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Ausgabe:

1966

Spalte:

451-453

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Christenheit in Bewegung 1966

Rezensent:

Wolf, Hans-Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 6

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von Johannes Ziekursch (ZKG 1903). Die Schwächen des staatskirchlichen
Systems werden sowohl für Bautzen wie später für
Leipzig dargelegt, nicht zuletzt aber die evangelisch-protestantische
Bekenntnistreue der beiden Fürstinnen, der Mutter Augusts,
Anna Sophie, und der Gattin Eberhardine; sie übertrafen damals
manche Männer in hoher Stellung. Das protestantisch-bürgerliche
Volk Sachsens widerstand katholischen Bekehrungsversuchen der
verhaßten „Jesuitenpfaffen" (S. 160).

Stichproben ergaben die Genauigkeit der Literaturbenutzung,
inhaltlich aber nicht immer die notwendige Ausschöpfung.

Es wäre zu wünschen, daß diese quellenreiche Darstellung
durch den katholischen Verlag heute manchen verständnisvollen
katholischen Bischöfen wie anderen, z. B. in Spanien, zur Kenntnis
käme, mit der naheliegenden Frage: Kann der episkopale Katholizismus
da, wo er in der Macht und Mehrheit ist, heute noch
länger den evangelischen Minderheiten „christliche Menschenrechte
" in Kultus und Mischehe verweigern, die sogar nichtreligiöse
Regierungen tolerieren, wenn derselbe päpstlich-episkopale
Katholizismus mit christlichem und demokratischem Recht
von der nichtkatholischen Mehrheit für sich als Minderheit schon
in dem Frankfurter Paulskirchen-Parlament 1848/49 sowie in
Weimar 1918/19 seine Religions-Freiheit forderte und erhielt?

Möge es der Verfasser versuchen, die schwierigere Fortsetzung
seines Gesamtthemas der „Wiederherstellung" bis zur
Gegenwart durchzuführen und dabei zu zeigen, wie die christlichen
Konfessionen nebst den Freikirchen sich zu der dritten
Größe des weltlichen Sozialismus in Sachsen mit seinem raschen
Wachstum wie sonst nirgendwo schon vor 1914 in den Jahren von
1835 bis 1965 gestellt und dabei auch ihrerseits gelernt haben.

Halle/Saale Ernst Barniknl

M c i n h o 1 d , Peter, u. Otto B. R o e g e I e : Christenheit in Bewegung.

Eine Bestandsaufnahme der Konfessionen. Hamburg: Hoffmann und
Campe [1964]. 324 S. 8°. Lw. DM 19.—.

Ist es wirklich so, daß Veranstaltungen wie die Weltkirchenkonferenz
des Ökumenischen Rates in Neu-Delhi oder das Vatikanische
Konzil ins öffentliche Bewußtsein eingedrungen sind und
eine Diskussion „im Weltausmaß" gewonnen haben? Vielleicht!
Man möchte es sich natürlich wünschen, und vielleicht gilt das von
P. Meinhold und Otto Roegele Gesagte mehr vom Vatikanischen
Konzil als von Veranstaltungen des Ökumenischen Rates. Aber so
bedeutend und vielleicht auch faszinierend und von echter Dringlichkeit
getragen diese Ereignisse für alle die sind, die unmittelbar
oder mittelbar daran beteiligt und im Leben der Kirchen engagiert
sind, so darf man doch nicht vergessen, daß es Geschehnisse der
Kirchen in der „Diaspora", und das heißt in einer Gemeinschaft
von Menschen, sind, die in der Minderheit unter der Menschheit
verstreut lebt und ihre wirkliche und echte Vitalität nur aus dem
gewinnt, was sie in dieser „Diaspora"-Situation i s t, als Gemeinschaft
wie als einzelne.

Das bedeutet, daß das Problem der Einheit der Kirche durchaus
im Zusammenhang mit der Glaubwürdigkeit ihrer Verkündigung
gesehen werden muß, aber das ist nicht der einzige Gesichtspunkt
und nicht einmal der erste. Die Einheit der Kirche muß zuerst
aus dem Geheimnis der Einheit der Person Gottes in ihrer
Dreiheit gesehen werden, wie die Verfasser — Meinhold und Roegele
— am Schluß ihres einführenden Beitrages mit Recht sagen
(S. 14). Man würde sich übrigens gerade diesen Punkt näher entfaltet
wünschen, weil in der Beziehung zwischen Einheit und Kirche
und göttlicher Trinität das dynamische Verständnis der Einheit der
Kirche gegeben ist, der Einheit, die den inkarnatorischen Charakter
der Kirche im fortdauernden Wirken des Heiligen Geistes aufweist.
Das bedeutet nun aber eben auch nicht, daß die Kirche einfach mit
Mission gleichgesetzt werden kann, was unter gewissen Partnern
des ökumenischen Dialogs — nicht unter den in diesem Band versammelten
— heute ein gepflegtes Mißverständnis der Kirche ist.

Unter diesen Vorzeichen steht die Sammlung von Artikeln,
in denen Altes und Neues in den verschiedenen Beiträgen zusammengetragen
ist. Wenn unter dem Stichwort „Bestandsaufnahme
" die Ausschau nach dem „ökumenischen Menschen" mit
gemeint ist, von dem der Beitrag des orthodoxen Bischofs Timiadis
spricht, der nicht synkretisch, sondern synthetisch — synthetisch

etwa in dem Sinne des Komplementären, würde ich zur Erläuterung
hinzufügen — zu verstehen ist, dann zeigt das, daß sich die Verfasser
darin einig sind, sich nach vorwärts auszurichten und in die
Vorwärtsbewegung der Kirchen das Beste aus ihrer Tradition mitzunehmen
, um es zu neuer Gestaltung zu bringen.

