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Ausgabe:

1966

Spalte:

13-16

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Dogma und Denkstrukturen 1966

Rezensent:

Seils, Martin

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 1

M

Bereich der Synoptiker. J. R. Robinson arbeitet eine Gattungsbezeichnung
Xöyoi (ooqjcov) aus christlichen und jüdischen Texten
heraus (77—96, unter Hinweis auf Q). H. Thyen handelt in einer
gründlich unterkellerten Monographie Taufe und Person des Johannes
ab (97—125); sie läßt in gedrängten Aussagen z.B. auch
Grundzüge des Jesusverständnisses des Verf.s erkennen. E. Dinkler
zeigt durch eine Analyse von „Petrusbekenntnis und Satanswort"
(127—153), daß der Perikope eine „ins Leben Jesu zurückweisende
Tradition" (152) zugrunde liegt: Jesus lehnt das jüdisch verstandene
Messiasbekenntnis ab. Ph. Vielhauer äußert sich zur Bedeutung
des Titels ,Sohn Gottes' im Mark.-Ev. (15 5—169). G. Bornkamm
erkennt in Matth. 28, 16—20 Züge der Polemik eines
hellenistischen Judenchristentums gegen den Kyriosglauben und
das Apostel- und Kirchenverständnis eines bestimmten hellenistischen
Christentums (171—191). G. Klein interpretiert „Lukas 1,
1—4 als theologisches Programm" (193—216) dahin, „daß Lukas
die Möglichkeit der historischen Gewißheit, die für ihn die Heilsgewißheit
fundiert, exklusiv an sein Werk bindet" (216). Nach
E. Haenchen, „Acta 27" (235—254), fügt Lukas hier in Erinnerungen
eines Reiseteilnehmers Paulus verherrlichende Partien ein.
K. Grobel zeigt in Rom. 2, 6—11 ein chiastisches Schema auf, das
auf das Hebräische zurückgeht (255—261). D. Georgi zieht für
eine Analyse von Phil. 2, 6—11 vor allem Sap. Sal. an; dem hellenistisch
-judenchristlichen Hymnus liege ein hellenistisch-jüdisches
Lied zugrunde (263—293); m. E. kommt bei der Interpretation
jedenfalls V. 8 zu kurz. W- Schmithals setzt die Schere nun auch
an l. und 2. Thess. an und gewinnt 4 ursprüngliche Paulusbriefe;
e i n Redaktor habe die Vielzahl der Paulusbriefe auf 7 zusammengedrängt
(295—315). H. Conzelmann bringt Sir. 24, 3—6 mit Isistexten
in Verbindung (252—234); leider ist das Stück nicht hebräisch
erhalten. Die Marburger Alttestamentier E. Würthwein
(„Chaos und Schöpfung im mythischen Denken und in der biblischen
Urgeschichte", 317—327) und O.Kaiser („Transzendenz
und Immanenz als Aufgabe des sich verstehenden Glaubens", 329
—338) beschließen Teil I, der in gewisser Weise neben Teil II
steht.

In beiden wird freilich sichtbar, daß die Schüler über den
Lehrer hinausgegangen sind (das Grußwort betont das sogar gegenüber
der „Rede von der Bultmann-Schule"). Die an Zahl weit
geringeren systematischen Beiträge der „Schüler" lassen wohl
dieses Hinausschreiten — und zwar nach augenfällig differierenden
Richtungen — deutlicher erkennen- Aber weder sie noch die als
exegetisch bezeichneten — die spezifischen „Schüler" bieten vorzugsweise
aus diesem Arbeitsbereich einen Beitrag — ermöglichen
es nun im ganzen, so etwas wie eine Bilanz der Wirkungen des
Lehrers R. B. auf seine Schüler und ihrer Wandlungen zu erheben.
Daß gerade in den letzteren methodisch und biblisch-theologisch
Weiterführendes sichtbar wird, scheint mir allerdings bedeutsam
zu sein.

Halle/Saale Gerhard Delling

[ S c h 1 i n k , E.:] Dogma und Denkstrukturen. Edmund Schlink zum
60. Geburtstag. Hrsg. v. W. Joest u. W. Pannenberg. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht [1963]. 117 S. gr. 8°. Kart. DM 19.80;
Lw. DM 25.—.

