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1966

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Kirchengeschichte: Mittelalter

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 4

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Knechtsdienst in der streitenden Kirche, letztlich in dem, was wir
die inkarnatorische Struktur seiner Theologie nennen" (7).
„Menschwerdung und Kreuztod des Wortes Gottes weisen . . .
unausweichlich den Weg zum Dienst in der hierarchischen Kirche
von Rom. Alles Sichtbare in der Kirche wird zum Abbild des Unsichtbaren
" (ib.). Die Zusammenfassung dieser Grundzüge finden
wir in den Aufsätzen „Ignatius der Theologe" (214 ff), »Die
Christologie der Exerzitien" (251 ff) und „Geist und Kirche"
(370 ff); sie werden aber auch in den übrigen Untersuchungen
immer wieder sichtbar. Die Einheit in Gegensätzen, die uns in
dem Bild des Ignatius manche Rätsel aufgibt, hat nach R. ihr Urbild
in der Einheit des Gottmenschen, in der unterschiedlichen Einheit
von Gott und Mensch in Jesus Christus. Ob dieser Grundansatz
zur Deutung des Ignatius im Einzelnen von R. nicht doch überfordert
wird, sei jetzt dahingestellt; jedenfalls ergibt sich ein
Gesamtbild von eindrücklicher Geschlossenheit. Die Arbeitsmethode
von R. ist eine Synthese von Quellenkritik und Einfühlung
in die mystischen Grundkräfte dieses Lebens; sie ist in
imponierender Weise verwirklicht und hat ohne Zweifel zu neuen,
tieferen Erkenntnissen geführt. Bewundernswerte Gelehrsamkeit
und lebendige Schau sind in diesem Buch in hervorragender Weise
vereinigt.

Aus der Fülle des Inhalts kann nur Einzelnes herausgegriffen
werden. Eine Menge interessanter Details erfahren wir in dem
Aufsatz über die Geschichte des Hauses Loyola. Besonders wichtig
'st die LIntersuchung über die Vision in der Kapelle von La Storta.
Das Geschehen von La Storta steht in der Mitte zwischen Manresa
und Rom, zwischen dem Exerzitienbuch und den Konstitutionen,
also an einer entscheidend wichtigen Stelle in der Entwicklung des
Ignatius. Durch sorgfältige quellenkritische und psychologische
Analyse gelingt es R., den Verlauf und den Inhalt dieser Vision
klarzustellen. Ihr Ergebnis ist der Wille zum Dienst. Nur mit
innerer Ergriffenheit kann man den Aufsatz über Ignatius und
Franz Xaver lesen. Höchst reizvoll ist die Konfrontierung von
Ignatius und Filippo Neri, die eins im Ziel und doch von so verschiedener
Art waren. Als äußerst aufschlußreich für das Charakterbild
des Ignatius erweist sich die Untersuchung der Konstitutionen
, in denen seine eigenen Lebenserfahrungen ihren Niederschlag
gefunden haben. Entscheidend ist der Eindruck von der
maiestas des Crucifixus. In die Alltagsmisere, mit der auch ein
'gnatius zu ringen hatte, und zugleich in ihre großartige Überwindung
läßt die Darstellung von den Anfängen des Germanicums
einen Blick tun. In der Geschichte der Beichtfrömmigkeit nimmt
'gnatius eine epochale Stelle ein. Eine historische Einzeluntersuchung
von gelehrter Akribie ist der Aufsatz über Ignatius und
den italienischen Protestantismus. Es handelt sich dabei um die
Konversion der Dona Isabel Briceno. — Von zentraler Wichtigkeit
lst der schon erwähnte Aufsatz „Ignatius, der Theologe". Man kann
'gnatius nur in der Dialektik einer mystischen Analogia entis verstehen
. Sie bewegt sich in der Dreigestalt: Oben, Mitte, Unten,
tntscheidend ist der Ausgang „von oben". Man hat gesagt: Igna-
f'Us konnte Gott zu jeder Stunde finden. Das „Mittlere" ist Christus
und die Kirche. Es ermöglicht die Liebe zu den geringsten
"■tagen, zu dem „Unten". Die Gnade ist bei Ignatius wieder zur
j^atur geworden (228). „Im Kleinsten das Größte", das ist die
Losung bei Ignatius. — Der innerste Kern der ignatianischen Theorie
ist die Christologie. Das wird in einer Analyse der Exer-
2>tien durchgeführt. — Ignatius steht, unbeschadet seiner Originalität
, in der asketischen Tradition der Kirche. Entgegen allen
Verdächtigungen gehörte er nicht zu den Alumbrados. — Die
Anwendung der Sinne in der geistlichen Schulung ist schlicht und
sublim zugleich. — Geist und Kirche gehören für Ignatius innerlich
J-usainmen. Gehorsam ist die Lcibwerdung der Begeisterung. Aus
|eser Zusammengehörigkeit ergibt sich die Dialektik der ignatia-
,'sehen Frömmigkeit. Ein weiterer Aufsatz schildert das Interesse,
. as Ignatius in seinen letzten Lebensjahren der Arbeit in Deutschend
zugewandt hat. — Seit den Bußübungen in Manresa war
gnatius von Krankheit geplagt. Jahrelang haben ihn die Ärzte
jj rgrund einer irrigen Diagnose falsch behandelt. Es ist großartig
u sehen, wie Ignatius damit innerlich fertig wurde und wie er
p raus für sein Ordcnsidcal gelernt hat. — Lautlos, ohne jede
°se. ohne den erbetenen päpstlichen Segen und ohne den Empfang

