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Ausgabe:

1966

Spalte:

292-293

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Diem, Hermann

Titel/Untertitel:

Sören Kierkegaard 1966

Rezensent:

Holm, Soren

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 4

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Brentano darin, daß er dem Bewußtsein eine „Intentionalität" zu- Denkens und die Linie der „biblischen Religion" im Unendlichen

schreibt, wahrend Brentano grundsätzlich nur von einzelnen inte;:- schneiden, so wäre nun an Landgrebe die Frage zu richten, ob

tionalen Beziehungen spricht. seine Metaphysik sich mit der biblischen Gotteserkenntnis nicht

Der weitere Schritt war dann die Hereinnahme des ontolo- schon in einem früheren Bereich trifft. Die Zuversicht, das christ-

gischen Denkens. Die Schüler Husserls nahmen meist nur eines der Iidle Reden von Gott des historischen Gewandes entkleiden zu

beiden Motive auf, entweder das deskriptiv-psychologische oder können, scheint mir auf einen solchen Bereich hinzudeuten. Aber

das ontologische; für Husserl jedoch ist gerade der Zusammenhang die Theologie hat, wenn sie sich von der Philosophie nicht einfach

beider wesentlich 'nr ^'e' vorschreiben läßt, keinen Grund, mehr als diese Frage zu

_ .,,,„, , , , t t i i- i-,. stellen; sie muß der Philosophie die Antwort überlassen. Wir

Zum Absch uß dieses Aufsatzes legt Landgrebe die Divergenz dürfen uns hkrzu yon Und bc noch wesentliche neue Aus-

zwischen Husserls und Heideggers Denken dar. Der gemeinsame fühningen erhoffen
Ausgangspunkt ist der „natürliche Weltbegriff". Heidegger hat _'.

von Husserl den Grundgedanken des „in-der-Welt-seins" über- - £Ein fünfter Beitrag stellt die Entwicklung der Lehre vom
nommen; Heidegger verläßt jedoch bewußt die „Methode der Empfinden dar. Hl« geht es "m dle Übernahme dieser Lehre aus
universalen Reflexion" und wirft der Phänomenologie das „un- der l^olope in die neue Ontologic. Daran fugt s.ch ein Auf-
beteiligte Zuschauen" vor. Damit fordert Heidegger eine neue Art satzJu1ber1dle Unrn.ttelbarkeit der Erfahrung. Beginnend mit Hegel
von Hermeneutik. „Für Husserl ist in der Tat Sein = Gegenstand Wlrd hlerb£ d,e. Lehre wiederum bis in die Gegenwart durchge-
sein, und eben diese Gleichsetzung ist es, gegen die sich Heidegger z°g.en- ~ D" s,fbte Abschnitt behandelt die Seiniregionen und
wendet" (S 3 8) regionalen Cytologien in Husserls Phänomenologie; hier wird der

regionale oder auch dimensionale Aufbau der Welt im phäno-

In einem zweiten Aufsatz beschreibt Landgrebe die Welt als menologischen Aspekt geschildert. Der große und abschließende

phänomenologisches Problem. Hier wird die Auseinandersetzung adlte Abscnnitt resümiert das bisher ausführlich Dargelegte und

Husserls mit dem Historismus und der naturwissenschaftlichen fuhrt darüber hinaus auf das entscheidende Problem hin: Er trägt

Weltbetrachtung dargestellt. In Zustimmung und Kritik deutet dje Überschrift „Husserls Abschied vom Cartesianismus". Husserls

Landgrebe schon den weiteren Horizont an, innerhalb dessen er Terminus der „transzendentalen Subjektivität" hat einen doppel-

selbst nach neuen Lösungen Ausschau halt. Zur Einfuhrung in diese ten Charakter; das Subjekt ist einerseits zu erfassen als intelli-

Erkenntnisbereiche ist der dritte Aufsatz gedacht, der dem Pro- gibles Selbst andererseits sprengt aber der Begriff der Subjek-

blem einer absoluten Erkenntnis gewidmet ist. Hier findet sich tivität audl dk dem Se]bst ge20genen Grenzen und ist nur erfaßbar

eine philosophiegeschichtliche Problemdarstellung, die bei Par- als intentionaie Korrelation zur Welt. Dies bedeutet die im Denken

menides einsetzt und bis zu Hegel geht. Schon dieser Beitrag fuhrt vonzogene Überwindung der unheilvollen cartesianischen Spaltung.

auf eine grundsätzliche Bejahung jenes philosophischen Wissens n , . , , ,. . ... .,

,. 6, , • i • * i " '. r, . „ . .___ Besonders ist noch zu verweisen auf die außerordentlich klare

hinaus, welches „in keine Alternative zum Glauben zu bringen ~ ., , T ,. , . n , ... ,

