner, Karl

Titel/Untertitel:

Offenbarung und Überlieferung 1966

Rezensent:

Beintker, Horst

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 7

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kanntcs — wichtig für die Historiker der okzidentalen Ethik, ja
für eine Geschichte der Moralcn überhaupt. Wir werden hier nicht
nur mit einigen der großen weltbekannten Moralisten des französischen
klassizistischen Jahrhunderts aufs neue vertraut gemacht
, sondern erfahren auch, welchen geistesgeschichtlichen
Trad itionen sie ihre Begriffe und Wertungen verdanken. Die
Erörterungen des Autors führen uns bis in die Renaissance
zurück, deren Moralisten ihrerseits meist Anhänger der Lehren
des Seneca und des Epiktet sind. So fußt z. B. der „Traite des
Passions" des Descartcs zuletzt auf den Grundeinsichten der
Ethiker des 16. Jahrhunderts (du Vair, Charron, Lipsius, welch
letzterer geradezu als Erneuerer des Seneca bezeichenbar ist).
Hier überall nimmt — echt stoisch — die raison, die Vernunft
«en ersten Rang ein, und Tugend wird jenem Wollen gleichgesetzt
, das der raison gehorcht; solcher Gehorsam gilt zugleich
als Glück — eine Gleichung, die wir auch bei einem so pronon-
ciert christlichen Moralisten wie Francois de Sales finden. Breit
behandelt der Autor die von Ficino (im Florenz des ^.Jahrhunderts
) ausgehenden platonischen Traditionen, die lange Zeit
jenem soeben genannten Neustoizismus entgegenwirken: Pascal,
Jansenius, Bossuet und Malcbranche gründen in diesen Überlieferungen
.

Unmöglich, das komplizierte Gcfädcl der Einwirkungen und
Abhängigkeiten der französischen Moralisten hier auch nur andeutungsweise
wiederzugeben. Gründlicher als in diesem Traktat
könnte kein Ethik-Historiker sein. (Die Angaben allein der
Primären Quellen sind 14 Seiten lang!) Wer das Buch gelesen hat,
das freilich auch manche peripheren Details überdeutlich herausstellt
, wird das besondere Pathos der Ruhm und Ehre vergötzen-
den Helden etwa des Corneille besser begreifen und wird verstehen
, warum die Rede vom „grand siecle" der Franzosen einen
gefährlichen Mythus impliziert (den Voltaire geschaffen hat); er
wird die Essais des Montaigne historisch einordnen können,
Boilcaus Spott auf die überlebensgroßen Heroen der klassizistischen
Tragödie und die bitteren Wahrheiten des La
Rochefoucauld verständnisvoll würdigen und erkennen lernen,
wie sogar das von Moliere verhöhnte Gehabe der aristokratischen
Preziösen („Les precieuses ridicules") seinen zeitbedingten
ethischen Fundus hat.

Ein solcher Beitrag zur Geschichte der Moralen (um diesen
^•etzscheschen Ausdruck nochmals zu gebrauchen) ist, wie man
^leht, auch für die französische Literaturhistoric, ja sogar für die
"ömmigkcitsgeschichtc von Wert. (Ich denke an Bremonds
■•Histoire du sentiment religieux en France", zu der — ich übertreibe
mit Absicht — dieses Buch beinahe eine Art Gegenstück
■**! Bremond wird allein 15mal zitiertl). Die Ausstrahlungen all
dieser ethiktheoretischen Bemühungen (die hier als Theorie der
Affekte, wörtlich: der „Leidenschaften" figurieren) auf die deutsche
Geistesgeschichte konnte der Verfasser, der sich in den
selbstgesetzten Grenzen so meisterlich bewegt, leider nicht bestechen
.

Das Buch ist als Doktordisseration an der Universität
Oxford entstanden. Vielleicht wäre ein Titel wie etwa „Von
Montaigne bis Pascal" werbekräftiger gewesen.

Berlin Helmulh Bürgert

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Mahner, Karl, u. Joseph Ratzinger: Offenbarung und Überlieferung
. Freiburg-Basel-Wien: Herder [1965]. 69 S. 8° = Quae-
st'oncs Disputatae, hrsg. v. K. Rahner u. H. Schlier, 25.

Die vorliegende kleine Studie über Offenbarung und Übcr-
'eferung ist gewichtiger, als ihr Umfang vermuten läßt. Zwei so
Ptofiliertc katholische Theologen wie K. Rahner und J. Ratzinger
??hmen hier in einer Weise zu einem Grundproblem christlicher
'neologie Stellung, daß es für manchen evangelischen und ebenso
audi katholischen Theologen erstaunlich sein dürfte, wie neu -
£nd zugleich Gegensätze überbrückend - die Frage der Offen-
Dari'ng behandelt werde n kann.

