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Ausgabe:

1966

Spalte:

366-367

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Reimers, Karl Friedrich

Titel/Untertitel:

Lübeck im Kirchenkampf des Dritten Reiches 1966

Rezensent:

Stoevesandt, Karl

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 5

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KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT sog. „Sekten") ausführt, hätte er auch ohne Mühe ausdehnen

können auf die kirchlichen Gemeinden und verschiedenen Füh-

Zipfel, Friedrich: Kirdienkampf in Deutschland 1933—1945. Reli- rungsgremien der BK. — Der Kirchenkampf hat den Beteiligten

gionsverfolgung und Selbstbehauptung der Kirchen in der national- gezeigt, was Kirchen geschichte ist. Sie zu schreiben, heißt,

sozialistischen Zeit. Mit einer Einleitung von H. H e r z f c 1 d. Berlin: dem nachgehen, was dort einmal geschehen ist. Diese Kunst

de Gruyter [1965] XVI, 571 S. gr. 8° = Veröffentlichungen der Histo- kann mit den Mitteln des rein politischen Historikers nur sehr

rischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der unzulänglich erfüllt werden

Freien Universität Berlin, 11. Publikationen der Forschungsgruppe n j. • j e» j j ^

Widerstand beim Senator für Inneres von Berlin, 1. DM 38.-. , Dennoch wird man für das, was der Vf. in seinen Grenzen

, dij r ■ i i • i „„<i„„ geboten hat, dankbar sein müssen. Neben der Dokumentation ist

In diesem Buch wird ein umfangreiches, bisher zum groben . , , , , „....., KA . . , , ,. ...

-r ., , , . ~ „ . . , 6 ..££ ...j. j j -.,£ es nicht zuletzt das reiche statistische Material und die richtige

1 eil unbekanntes Qucl enmaterial veröffentlicht, das der Vr. i:rf,--,.__ j„, au,.;j,.. j~ r -u j- j • j ix- j

i.i j p i j ,i , j. r> <. r i Erfassung der Absichten des Gegners, über die auch in der Kirche

wesentlich den Sammlungen des amerikanischen Document Center ," . TS|, „ , 6 , . , .

■ „,._,, ,f Ti^t-i in a cv-- i i< so lange eine lauschung geherrscht hat.

in Bcrlm-Zchlendorf verdankt. Es handelt sich um Stucke verschie- Ber]i> 66 (

dener Herkunft: Aktenmaterial, Rundschreiben, Polizeiverfügun- ar up',,icl

gen etc. von NS-Dienststellen und Behörden. Insgesamt sind es . .,.,«...«,.. • , , _

68 Dokumente, die auf 270 Seiten im Wortlaut wiedergegeben R %l1T'T*- Karl , Lnl£* "". K,rd":nkamPf d« , .ntfen

.„ j i->. c i 1^.1. t £ ii l i i ' i ui Keiches. Nationalsozialistisches ruhrerpnnzip und evange isch- uthe-

werden Die Sammlung ,s sehr vom Zufall bestimmt, gleiclTwohl risdl£ Landegklrche von 1933-1945 Göttingen: Vandenhoeck &
von höchstem Interesse für jeden, der mit der Geschichte des Ruprecht i965. 390 S. gr. 8°. Kart. DM 19.80.
Kirchenkampfes beschäftigt ist. Man erhält einen Blick in die r . , , „ . , , v, ,

W—i . . j ir _i-i j j.j„ ru~. l <. . j«. ts ist anzunehmen, dab im ganzen nur die nach den Kirchen-

erkstatt des Verfolgers, und wenn es nach dem Charakter der . . , ... , . . 6 . , , . , ,. „__

„„i , » 11 i u c i__ . j j___i kamprschiiderungen der einzelnen Landeskirchen greiren, die selbst

gebotenen Auswahl auch nur Momentaufnahmen sind, manchmal , V c i j • j i ■ • j i ji i. i.