. „ . & Darstellung der Intersubjektivität in ihrer Bedeutung für das

lst (b- 7 1 Husserlsche Denken (S. 90 ff). Vom Wesen des Du her wird die
Phänomenologische Bewußtseinsanalyse und Metaphysik ist Einsamkeit des „Ego cogito" grundsätzlich durchbrochen; hier
das Thema des vierten Aufsatzes; auch hier wird ein philosophie- sch0n liegt der Ansatz zur Überwindung des Cartesianismus.
geschichtlicher Gesamthorizont entworfen. Im Mittelpunkt steht Husserl hat die Intersubjektivität als fundamental erkannt. Was
der Versuch Husserls, über die durch Descartes bestimmte Meta- bej jhm noch fehlt und dann erst bei Ebner und Buher, wie auch
physik hinauszukommen. Und der Höhepunkt dieser Ausführungen be; Heidegger hinzukommt, ist die Erkenntnis des Sprachliegt
da, wo Landgrebe auf Grund der philososphisch konstatier- geschehens als Grund aller Intersubjektivität.
baren „Intersubjektivität" als einem Urdatum des Seins ein volles Landgrebes Werk ist bei aller Vielfalt der Aspekte ein großes
Ja zur Metaphysik sagt, von der er fordert „die Transzendenz als Ganzes £s jst eme hervorragencJe Einweisung in die phänomeno-
das Du des göttlichen Anrufs zu bezeichnen (S. 107). Hier trifft ]ogisdie Philosophie und führt zugleich völlig eigenständig weit
sich eine streng philosophische Besinnung mit dem christlichen über Husser] hjnaus Fur djc zentra,en Fragestellungen heutiger
Gottesbegriff, Philosophie und Theologie treten damit ins Ge- Philosophie und Theologie hat dieses tiefschürfende und klar ge-
spräch. Dabei grenzt sich Landgrebe bewußt ab gegen den fcinwand, scnrjebenc Werk hohe Bedeutung

er habe hier sich von der Theologie das Thema stellen lassen, Wbrfldwn . i trieb Mann

„die vorgegebene Theologie kann nicht zum Maßstab des philo-

sophischen Denkens dienen"'(S1.108). Selbstverständlich gilt auch picm Hcrm;lnn: Söre„ Kierkegaard. Eine EinführunR. Göttingen:
das andere, „die christliche Offenbarung als geschichtliches Ereig- Vandenhoeck & Ruprecht [1964]. 107 S. 8° = Kleine Vandenhoeck-
nis war nicht unbeteiligt an dem Weg des philosophischen Denkens Reihe, 185/186. Kart. DM 3.80.

zum Absoluten" (ebda.). Beides gilt. Der philosophische und der Der TjteI ;Eine Einführung" entspricht dem Inhalt des Buches
theologische Weg muß jeweils gesondert begangen werden; sehr treffend. Es gibt wirklich eine Introduktion in die Gcdanken-
dennoch führen beide Wege in die Nähe eines gemeinsamen Zieles. we]t und Problematik Kierkegaards, und es ist natürlich ein großer
Landgrebe kommt zu dem Schluß; „Vielleicht ist es die Aufgabe Vortej, für den Verfasser daß er Kierkegaard in den dänischen
der konstitutiven Analyse menschlicher Existenz, die christlichen Originaltexten lesen kann. Die Besprechung des Buches kann
Reden von Gott von ihrem historischen Gewände zu befreien und 2iemlich kurz gefaßt werden, wejl cs im Wesentlichen eine Neu-
dieses selbst nur als die bestimmte Ausformung eines Wesens- ausgabe des 19„ erschienenen „Sören Kierkegaard, Spion i">
Verhältnisses sichtbar werden zu lassen ausgehend von dem letzten Dienste GottM. igt Natur]ich hat Kierkegaards Verhältnis zur
Faktum, daß wir so sind, wie wir sind (ebda.). Hegeischen Philosophie den Verfasser als Deutschen stark intcr-
So stößt Landgrebes Denken vom phänomenologischen Ansatz essiert, und er gibt sehr gute Ausführungen über diesen Punk •
aus bewußt zu einer neuen Metaphysik vor, die das Absolute als Mit Worten, die an den schweizerischen Philosophen Eb. Griseba
persönlichen Gott erfaßt. Daß es sich hier um keine Repristination erinnern, sagt der Verfasser, daß Kierkegaard nicht über dl
scholastischer oder orthodoxer Metaphysik handelt, braucht kaum Wahrheit der Wirklichkeit nachdenkt, sondern in der Wahrausgeführt
zu werden. Landgrebe dringt hier in Bereiche vor, die heit ist, indem er in der W i r k 1 i c h k e i t existiert. Das hän&
in der Theologie weithin tabuiert sind. Ich muß an dieser Stelle auch damit zusammen, daß die Wahrheit für Kierkegaard ein Weg
zugeben, daß ich selbst in meiner theologischen Religionsphilo- ist und kein Resultat oder ein fertiger Besitz,
sophie eine solche Metaphysik skeptischer betrachtet habe als ich Der Verfasser hat es glücklich gewählt, sein Buch systematisen
es auf Grund von Landgrebes überzeugenden Darlegungen heute und nicht chronologisch zu disponieren. In zwölf Kapiteln geling
noch für berechtigt ansehen kann. Hier wird von der Philosophie es ihm, die meisten Hauptgedanken bei Kierkegaard zu erhelle
aus ein außerordentlich kühner Schritt gewagt, der höchste theo- Ich vermisse eigentlich nur eine Darstellung von dem ästhetisch
logische Aufmerksamkeit verdient. Allerdings möchte ich immer und dem ethischen Stadium bei Kierkegaard, die von großem rK
noch einen Einwand vorbringen: Wenn es so ist, woran ich mit lang sind und die auch die meisten Leser stark interessieren. Di
Paul Tillich festhalten möchte, daß sich die Linie des ontologischen beiden Stadien hätten eine selbständige Erwähnung und Ausei