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Ausgabe:

1966

Spalte:

308

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Brünneck, Wilhelm von

Titel/Untertitel:

Zur Geschichte und Dogmatik der Gnadenzeit 1966

Rezensent:

Liermann, Hans

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Seite 1

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307 Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 4 308

von der Orgel begleitet bzw. geführt. Der Einbruch der Instru- gewünscht. Seine Äußerungen über die Zuordnung von Pfarramt

mental-, insbesondere der Orgelmusik, in den lutherischen Gottes- und Kantorenamt bilden zwei merklich divergierende Reihen. So

dienst läßt ängstliche Gemüter nach ihrer liturgischen Legi- bleibt die abschließende Bitte an den Verfasser, diese offenge-

timität fragen. Das Gutachten der Wittenberger theologischen lassene Frage doch noch einmal aufzugreifen und nach Möglichkeit

Fakultät von 1597, das der Orgelmusik ihre Funktion als Gottes- einer Lösung zuzuführen. Doch möchte mit dieser Bitte nicht der

lob zuerkennt, gibt die theologische Grundlage für die weitere Gesamteindruck des so verdienstlichen Buches verwischt werden.
Entfaltung der Orgelmusik und des Organistenamtes. Dresden Christoph Albrecht

Durch die Verbindung des Kantorenamtes mit der schulischen ... , ,, , , . ,. „ , , „ «i

und städtischen Musikpflege kommt es im 17. und 18. Jahrhundert Mitchell, Leonel L.: The ,Shape of the Baj>t.smal Liturgy (Angh-

. , ., , . r ii >• l-i i. -t-- i can Theological Review 47, 1965 S. 410—419).

zur Ausbildung des „Stadtkantors — wobei schon dieser Titel ,, . , ~, . . , . __. . _ ,

, ,^ °,T i , ... , Walle, A. van de: Christusbcgegnung und liturgische Gemeinschaft

seine doppelte Verwurzelung deutlich macht. (Concilium 2, 1966 S. 8 8-94).

Neben der Kirchenmusikpflege durch die Schulchöre ent- Weyer, Martin: Joseph Rheinberger als Orgelkomponist (MuK 36,
standen (meist um 1600) die „Kantoreigesellschaften" mit ihren 1966 S. 11—16).

bis ins einzelne gehenden Statuten. Viele größere und kleinere KiDfUCMorrUT

Orte erhielten durch diese Chöre einen ungeahnten musikalischen Ii / fl L II Ii i lili L H i

Auftrieb. Die Arbeit der Kantoren erlebte eine große Blütezeit, Brün neck, Wilhelm von, Prof. Dr. jur.: Zur Geschichte und Dog-

die durch die schweren Notzeiten des 17. und 18. Jahrhunderts matik der Gnadenzeit. (Nachdruck d. Ausgabe F. Enke, Stuttgart

beendet wurde. Das Ansehen des Kantors (und damit seine Be- 1905). Amsterdam: Schippers 1963. V, 116 S. 8° = Kirchenrechtliche

soldung) sank im 18. Jahrhundert dahin. — Mit dem beginnenden Abhandlungen, hrsg. v. U. Stutz, 21. H.

19. Jahrhundert rückt dann der seminaristisch gebildete Lehrer in Der Nachdruck dieser für ein kirchenrechtsgeschichtlich inter-

das kirchenmusikalische Amt ein, aber in erster Linie als Organist, essantes Spezialgebiet grundlegenden Abhandlung, die einst als

weniger als Kantor. Das einstige Ansehen des Kantorenstandes Heft 21 der von Ulrich Stutz herausgegebenen „Kirchenrechtlichen

vermögen die Lehrerorganisten, die den kirchenmusikalischen Abhandlungen" erschienen ist und längst vergriffen war, wird

Dienst eindeutig als Nebenamt versehen, nicht wieder zu erneuern. sicherlich in Fachkreisen sehr begrüßt werden. Es handelt sich bei

Mit der Gründung der Kirchengesangsvereine seit der Mitte des der Gnadenzeit um eine zeitlich begrenzte Weitergewährung der

19. Jahrhunderts erwachsen dem Kirchenmusiker auch wieder in Erträgnisse einer Pfründe nach dem Tode des Pfründeinhabers,

stärkerem Maße kantorale Aufgaben. Kantor und Organist sind Sie ist zunächst in den Dom- und Kollegiatstiften nachweisbar

im Unterschied zu früher meist in einer Person vereinigt. und tritt urkundlich zum ersten Mal 1047 in einem Brüsseler

Daß der Lehrerorganist über ein Jahrhundert die Kirchen- Kolkgiastift in der Form in Erscheinung, daß der Pfründeinhaber

musikpflege betreut und damit eine große alte Tradition vor dem für dle D™eT fnes Jahres na* seinem Tode über das Einkommen

