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Ausgabe:

1966

Spalte:

443-444

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Yoder, John Howard

Titel/Untertitel:

Täufertum und Reformation in der Schweiz 1966

Rezensent:

Fast, Heinold

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Seite 1

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Theologisdie Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 6

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kaum eine prinzipielle Verteidigung des Feudalismus als Der analytische Teil vereinigt in seiner gestrafften Darstellung
Gesellschaftssystem. Die Tatsache, daß der moderne Christen- der Ereignisse die kritische Verwertung aller, auch der entlegensten
mensch die moderne Demokratie als Gesellschaftsform anninmmt, Quellen mit einer strengen Konzentration auf das Wesentliche. Es
kann man wohl auch kaum dadurch legitimieren, daß man einfach ist erstaunlich, wie viel neues Licht so auf bekannte Vorgänge fällt,
vom Evangelium als von einem staatlichen Prinzip ausgeht. In Man bekommt z. B. die Entstehung des Täufertums im Schoß der
beiden Fällen geht es um eine aktuelle Stellungnahme Vernunft- zwinglischen Reformation nicht einfach zum x-ten Mal erzählt. Es
mäßiger Natur. Im Bauernstreit bekämpft Luther ja nicht die werden auch nicht sensationelle Behauptungen aufgestellt. Und
legitimen Forderungen der Bauern, sondern ihre Berufung auf das doch meint man, diese Entstehung durch die nuancenreiche Dar-
Evangelium als christliche Legitimierung dieser Forderungen. Das Stellung Yoders erst jetzt richtig zu verstehen. Die Disputationen
einzige „christliche Recht", das Luther kennt, ist das Gesetz, als des Jahres 1525, über deren Inhalt wir so wenig Nachrichten haben,
Christ, wie Christus selbst, in dieser Welt zum Leiden berufen zu werden durch eine sorgfältige Untersuchung der Schriften Zwingiis
sein. „Recht" kann für Luther niemals zu den Forderungen einer rekonstruiert. Man erhält einen deutlichen Eindruck vom Werdeeinzigen
Gruppe oder auch der Mehrheit eines Volkes vereinfacht gang der einzelnen Themen und Argumente. Die Ereignisse um
werden. Hubmaiers Gefangenschaft und Widerruf in Zürich 1525/26 wer-
Man muß aber der Verfasserin recht geben in ihrer Behaup- den einleuchtend (wenn auch anders als bei Bergsten) analysiert,
tung, daß die Kirche nicht berufen ist, das Bestehende um jeden D'e Bedeutung des Schleitheimer Bekenntnisses von 1527 für die
Preis aufrechtzuerhalten, sondern daß sie die Erneuerungs- innertäuferische Auseinandersetzung wird herausgearbeitet. Die
bestrebungen im politischen Leben mit positivem Interesse zu großen Gespräche der dreißiger Jahre (Zofingen 1532 und Bern
verfolgen hat. 15 3 8) erscheinen als der Abschluß einer Entwicklung, in der zwei

Es müßte auch hinzugefügt werden, daß es für Luther sehr g^J^j* ™^™ithe°l°eisdl' Positionen sidl über ihrC

wichtig war, daß die Kirche gegenüber jeder herrschenden Klasse * g 1

in ihrer Verkündigung des Evangeliums unabhängig steht — diese Das Ergebnis der Arbeit liegt abgesehen von den vielen

herrschende Klasse möge nun aristokratisch oder proletarisch wesentlichen Beobachtungen zu Einzelfragen in drei Erkenntnissen,

sein. Erstens wird deutlich, wie stark bei den Täufern der Wille zum

Lund/Schweden David Löfgren Gespräch ist. Von den ca. 28 analysierten „Gesprächen" geht

mindestens die Hälfte auf das Drängen der Täufer zurück, mehrere
wurden von der Obrigkeit veranlaßt, aber nur eins von den refor-

Yoder, John: Täufertum und Reformation in der Schweiz. Die Ge- matorischen Prädikanten. Nicht die Täufer trennten sich von der

spräche zwischen Täufern und Reformatoren 1523—1538. Karlsruhe: . i _-{___;,_,,__ j__vs.jl. c- iu • i i . i j„„

Mennonitischer Geschichtsverein 1962. 184 S. gr. 8» = Schriftenreihe lch «formierenden K rche. Sie wollten v.clmehr m.t sich reden

d. Mennonitischen Geschichtsvereins, Nr. 6 Kart. DM 12.-. I,as.scn' Jährend Zwingli und seine Anhänger sehr bald die Obrig-