y Rahncr gibt ein „Beispiel, das für viele andere von unge-
°sten theologischen Problemen stehen mag", in der „Über-
eu8ung, daß die Theologie zwar nicht den Glauben der Christen

schafft, aber ihm selbst wirklich und wahrhaft zu dienen berufen
ist" — „dem Glauben heute" —, indem er nämlich das Anliegen
des Modernismus in der Offenbarungsfrage aufnimmt.
„Warf die Kirche dem Modernismus einen Immanentismus vor, so
sind wir wohl heute imstande, in der durchschnittlichen Theologie
von damals, gegen die sich der Modernismus wandte, einen Ex-
trinsezismus im Offenbarungsbegriff zu erkennen"; aber leise
„und fast unbemerkt" vollziehe „sich heute die Beantwortung der
Frage nach dem richtigen und vollen Verständnis des Begriffes der
Offenbarung, der Frage, auf die die damalige Kirche wohl keine
deutliche Antwort und der Modernismus eine falsche oder voreilige
und häretisch zu früh abgeschlossene gegeben hatte". Ist
schon recht interessant die Rede von der erforderlichen „Aufarbeitung
" einer so wichtigen Frage, bei der „tragische Schuld,
Irrtum, Unvermögen oder einfach der Tribut. . ., den auch die
Kirche an ihre eigene Geschichtlichkeit zu entrichten hat", mit im
Spiel waren, so ist ganz besonders beachtlich die Bedeutung, die
Rahner der Theologie beimißt. Wenn freilich „auch die Bauleute
am Bau der Theologie umsonst arbeiten, wenn der Herr nicht
mitbaut", und „in aller Theologia eigentlich nur ein Weg gebaut
wird, der sich verliert im Geheimnis Gottes, in dem Weglosen
, der sich dennoch finden läßt", so gibt Rahner durch seine
theologische Arbeit, in der sich mancher Konsensus zur evangelischen
Theologie findet, „eine Lösungsrichtung" an, die aller
sonst verbreiteten Indolenz zum Trotz auf ein gemeinsames
christliches Denken hoffen läßt. Zwar kommen hier die „Bemerkungen
zum Begriff der Offenbarung" aus einer thomasischen
Theologie, aber sie erinnern an Bemühungen um den Offenbarungsbegriff
durch den lutherischen Theologen O. Samuel (cf.
ThLZ 84, 1959, 857—866), ähneln z.T. sehr den Unterscheidungen
, wie sie bei P. Tillich vorgenommen sind, und gehen an die
Frage von Offenbarung und Geschichte so heran, wie sie zwischen
W. Pannenberg und P. Althaus diskutiert wurden.

Dem heutigen Menschen eines „antikirchlichen Humanismus,
eines bekümmerten Atheismus, einer Haltung, für die Gott eine
ewig unauflösliche Chiffre ist", sei anstößig nicht „der Deus
absconditus des Christentums . . . , sondern die Lehre, daß es eine
Geschichte der Offenbarung geben soll, in der Gott selbst
einen einzigen Weg neben den vielen anderen der übrigen Religionsgeschichte
bahnt und ihn selbst dann im Fleisch erschienen
abschreitet". Das Ärgernis sei „die kategoriale Offenbarungsgeschichte
, nicht das transzendentale Gottesverhältnis, durch das
der Mensch im Abgrund des unaussprechlichen Geheimnisses
gründet". Offenbarung sei „trotz ihrer unmittelbar göttlichen
Herkunft das Innerste der menschlichen Geschichte überhaupt".
Diese Einsicht wird in moderner Fassung eines thomasischen Gedankens
ausführlicher dargelegt. Davon nur einen Gedankengang
: Das „allgemeinste Verhältnis zwischen Gott und einer
Werdewelt" bestehe darin, „daß er als der Innerste und gerade so
absolut Weltüberlegene dem endlichen Seienden selbst eine wahre
aktive Selbsttranszendenz in seinem Werden einräumt, letztlich
selbst die Zukunft, die Finalursache ist, die die wahre und eigentliche
Wirkursache in allem Werden darstellt". Die Frage nach der
Offenbarung frage darum nach nichts anderem „als nach dem
höchsten und radikalsten Fall jener . . . Einsicht, wie wirkliches,
von unten erwirktes Werden des Höheren aus dem sich selbst
überbietenden Niederen und dauernde Schöpfung von oben
nur zwei Seiten, beide gleich wahr und gleich wirklich, des einen
Wunders des Werdens und der Geschichte sind, nur höchster Fall
der Einsicht, daß Gott in seinem freien Verhältnis zu seiner
Schöpfung dennoch nicht kategoriale Ursache neben anderen in
der Welt ist, sondern der lebendige dauernde transzendentale
Grund der Eigenbewegung der Welt selbst, und eben dieses in
seiner Weise auch auf das Verhältnis zwischen Gott und Mensch
im Offenbarungsereignis und in der Offenbarungsgeschichte zutrifft
, ja im höchsten Maße, weil diese Geschichte im extremsten
Maß zugleich die Tat Gottes und die des Menschen sein
muß, wenn sie die höchste Wirklichkeit in Sein und Werden der
Welt sein soll". „Wenn Transzendenz immer i n Geschichte west,
immer geschichtlich vermittelt ist, und wenn es eine transzendentale
Verfaßtheit des Menschen gibt, die durch d a s als bleibendes
Existential des Menschen gegeben ist, was wir vergöttlichende