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Ausgabe:

1966

Spalte:

227-228

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Altner, Günter

Titel/Untertitel:

Schöpfungsglaube und Entwicklungsgedanke in der protestantischen Theologie zwischen Ernst Haeckel und Teilhard de Chardin 1966

Rezensent:

Altner, Günter

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Seite 1

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227 Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 3 228

Doermer, Ursula: Wo fängt für uns heute Christus an? Kritische Lecuyer, Joseph Die liturgische Versammlung (Concilium 2, 1966

Überlegungen zum Gottesdienst (DtPfrBl 65, 1965 S. 392—393). S. 79—87).

Floristän, Casano: Der Gemeindegottesdienst und seine Seelsorgc- Lipphardt, Walther: Der karolingische Tonar von Metz, hrsg. B-

elemente (Concilium 2, 1966 S. 94-100). erläutert. Münster/W.: Aschendorff [1965]. XII, 309 S., 2 Taf. gr. 8*

Hucke, Helmut: Musikalische Voraussetzungen liturgischer Reform = Liturgiewissenschaftl. Quellen u. Forschungen, hrsg. v. O. Heiming,

(Concilium 2, 1966 S. 101—114). 43. Kart. DM 48.—.

Jungmann, J. A.: „Regnante vero Domino Nostro Jesu Christo" Schiller, Johannes: Über die Formulierung des Kollektengebets

(ZKTh 87, 1965 S. 309—312). (MPTh 54, 1965 S. 360-363).

— Wort Gottes und Wortgottesdienst (Bibel und Kirche 20, 1965 S. 70 Schröter, Martin: Der Kirchenmusiker in der Gemeinde (MuK 36,

—72). 1966 S. 1—10).

Referate über theologische Dissertationen in Maschinenschrift

Altner, Günter: Schöpfungsglaube und Entwicklungsgedanke in der
protestantischen Theologie zwischen Ernst Haeckel und Teilhard de
Chardin. Diss. Göttingen 1964. 200 S.1

Die Untersuchung gliedert sich in vier Teile. In einem ersten Teil
werden die bekanntesten protestantischen Verhältnisbestimmungen von
Schöpfung und Entwicklung kritisch dargestellt (O. Zöckler, K. Beth,
R. Otto, A. Titius, K. Heim). Die Wiedergabe des Haeckelschen Standpunktes
wie der Mystik von Teilhard de Chardin bildet den Rahmen,
innerhalb dessen die protestantische Theologie auf ihre Verhältnisbestimmung
von Schöpfung und Entwicklung befragt wird. Der Ontotogie
Nicolai Hartmanns, insbesondere dem Abbau der Teleologie im
Rahmen seiner Schichtenlehre, ist der zweite Teil der Untersuchung gewidmet
. Der dritte Teil — unter der Überschrift: Die Königsherrschaft
Christi als Möglichkeit einer gültigen Zueinanderordnung von Schöpfung
und Entwicklung — bringt den Versuch einer eigenen Verhältnisbestimmung
. Und der vierte Teil schließlich — bewußt als Anhang gekennzeichnet
— referiert den heutigen Stand der Evolutionsforschung.

Teil I.

