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Ausgabe:

1966

Spalte:

540-541

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Levi, Anthony

Titel/Untertitel:

French moralists 1966

Rezensent:

Burgert, Helmuth

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 7

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Universitäten kennt), sondern im Grunde um ein einziges Problem
rang: ob man als Philosoph („Philosophierender", S. 19)
zugleich Christ bzw. als Christ zugleich Philosoph sein könne,
jedenfalls „in der Situation der Gegenwart" (W., S. 33). Wei-
schedel hat dies bis zuletzt bestritten (s. bes. S. 298 ff), Gollwitzer
in dem Sinne beteuert, daß es keine doppelte Wahrheit zwischen
Theologie und Philosophie geben könne und dürfe: Zwar sei
„der Grundbescheid" (die christliche Botschaft) „aus dem Menschenmöglichen
weder erreichbar noch bewahrheitbar noch gänzlich
verstehbar", doch gebe es „keine gültigen Gründe des menschlichen
Denkens, jenem Grundbescheid zu widersprechen" (S. 23).
Gollwitzer bestreitet „den Selbstausschluß des Philosophen aus
der christlichen Gemeinde" und betrachtet den Unterschied von
Theologie und Philosophie letztlich „nur als eine thematische
Arbeitsteilung" (S. 288). —

Man wird hierbei an eine Äußerung von Jaspers erinnert, der

— umgekehrt — einmal formulierte: „Niemand und keine Instanz
weiß, wer ein Christ ist. . . Wir brauchen uns nicht hinauswerfen
zu lassen aus dem Hause, das seit einem Jahrtausend das unserer
Väter ist" (Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
, 1962, S. 5 3 f). Nun verwahrt sich der Theologe dagegen,
aus dem Hause der Philosophie ausgesperrt zu werden. Und Gollwitzer
scheint hierbei bewußter zu sein als Weischedel, daß an
dieser Frage mehr auf dem Spiel steht, als daß der Theologie
irgendeine abschließende Krönung versagt wird. Bei der heutigen
Einheit von Philosophie und Wissenschaft überhaupt (jedenfalls
hinsichtlich des Gegensatzes von Denken und Glauben) steht die
Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit des Theologen in Frage und
nicht nur — in welche Richtung Weischedel dieses Problem schiebt

— das gleichsam überschüssige Werk eines besonderen philosophischen
Denkens, mit dessen Federn sich der Theologe
nicht zu schmücken brauche. Das erklärt die Leidenschaftlichkeit
und Betroffenheit, mit der Gollwitzer sich auf das — sonst fast
verschollene — Problem der Bewahrheitung des christlichen Glaubens
einläßt. Dabei macht er keine Abstriche am Wesen des christlichen
Glaubens (oder z u einem solchen), zieht sich nicht gar auf
irgendeinen Theismus oder Sinn in Geschichte, Welt oder Existenz
zurück, sondern mutet dem Philosophen zu, sich dafür offen zu
halten, auch das Christusgeschehen (Glaube an Person und Werk
Christi) bejahen zu können. Weischedel bestreitet nicht, daß ein
Philosoph hierhin gelangen könne, wohl aber, daß er damit noch
Philosoph bleibe. Und sein Hauptargument ist hierbei der Gedanke
, daß das Wesen des Philosophischen die Haltung des
radikalen Fragens sei, dessen Radikalität in dem Augenblick aufgehoben
wäre, in dem man von einer festen Mitte, einer unumstößlichen
Wahrheit und Antwort aus philosophieren wollte und
dann nicht mehr schlechthin jede Position der radikalen Fraglichkeit
aussetzte. Nur das radikale Fragen selber und als solches
vermag Weischedel zu theologisieren, und dieses wird damit nun
selber zum Absoluten erhoben. Gott „das mächtige Vonwoher
der Fraglichkeit" genannt (S. 122, 297) kommt ja im Grunde
darauf hinaus, daß die radikale Fragwilligkeit des Menschen als
solche apotheosiert wird.

Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob es glücklich
war, die Auseinandersetzung immer wieder um das verhältnismäßig
formale Problem der denkerischen Bewahrheitung des
christlichen Glaubens kreisen zu lassen, so daß nicht zwei Konzeptionen
sondern „zwei absolute Haltungen" aufeinanderstießen
(S. 100). Weischedel hat Gollwitzer an diesem Punkt buchstäblich
festgenagelt und alle Ansätze Gollwitzers dazu, inhaltlich auf die
Grundaussagen des christlichen Glaubens einzugehen (154 ff), mit
dem — nicht schwer zu führenden — Nachweis, daß damit für die
Wahrheitsfrage gar nichts bewiesen sei (187 ff, 210 ff, 242), wie
im Keime erstickt; wozu er freilich auf Grund der in den ersten
Vorlesungen abgesteckten Thematik und Problematik formal im
Recht war und wozu ihn sein Verständnis von Philosophie als
radikalem Infragcstellen auch veranlassen mußte. Keine theologische
Begründung des Glaubens komme über subjektives Zeugnis
oder einen Zirkelschluß hinaus — hier nicht lockerzulassen,
mußte ihm das Bestehen seiner Hauptthesc von der Unvereinbarkeit
von Denken und Glauben sicher verbürgen.

