Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1966

Spalte:

361-362

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Marienwerder, Johannes

Titel/Untertitel:

Vita Dorotheae Montoviensis Magistri Johannis Marienwerder 1966

Rezensent:

Haendler, Gert

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

361

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 5

362

Cassien, Jean: Institutions Cenobitiques. Texte Latin Revu, Intro- enthält Traktate über ihre Marter und Tröstungen, Buch 5 be-

duction, Traduction et Notes par J-C. Guy. s. j. Paris: Lei Editions scnreibt ihr Reklusendasein, Buch 6 schildert ihre Beziehungen

du Cerf 1965. 531 S. 8" Sources Chretiennes, 109. Serie de« Texte« ___ ru • » d j. u t j l j.*. i,. . ,

Monastiqucs d'Occidcnt. XVII. ffr. 39.-. Z,U Ch™T « j T?des?ehn.s"*t' .welt"e Visionen d

ihren Iod. Am Schluß des Bandes folgt eine Zeittafel, die sehr

Schon der Wichtigkeit der Institutiones wegen wird man präzise den Lebensweg der DM aufzeichnet (S. 409-18).

diese von J -C. Guy besorgte zweisprachige Neuausgabe freudig Aus der FülIe de, Materials fd ejnige, herausgegriffen: Die 1347

Begrüßen, die in der Reihe der Textes Monastiques d Occident geborene Dorothea begann schon als sechsjährige mit asketischen

nicht fehlen durfte. In einer erstaunlich knappen, aber doch aus- Übungen, die mit mystischen Erlebnissen Hand in Hand gingen: wir

reichenden Einleitung (S. 7—19) behandelt G. neben den not- hören „de vulneribus eciam sibi a Domino inpressis" (II, 24, S. 86).

Wendigsten biographischen Stationen des Johannes Cassianus den Die Zehnjährige beginnt im Winter ihren Leib zu töten durch eiskaltes

Plan des Werkes, dessen Zusammenhang mit den Collationes Wasser und behält diese Obung bis zu ihrem 46. Lebensjahre bei (II.

Patrum, die Datierung, die früheren Editionen sowie die Über- *?• S-85)- y«heiratet sie sich nach langem Widerstreben mit

Setzungen. Eine ausgewählte Bibliographie gibt das Wichtigste *nem we.entHdi Mann; Danzig wird ihr neuer Wohnort. 1364

zum -rt r »1-6 6 erfolgt die erste Vision ihres Lebens, 1366 wird ihr erstes Kind ge-

um inema Kassian. borcn 13?4 werden dic Gebeine der hl. Brigitta nach Danzig gebracht;

Im wesentlichen stützt G. sich auf den von Petschenig in der in ihr sieht D. ihr großes Vorbild. 1377 taucht als neuer Zug ihrer

Wiener Kirchenväterausgabe edierten Text. Er konnte jedoch auf Frömmigkeit die Sehnsucht nach häufigem Sakramentsempfang auf:

eine bisher unberücksichtigt gebliebene Handschrift, den Sesso- -Et quia non dabatur tociens, quociens magnifice desideravit, destituta

rianus 66, zurückgreifen, die sich in der Biblioteca Vittorio n'mium viribus infirmabatur, et quo sumpto mirifice recreabatur" (II,

Emmanuele II befindet; er benützte auch einen Palimpsest von *2' S ^ Bjs zcu welcher Intensität ihre Frömmigkeit ansteigen kann,

Bobbio, der einige Fragmente aus den Institutiones enthält. TF a ' a ~ iA^T ,ntebr'ebatur «P'"*™ «j««

6 6 dulcedme, quod tanquam ebna incessit. Et quandoque tota in lllic

G. datiert das Werk vorsichtig auf die Jahre 420—424, gibt deliciis spiritualibus consopita et a sensibus alienata tamquam dormiens

aber den engen (auch chronologisch engen) Zusammenhang mit jaeuit, et tunc dormire aut amenciam pati reputabatur" (II, 40, S. 106).