-,, j .... .. j i .... u j _ . i den Kampf mehr oder minder aktiv mit durchgestanden haben.

auch nur Abzüge aus zweiter oder dritter Hand, so sind die ge- .... K_ , „ , , . , , . ,

d u j ju ■ j j n — j„,j.~:;__ Aber dies Buch muß der heute heranwachsenden Generation, und

wonnenen Bilder doch eindrucksvoll genug, um die durchgangige .. , j. i ■ j_ j. j , ,, j t>

T„„j j v j. j d i- • i i i j d • i nicht nur der theologischen, dringend empfohlen werden. Der

lendenz der Kirchen- und Religionspohtik des Regimes erkennen ... , , , f.., , . vr, , r , , , n

,„ i »i j . . i if j- i j i,i j. «i»i i i Wortlaut des Titels „Lübeck im Kirchenkampf des 3. Reiches ist

zu lassen. Aber damit ist das Verdienst des Vf. auch größtenteils . . n „ , , j. -r • i i_

„„j .. Ct T-i- j alj i j n i i. j n zu beachten. Der Verf., der zu jung war, die Zeit mitzuerleben,

erschöpft. Die dem Abdruck der Dokumente vorangehende D a r - , , , . ^, , , ^ ^ i . f .

i, j vi jl_i c jd j.i-i i und der kein Iheologe ist, hat es unternommen, den Verlaut des

Stellung des Kirchcnkamprcs, wie sie der Buchtitel anzeigt, ... . . <• . n . j • n *r- „ , i T ..i <

^r.k„ -j.i -j.ijr n j -i t -irr i i Kirchenkampfes im Reich in großen Zügen an Hand der Lübecker

entspricht nicht den Erwartungen. Gerade weil der Vf. mehr geben , r / r • • n i j j n c -

i T . n i • l n j- Vorgange darzustellen. So ist ein Buch entstanden, das selbst für
will als nur eine Interpretation seines Qucllenmaterials, muß die . 6 .6 , .. . ,, , , ,
Frage erlaubt sein, ob er der größeren Aufgabe tatsächlich gerecht den mlt der Matene Vertrauten spannend zu lesen ist.
geworden ist. Selbst wenn das Interesse vornehmlich der kirchen- Eine Einschränkung ist allerdings zu machen. Weil es sich bei
Politischen Seite zugewandt ist, erfordert das Thema eine Lübeck um eine Landeskirche ausgesprochen lutherischer Richtung
angemessene Berücksichtigung der inneren, theologischen handelt - die einzige reformierte Gemeinde stand außerhalb der
Momente, die den Kirchenkampf vom ersten Tage an bestimmt, Landeskirche -, ist die gewichtige Bedeutung des Reichsbruder-
gehemmt und gefördert haben, ohne die auch keine kirchenpoli- rates> insonderheit nach der Ocynhauser Synode, etwas zu kurz
tische Entscheidung getroffen wurde. Gerade die seit einigen Jahren gekommen. Hier wird der Verf. der historischen Wirklichkeit, um
dank der Förderung durch die Kommission der EKiD für die Ge- die er sich im übrigen erfolgreich bemüht, nicht gerecht. Besonders
schichte des Kirchenkampfes laufend veröffentlichten Darstellungen wertvoll für spätere Zeiten, das muß hervorgehoben werden, sind
des Kirchenkampfes in den einzelnen Landeskirchen zeigen, wie die ausführlichen Zitate nationalsozialistischer und deutschkomplex
die ganze Bewegung war, wie sich in den einzelnen christlicher Phrasen aus dem Munde der damals maßgeblichen
Phasen der Entwicklung auch ein Stück der Tragödie des modernen Männer - zugleich eine Warnung für alles politische Reden.
Protestantismus enthüllte und wie alle Urteile, die sich allein um Und noch eine kleine Beanstandung. Der Schluß ist zu abrupt,
das Stichwort „Widerstand" aufbauen, zu bedenklichen Verkür- Der Übergang in die neuen Verhältnisse ist außer in den „intak-
^Ungen führen. Der Vf. ist dieser Gefahr leider nicht entgangen. ten" Kirchen überall schwierig gewesen. Man hätte gern erfahren,
u'e „kämpfende" Kirche kann als solche nur richtig gewürdigt durch wen und in welcher Vollmacht die Lübecker Kirche wieder-
werdcn, wenn man versteht, daß sie als ein annseliges Fischer- hergestellt worden ist. Denn der Kirchenkampf hat gezeigt, daß
b°ot, dessen Insassen auch von Angst und Zweifel geplagt wurden. es eigentlich um ganz Anderes geht als um Rechtsfragen. Wenn
Um den Sieg des Glaubens rang. Es ist zu bedauern, daß der Vf. die Kirche 193 3 weithin dem Rausch der DC anheimgefallen ist —
~le Kirchenkampfarchive in Berlin, Bielefeld und Hamburg nicht ist man 1945 bedacht gewesen, sich bei dem Neuanfang theo-
"enutzt und auch zu den bekannten und beteiligten Sachkennern logisch gegen ähnliche Katastrophen zu sichern? Eine der Gefah-
Keinc Verbindung aufgenommen hat. So ist die von ihm genannte ren, wie aus diesem Buch hervorzugehen scheint, besteht für das
umfangreiche Literatur nicht mit der kritischen Sachkenntnis und Luthertum in der Neigung, der Obrigkeit gehorsam zu bleiben,
nabhängigkcit des Urteils ausgewertet worden, wie man es sich während in westlichen Denominationen das „Resistezf" größere
wünschen möchte. Die prominenten Namen, die er nennt, in Ehren, Geltung hat. Daß die Lübecker Kirche (S. 22) im Jahre 1928 den
t>er der eigentliche Widerstand war keineswegs nur eine Sache Staat um einen Senatskommissar bittet, ist im übrigen Protestan-
^er ..Führung". Es war weit weniger Glorie und Schwerterklang tismus ziemlich undenkbar.

