Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1966

Spalte:

309-310

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Feine, Hans Erich

Titel/Untertitel:

Kirchliche Rechtsgeschichte 1966

Rezensent:

Pirson, Dietrich

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

309

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 4

310

Feine, Hans Erich: Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche.
4., neubearb. u. erweit. Aufl. Köln-Graz: Böhlau 1964. XXIII, 788 S.
4°. Lw. DM 48.—.

Die nunmehr in 4. Aufl. vorliegende .Kirchliche Rechtsgeschichte
' von H. E. Feine hat bereits bei ihrem ersten Erscheinen
im Jahre 1950 und dann aus Anlaß der dritten Auflage
im Jahre 1955 verschiedene eingehende Würdigungen erfahren
[ZevKR 1, 1951, S. 307 (Erik Wolf); ÖAKR 2, 1951, S. 314 (W.
Plöchl); ZfKG 64, 1952/53, S. 186 (K.A.Fink), AkatKR 124,
1949/50, S. 566 (N. Hilling); ThLZ 1957, 218 (O. Weinberger)].
Trotzdem erscheint es nicht überflüssig, neben den Erweiterungen,
die die 4. Aufl. gebracht hat, noch einmal den besonderen Charakter
zu erwähnen, der diesem Werk bereits seit seinem ersten
Erscheinen eignet. Da mittlerweile die mehrbändige Geschichte des
Kirchenrechts von W. Plöchl fast vollständig erschienen ist, liegt
ein Vergleich jener beiden jetzt zur Verfügung stehenden Standardwerke
nahe. Es zeigt sich, daß angesichts der unterschiedlichen
Akzentuierungen, die Feine und Plöchl ihren Darstellungen
geben, diese sich vorteilhaft ergänzen. Während Plöchl eine nach
einer gewissen Vollständigkeit strebende Schilderung der einzelnen
Institutionen und Gebiete des innerkirchlichen Rechts in den
verschiedenen Entwicklungsstufen zu geben bemüht ist, läßt Feines
Wesentlich knappere Darstellung die Entwicklungsgeschichte des
Kirchenrechts stärker hervortreten und gibt den auch für die Profangeschichte
wesentlichen Fragen der Kirchenverfassung, der Ämterorganisation
und der Beziehung zwischen kirchlicher und weltlicher
Gewalt deutlich den Vorzug vor den rein innerkirchlichen
Materien.

Einige Hinweise auf die Art der Darstellung und auf die
Schwerpunkte, die der Vf dem Werk gesetzt hat, mögen dessen
Eigenart beleuchten, wobei ausdrücklich zu betonen ist, daß das
reichhaltige Werk noch unter mannigfachen anderen Aspekten gewürdigt
werden könnte.

Die Entwicklung des Kirchcnrcchts in der Antike wird in
relativ knappen Strichen gezeichnet. Das hat den Vorzug, daß die
Wesentlichen Entwicklungslinien deutlich hervortreten. Feine
nimmt wohl bewußt davon Abstand, die Schilderung der früh-
kirchlichen Rechtsentwicklung auf die Frage abzustellen, ob und in
Welcher Hinsicht das normative Element als ein originärer Bestandteil
der geschichtlichen Kirche anzusehen ist — eine Frage,
die in jüngster Zeit infolge einschlägiger Untersuchungen von Vertretern
der Wissenschaft des Neuen Testaments und der Kirchengeschichte
(u. a. Bultmann, v. Campenhausen, Cullmann, Käsemann
, E. Schweizer) stärker in den Vordergrund getreten ist; nur
einige kurze Anmerkungen sind dieser Frage gewidmet. Es zeigt
sich überhaupt, daß Feine in der Auswahl der Darstellung nicht
Primär geleitet ist von der Absicht, die vielfach kontroverse Bewertung
kirchlicher Rechtsbildungen und -entwicklungen durch
°eues Material zu beeinflussen. Die hierin liegende Objektivität
Pegegnet z. B. auch In dem Abschnitt, in welchem Feine den
'nneren Zusammenhang zwischen der politischen Situation des
j/hendlands in der Spätantike und dem Erstarken der päpstlichen

r'rnatialgewalt darlegt. Zweifellos gibt eine derartige Neutralität
*'ner historischen Darstellung einen eigenen Wert. Es darf bei
"'eseni Anlaß aber doch vielleicht auch ein anderer Gesichtspunkt
?}lr Erwägung gegeben werden: Im Zeichen des ,.eigenständigen
f^rchenrechts" stellt sich viel dringlicher die Aufgabe, nach dem
J kirchlichen Sinn legitimen Kirchenrecht zu forschen. Unter
Lesern Aspekt wäre es nun andererseits durchaus wünschenswert.
Wenn man gerade vom Kenner der tatsächlichen Entwicklungsgeschichte
bisweilen einen helfenden Hinweis erhielte, um be-
^teilcri zu können, ob die einzelnen Ergebnisse der Rechtsent-

'cklung um kirchlicher Belange willen zwangsläufig waren oder

s unzulässige Konzessionen an inncrweltliche Gesetzmäßigkeiten

u begreifen sind.

