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Ausgabe:

1966

Spalte:

524-525

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Madre, Alois

Titel/Untertitel:

Nikolaus von Dinkelsbühl, Leben und Schriften 1966

Rezensent:

Zimmermann, Harald

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 7

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In seiner konsequenten Einseitigkeit stellt Eckhart auch die
Mariologie in den Dienst der Mystik. „Was an Maria geschah,
kann an jedem Menschen geschehen, sofern er nur Jungfrau, das
heißt ledig ist" (S. 101). „Damit tritt natürlich der heilsgeschichtliche
Aspekt an der Gestalt der Muttergottes stark zurück"
(S. 103).

Das Kapitel über die Kirche (S. 109—134) berücksichtigt mit
Recht J. Kochs Forschungen zu Eckharts Lebensgeschichte. Daß er
sich dem Papst unterordnet, ist klar. Dennoch predigt er über
Mt. 16, 17, ohne den historischen Petrus zu erwähnen, und im Johanneskommentar
spricht er weder von einer besonderen Stellung
des Petrus noch einer solchen der Päpste (S. 114). Die Kirche
wird „als etwas angesehen, was im Verhältnis zur inneren Gnade
der Seele zwar notwendig, aber äußerlich ist" (S.123), und das
bedeutet bei Eckhart eindeutig Abwertung. Falls man trotzdem
sagen kann: „Eckhart kennt keinen näheren Weg zu Gott als den
kirchlichen" (S. 119), muß man hinzufügen: Er kennt einen vollkommeneren
Weg. Wie wenig Eckhart sowohl im katholischen als
auch im evangelischen Sinn „rechtgläubig" ist, zeigt W.s wiederholte
Feststellung: „Vom Glauben als Grundbedingung für den
Eintritt in den Leib Christi schreibt Eckhart nichts" (S. 128, 131).

In der Sakramentenlehre fällt auf, „daß Eckhart wieder zu
dem alten Bild der Sakramente als Gefäße der Gnade zurückkehrt
, ohne auf die Sakramente als Instrumentalursache zu
sprechen zu kommen" (S. 138). Wie sonst oft schließt Eckhart
sich damit an die Frühscholastik bzw. Patristik an. Weder patri-
stisch noch scholastisch ist seine Abwertung der Sakramente als
äußerer Mittel, deren der innere Mensch nicht bedarf (S. 142).

Den weitaus größten Raum nimmt das eucharistische Sakrament
ein. Wie wenig es dabei um das opus operatum geht, zeigt
folgendes Zitat: „Suche Gott, so findest du Gott und alles Gute
(dazu). Ja fürwahr, du könntest in solcher Gesinnung auf einen
Stein treten und es wäre im höheren Grade ein gottgefälliges
Werk, als wenn du den Leib unseres Herrn empfingest und es
dabei mehr auf das Deinige abgesehen hättest und deine Absicht
weniger selbstlos wären" (S. 157). Die unio sacramentalis dient
als Bild für die unio mystica, die mystische Wandlung gleicht der
eucharistischen. Diese Aussage wurde vom Papst verurteilt (cf.
Denz. n. 960). Über Eckharts Stellung zum Bußsakrament urteilt
W., daß er „die Sündenvergebungsgewalt der Kirche nicht recht
würdigt und der Beichte vor Gott mehr Wert als der Beichte vor
einem Priester beimißt" (S. 162). — In der Eschatologie dominiert
völlig die Betonung des in der Gottesgeburt gegenwärtigen
Heils. Bemerkenswert ist auch, daß Eckhart in seinen Predigten
nie mit den Höllenstrafen droht (S. 176).

Das negative Ergebnis der Arbeit, das keinen Kenner Eckharts
überrascht, läßt sich auch, wie Rez. das unternommen hat (Exegetische
Methoden bei Meister Eckhart, Tübingen 1965, S. 69), von der Hermeneutik
her stützen. Die Bevorzugung der allegorischen Methode und der
Verzicht auf die Typologie wurzeln in Eckharts mangelndem Interesse
an der Heilsgeschichte.

Der Verf. hat den nicht immer leicht zu erfassenden Befund
gründlich erarbeitet und klar dargestellt. Wo zweifelhaft echte
oder unechte Werke benutzt werden, ist das (mit Ausnahme des
umstrittenen Sentenzenkommentars) kenntlich gemacht. Die
Arbeit zeigt, nicht zuletzt in ihren Anmerkungen, daß die großangelegte
Eckhart-Edition Früchte trägt. Eine Lücke in der Literatur
ist damit geschlossen. Der Leser sei jedoch gewarnt, mit
dem Schlußwort zu beginnen. Es könnte den Eindruck erwecken,
Eckhart sei ein gut katholischer Theologe gewesen, wenn auch der
Mangel an heilsgeschichtlichem Interesse „eine gefährliche Einseitigkeit
" bedeutet. Man wird Eckhart nur gerecht, wenn man
versucht, sein geradezu unheimlich theozentrisches Denken nach-
zuvollziehen. „Es gibt für ihn keinen Rückzug in irgendwelche
Sicherungen außerhalb Gottes" (H. Kunisch).

Erwähnenswerte Druckfehler: S. 60 Z. 8 brevatio 1. breviato; S. 74
Anm. 179 Ebend. L In loh.; S. 83 Z. 10 1. ideelle (oder ideale?); S. 113
letzte Zeile gehört auf S. 112 als letzte Z.; S. 136 Abs. 2 Z. 6: Worten
L Worte; S. 142 Z. 9 v. u. sie L ihrer; S. 149 Z. 7 L 3. Die Eucharistie;
S. 150 Z. 9 Zuneigung 1. Zueignung; S. 177 Z. 12 ihm 1. ihn; S. 175
Z. 10 v. u. 1. in der Zukunft.

