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Ausgabe:

1966

Spalte:

371-372

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Die Frage nach dem Unbedingten 1966

Rezensent:

Trillhaas, Wolfgang

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Seite 1

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371

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 5

372

liehen Glaubens nicht nur in Worten, sondern auch in Zeichen
begriffen werden und sich kundtun. Stählin verweist dann auf die
enge Verbindung, die zwischen dem Symbol und dem Wort, der
Gemeinschaft und ihrem Raum besteht.

In der ausführlicheren Einführung versucht Richard W i s s e r
das Wesen des christlichen Symboles in dem Zusammenhang von
Sinngestalt und Sinngehalt als einer untrennbaren Einheit zu erklären
, die in die Tiefendimensionen des Glaubens verweist. Das
Symbol deutet auf einen hinter ihm stehenden Sinngehalt, den es
in zusammengeballter Form kundgibt. Die Aussagekraft des Symboles
hängt ganz davon ab, ob die innere Einheit zwischen Gestalt
und Sinngehalt, zwischen dem Symbol und dem von ihm Symbolisierten
noch gesehen und empfunden werden kann: „Christliche
Symbole sind wohl für alle gültig, aber nicht für alle verständlich",
so schlußfolgert Wisser. Er sieht ein Wiederaufleben des Symbolverständnisses
durch die moderne Tiefenpsychologie und die Politik
der Gegenwart gefördert. Es ist nicht ganz einzusehen, warum
er die Kunst der Gegenwart dabei nicht erwähnt, da auch in ihr
das Symbolische als Ausdruckswert eine Aufwertung erfahren hat.
Eingehend befaßt sich Wisser mit der christlichen Grabikonologie
und weist nach, daß die Symbolgestaltung auf den Gräbern die
einzig sinnvolle Form des Glaubenszeugnisses ist, die über sich
selbst auf die hintergründige Tiefe des Lebens weist. Im Symbol
drückt sich Glaube nicht nur aus, sondern begreift er sich und
seine unaussprechliche Tiefe.

Radebeul Christian R i ets ch e 1

Müller-Schwefe, Hans-Rudolf: Kunst-Moral-Kirche (ZW 37,

1966 S. 90—102).
Rietschel, Christian: Marc Chagall (ZdZ 20, 1966 S. 54-57).

PHILOSOPHIE UND RELIGI01SSPH1L0S0PHIE

Till ich, Paul: Die Frage nach dem Unbedingten. Schriften zur Religionsphilosophie
, hrsg. v. R. A 1 b r e c h t. Stuttgart: Evang. Verlagswerk
[1964]. 268 S. 8° = Gesammelte Werke, V. Lw. DM 25.—.

In diesem V. Band der Gesammelten Werke P. Tillichs (die
Reihenfolge des Erscheinens entspricht nicht der Bandzählung)
sind 14 Aufsätze und Schriften wieder veröffentlicht, die allesamt
schon vorher in deutscher Sprache erschienen sind. Sie finden sich
teilweise in Zeitschriften, zwei davon sind Artikel der 2. Aufl.
der RGG. Nur in zwei Fällen handelt es sich um größere Schriften
von annähernd 50 Seiten, wovon die eine „Das Christentum und
die Begegnung der Weltreligionen" vor kurzem einen Vorabdruck
erfahren hat, den ich im Zuge dieser Reihe von Gesamtanzeigen
besprochen habe. Die vorliegende Sammlung ist in drei Gruppen
eingeteilt. Die erste ist überschrieben „Allgemeine Betrachtungen
" und enthält außer der eben genannten Schrift noch vier
andere Aufsätze von allgemein religionswissenschaftlichem Charakter
über nichtkirchliche Religionen, über die Zukunft der
Religion, Religion als Funktion des menschlichen Geistes? und
über die verlorene Dimension, durchweg Betrachtungen, in denen
die moderne Situation des Menschen, der sich der Religion gegenüber
in einer gewissen kritisch-skeptischen Verlegenheit befindet,
angesprochen ist. Die zweite Abteilung, Systematische Betrachtungen
, enthält vier Stücke: über Philosophie und Religion, über
Philosophie und Theologie, eine kurze mehr geschichtliche Abhandlung
über die zwei Wege der Religionsphilosophie, anknüpfend
an die Differenz: Überwindung der Entfremdung und
Begegnung mit dem Fremden. Der letzte Aufsatz dieser Abteilung
„Biblische Religion und die Frage nach dem Sein" macht unmißverständlich
deutlich, in welch hohem Maße die ganze Fragestellung
T.s auf die Ontologie hinzielt. „Der Name Jesus Christus
schließt die Ontologie ein", und „das Wesen Gottes als Macht des
Seins", solche Sätze zeigen an, daß hier Ontologie in einem den
Schulbrauch des Begriffes überwindenden Sinne gemeint ist. „Es
gibt keine besondere Ontologie, die wir im Namen der biblischen
Botschaft annehmen müßten ... Es gibt keine erlösende Ontologie
; aber die ontologische Frage ist in der Frage nach der Erlösung
enthalten". Die kritische Dialektik, in die sich die Frage
nach dem Sein durch die biblische Religion zurückgeworfen sieht,
erweist sich zuletzt doch als eine Gewinnung des eigenen Seins,

so daß Ontologie und Personalismus keine ausschließenden Gegensätze
sind.