keit und das bchwert reden ließen. — Zweitens wird der zwinglische
Das Täufertum in der Schweiz ist bereits in bevorzugter Weise Ursprung des Täufertums bestätigt. Das ist an sich nichts Beson-
Gegenstand wissenschaftlicher Forschung gewesen. Es gibt zahl- deres Neu ist aber die Lösung des Problems, wie man aus gemeinreiche
Untersuchungen über die schweizerischen Täuferführer samen Ursprüngen so getrennte Wege gehen konnte. Zwingli habe
(Grebel, Mantz, Blaurock, Hubmaier, Sattler) oder über das auf Grund der erfolgreichen Disputation vom Januar 1523 eine
Täufertum einzelner schweizer Orte (Zürich, St. Gallen, Schaff- theologische Wendung vollzogen. Während er vorher die christhausen
, Basel, Bern, Graubünden), auch über Sonderprobleme wie ]iche Kirche als verfolgte Minderheit sah, hoffte er jetzt auf eine
die soziale Herkunft der Täufer oder ihre Beziehungen zur Bauern- Gewinnung des ganzen Volkes und der Obrigkeit. Was sich daraus
bewegung und zu den mitteldeutschen Enthusiasten. Gesamtdar- für ihn an Konsequenzen ergab, machten die Täufer nicht mit-
Stellungen liegen nur in umfangreichen Arbeiten zur Reformations- Die Täufer vertreten nach Yoder den Zwingli der Zeit vor Januar
geschiente der Schweiz, zur Geschichte der radikalen Reformation 1523. _ Drittens hat Yoder herausgearbeitet, wie sich in der Ent-
oder zur Geschichte der Mennoniten vor, nicht aber als Mono- wicklung der ersten zehn Jahre die Täufergemeinde nach außen
graphien. Die Arbeit von Yoder ist die erste monographische abzugrenzen und damit im Innern zu konsolidieren wußte. Die
Gesamtdarstellung der Geschichte des schweizerischen Täufertums auffallende Gleichgültigkeit gegenüber den Bauernunruhen (soziale
in seinen ersten fünfzehn Jahren und damit ein großer Schritt vor- Ziele) war nicht zufällig, sondern hatte theologische Gründe. Auswärts
, nahmen wurden bewußt isoliert und ausgeschieden, ähnlich wie
Der Titel läßt diese Bedeutung noch nicht ohne weiteres er- gewisse „Schwärmer" (Libertinisten), von denen man sich auskennen
. Die „Gespräche zwischen Täufern und Reformatoren" drücklich absetzte. Von hier aus kann Yoder auch Hubmaier und
scheinen zunächst nur eine Seite der Geschichte der Täufer- Pfistermeier nicht als eigentliche Täufer anerkennen. Es sind füf
bewegung auszumachen. Aber die fünfzehn Jahre von 1523 bis ihn Zwischengestalten, die zwar wesentlich täuferische Gedanken
15 38 waren für das Täufertum in der Schweiz ganz und gar durch vertraten, dabei aber letztlich einer staatkirchlichen Theologie
die Auseinandersetzung mit der zwinglischen Reformation be- (Hubmaier) oder dem Pietismus (Pfistermeier) verhaftet waren,
stimmt. Diese Auseinandersetzung faßt Yoder mit dem Begriff Yoders Grundkonzeption ist die, daß das Täufertum nicht
„Gespräch" zusammen. Er versteht darunter „jede mündliche oder ejne theologisch heterogene Bewegung war, die nur durch die
schriftliche Auseinandersetzung mit theologischem Gehalt" und praxjs der Wiedertaufe zusammengehalten wurde, sondern eine
möchte private Unterredungen, öffentliche Disputationen, den echte theologisch konsequente Alternative zur volkskirchlichen
Austausch von Briefen, Traktaten, Bekenntnissen und längeren Ab- Reforrnation, die sich als solche gegenüber heterogenen Elementen
handlungen miteinbeziehen Praktisch ergibt sich daraus ein Uber- m der d „ Mjtte mjt ErfoIg dursetzte. Man ist gespannt auf
blick über die entscheidenden Jahre der Täuferbewegung in der die Darsteiiung dieser theologischen Alternative und möchte dem
Schweiz. Die Themenstellung bewirkt allerdings, daß die Unter- zweitenTeil, der sie bringen soll, ein baldiges Erscheinen wünschen-
suchung ganz auf die Frage nach den theologischen Punkten aus- Emden HeinoldFast
gerichtet ist. Doch ist gerade das ein Gewinn, nachdem die Täufer-

forschung sich lang genug mit der bloßen Aufklärung von Fakten ßosc Jcan: Wag hat OMa den KathoIiken von hcute zu sagen?

und Ereignissen, Biographien und lokalgeschichtlichen Besonder- (Concilium 2, 1966 S. 241—244).

heiten abgegeben hat. Fendt, Leonhard: Der Wille der Reformation im Augsburgischen Be-

Der Plan der Arbeit ist auf zwei Teile angelegt. Der erste, kenntnis. Ein Kommentar für Prediger und Predigthörer. 2-

der hier vorliegt, geht in geschichtlicher Reihenfolge die Ausein- neu bearbeitet v. B.Klaus. Tübingen: Mohr 1966. VIII, U2b.

andersetzung zwischen Täufern und Reformatoren durch, analysiert Kart. DM 9.80.

Veranlassungen, Thematik und Wirkunggen und macht so den Ganoczy, Alexandre: Calvin im Urteil der Katholiken von ne

Werdegang des Täufertums sichtbar. Der zweite Teil wird die (Concilium 2, 1966 S. 245—249).

Einzelanalyse in einer dogmengeschichtlichen Synthese zusammen- Iserloh, Erwin: Luther in katholischer Sicht heute (Concilium

fassen. Er ist im Manuskript so gut wie abgeschlossen. 1966 S. 231—235).