a' s es scheint, und gerade deshalb ein Glaubenskampf. Ich Docn wie dem aUch sei, der Lübecker Kirchenkampf hat inner-
sch s? dic Aufzählung einer nicht geringen Reihe von Ver- halb der bisher erschienenen Darstellungen in der starken Besch
m' man mödlte fast bci jedcm Vorgan?' den der vf- tonung des Luthertums seine eigene und wertvolle Bedeutung,
"oert, hinzufügen: es war viel problematischer, vor allem viel Dem nicht vom Luthertum herkommenden Rezensenten fällt auf,
mger schneidig. Und wenn schon das Berliner Lokalkolorit er- daß jm ganzen recht wenig von der Gemeinde die Rede ist. Das
A einen soll: Kirchenkampf gab es nicht nur in Dahlem, wo die mag fur fan Verf. als Historiker dadurch gegeben sein, daß kaum
ten p der Prominenten den Platz um Niemöllers Kirche umlager- aktenkundig geworden ist, wie die Gemeinden mitdachten und
bcsiirV WCn" ,U* wcni?cr von motoris'ertcn Gottesdienst- mitmachten. Immerhin wird erwähnt (S. 148), daß 90 % der kirch-
ab ler"' hat sich in allen Stadtteilen, nicht zuletzt im Osten, ]ich erfaßten Kreise Anhänger der BK waren, und später heißt es
■ spielt, worüber ein reiches Material vorliegt. (§. 344 u. 35o), daß „ach einer eindrucksvollen nächtlichen Kon-
dje ^° nattc ich mir denken können, daß die Dokumentation, für firmation außerhalb der Landesgrenze „eine lebendige junge Ge-
n , man dem Vf. nur dankbar sein kann, ihr rechtes Licht erst er- meinde" heranwuchs, und daß während der Kampfesjahre die
der Cn '1attc' wcnn in seiner Darstellung etwas von der Not „Laiengemeinde aufgewacht" sei. Hauptsächlich waren es die
fri rir'j. 'nrcn Weg ringenden Bruderräte, in denen es nicht nur Pastoren, die ihren Mann standen, unterstützt von einigen Juri-
bar Zl'ging. aber auch etwas vom Atem der Gemeinden spür- sten. Dadurch wird dem Eindruck nach der Kampf auf die kirchen-
Kaamt*? m warc- Was er darüber in dem Kapitel über den politische Ebene verschoben. Für die Gemeinden jedoch sollte
P der kleineren Glaubensgemeinschaften (gemeint sind die wohl „Barmen", das nur selten genannt wird, Zeichen und Losung