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Ausgabe:

1966

Spalte:

329-338

Autor/Hrsg.:

Jüngel, Eberhard

Titel/Untertitel:

Vorwärts durch Annäherung? 1966

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 5

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dem daß er sich als Apostel der Gemeinde gegenübergestellt
weiß, der die Frucht seines Leidens zugewendet wird. Kol 1, 24
läßt wegen des absoluten t/ rxxkrjota vermuten, daß nicht nur die
von ihm selbst gegründeten Gemeinden die Teilhaber dieser Zuwendung
sind, sondern die gesamte christliche Gemeinde.

Das Leiden des Jcrcmia ist zwar auch in der Tatsache seiner
Sendung begründet, vgl. 16, 1 ff; 15, 17 f u. ö., aber es ist doch
nur die auf ihn gelegte schwere Last, die ihn persönlich betrifft,
wird aber nicht — oder doch nur als Zeichen, 16, 1 ff — ein Bestandteil
seiner Wirkung * wie das bei Paulus und nun eben auch
bei Deuterojesaja der Fall ist46. Dabei braucht als Beleg für die
Bedeutung, die das Leiden des Gottesknechtes hat, keineswegs
nur an Jes 5 3 gedacht zu werden. Bereits Jes 50, 5—7 (49, 7.4) ist
davon in einer Weise die Rede, die sachlich an II. Kor 4, 8 ff;
6. 4 ff erinnert *".

So wird bei Deuterojesaja das Vorbild für das paulini sehe
Leidensverständnis zu suchen sein. Denn es genügt ja zur Begründung
eines Abhängigkeitsverhältnisses nicht, auf das Vorhandensein
von Leiden in der Ausübung seines Amtes auch bei Jcremia
hinzuweisen, wenn sich zeigen läßt, daß bei Deuterojesaja eine
sehr viel nähere Verwandtschaft vorliegt, zumal die Benutzung
des Jesaja-Buches und vor allem Deuterojesajas durch Paulus ganz
sicher ist, während das für das Jercmia-Buch überaus fraglich
bleiben muß.

Hat sich so an einigen wichtigen Punkten eine deutliche
Entsprechung zwischen dem apostolischen Selbstverständnis des
Paulus und dem prophetischen Amt des Gottesknechtes bei Deuterojesaja
zeigen lassen, so daß die Vermutung begründet erscheint
, daß Paulus in diesem ein Vorbild seines Apostolats im
Alten Bund gesehen hat, so erhebt sich zum Schluß eine besondere
Frage. Nämlich die nach der Deutung des Ebed Jahve von Jes 53
bei Paulus und ihrer Einordnung in den im Vorangehenden aufgezeigten
Tatbestand. Die einfachste Antwort wäre die, daß Pau-
'us sich selbst auch in dieser Gestalt vorgebildet gesehen hat".

Aber solche Antwort ist schwerlich richtig. Zunächst wäre,
verhielte es sich wirklich so, zu erwarten, daß irgendwo ein direk-
ter Hinweis auf Jes 53 in solchem Verständnis sich fände. Das ist
"'cht der Fall4H. Weit gewicht! ger ist freilich, daß daraus eine für
"aulus unmögliche Gleichstellung mit Christus folgen würde. Nun
^tjillerdings die Frage, ob er den Inhalt von Jes 53 christologisch

*') Vgl. G. von Rad, Theologie des Alten Testaments II. 2. Aufl.
,961. 288.

L 4r') Zum Unterschied im Verständnis des Leidens bei 1er und
üt)s vgl. auch W. Zimmerli, ThWB V, 670 f; Saß, Apostclamt, 91.
, **) G. von Rad, Theologie II, 271, nennt als Thema der Gottcs-
•jncchtslicdcr geradezu „die Grundfunktion, die das Prophetenbild
ma's konstituierte, die des Verkündigens und des Leidens".

") So antworten etwa Windisch, Paulus und Christus, 137. 175.
,;79 u-ö.; Stanley, a.a.O. (s. Anm. 18), 385. 415 ff; vgl. auch die in
3hnhche Richtung weisenden Bemerkungen von E. Käsemann, Die Legi-
t'mität des Apostels. ZNW 41, 1942, 56.

4H) Auf diese Tatsache hat E. Lohmeyer, DLZ 55, 1934, 1496,
Segen Windisch hingewiesen.

gedeutet hat, nicht mit absoluter Sicherheit zu beantworten. Denn
„alle paulinischen Bezugnahmen auf Ebed-Jahwe-Aussagen des
Dtjs außer R 15, 21 . . . benutzen altes Traditionsgut" 49. Indessen
läßt die Benutzung der traditionellen Aussagen mit einiger Sicherheit
den Schluß zu, daß Paulus in Jes 5 3 eine Weissagung auf
Christus gefunden hat.