Verschüttetwerden bewahrt hat, wird die Kirche stets zu würdigen aus der Pf™nd<: zugunsten beliebiger Personen insbesondere für

wissen. Eine eigenständige, lebendige KirchenmusikPeege gibt es f^fmme und mildtätige Zwecke, aber auch zur Befriedigung seiner

erst wieder seit dem dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts. Mit Gläubiger, letztwillig verfügen konnte Zum Teil stand das

der Auflösung der Lehrerseminare im Jahre 1924 wuchs der Kirche Gnadenjahr in einem gewissen Zusammenhang mit der sogenann

die Aufgabe zu, ihren kirchenmusikalischen Nachwuchs selbst *en KfeJnzzc't' dl? dem Kanoniker h£] ,Antn" f*iner Stel,c d'"

heranzubilden. Dies ist die Geburtsstunde der Kirchenmusik- Genuß der Pfründe zunächst vorenthielt und ihn zwang eine

schulen und der Kirchenmusikalischen Seminare. Die Singbewegung, ^itlang auf. dleJ Ertragnisse zugunsten der Kirchenfabrik, de

die etwa gleichzeitig einsetzte, ergab chorische Möglichkeiten, die ^asse aus der die Präbenden gezahlt wurden, aber auch de*

dem neuen Wollen der jungen Kantorengeneration weithin ent- B.,s*ofs oder df Papsjes zu ™™Atfn/ ,1 Gnadenjahr dehn e

sprachen. Die Orgelbewegung brachte einen Umbruch im Orgel- ,SIch dann ™}<&f und ausgehenden Mittelalter von den Kanon

spiel und Orgelbau mit sich, der den Zielen der Singbewegung £atcn her auf andere kirchliche Amter, insbesondere auch auf di«

parallel geht. Als „Abkehr vom Kulturprotestantismus" und Pfarreie^n a^ und führte als Verfallserscheinung sogar mancherorts

„Heimkehr zum Gottesdienst" könnte man die neue Ausrichtung dazu' daß Kleriker zugunsten ihrer Konkubinen und der

der Arbeit der Kantoren schlagwortartig bezeichnen. Erst in den d,esen «zeugten K.nder letztwillig über das Gnadenjahr ver

letzten Jahren sind mit den Problemen der seriellen und elektro- ugten.

nischen Musik wieder grundsätzlich neue Fragen auf den Kantor , , Nach der Reformation bekam die Gnadenzeit im evange

zugekommen: Sind diese neuen musikalischen Mittel kirchen- 'iscnc" Kirchenrecht einen neuen Inhalt. Sie diente zur Versorgung

musikalisch kommunikationsfähig, oder kann es nur zu einer der Pfarrwitwen und Pfarrwaisen Dazu kam, rechtsgcschichtlia

Auseinander-Setzung kommen? interessant, durch die Rezeption des römischen Rechts die Bezug

_. . , , , , . nähme auf das weltliche römische Recht, das für die Hinterem^

Es ist ein besonderes Anliegen des Verfassers, bei der Er- benen kaiser]idler Beamter eine ahn]icbe Versorgung vorsah. Ihrer
orterung der heutigen Aufgaben des kantoralen Amtes heraus- Bedeutung entSprechend wurde die Gnadenzeit in den einzelnen
zustellen daß die Kirchenmusik darüber zu wachen habe, daß die Landcskirchen eingehend, aber partikulär verschieden geregelter
zwischen der Kirche und der Welt nicht zuschlägt (13 3). Ob ßa]d handeIte es sjch um ein Gnadenjahr, bald um eine kürzere
es aber richtig ist, schon bei der Wesensbestimmung des Kantors Gnadenzeit, bald mußten die Amtsbrüder die verwaiste Pfarrstelle
seine Dienste als Kulturträger (also seine Dienste „zur linken während der Gnadenzeit versehen, bald mußte die Pfarrwitwe
Hand ) mit einzubeziehen erscheint fraglich. - Aus der west- ejnen Verweser ste]len, den sie aus dem pfründenerträgnis mi««'
deutschen Sicht mochte Mul er besonders die Verbindung von ver n hatte. Bei diesem Verfahren blieb für die Hinter-
Kirchenmusik und Schulmusik gefordert sehen, wahrend er die b]iebenen oft weni ubri Gft fanden sich audl kaum Anwarf
Verbindung des hauptberuflichen Kantorenamtes mit nebenamt- auf derart sch]echt dotierte pfarrverwesungen. Deswegen wurd«
hcher Katechetik nicht für glucklich hält. diese Handhabung der Gnadenzeit in manchen Kirchen wieder

Ein Überblick über die Kirchenmusikschulen der Gegenwart, aufgegeben. Eine eingehende Regelung brachte das preußis*

über ihren Studiengang, ihren Lehrplan, ihre Prüfungsordnungen, Allgemeine Landrecht von 1794. Der Verfasser widmet ihr zu

über die Lebensverhältnisse des heutigen Kantors sowie über die Abschluß ein ganzes Kapitel. , t

kirchenrechtliche Neuordnung des Kirchenmusikerstandes rundet Wenn auch die Abhandlung von 1905 für das geltende Re*

die Ausführungen über den Kantor in der Gegenwart ab. kaum mehr unmittelbar einschlägig ist, so ist sie doch ins0 der

„Das theologische Gespräch über das Amt und die Ämter be- von Interesse, als sie einen Rechtsgedanken, den man m ^

wegt und erregt unsere Kirche seit Jahren" (203). In dem kurzen Sprache der Gegenwart als „sozial" bezeichnen kann und der ^

Schlußkapitel streift Müller diese Frage, leider ohne „näher in die in das moderne Bcsoldungs- und Beamtenrecht hinüberwirk .

Diskussion dieses Problemkreises einzutreten" (ebda). Gerade seir|er sich über Jahrhunderte erstreckenden Entwicklung zur

dieses hätte man sich aber bei dem Titel des Buches von dem Ver- Stellung bringt.

fasser, der Theologe und Direktor einer Kirchenmusikschule ist, Erlangen llnns Lierm««