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Ausgabe:

1966

Spalte:

415-419

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Verantwortung 1966

Rezensent:

Lippold, Martin

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415

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 6

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sehen, sondern auch die theologischen Gesichtspunkte des politischen
Denkens analysiert (Ullmann, Wilks, Morrison); durch eine
neue Anstrengung, einzelne Anschauungen von der Kirche nicht
nach zeitlosen Normen zu beurteilen, sondern im Zusammenhang
mit der aktuellen historischen Herausforderung, wie die durch ein
Schisma verursachte Notlage — 1130, 1159, 1378, 1409 — (Gassen,
Franzen, Posthumus Meyjes), kann man eine neue Offenheit für
konziliare Ideen bemerken dahin tendierend, zwischen einem
„wahren" und einem „falschen" Konziliarismus oder zwischen
„konziliarem" und „konziliaristischem" Denken zu unterscheiden
(Tierney, Franzen). Obgleich nicht alle Forscher auf diesem Gebiet
willens sind, die „Konzilsväter von Konstanz", d'Ailly und
Gerson zu rehabilitieren (de Vooght), gibt es dennoch eine deutliche
Tendenz, eher Ockham als den Schuldigen zu bezeichnen
(Tierney, Posthumus Meyjes, de Lagarde) und ihn eng mit Mar-
silius von Padua zusammen zu bringen. Wie wir in der Diskussion
von de Lagardes Werk angedeutet haben, besteht Anlaß zu der
Überzeugung, daß eine weitere Untersuchung der Beziehung
Ockhams zu Marsilius und zu jenen unterschiedlichen Typen des
Konziliarismus, die auf dem Konzil zu Basel (1431—1449) und

sogar auf dem Fünften Laterankonzil (1512—1517) vertreten
waren, dies Urteil beeinflussen wird. Auf einer nächsten Stufe wird
es wichtig sein, dieses ekklesiologische Zusammenspiel von der
Erforschung des kanonischen Rechtes und des Konziliarismus in
das sechzehnte Jahrhundert fortzusetzen. Es ist keinesfalls sicher,
daß in einer so ausgerichteten Erörterung der Abhandlungen, die
in der Zeit von 1518 bis 1520 zwischen dem theologischen Berater
des Papstes Leo X., Prierias, und Luther gewechselt worden sind,
sich der erstere als in stärkerer Übereinstimmung mit dem erweisen
würde, was heute als „orthodoxes" Konzilsdenken in Erscheinung
tritt.

Angesichts dieser verschiedenartigen Forschungsaufgaben auf
den mancherlei Gebieten von großer Wichtigkeit erscheint es klar,
daß die zwischen den mittelalterlichen und den (gegen)reformato-
rischen Forschungsbereichen errichteten Mauern, die durch die Einrichtung
von getrennten Lehrstühlen in den akademischen Abteilungen
für Geschichte und Kirchengeschichte verstärkt werden,
künstliche Hindernisse bilden, die darauf hinwirken, die Kontinuität
in dieser Periode zu verdunkeln, indem sie trennen, was
die Geschichte zusammgengefügt hat.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

[Noth, Gottfried:] Verantwortung. Untersuchungen über Fragen aus
Theologie und Geschichte. Zum 60. Geb. v. Landesbischof D. Gottfried
Noth, D. D., hrsg. v. Evang.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens.
Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1964]. 308 S. gr. 8°. Lw. MDN 15.—.

Unter dem Titel „Verantwortung" als dem für den Dienst
eines Bischofs bezeichnenden Wort haben Theologen und Juristen,
Männer, die im Dienst der luth. Kirche Sachsens stehen oder einmal
darin standen, und Hochschullehrer eine Reihe von Beiträgen
zu einer Festgabe zum 60. Geburtstag ihres Landesbischofs
zusammengetragen, die wie in einem Spiegel gegenwärtiges
Leben und geschichtliche Vergangenheit der sächsischen Kirche
einfangen, aus der D. Noth im Unterschied zu seinen Vorgängern
Ihmels und Hahn hervorgegangen ist und die ihn in seiner Theologie
wie in seinem Amt geprägt hat. Es ist deshalb sinnvoll
gewesen, wenn man bei der Auswahl der Themen wie der Mitarbeiter
innerhalb der Grenzen der sächsischen Kirche geblieben
ist.

Ohne besondere Beziehung zu ihr sind lediglich der biblisch
theologische Aufsatz von Herbert Peuckert über den
Einfluß der Frömmigkeit der Hirten auf die Religion Altisraels,
der systematische von Gerhard Zweynert über den
Sinn der Formel sola scriptura und der konfessionskundliche von
Martin Schwintek über Küngs Deutung der Rechtfertigungslehre
bei K. Barth. Ihnen folgen Aufsätze, die wie die
von Franz Lau und Ingetraut Ludolphy Ereignissen
der Reformationszeit nachgehen, oder die Gestalten der
sächsischen Kirchengeschichte wie Löscher, Sülze, Ihmels, K. Fischer
uns vor Augen stellen. Mitten in die Gegenwart hinein
aber führen alle jene Beiträge, die sich mit den Fragen der Exegese
, der Predigt, des Unterrichts, der Diakonie, des missionarischen
Auftrags der Kirche beschäftigen oder eine Charakterisierung
der jungen Theologengeneration Sachsens versuchen,
deren Ergebnisse sicher nicht nur für Sachsen allein gültig sind.

