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Ausgabe:

1966

Spalte:

11-13

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Zeit und Geschichte 1966

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 1

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istam capitalem gloriam wil ich für dich (Gott) tretten cum
Corinthiis, Wittembergensibus, quod pure praedicarim. . . . Mit
dem glauben rühmen wir gegen Gott und heben seinen Zorn auff
und trotzen drauff, quod baptizatus in Iesum Christum. . .. Ideo
etiam iactamus opera bona, quod etiam fiduciam bringen coram
deo in iudicio, quia deus praeeipit." (W. A. 36, 450, 451). Coram
deo bedeutet immer, daß Gott als der gerechte Richter spricht und
handelt. Wir dürfen coram Deo gegen die Anklage der Welt auf
unsere Werke und unsere Liebe pochen, d. h. wir dürfen Gott
sagen: „Du hast es geboten! Du mußt zugeben, daß was du
geboten hast, ein gutes Werk ist. D u mußt ihnen (die Anklagenden
) zurückweisen und mir Recht geben!" Aber wenn Gott die
zehn Gebote glossiert (Sed quando tu vis glosirn X praeeepta,
nolo gloriari, sed oppono Ihesum Christum), dann können wir
uns gegen seine Anklage nicht verteidigen. Wir müssen dann
allein auf den Hauptruhm, Jesus Christus vertrauen. Aber sobald
wir das tun, dürfen und können wir auch coram Deo, non erga
Deum, auf unsere Werke und unsere Liebe pochen. Das „non
erga Deum" bedeutet mithin nicht, daß die Sache nicht unser
Verhältnis zu Gott betrifft, nicht sein Gebot der Liebe, sondern
nur, was „die Menschen von uns erwarten", sondern es bedeutet,
daß wir gegen den gerechten Zorn Gottes nicht auf unsere Werke
oder unsere Liebe pochen dürfen. Aber haben wir den Zorn
Gottes mit dem Christusglauben „aufgehoben", dann dürfen und
sollen wir uns auch vor Gott gegen die Menschen von unseren
Werken und unserer Liebe rühmen. Ich sehe nicht ein, daß 1532

eine wesentlich andere Auslegung von l.Joh. 4, 17 als 1527,
1543 und 1545 vorliegt. Der Gedanke von dem doppelten Ruhm
coram deo steht bei Luther nicht vereinzelt da. Wir finden ihn
sehr deutlich in der Disputation „De veste nuptiali" von 1537
ausgesprochen: „Licet ita christiano et maxime doctori ecclesiae,
cum iuxta praescriptum verbum vivit, gloriari. Imo non solum
coram Deo licet, sed etiam debemus contra adversarios de vita
et doctrina nostra vera gloriari, quia oportet nos certos esse,
nos esse in hoc vitae genere, id doecre et agere, quod Deo propter
Christum placet, et cum ita de vitae nostrae statu certi sumus sub
alis miserentis Dei, possumus gloriari, quod sanete, pie ac iuste
vivamus." (W. A. 39,1, 304, 31). Dieser Satz aus der Disputation
von 1537 enthält die genaue Interpretation der Gedanken von
der doppelten Zuversicht in den Reihenpredigten von 15 32. Die
These von Althaus, daß Luther in jenen Predigten den Gedanken
von der Zuversicht oder Freudigkeit, welche die Liebe verleiht,
nicht auf das Verhältnis zu Gott bezieht, läßt sich nicht aufrechterhalten
. Sie beruht auf einer Fehlinterpretation der Begriffe
„coram Deo" und „erga Deum".

Die Fragen, die ich zur Lutherinterpretation von Althaus zu
stellen habe, gehen aber nur Einzelheiten an. Im Ganzen finde
ich seine Lutherinterpretation zutreffend. Das Werk ist eine
saubere und solide Gesamtdarstellung der ganzen Gedankenwelt
Luthers, wie wir sie lange vermißt haben.

Die Theologie und die Kirche des Luthertums ist dem Verfasser
zu Dank verpflichtet für diese wertvolle Gabe.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

[ B u 1 t m a n n , Rudolf:] Zeit und Geschichte. Dankesgabe an Rudolf
Bultmann zum 80. Geburtstag im Auftrage der alten Marburger und
in Zusammenarbeit mit H. Thyen hrsg. v. E. D i n k I e r. Tübingen :
Mohr 1964. XIII, 749 S., 1 Porträt, gr. 8°. Lw. DM 48.—.

Die 4 5 Beiträge sind, übrigens auch wiederum innerhalb dieser
Abteilungen, inhaltlich geordnet: I. Exegetische Beiträge (3—33 8),
II. Systematische Beiträge a) Zur Theologie ( 341—475), b) Zur Philosophie
(479—588). III. Konkretion und Zeit-Geschichte (591—746).