In 5 Abschnitten werden von katholischen, östlich-orthodoxen
, anglikanischen und protestantischen Verfassern „das 2.
Vatikanische Konzil und das Urteil der getrennten Kirchen", „Die
Kirchen und ihre Mission" und „Das gemeinsame Zeugnis vor der
Welt" behandelt. Die Beiträge sind etwas ungleichartig in Qualität
und Struktur. Was sollen z. B. Erörterungen über die Repräsentanz
einer Kirchengemeinschaft beim Vatikanischen Konzil, die interne
Probleme sind, in einem Bande, in dem es um die „Christenheit in
Bewegung" geht! Es wäre sehr wünschenswert gewesen, dem katholischen
Beitrag von Bischof Volk über „Das Zweite Vatikanische
Konzil und die Selbstreform der katholischen Kirche" einen nichtkatholischen
Beitrag an die Seite zu stellen. Volk spricht von der
„renovatio in der Selbstbeschreibung der Kirche" durch den Aufweis
der Kirche als Mysterium, durch Aufnahme der Fülle der
biblischen Bilder zu einer Anreicherung der Ekklesiologie und zu
einer Vertiefung des Verständnisses des kirchlichen Amtes (S. 156).
Das sind Gedanken, die nicht nur im besten Sinne provokatorisch
für die römisch-katholische Kirche selbst, sondern auch für alle
nichtkatholischen Kirchen sind. J. C. Hampe spricht in seinem Beitrag
von dem konstruktiven Sinn echter Provokation.

Es ist unmöglich, auf alle Beiträge im einzelnen einzugehen.
Es scheint mir aber wichtig zu sein, besonders auf den Artikel des
Dominikaners Stephan Pfürtner „Getrennte Christen im gemeinsamen
Zeugnis" einzugehen. Pfürtner geht von der „Gemeinsamkeit
der Glaubenserfahrung im Kirchenkampf" aus und stellt die
Frage, was diese — also die gemeinsamen Glaubenserfahrungen
zwischen Katholiken und Protestanten — „für unsere Annäherung
in der Wahrheitsfrage" bedeuten (S. 248). Er fragt, ob sie uns in
unseren Einheitsbemühungen wirklich weiterhelfen können, denn
„Irrtum bleibt Irrtum". Das ist ein Satz, der im Bereich dogmatischer
Wahrheiten gilt. Was bedeuten demgegenüber alle Beteuerungen
der Verständigungsbereitschaft auf beiden" Seiten?
Können sie mehr sein als Sentimentalitäten, auf denen man nichts
Konstruktives erbauen kann? Hier trifft P. in der Tat den „harten
Widerstandskern alles Ökumenismus" (S. 275).

Nun bekommt aber die Gemeinsamkeit der Glaubenserfahrung
neben den harten dogmatischen Tatsachen ihr besonderes Gewicht,
denn sie schafft „ein neues Toleranzverhältnis zur Andersartigkeit,
ja, gegebenenfalls zur Glaubensbefangenheit oder gar zum Irrtum
der getrennten Brüder" (S. 281). Lautere Absicht, die Wahrheit zu
erfassen und zu leben, und sachlich falsches Urteil können zusammengehen
— von beiden Seiten her gesehen — und dazu führen,
daß der Weg vom Irrtum zur Wahrheit nicht Sache einer „Konversion
von der Häresie zum wahren Glauben", sondern „ein Fortschreiten
im Glauben, ein tieferes Einwurzeln im Christusgeheimnis
, eine zunehmende Überwindung des Irrtums durch das
wachsende Glaubenslicht" ist (S. 281).

Diese beachtliche Haltung, von der P. in seinem Aufsatz
spricht, resultiert m. M. nach aber kaum aus dem „Glauben an das
Gute im Menschen", das er als das größte Vermächtnis vom Papst
Johannes XXIII an die Kirche ansieht, sondern aus der überwin'
denden Kraft der Wahrheit selbst, der sich beide Partner verpflichtet
fühlen. Die Gemeinsamkeit der Glaubenserfahrung
eröffnet für P. aber auch die Möglichkeit, davon zu sprechen, daß
die Einheit der Kirche nicht mehr einfach mit der bestehenden
Gestalt der römisch-katholischen Kirche identifizert werden kann-
Er spricht von einer „Form der zukünftigen Einheit", denn nach
den Worten des gegenwärtigen Papstes haben die „getrennten
Brüder das Gemeinsame aus dem überkommenen Erbe nicht nur
bewahrt, sondern auch ihrerseits gut entfaltet" (S. 284). Es gib*
„religiös-geistliche, liturgisch-kultische, theologische und pastorale
Werte außerhalb der römisch-katholischen Kirche", die mit denen
der römisch-katholischen Kirche zusammen das „Pleroma
Christusgeheimnisses" in der Kirche der Zukunft ausmachen (•>■
284 f). Das sind Gedanken, dem Schema „De Oecumenismo" entnommen
, die hier aber in weitreichende Konsequenzen hinein entfaltet
werden, ohne daß damit einer simplen Komplementarität i"1