Folgen wir dieser selbstgewählten Reihenfolge, so tritt an
den Anfang der Aufsatz von Herbert Peuckert über
die Einwirkung der Frömmigkeit der Hirten auf die Religion
Altisraels. Der Gott der Hirten wird im Anschluß an Gedanken
von A. Alt als Gott der wandernden Nomadengruppe beschrieben
, der an keine feste Kultstätte gebunden den Bestand der
Familie und der Herden garantiert. Von daher hat die Frömmigkeit
der Hirten die Züge der Dankbarkeit wie der klugen Berechnung
. Der Hirte kann sich nicht in kriegerische Verwicklungen
einlassen. Er muß den Ausgleich durch Vertrag oder auch
durch List suchen. Diese Züge wirken in der späteren Religion
Israels bis hin zu Arnos 7, 2, 5 weiter. Ebenso erklärt sich aus
der Religion der Frühzeit die Ablehnung der Rekabiter gegen
jeden festen Wohnsitz (Jer. 3 5) wie das starre Festhalten

Naboths am ererbten Besitz (l. Reg. 21). Peuckert meint auch,
von hierher eine größere Selbständigkeit der Frau erschließen zu
können, als sie nach Dt. 24 möglich ist. Die Frau ist Herrin der
Herde (Gen. 29, 9, 32, 23, 3 3, 1 ff), die ihren Mann vertritt. So
sind Frauen wie die kluge Abigail, die das Leben ihres Hauses
rettet, oder die diplomatische Bathseba, die in die Geschicke des
Staates eingreift, legitime Nachfolgerinnen der listenreichen
Rebekka, die ihrem Lieblingssohn Jakob den Erstgeburtssegen
verschafft. So will die an der Frömmigkeit orientierte Studie
zeigen, wie im Glauben Israels neben der Wirkung der Propheten
und der Priester Elemente der Hirtenfrömmigkeit nachwirken,
wie sie uns in den Vätertraditionen begegnen. Es ist dankenswert
, daß neben den durchweg formgeschichtlich orientierten
Arbeiten wieder einmal eine Arbeit zur Frömmigkeitsgeschichte
vorgelegt wird.

Gerhard Zweynert macht in seiner Studie über
den Sinn der Formel sola scriptura darauf aufmerksam, daß diese
keineswegs als speziell reformatorisch oder gar lutherisch angesehen
werden kann. Auf sie konnten sich alle früheren Reformer
der Kirche, auch Hus und Wiclif, berufen, und manche moderne
Sekte könnte mit ihr genau so ihren Angriff gegen die Kirche
führen. Sie wird nur recht verstanden, wenn sie mit Luther zusammen
mit der Formel solus Christus gebraucht wird. Sie kann
also nicht gegen die römische Lehre von der Tradition gewendet
werden. Auch die Schrift ist geschriebene Tradition der Apostel-
Ebensowenig kann sie als Antithese gegen das Vorverständnis in
der modernen Hermeneutik gebraucht werden. Sola scriptura
bedeutet die Alleinwirksamkeit Gottes, der das heute verkündigte
Zeugnis der Schrift zum Mittel seines Heilshandelns werden
läßt. Die Schrift ist jeder kritischen Betrachtung offen "
Luther kann sagen urgemus Christum contra scripturam 15 3 5 '
und zugleich überwindet sie durch die Sache, von der sie redet,
den Menschen. Deshalb muß die einzelne Schriftaussage immer
wieder von der Sache der ganzen Schrift, von dem solus Christus»
interpretiert werden, wenn das sola scriptura nicht an der Sache
vorbeiführen soll.

In den gleichen Zusammenhang gehört der Aufsatz von
Martin Schwintek „Annäherung im Zentrum?", in dern
er nochmals die durch Küng aufgeworfene Frage aufgreift, oD
nicht in der Lehre von der Rechtfertigung die Gegensätze der
Reformation zwischen römischem und evangelischem Verstand'
nis überwunden seien, nachdem Küng die Rechtfertigungslehre
Barths als dem Tridentinum entsprechend beurteilt und Bart
sich von Küng richtig verstanden erklärt hat. Schwintek fra£*
einmal in Anlehnung an Schotts Aufsatz im Luthcr-Jahrbucn
1959, ob Küng die Aussagen des Tridentinum wirklich sach'
gemäß interpretiert habe, und wirft sodann Küng vor, daß er die
Rechtfertigungslehre isoliere. Man kann von ihr nur reden, wenn
man auch von den Sakramenten und von der Ekklcsiologie rede •