den Collationes Patrum zu, die Dom Cappuyns auf 425-426 Andererseits hat D. 9 Kinder zur Welt gebracht! 1385 erlebt sie, daß

datiert hat (während er die Institutiones 424-425 abgefaßt *£ ei" neu" "f™ eingesetzt wird unter Rückgriff auf Ez. 36 26/27

glaubt) (III, 1. S. 112). Eine Folge dieses Vorganges ist: ,,Et vocem Domini

' cotidie audivit uno tarnen tempore purius et validius quam alio" (III,

Den früheren französischen Übersetzungen (Sieur de Saligny 2. S. 114). Ganz offensichtlich ist nicht etwa an tägliches Bibellesen
1667; Don Pichery 1925) stellt G. eine ganz neue Übertragung gedacht, sondern an tägliche direkte Offenbarung. Auch sich 6elbst
gegenüber, dic sich eng an den Text hält, jedoch flüssig und lesbar sieht Dorothea ,,glasklar": „Vnluitque in sc tamquam per cristallum
•st. Der kritische Apparat und die Fußnoten geben die notwendige peccata minutissima, immo eciam peccata sua singula, videre. Ab isto
Orientierung. Die Druckfehler (etwa bei deutschsprachigen Zi- anno etatis sue quadragesimo primo usque ad finem vitc sue, ut freuten
) halten sich durchaus in tragbaren Grenzen. ?uenter «Pwcelesri lumine fuit illustrata ipsa suis spiritualibus oculis

■ fuit pervia et transparens (III, 2, S. 115). Im nächsten Kapitel bittet

Uie Benutzung des Werkes wird durch einen „Index Scrip- D. Maria um das Jesuskind: „O Virgo dilectissima, gloriosa Mater,

waire" sowie einen „Index des Mots Principaux" erleichtert. fuper omnes benedicta, presenta, ostende et tribua mihi tuum filium

Obgleich eine lückenlose Erfassung gewiß schwierig gewesen wäre, dilectissimum" (III, 3, S. 116). D. stellt sich in eine Reihe mit Symeon,

erscheint mir der für den Namen- und Sachindex aufgestellte den Hirten und den 3 Weisen aus dem Morgenlande. Sie hat da«

Grundsatz: „Pour certains mots d'usage frequent, nous n'avons Empfinden, daß ihre Bitte erhört wird: „Tandem post multa alia suppli-

s'gnale qu'un choix plus limite d'emplois" (S. 509) nicht glücklich c/toria ac Wanditoria verba ex inceridio divini amoris ad Virginem

»u .„:„, _____ .i ..i .. r u j.-£i- • • j j- ii «Ii directa fuit misencorditer exaudita a Matre Dei. Que projecit quoddam

*u sein; wer sich naher mit Lassian beschaltigt, wird diese Unvoll- , , : ,., . . , . , . " r ' .

««„J- ii >i r ii i i ta. .ti. i delectabile inter brachia ejus, quod ipsa grate ac cum magna dclecta-

andigkct jedenfalls bedauern. Dieser zweite Index ist auch sonst Honc suscipieTls. ifrr,£ caritatis divine fuit inflammata et ineffabili

»oit fehlerfrei. Alacritas cordis (S. 510) sucht man unter V, 29 gaudio repieta-. (ebda, S. 116). In schwerer Krankheit leidet sie die

vergeblich. Ein Wort wie parsimonia wiederum, das in die Nähe Passion Jesu mit (III, 15, S. 133).

oh" Plaupcrtas (S- 525 oben) usw- genört' "eht nicht im Index, Während Dr. Johann von Marienwerder die besondere religiöse

°Bwohl es bei Cassian des öfteren auftaucht (so V, 5, 2; 7). Begabung jener Frau erkennt und ihre Erlebnisse aufzeichnet, macht

Hallr/Saale [lan«-Joadiim Diesner man ihr in Danzig den Vorwurf der Ketzerei. Der Danziger Geistliche

Dr. Rose steht ebenso gegen sie wie der Offizial Heinrich vom Stein,

KlRr'llIJNr'VQr'Uir'lJTU IIITTPI A I TVD der ihr die Ketzerei des Freien Geistes vorwirft. Dorothea siedelt nach

l«"cnii/LfCÖL.i1i UM I Ii: ml I I E L/L l Ii II Marienwerder über. Sie läßt sich dort 1393 als Rekluse einschließen im