Die dritte Abteilung „Religiöser Symbolismus" umfaßt fünf
kleine Aufsätze, die alle um die Begriffe Mythos und Symbol
kreisen. Sie sind also den heute vorwiegend verhandelten Problemen
der Hermeneutik zugewendet, ohne doch in den Tagesstreit
der Heerlager der in Deutschland das Gespräch usurpierenden
Schulen einzugreifen. Der Symbolbegriff ist bekanntlich ein
Schlüssel zur Systematischen Theologie T.s, aber ich gestehe ,daß
mich die frei verhandelte Philosophie des Symbols in diesen
Schriften mitunter mehr überzeugt als die dort geübte Anwendung
des Begriffs auf alte und geschichtsbclastete dogmatische Sätze.

Göttingen Wolfgang T r i 11 h aa s

Kempski, Jürgen von: Brechungen. Kritische Versuche zur Philosophie
der Gegenwart. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt [1964]. 331 S.,
1 Porträt 8° = Rowohlt Paperback 31. DM 12.80.

Der Herausgeber des „Archivs für Philosophie" und Professor
für Rechts- und Sozialphilosophie an der Universität Münster
legt hier neunzehn kritische Versuche vor. Daß sie „Brechungen"
betitelt wurden („Prismen" wäre vielleicht besser gewesen), mag
als modisches Dekor hingenommen werden. Was die literarische
Form betrifft, so handelt es sich um Essays, genauer {resagt: um
die Transformation von Wissenschaft in Publizistik. Eben dieses
Umwandelnkönnen scheint die spezifische Begabung des Autors
zu sein. Er meistert die Schwierigkeit, Philosophie unter die Leute
zu bringen. Nach Hegel ist im philosophischen Bereich Popularisieren
stets ein Fälschen. Hier aber ist es nicht so. Eleganz und
Durchsichtigkeit der Prosa verbinden sich mit genauer Sachtreue
(wobei die essayistische Form dem Autor die publikumsgefällige
Zuspitzung seiner Thesen erlaubt).

Mit dieser Kennzeichnung meine ich die Singularität dieses
Buches deutlich gemacht zu haben. Die Vielfalt der Themen macht
es beinahe zu so etwas wie einem Abriß der jüngsten Philosophie.
Der Leser mag allein aus den Titeln und Namen des Inhaltsverzeichnisses
Weite und Fülle des hier Diskutierten erraten:
I. Stilisierte Geschichte (Toynbee, Spengler, A. Weber, Sorokin.
Rüstow usw.); II. Links von Hegel (Marx, Bruno Bauer, Bloch,
Lukacs, Sartre); III. Dialektik der Philosophie (Jaspers, Wittgenstein
, die amerikanischen Linguistiker, Tarski, Husserl usw.).

Für den theologischen Leser wird der große Aufsatz über
den verschollenen und längst als abgetan geltenden Bruno Bauer
am anziehendsten sein. Die Umwertung, die K. vornimmt, läßt
sich nicht in ein paar Sätzen formulieren. Vielleicht sind aber
einige Zitate dienlich:

Für Bauer „gibt es schlechterdings kein hartes historisches Faktum,
das (vom Bibelkritiker) vorausgesetzt werden müßte und dürfte." „Die
Evangelien sind (somit) zu analysierende Texte und nichts sonst". B.s
„immanente Kritik der evangelischen Berichte und der paulinischen Briefe
bedarf zu ihrem Verständnis keiner Hegeischen Philosophie und keiner
Dialektik". Bs Kritik stößt auf ein Urevangelium: „...damit wächst
das Bild eines Urevangelisten, der, wenn auch sein Name nicht bekannt
ist, doch in seinem Text faßbar wird . . . Dieser Urevangelist. . . gestaltet
anschaulich, aus welchem Stoffe immer, Ideen, die im Selbstbewußt'
sein einer aufbrechenden Zeit liegen. B. hat, was immer sachlich vom
Ergebnis seiner Evangelienkritik zu halten ist, zumindest das Urevangelium
und den Urevangelisten groß gesehen ... Er hat ihn so groß ge'
sehen, daß man sich vorstellen kann, daß dieser Mann Weltgeschichte
gemacht hat. Von den Evangelisten nach dem Bilde der Formgcschichtlef
kann man dies nicht wohl behaupten, und doch sind es die Evangelien-
Texte gewesen, die einer neuen Welt zur Geburt verholfen und eine
alte verbrannt haben. Man pflegt die Evangelienkritik B.s zur Leben'
Jesu-Forschung zu rechnen. Genau dahin gehört sie nicht. . . , weil die
Frage, die B. stellt, so gestellt ist, daß erst ihre Beantwortung darüber
entscheidet, ob eine Leben-Jesu-Forschung .. . überhaupt ein sinnvolle
Unternehmen wäre. Man wird sagen dürfen, daß eine Forschung, die
diese Frage B.s zu stellen unterläßt, eine Voraussetzung macht, die erst
noch der Prüfung bedarf." „Was wissen wir von Jesus? Im Banne dieser
Frage steht alle philologische und formgeschichtlichc Arbeit. B. versagt
sich diese Frage, die auf ungeprüfter Voraussetzung beruht. . . Hier ist
— und wohl zum ersten Male — klar ausgesprochen, daß die historische
Tatsache das Ergebnis und niemals der Ausgangspunkt der Arbo*
des Historikers ist. Es ist vom vorgefundenen Tatbestand auszugehen'
und dies sind sicherlich die neutestamentlichen Texte. Sie führen schließ'