Dieser Aufsatzband ist Edmund Schlink zum sechzigsten
Geburtstag gewidmet. Alle Verfasser bemühen sich, eine Verbindung
ihrer Arbeiten zu dem Thema Schlinks herzustellen,
das der Titel des Bandes präzis mit der Frage nach dem Verhältnis
von Dogma und Denkstrukturen wiedergibt, also der Frage,
inwieweit das Dogma der Kirche oder die Dogmen der Kirchen
durch die Strukturen eines jeweiligen theologischen Denkens
bestimmt oder mitbestimmt sind.

Der Band wird eingeleitet mit einem Aufsatz von Ernst Kinder
zum Thema „Dogmatik und Dogma", der den Eindruck macht, als entstamme
er einer im Werden begriffenen und der Veröffentlichung zubestimmten
Gesamtdogmatik des Verfassers. Kinder sieht die Aufgabe
der Dogmatik darin, das „unbedingt Geltende" (S. 9) der im Christus-
gesdiehen begründeten Gottes- und Heilsbotschaft herauszuarbeiten.
Dieser Zugriff ins Wesentliche soll aber freigehalten werden von
der Gefahr eines systematisierenden Prinzips. Ein solches Prinzip läge
vor, wenn man das „lebendig Durchgehende" (S. 18) der umfassenden
Botschaft überfremdete durch den absolutsetzenden Vorgriff auf irgendein
Teilelement. Es würde aber auch dort aufgerichtet, wo man den

Glauben zum Leitprinzip machte und darüber das „Ob-jektive" seines
Geltens aus den Augen verlöre (S. 19). Das „unbedingt Geltende" ist
kein Prinzip, sondern primär ein „kontingent Reales" (S. 20), das selbstmächtig
bezwingt. Trotzdem stellt der „geöffnete Wirklichkeitsgehorsam
" (S. 20) den Dogmatiker vor eine „verwirrende Fülle" von
unbedingt geltenwollenden Aussagen. Eine Hilfe in dieser Situation
bietet das Dogma der Kirche, das ihm die Themen, denen er folgen darf,
aus „kirdilich-existentieller Erfahrung" (S. 20) vorgibt. Die Dogmatik
verharrt jedoch nicht bei einer explanatio symboli, sondern fragt eigenverantwortlich
nadi dem inneren Grund der Aussagen des Dogmas,
natürlich vor allem, indem sie auf die „Grundintentionen der biblischen
Verkündigung" (S. 26) achtet. Kinder formuliert umsichtig, bedachtsam,
um Genauigkeit bemüht. Er ist sich offenbar der gegenwärtigen Situation
des Problemraumes, in dem er lutherische Dogmatik zu entfalten sucht,
ganz bewußt. Er will sich auf die Situation nicht weiter einlassen, als
er das tut. Man wird also wohl auch nicht nach dem Sinn, den Begriffe
wie „real" oder „objektiv" für ihn haben, fragen wollen. Man wird
nur anmerken mögen, daß der Übergang von der starken Behauptung
der Selbstmächtigkeit des unbedingt Geltenden der Botschaft zum Verlangen
nach einer Themenvorgabe vom Dogma her durch den Verweis
auf eine „verwirrende Fülle" von Geltungsansprüchen gewiß auch seine
Schwierigkeiten hat. Und daß die Relation von Geltung und Erfahrung,
die hier eine so große Rolle spielt, der Theologie seit Kant Probleme
aufgibt, denen sich Kinder im Verlauf der Einleitung zur Dogmatik
irgendwo wird stellen müssen.