Gollwitzer hat freilich auch seinerseits die Auseinandersetzung
auf dem Boden der Bewahrheitungsfrage gesucht. Er hat

kaum Anstalten dazu gemacht, den Philosophen etwa von da aus
gewinnen zu wollen, daß er Sinn, Wert und Bedeutsamkeit der
christlichen .Sache'— wie immer es auch um ihre Wahrheit
stehe — (und dies für die Welt und nicht nur für die Existenz des
Einzelnen) aufzeigte. Das verdient vielleicht nicht als generelle
Weisung uneingeschränktes Lob, aber doch als Zeugnisablegung
in konkreter Situation Hochachtung.

Es ist hier nicht möglich, im einzelnen über die Argumente
und immer wieder neuen Anläufe und Stellungnahmen zueinander
zu referieren. Nur auf folgendes sei noch hingewiesen, auf die
Frage: was — wenn auch Philosophie und Theologie nicht miteinander
zu vereinbaren sein könnten — man doch sich gegenseitig
bedeuten könnte. Der Philosoph könnte auf allgemeine philosophische
Grundgedanken bzw. Menschheitsfragen in den wesentlichen
christlichen Glaubensaussagen aufmerksam machen (S.
127 ff) und hierbei — zumal „in einer Epoche der Restauration
der Kirchen" (S. 129) — auf ein tieferes denn das starr wörtliche
Verständnis hinweisen; noch abgesehen davon, daß er (wie wir
hinzusetzen) gewisse intern-theologisch beliebte Argumentationsschemata
(wie die Analogie des Freundes, der Liebesbezichutig
u. ä., s. 40 f, 44 f, 56 ff, 67 f) durchaus an ihre Schwächen gemahnen
sollte (was Weischedel ausgiebig und eigentlich so überzeugend
tut, daß man manche Modelle und Analogien danach
einfach aufgeben muß). — Die Theologie hingegen kann der
Philosophie besonders den Dienst erweisen, „daß sie neben der
wesenhaften Hoffnungslosigkeit des philosophischen Fragens eine
Hoffnung bekennt, die hilft, jene Hoffnungslosigkeit (Weisdiedcls
Schluß von der existcntialen Enttäuschung auf eine heillose Welt
überhaupt, S. 248 ff, 265 ff) in Offenheit durchzuhalten" (G.,
S. 284). „Bleibt dieser Zuspruch der Theologie zur Philosophie
dieser selbst auch transzendent, so muß er dem Philosophierenden
damit doch nicht nur äußerlich bleiben" (ebd.).

Zur allgemeinen Einschätzung dieses Streitgespräches sei dem
Rez. noch folgende Bemerkung gestattet:

Philosophisches Denken ist u. E. nicht nur (wie es sich bei
Weischedel stellt) eine bestimmte formale Qualität an Denken:
das radikale Infragcstellen, bis etwas bleibt, was man notwendig
denken muß. Philosophisches Denken kann immer auch (und
muß auch weiterhin) als ein solches Denken bestimmt werden,
welches inhaltlich Notwendiges (nicht formal:
notwendig) denken will. Damit braucht nicht das metaphysische
ens necessarium, sondern kann auch ein geschichtsphilosophischcs
oder existentiales Notwendiges gemeint sein wie ,das, was mich
unbedingt angeht' (Tillich). Leider ist aber das Notwendige nie
notwendig = zwingend zu beweisen, sondern gilt (und das in1
Gegensatz zu Descartes) das umgekehrte Verhältnis
: je zwingender notwendig — desto banaler, und je bedeutsamer
die Sachnotwendigkeit in Natur, Geschichte und Existenz ~~
desto mehr .bloßes' Glauben (vgl. G. S. 25 über das Vertrauen
statt Skepsis als menschliche und menschlich nötige Grundhaltung)-
Gollwitzer ging es um das Letztere, um das .Eine, was nottut,
um das Notwendige, was zugleich das Notwendendc ist (das
Heil, s. etwa S. 23 3). Weischedel ging es um das Ersterc, um ein
Denken, das keine unbewiesenen Voraussetzungen duldet und daS
Heil nicht auf bloße Möglichkeiten stellt (S. 75). Daß d a s Eine»
was nottut, die Haltung der radikalen Fraglichkeit (besser: Frag'
Willigkeit) selbst wäre, wird wohl in Wcischedcls Augen die Auf'
lösung der genannten Paradoxie eines umgekehrten Verhältnisses
zwischen Begründungs- und Sachnotwendigkeit sein. Aber daran
kann er nur glauben. Vor wirklich radikalem
Denken (was u. E. nur ein betrachtend theoretisches sein kann
und keine Extrapolation von persönlichen „Erfahrungen" auf "' c
Welt gestattet) ist die genannte Paradoxie, die erklärt, warU*
das Streitgespräch „in einem tieferen Sinne ergebnislos bleiben
mußte" (V), wohl das letzte Wort.

Berlin Hnns-Gcorg F r i I z ■ o Ii *

Lcvi, Anthony, S. J.: French Moralists. The Thcory of tlic Passion5
1 585 to 1649. Oxford: Clarendon Press 1964. X, 362 S. 8°. Lw.
Die nie ins Gerede abgleitende, stets „hart am Wind »jj
Sache" bleibende, gewissenhaft ins jeweilige Detail £cnCpc,
Untersuchung ist — nicht bloß als Information über wenig