W Dom, dem „navis contemplacionis" (V, 25, S. 251). D. ist ohne Ge-

• 11 p f a h 1, Hans, u. Anneliese Triller, [Hrsg.]: Vita Dorotheae schmacksempfinden und Schlaf, sie beichtet täglich und empfängt täglich

"lontoviensis Magistri Johannis Marienwerder. Köln-Graz: Böhlau die Kommunion „noctis tempore" (V, 38, S. 272). Es werden noch

L'**; XII, 424 S„ 1 Taf. gr. 8° = Forschungen und Quellen zur zahlreiche Erlebnisse geschildert: Dorothea fühlt sich in den Himmels-

^irchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands, hrsg. v. B. Sta- palast eingeführt (VI, 14, S. 308 im Anschluß an Hosea 2.20!), sie

CWS*L fühlt sich als B-aut. zu der der Bräutigam Christus mit der Menge der

b den gängigen Lehrbüchern und Nachschlagewerken sucht Heiligen kommt (VI, 22. S. 320), auch die hl. Brigitta erscheint ihr

ma" vergeblich nach Dorothea von Montau (gest. 1394) und <VH, 19, S. 355). Endlich erlebt sie im etwas J»Ja**» cordi«

*rem Biographen Johannes von Marienwerder. Letzterer war effractiva, que sue mortis erat causa (VII, 22, S. 3 58).

"a* 20jähriger Lehrtätigkeit an der Universität Prag 1387 als D'e Vita ist typisch für die mystische Frömmigkeit des

uekan des Domkapitels in seine Heimatstadt Marienwerder 14. Jahrhunderts, wie sie sich auch bei Laien fand. Für diese

zurückgekehrt. Nach dem Tode der Dorothea gab er zunächst Richtung wird uns eine neue Quelle zugänglich gemacht, die

13»6 eine kurze Lebensbeschreibung heraus, der 1 397 der Liber Bisher kaum bekannt war. Die Edition ist philologisch gründlich.

ae Festis fo,Rte ^ ^ (v/M n9g) dje hjer vorRelegte aus. weiterweisende Beziehungen fehlen. Der Index enthalt wohl

'Unrlichc Vita geschrieben wurde; später erschien noch ein wei- «■ a- den hl. Bernhard, die hl. Brigitta, dic Päpste Urban VI. und

»eres Werk, das septililium, in dem es wiederum um besondere B°nifaz IX.. da diese Personen in der Vita vorkommen. Ein Hin-

f'ebnisse jener Dorothea ging. Bei den Bollandistcn fanden 2 wcis auf Meister Eckhart, Tauler, Seusc oder Mechthild von

'"einische Viten Aufnahme, einige Zeitschriftenartikel gingen Magdeburg findet sich nicht. Hier möchte man weiterfragen:

"W die Quellen ein, - doch ist dic bisherige Forschungsgeschichte Was bedeutet es, wenn in II, 11, S. 75 schon von der sechsjährigen

.Uber D. nicht groß. Die jetzt vorgelegte Edition wird grund- die aequanimitas (Gelassenheit) gerühmt wird, - ein Terminus,

egend sein für mögliche weitere Arbeit: Die Literatur ist zu- d" in der zeitgenössischen Mystik so viel begegnet? Sicher hat

«mmengetragen, die Handschriften werden untersucht (S. 1-11). doch Johannes von Marienwerder diese Literatur gekannt? Hier

°?°n auf Seite 3 wird ein Überblick über den Inhalt der 7 Bücher müßten weitere Arbeiten den Standort der Quelle genauer an-

«eBoten: Buch 1 erörtert die Offenbarungen Dorotheas grund- geben; dafür bietet die vorgelegte Edition eine gute Voraus-

drurü Untcr Berücksichtigung der Echtheit und besonderen Aus- Setzung. ,

ua«wcise. Buch 2 und 3 behandeln ihr Leben bis 1391, Buch 4 Ro,,ock GertHaendler