Rostock Eberhard Winkler

M a d r e , Alois: Nikolaus von Dinkelsbühl. Leben und Schriften. Ein

Beitrag zur theologischen Literaturgeschichte. Münster/Westf.: Aschendorff
[1965]. XVI, 430 S., 2 Taf., 1 Faltkte. gr. 8° = Beiträge zur Geschichte
d. Philosophie u. Theologie d. Mittelalters. Texte u. Untersuchungen
, hrsg. v. M. Schmaus. XL, 4. Kart. DM 56.—.

Das vorliegende Werk, von seinem Verfasser der Wiener
Universität 1965 zu ihrem Jubiläum gewidmet, stellt eine beachtliche
Leistung auf dem Gebiete der Theologiegeschichte dar und
wird gewiß bald als das wichtigste Hilfsmittel aller künftigen
Forschungen über den Wiener Professor Nikolaus von Dinkelsbühl
(1360—1433) die ihm gebührende Wertschätzung erfahren.
Über das Schaffen dieses bedeutenden Gelehrten hinausgehend
bietet es wertvolle Einblicke in den Universitätsbetrieb und die
theologische Wissenschaft des Spätmittelalters. Wer sich jemals
mit dem theologischen Schrifttum der vorreformatorischen Zeit
befaßt hat und dabei erkennen mußte, wie viel grundlegende historische
Arbeit hier noch zu tun ist und wie gar manche Probleme
noch einer Klärung harren, wird das Erscheinen des Werkes nicht
nur dankbar begrüßen, sondern auch die dafür aufgewendete
Mühe recht zu beurteilen wissen.

Der Hauptteil des Buches (47—3 37) ist ein kritischer Katalog
der Opera des Nikolaus von Dinkelsbühl, wozu mehr als 1400
Handschriften aus über 100 Bibliotheken vor allem des süddeutschen
Raumes im weiteren Sinne erfaßt und untersucht werden
mußten. Das Handschriftenverzeichnis (342—401) und die
dazugehörige Karte illustriert die Verbreitung der Schriften des
Wiener Gelehrten und ist zugleich ein Zeugnis für dessen Hochschätzung
.

Die Untersuchung folgt einer systematischen Gruppierung
der Werke nach inhaltlichen Gesichtspunkten, der aber auch eine
chronologische Übersicht der Hauptwerke beigegeben ist (342).
Von Nikolaus stammen exegetische Schriften zu den Psalmen,
zum Matthäusevangelium und zu einigen Paulinen (2. Kor., Gal..
Eph.), Vorlesungen über die Sentenzen des Lombarden (Quae-
stiones communes, Quaestiones magistrales, Lectura Mellicensis),
weiter eine große Anzahl von Predigten verschiedenster Thematik
, die wiederum gemäß ihrer inhaltlichen Zusammengehörigkeit
besprochen werden, sowie endlich manche Gelegenheitsreden
und -Schriften, Gutachten und Traktate zu damals aktuellen Problemen
. Zwei Abschnitte beschäftigen sich mit den Opera dubia
und den sicher zu Unrecht unserem Autor zugeschriebenen
Schriften. Die Einbeziehung auch dieser Werke in die Untersuchung
verdient besonderes Lob, da dadurch wohl viele schwebende
Echtheitsprobleme einer endgültigen Klärung zugeführt
sind und das Buch als Nachschlagewerk an Wert gewinnt.

Von jeder der mehr als 200 behandelten Schriften des Nikolaus
wird nicht nur mit einer Beschreibung der wichtigsten Codices die handschriftliche
und etwa auch vorhandene gedruckte Überlieferung mitgeteilt
, sondern auch in weitgehender Anlehnung an den Originaltext eir>e
inhaltliche Charakteristik versucht. Neben Incipit und Explicit, wozu
auch das Initienverzeichnis (402—416) zu vergleichen ist. findet man als"
auch die Kapitelüberschriften der größeren Werke und den Wortlaut der
erörterten Thesen. Darlegungen über Abfassungszeit und EntstehungS'
umstände bieten mannigfache Gelegenheit zu knappen kritischen Ausführungen
. Die Abhängigkeit des Nikolaus von früheren Autoren hätte
wohl erst durch ein noch gründlicheres Eingehen auf die einzelnen
Schriften oder gar erst durch deren Edition festgestellt werden können-
Ebenso bleibt das Einwirken der Gedanken des Nikolaus auf die spätere
theologische Arbeit unerörtert. Von einer Untersuchung der ins Deutsche
übersetzten Predigten, die vielleicht manchen Aufschluß über dcrcn
Weitergabe und Aufnahme in laikalen Kreisen erbracht hätte, mutfi
ebenfalls abgesehen werden.

Der Besprechung der Schriften wird ein Abriß des Lebens
und Wirkens des Nikolaus von Dinkelsbühl mit den nötig6"
Literaturangaben vorangestellt (7—43). Er bietet die Grundlage
zum Verständnis der nachfolgenden literaturhistorischen Darlegungen
. Man wird daran erinnert, daß der aus Dinkelsbün'
stammende Nikolaus Prüntzlein sein Studium 1385 an der junge"
Wiener Universität begonnen hatte und hier seit 13 89 lehrte*
zuerst gemäß dem damaligen Bildungsgang als Magister bei dcti
Artisten, seit 1409 aber an der theologischen Fakultät. Daß ^ic?^
Lehrtätigkeit besonderes Augenmerk zu schenken war, ergab sie"
schon aus der Tatsache, daß die Hauptwerke des Nikolaus für dt
Katheder bestimmt waren. Neben der Tätigkeit als akademisch