£ Eine besondere Note erhält die Darstellung Feines durch das
1 ewicht, das dem Eindringen germanisch-rechtlicher Elemente in

Cn kirchlichen Rcchtsbcreich beigemessen wird. Feine ist be-
sVu ^e Tragweite der Erkenntnisse, die man in dieser Hin-
jJJM seit den Forschungen von U. Stutz gewonnen hat, erkenn-
jj zu machen, indem er die Auswirkung jener germanistischen

^Prägung auf den gesamten Bereich der kirchlichen Rechtsordnung
hervorhebt. Vermutlich ist die Diskussion über das Ausmaß
der Germanisierung des Kirchenrechts noch nicht abgeschlossen
. Ungeachtet aller etwaigen Einzelkritik wird man jedoch sagen
dürfen, daß in Feines Darstellung überzeugend herausgearbeitet
ist, inwiefern eine Querverbindung besteht zwischen der Rezeption
des am Sachenrecht orientierten germanischen Rechtsdenkens
und den eigenartigen Strukturgesetzen der mittelalterlichen Kirchenverfassung
, die sich in der römisch-katholischen Kirche zum
Teil bis heute erhalten haben. Gerade die diesbezüglichen Partien
des Werks sind sicher geeignet, um auch der Forschung auf dem
Gebiet der Kirchengeschichte und der Dogmengeschichte (Sakramentsdenken
) weitere Anregungen zu liefern.

Bei der Charakterisierung der kirchlichen Rechtsentwicklung
in der Neuzeit war dem Vf offensichtlich daran gelegen, die Abwehrstellung
der katholischen Kirche gegen den modernen Staat
als ein maßgebliches Motiv ihrer Rechtsgestaltung hervortreten
zu lassen. Er begegnet der Haltung der katholischen Kirche mit
weit größerem Verständnis als es früher im allgemeinen von Seiten
protestantischer Autoren geschehen ist.

Die hier angedeutete Wahl der Schwerpunkte hat unter anderem
die Folge, daß das Werk neben seiner Bedeutung als Beitrag
zur kirchenrechtshisrorischen Forschung eine weitere Bedeutung
gewinnt als ein besonders geeignetes Hilfsmittel für den
akademischen Unterricht im Kirchenrecht, bei welchem ja verständlicherweise
die staatskirchenrechtliche Problematik eine gewisse
Bevorzugung erfährt.

Die Neuauflage hat keine prinzipiellen Veränderungen im
Hinblick auf die Anlage des Werks und die Gliederung des Stoffes
gebracht. Somit wird auch in der jetzigen Fassung in weitem
Maße das Urteil von U. Stutz, namentlich bei der allgemeinen
Charakterisierung des Entwicklungsprozesses, in wörtlichen Zitaten
wiedergegeben. Obwohl Feine die Kennzeichnung des letzten
Abschnitts der kirchlichen Rechtsgeschichte als „Vatikanisches
Kirchenrecht" beibehalten hat, deutet er an, daß die neuen Entwicklungen
, die seit dem Pontifikat Johannes XXIII. sichtbar werden
, später einmal eine Revision der Auffassung von der epochemachenden
Bedeutung des Vatikans I erforderlich machen
könnten (S. 666). Die mannigfachen Ergänzungen, durch die der
Text bereichert wurde, sind vornehmlich durch Einzelergebnisse
der neueren Forschung veranlaßt. Erwähnenswert ist z. B., daß
namentlich unter Hinweis auf Untersuchungen von H. F. Schmid
die Erscheinung der Genossenschaftskirche stärker ins Blickfeld
gerückt wurde (S. 185 ff, 209 ff, 228 ff). Ferner haben in verstärktem
Maße Besonderheiten der außerdeutschen Rechtsentwicklung
Berücksichtigung gefunden. Schließlich verdient noch hervorgehoben
zu werden, daß der bisher schon vorbildliche wissenschaftliche
Apparat um zahlreiche Hinweise auf die neueste und auch
früher noch nicht zitierte ausländische Literatur vermehrt wurde,
was die Bedeutung des Werks als unerläßliches Hilfsmittel für
die kirchenrcchtshistorische Forschung weiter erhöht.

Marburg/Lahn Dietrich P i rs o n

Bertrams, Wilhelm: Papst und Bischofskollegium als Träger der
kirchlichen Hirtengewalt. Die rechtstheologischen Voraussetzungen und
deren Auswirkungen. München-Paderborn-Wien: Schöningh 1965.
71 S. gr. 8°. Kart. DM 7.80.

Bielitz, Klaus: Begründung, Feststellung und Änderung des Bekenntnisstandes
von Kirchengemeinden (ZevKR 11, 1965 S. 382—389).

Dombois, Hans: Zur Kritik am Landeskirchentum (ZevKR 11, 1965
S. 403—407).

Flatten, Heinrich: Das Ärgernis der kirchlichen Eheprozesse. Paderborn
: Schöningh [1965]. 35 S. gr. 8°. Kart. DM 2.80.

Fogliasso, Emilio: II ,,Ius Publicum Ecclesiasticum" e il ,,Ius
Constitutionale Ecclesiae" (Salesianum 27, 1965 S. 425—435).

Fürst, Carl Gerold: Die „geborenen" Kardinäle (ZKTh 88, 1966
S. 51-74).

Gast, Franz Georg: Stipendium und Unterhaltsvertrag im fränkischkirchlichen
Recht (ZSavRG 82, 1965 S. 24-138).

Müller, Iso: Die Pfarrei-Präsentationen des Klosters Disentis
(ZSavRG 82, 1965 S. 139-189).

Wolf, Ernst: Der Beitrag des Kirchenkampfes zur Frage der Begründung
, Feststellung und Änderung des Bekenntnisstandes von Kirchgemeinden
(ZevKR 11, 1965 S. 363—382).