War diese Arbeit nur in einem weiteren Sinn mit dem Gesamtthema
des Bandes verbunden, so hat der Aufsatz von Henning
S c h r ö e r über „Struktur und Ordnung als theologische Leitbegriffe"
ganz unmittelbar damit zu tun. Es ist verdienstvoll, daß endlich jemand
den Strukurbegriff, der sich bei uns einer so steigenden Beliebtheit erfreut
, einer Untersuchung unterzieht. Schröer tut das, indem er vor
allem seiner Verwendung in der Philosophie seit Dilthey und in der
Theologie seit Barth nachgeht, eine theologische Zusammenfassung
einschiebt, dann den Ordnungsbegriff parallel hierzu, aber kürzer analysiert
und mit einer zusammenfassenden Feststellung schließt. Sie lautet:
„Struktur und Ordnung als theologische Leitbegriffe sind nicht Ausdruck
einer Mangelerscheinung des christlichen Denkens und Handelns, sondern
Riditlinien des Spielraumes christlicher Freiheit" (S. 55). Zu dieser
im ganzen positiven Beurteilung der beiden untersuchten Begriffe unter
dem Terminus „Richtlinie" kommt Schröer, weil er findet, daß der
Begriff „Struktur" auf einen usus theoreticus evangelii verweist, „d. h.
auf ein Gebot der Erkenntnis, das durch den Glauben erschlossen wird"
(S. 54). Parallel dazu geht der Begriff „Ordnung" auf einen usus
practicus evangelii. Beide befinden sich, was Schröer sehr deutlich
hervorhebt, damit im Problemfeld von Gesetz und Evangelium, sie
dürfen nur verwendet werden, wenn dieses Feld nicht außer acht gelassen
ist. Die Untersuchung ist hilfreich. Manchmal hat man allerdings den
Eindruck, als ob Schröer durch das Vorliegen des Begriffes „Struktur" bei
Schlink zu sehr gebunden ist. Die geschichtliche Vorliegenanalyse genügt
nicht. Der Begriff als solcher muß untersucht werden. Schröer bietet
wichtige Ansätze dazu. Der Satz, daß der Begriff „Struktur" wegen
„seiner Beziehung auf Integration zugleich die Gefahr in sich hat, ein
bequemes Surrogat bei Denkverlegenheiten zu werden" (S. 45), weist
auf eine Problematik fast unterhalb der Ebene von Gesetz und Evangelium
hin.

Ulrich W i 1 c k e n s behandelt den „Ursprung der Überlieferung
der Erscheinungen des Auferstandenen" als Beitrag „zur traditionsgeschichtlichen
Analyse von 1. Kor. 15, 1—11". Er will zweierlei ermitteln
: erstens die Funktion der in 1. Kor. 15, 1 ff. vorhandenen Einzelüberlieferungen
in der urchristlichen Kirchengeschichte, zweitens die
Vorstellungen, die in der Sprachgestalt dieser Überlieferungen vorausgesetzt
werden. Vor allem das letztere bindet den Aufsatz in die
Gesamtthematik des Bandes hinein. Die sorgfältig und unter Heranziehung
der weitverzweigten Literatur angestellte speziell traditionsgeschichtliche
Betrachtung ergibt eine sehr starke Atomisierung von
1. Kor. 15, 3—7. Wilckens unterscheidet kerygmatische Traditionsstücke
(15,3; 15,4a; 15,4b) und Traditionsstücke katechetischer Art über
Erscheinungen des Auferstandenen (15,5; 15,6; 1 5, 7). Ein besonderes
Interesse hat die Untersuchung bei 15,5 und 7, wo Wilckens sakralrechtliche
Legitimationsformeln für Gemeindeführer vermutet, die an Erscheinungen
des Auferstandenen gebunden waren. Den Parallelismus von
15, 3 b/4 a und 15, 4b/5a meint Wilckens vernachlässigen zu können.
Die „Aussage über den Tod Christi für unsere Sünden . . . und die Aussage
über die Auferweckung am dritten Tage" gehören nicht „ursprünglich
und organisch-geprägt zusammen", weil das ort -recitativum, das
sie einleitet, kerygmatische bzw. homologische Funktion hat und deshalb
normalerweise nicht wiederholt wird (S. 73). Ob das wirklich so
schlüssig ist? Die vorstellungsgeschichtliche Untersuchung sieht die
Sprache des Paulus geprägt durch frühjüdisch-apokalyptische Tradition.
Dazu wird, wie immer im Umkreis von Wolfhart Pannenbere, verwiesen
auf Dietrich Rössler, Gesetz und Geschichte. 1960. Aber Wilckens betont
doch auch, daß „die Geschichte der frühjüdischen Auferstehungs-