Hätte er sich also, ebenso wie in dem Gottesknecht bei Deuterojesaja
sonst, auch in dem Ebed-Jahve von Jes 53 als Apostel
vorgebildet gesehen, so würde er sich — jedenfalls in einer bestimmten
Weise — mit seinem Herren identifizieren. Er weiß sich
aber doch nur als ein „Sklave Jesu Christi", Rom 1, 1 (Phil 1, 1;
Gal 1,1). Er wird seinem Herren dereinst die Gemeinde verantwortlich
darzustellen haben (II. Kor 11,2), wenn alle, auch er,
vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden müssen (II. Kor
5, 10).

Die richtige Antwort wird über die beiden Stellen Rom
10, 16 und 15, 21 zu finden sein. Dort begegnen zwei Zitate aus
dem Komplex Jes 52, 13—53, 12 (nämlich aus 53, 1 und 52, 15),
die beide auf die apostolische Wirksamkeit des Paulus bezogen
sind. Auffälligcrweise sprechen sie aber nur von der Verkündigung
des Inhalts von Jes 5 3, nicht von dem Inhalt selber. Durch
sie stellt sich der Apostel, sofern er sie nicht ganz ohne Rücksicht
auf ihren Zusammenhang gebraucht, was angesichts der gezielten
Auswahl schwerlich anzunehmen ist, dar als der Verkünder der
Botschaft von Jes 53. So erscheint die Vermutung begründet, daß
er zwar sich mit dem deuterojesajanischen Gottesknecht im allgemeinen
identifiziert hat, Jes 5 3 jedoch alleine auf den Christus
bezog und dieses Kapitel so gleichsam aus seinem Zusammenhang
mit den übrigen Ebed-Jahve-Liedern herauslöst. Da die anderen
Ebed-Aussagen entweder, wie in den Liedern, von ihm in der
ersten Person reden, oder sonst in direkter Gottesrede über ihn,
alleine in Jes 5 3 dagegen in der dritten Person rückschauend wie
nach seinem Ende von ihm gehandelt wird r'°, kann in solcher
Differenzierung der Aussageform der „exegetische" Grund für
eine Aufteilung, wie wir sie bei Paulus annehmen, gefunden
werden.

Damit erhält auch die einzigartige Stellung, die Paulus sei-
nem Apostolat beimißt r' ihre Vor-Bildung bei Deuterojesaja.
Auch Deuterojesaja „weiß, daß das Kommen des Heils für sein
Volk und für die Welt an seine Person gebunden ist" r,a, vgl. etwa
Jes 49, 1 ff. Für den christlichen Apostel ist es allerdings notwendig
, den einzigartigen Platz Christi im Heilsgcschchen deutlich
zu markieren. Das ist durch den alleinigen Bezug der Aussagen
von Jes 5 3 auf ihn erreicht. Aber der Apostel ist dem
Christus und seinem Werk zugeordnet als einer, dessen Amt der
Verkündigung heilsgeschichtlich notwendig zum Evangelium
hinzugehört.

*•) J. Jeremias, ThWB V, 704.

50) Vgl. dazu von Rad, Theologie II, 268 f; Zimmerli, ThWB V,
664, spricht von einem Danklied der Gemeinde.

51) Vgl. z.B. Windisch, Paulus und Christus, 168 („Jesus der Eine
— Paulus der .Erste' nach dem Einen", in dessen Werk sich das Schicksal
der Welt vollendet); Lohse, Ursprung und Prägung, 272.

") I. Beglich, Studien zu Deuterojesaja, 1938, 152.

Vorwärts durch Annäherung ? *

Von Eberhard J ü n g e I , Berlin
I. bene Studie durchliest, merkt: orientieren will sich hier ein Schüler
Fi. n i B -i -n. i j • Karl Barths, und zwar nicht (löblicherweise nicht) über die
. cm „Referat aus Base über einen Theologen aus und in ' " ' . . . .7. ti,„„1„„;,. „™ Prr.ct V,,A..
Marburo- "7„;.j. j a o. j a j. j d u- Theologie, sondern vielmehr in der I heologic von ernst luchs.
*«ngAuf 17 pCriiAnnierung °,de' Anzeichen der Bcunruh.- dabcj den Marb Th«oiof«! zugleich an der
^hen" ' Der Vf ?S a v Ä. n L ' VC"' Kirchlichen Dogmatik des Baslers orientieren will, läßt sich allerer
soll' onenH a w " T" ^ings nicht übersehen. Immerhin, man redet wieder miteinander.
__J°ll_or,ent,ert werden? Wer die nicht ohne Liebe geschne- ™*£ ^ ^ bemerkenswert genug.

(Fi r> 1 * n 8 m c ' e Jürgen: Ernst Fuchs. Versuch einer Orientierung.

"Referat aus Basel). Zürich: EVZ-Verlag [1964]. 56 S. 8° = Theo- Die Studie Fgm.s verdient Beachtung. Gilt sie doch einem

8'sdic Studien, hrsg. v. K.Barth u. M.Geiger, 80. Theologen, der — wie nur wenige — Studenten geprägt hat und

steh ^-r?" KarI Barth: Rudolf Bultmann. Ein Versuch, ihn zu ver- noch prägt, und der - wie erst recht wenige - sehr eigene theo-

en. Thcol. Studien 34, Zürich 1952. logische Denkwege zu gehen wagte und wagt. Beachtung verdient