In einer Festschrift, die einem in besonderer Weise theologisch
einflußreich Gewordenen gewidmet ist, wird unter
Umständen in stärkerem Maße von dessen Theologie die Rede
sein als in anderen, die freundliche Zeichen des Gedenkens zum
Festtage sammeln. In der vorliegenden tritt das schon im Titel
einzelner Beiträge hervor. G. Harbsmeier („Die Theologie R. B.s
und die Philosophie", (467—475) bemühte sich in einem Rundfunkvortrag
zu zeigen, wieso R. B. notwendig „in der Weise der
Existenzphilosophie den christlichen Glauben verständlich zu
machen sucht" (474 f.). G. Krause („Dietrich Bonhoeffer und
R. B.", 439—460) will entgegen anderen das Positive im Verhältnis
Bonhoeffers zu R. B. deutlicher gesehen wissen. H. Schulte
zieht in „R. B.s Stellung zum Alten Testament und ihre Bedeutung
für den Religionsunterricht" (719—727) Folgerungen aus jener für
diesen. (In weiteren religionspädagogischen Abhandlungen geht es
um das Verhältnis der synoptischen Christusbotschaft zum historischen
Jesus als Unterrichtsproblem — H. Stock — [703—717]
bzw. um „Die Gottesebenbildlichkeit als pädagogisches Motiv"
— M. Stallmann — [729—746], in einer geistes- und auslegungsgeschichtlichen
Skizze.)

Die Theologie R. B s hat ihre Geschichte. In sie führt, wenn
auch recht indirekt, ein Abschnitt „Aus der letzten Marburger
Vorlesung" (gehalten 1928) von M. Heidegger, eine Auseinandersetzung
mit Leibnitz (491—507). Die vorangehende Skizze von
H. G. Gadamer, „Martin Heidegger und die Marburger Theologie"
(479—490), berichtet vor allem über Begegnungen mit dem Philosophen
. Um Nachwirkungen der Theologie R. B.s und um die
indirekte Auseinandersetzung mit ihr geht es in weiteren Aufsätzen
in II a. Ernst Fuchs druckt eine überarbeitete Vorlesung
vor franzöisischen Germanisten über „Das hermeneutische Problem
" (357—366), G. Ebeling seinen Beitrag zu einer Ringvorlesung
der Universität Zürich: „Zeit und Wort" (341—356),
in dem er, dem Gesamtthema jener entsprechend, insbesondere
vom Zeitproblem ausgeht. Dazu gehört thematisch Seh. M. Ogden,

The Temporality of God (381—398); Ogden setzt bei Heidegger
ein. H. Ott, „Existentiale Interpretation und anonyme Christlichkeit
" (367—379), ist bemüht, eine „sachliche Verwandtschaft
zwischen Bultmanns .cxistentialer Interpretation' und Rahners
.anonymer Christlichkeit'" aufzuzeigen (375), wobei er sich freilich
„teilweise einer anderen Terminologie" bedient „und teilweise
andere Akzente" setzt als R.B. (371). Um Konsequenzen
aus R. B.s Theologie nach der anderen Seite geht es bei H. Braun,
„Gottes Existenz und meine Geschichtlichkeit im Neuen Testament
" (399—421), der hier „Eine Antwort an Helmut Gollwitzer"1
zu geben versucht, der ihn mehrfach mißverstanden habe, und bei
M. Mczger, „Redliche Predigt" (423—438).

Der Titel der Dankesgabe nimmt Stichwörter auf, die für
die theologische Arbeit R. B.s bedeutsam sind: sie begegnen wie
in einigen schon genannten Beiträgen auch in weiteren, sei es in
der Überschrift (u. a. E- Voegelin, „Ewiges Sein in der Zeit",
591—614), sei es im Inhalt (etwa bei W. Anz, „Christlicher Glaube
und griechisches Denken", 531—555). In den fast die Hälfte des
Bandes einnehmenden „Exegetischen Beiträgen'' 6ind die Aufsätze
mit dem Stichwort Eschatologie an die Spitze gestellt. Sie
stammen von N. A. Dahl, „Eschatologie und Geschichte im Lichte
der Qumrantexte" (3—18), der betont das Recht in Anspruch
nimmt, die beiden ersten Wörter „altmodisch" zu gebrauchen (3),
und 7 profilierte Thesen zum „Verhältnis von historischem Geschehen
, eschatologischer Lehre und Neuinterpretation der Schrift"
(14) an den Schluß stellt (14-17); von A. N. Wilder, Eschatology
and the Speech-Modes of the Gospel (19—30), der vom Begriff
des Sprachereignisses insbesondere bei Fuchs ausgeht, und von
W. G. Kümmel, „Die Naherwartung in der Verkündigung Jesu"
(31—46), der das zeitliche Verständnis der betreffenden Sätze im
Sinne „der baldigen Verwirklichung von Gottes uneingeschränktem
Regiment" (36) unterstreicht.

Die folgenden Aufsätze stammen überwiegend von „Alten
Marburgern". E- Käsemann, „Erwägungen zum Stichwort Versöhnungslehre
im Neuen Testament'" (47—59), ein Referat, führt
die betr. Aussagen auf die „Doxologie der hellenistischen Gemeinde
" zurück (49) und unterscheidet zwischen einer anthropologischen
und einer kosmologischen Variante (die letzte findet
er auch in Rom. 11, 15; 2. Kor. 5, 19 f). H. Koesters, „Häretiker
im Urchristentum als theologisches Problem" (61—76), geht es
um den richtigen Begriff und den echten Maßstab für Häresie und
Rechtgläubigkeit. — Die nächsten 7 Beiträge bewegen sich im

l) Die Existenz Gottes im Bekenntnis des Glaubens (1963).