der Sterbesakramente ist Ignatius aus diesem irdischen Leben geschieden
. In der .Grabschrift des Loyola", deren Ursprung R.
nachweisen konnte, findet sich der Satz: „Non coerceri maximo,
contineri tarnen a minimo divinum est". Hölderlin hat ihn
seinem „Hyperion" als Motto vorangestellt. Dieser Satz ist geeignet
, ein letztes Verständnis für das Wesen des Ignatius zu eröffnen
. Ignatius ist der in Gott Freigewordene. Die Dürftigkeit
des Irdischen wird zum Transparent himmlischen Reichtums. „Für
den Geist der Himmel, Rom für den Leib." (43 8).

Diese Proben mögen genügen, um den Reichtum des Buches
anzudeuten. Von seiner Gründlichkeit, insbesondere von der Belesenheit
in der spanischen Literatur, legen auch die 80 enggedruckten
Anmerkungsseiten Zeugnis ab. Eine fundierte Kritik
setzt eine Kenntnis voraus, die der Rezensent nicht für sieb
beanspruchen kann. Wahrscheinlich haben wir seit dem Tode von
Heinrich Boehmer überhaupt keinen solchen Kenner in unseren
Reihen. Das ist um so schmerzlicher, weil das Buch von R. eigentlich
nach einer entsprechenden Arbeit eines protestantischen Historikers
verlangt. Das traditionelle protestantische Ignatius-Bild kann heute
nicht mehr genügen; das macht das Werk von R. deutlich. Jahrhundertelange
konfessionelle Polemik von beiden Seiten wirkt in
ihm noch nach. Andererseits wird man auch einem so profunden
Kenner wie R. gegenüber die Frage nicht los, ob die Liebe zum
Meister nicht doch manche Dissonanzen zu systematisierend in
Harmonien verwandelt hat. Wir werden viele Urteile über Ignatius
revidieren müssen. Ob sich aber die historische Wirklichkeit so
lückenlos der Dialektik der Einheit in Gegensätzen einfügen läßt,
wie das bei R. geschieht, ist mir doch fraglich. War nicht auch
Ignatius „ein Mensch mit seinem Widerspruch"? Bei der Lektüre
von R. drängte sich immer wieder die Erinnerung an Holls
„Luther" auf. Beide Werke geben in der äußeren Form einer Aufsatzsammlung
ein in sich geschlossenes Gesamtbild. Beide Werke
sind Dokumente einer imponierenden Gelehrsamkeit und zugleich
einer unbedingten Verehrung für ihren „Helden". Die Synthese
von beidem scheint eine Voraussetzung für das Zustandekommen
derartiger Meisterleistungen zu sein. Aber vielleicht kommt der
kritische Abstand dabei zu wenig zur Geltung. Ihn mit der liebenden
Hingabe zu vereinigen, dürfte ein Ideal sein, das dem
Bemühen um die geschichtliche Erfassung eines geistigen Phänomens
zu stets erneutem Ansporn dienen kann.

Erlangen Walther v. Loe wenich

Worek, Joseph A.: Supernaturalitas obiectiva justificationis atque
gratiae habitualis apud Gregorium Ariminensem, O.S.A. (gest. 1358)
(Augustiniana 15, 1965 S. 419—461).

PHILOSOPHIE UND HELIGIONSPHILOSOPHIE

Landgrebe, Ludwig: Der Weg der Phänomenologie. Das Problem
einer ursprünglichen Erfahrung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
Gerd Mohn [1963]. 208 S. gr. 8°. Lw. DM 24.—.

Der Band enthält eine Anzahl von Aufsätzen, die Ludwig
Landgrebe zur Auseinandersetzung mit der Phänomenologie veröffentlicht
hat; er ist als Festgabe dem Autor zu seinem 60. Geburtstag
überreicht worden. Aus den einzelnen Aufsätzen ergibt
sich ein abgerundetes Bild vom Ursprung und vom Weg des
phänomenologischen Denkens. Das Hauptgewicht liegt auf der
Auseinandersetzung mit Edmund Husserl; die Erörterung führt
zugleich in Ludwig Landgrebes Denken ein und zeigt, wie in
seinem Sinn vom phänomenologischen Ansatz aus weitergedacht
werden muß.

Der erste Beitrag (Husserls Phänomenologie und die Motive
zu ihrer Umbildung) ist vorwiegend philosophiegeschichtlicher
Art. Er stellt Husserls Ansatz und dann die Weiterbildung seiner
Gedanken dar. Husserl kommt von der Mathematik her, seine
Habilitationsschrift war dem Begriff der Zahl gewidmet. Dabei
fragt Husserl von Anfang an nach dem Bewußtseinscharakter der
Zahl und findet ihn in der „Inbegriffsvorstellung" (S. 13). Jedes
Vorstellungsobjekt ist in irgendeiner Weise mit einer Zahl verbunden
. Der Rekurs auf die Vorstellung deutet schon an, daß
dieses Denken von vornherein über das rein Mathematische
hinausführen will. Husserl trennt sich dann von seinem Lehrer