Die untersuchten theologischen Werke weisen einige überraschende
Übereinstimmungen auf. Mit Teilhard de Chardin besteht Einigkeit
darin, daß es „Sprünge" in der Entwicklung geben müsse. Alle Autoren
sprechen sich für teletische Faktoren innerhalb der Entwicklung aus. Bei
der Mehrheit wird die Entwicklung als eine Stufenfolge von immer
höher organisierten Ganzheiten verstanden. Die philosophische Vorgabe
in Gestalt des von der Antike übernommenen und mannigfach umgeformten
Schichtungsgedankens ist unübersehrbar, wenngleich die dadurch
ermöglichte Synthese zwischen Schöpfungsglaube und Entwicklungsgedanke
bei den einzelnen Autoren verschieden motiviert wird. Beth
versteht Gott als die „unerschöpfliche Persönlichkeit", die die Schöpfung
nur auf die Weise der epigenetisch gefaßten Entwicklung Gestalt werden
lassen kann. Bei Otto wird der Mensch im Mysterium der Schau inne,
daß Gottes Schöpferhandeln die Welt wie eine Blume wachsen läßt, bis
sie ihre schönste geistige Blüte entfaltet. Titius preist die Ganzheitskausalität
. Sie ermöglicht eine Synthese in dem Sinne: Gottes Schöpferhandeln
macht die Geschichte der Natur zu einer „Geschichte fortschreitender
Siege des Geistes über den Stoff", die in einem Idealzustand der
Gottesgemeinschaft und Bruderliebe gipfelt. Heim wendet sich der
Existentialphilosophie zu und empfiehlt das Schema Polarität-Überpolarität
. Gottes überpolares Sein heilt den Schaden, der seit dem
Sündenfall menschliches Miteinander und menschliches Erkennen in
schöpfungsfeindliche Selbstauflösung zerspaltet. Teilhard de Chardin
entdeckt Innen- und Außenseite der Natur. Kraft des Gesetzes von der
Zentrokomplexheit — Bewußtheit ist die Welt einer auf den Punkt
Omega gerichteten schöpferischen Entwicklung unterworfen. Haeckel erhofft
, daß die Evolution des ihn göttlich anmutenden Kosmos in der
ethischen Vervollkommnung der Menschheit ihren Gipfel erreichen werde.
In Abwehr von Haeckels monistischem Entwurf wird also von Seiten
der Theologie eine Reihe von Verhältnisbestimmungen zum Thema
Schöpfung — Entwicklung geboten, die nun ihrerseits das monistische
Gepräge nicht verleugnen können. Obwohl Zöckler mit seinem naturwissenschaftlichen
Eklektizismus zum Beweise der Tatsache einer göttlichen
Schöpfung bereits auf dem Wege von Beth u. a. ist, hat er über
alle so gearteten Entwürfe das Urteil gesprochen, sie verfälschten das
freie Schöpfertum Gottes in „die naturgesetzlich gebundenen Aktionen
eines der Welt immanenten Weltbildungsprinzips". Mit anderen Worten
: In allen dargebotenen Systemen liegt eine Überfremdung der naturwissenschaftlichen
und der theologischen Methode durch philosophisches
Gedankengut vor. Die angestrebte Synthese geht auf Kosten einer
biblisch gebundenen Theologie der Schöpfung und einer exakt arbeitenden
Evolutionsforschung. Eine Synthese ist unmöglich.

') Erscheint gleichzeitig in erweiterter Fassung im EVZ-Verlag Zürich.

Teil II.

Teil 1 hebt als den großen Fehler der zur Debatte stehenden theologischen
Entwürfe ihre Anleihen bei der Philosophie hervor. Teleologie
und Stufenschema werden als die beiden zentralen Begriffe genannt.
Teil II bezieht das Werk Nicolai Hartmanns darum in die Untersuchung
ein, weil in ihm eine grundsätzliche Abrechnung mit dem teleologischen
Denken erfolgt. Hand in Hand mit dieser Auseinandersetzung baut
Hartmann seine eigene Schichtenlehre auf. Hartmann hebt voneinander
ab die Seinsweisen des realen und idealen Seins, die Seinsmodi (die
durchgehende Determiniertheit aller Wirklichkeit), die verschiedenen
Seinsstufen und die Seinsmomente des realen und idealen Daseins und
Soseins. Bei der Hartmannschen Ontologie handelt es sich um den Versuch
, die Frage nach dem Sein jenseits der Fehler der traditionelle11
Metaphysik zu beantworten. Deshalb greift Hartmann kritisch auf die
Metaphysik des Aristoteles zurück. „Diese Metaphysik ... ist für alle
Zeiten das Grundwerk der Ontologie geblieben," wohingegen die tradi-
tionelle Metaphysik in ihrem „unwiderstehlichen Zuge zur Teleologie
sich ständig verirrte. Im Sinne dieser kritischen Einstellung ist es nur
folgerichtig, wenn der philosophische wie der religiöse Gottesbegri"
bei Hartmann wegen ihrer teleologischen Konsequenzen dem Verdikt
verfallen. Hartmanns Ontologie anerkennt weder einen persönlichen
Schöpfergott noch eine göttliche Weltvernunft. Bei Hartmann gibt es
allein den des teleologischen Handelns mächtigen Menschen in einer
Welt, in der nur das möglich ist, was wirklich ist. Hartmanns Reduktion
der Teleologie, die man gerade auch vom theologischen Standpunkt aus
gegen Beth und seine Nachfolger begrüßen kann, bricht zu früh ab. Der
Mensch mit seinem teleologischen Vermögen wird ausgespart. Die ganze
kategoriale Gesetzlichkeit und die auf ihr beruhende starke Stufung des
Werdens im Bereich des realen Seins dienen letztlich nur der Untermauerung
dieser Autonomie des Menschen, die im Grunde genommen
nichts anderes ist als die aus den übrigen Bereichen des realen Seins
verdrängte und mannigfach potenzierte Teleologie. Mehr kann eine
Ontologie, wenn sie intellektuell so ehrlich ist wie die Hartmannsche,
nicht erreichen.

Teil III.

Wohl aber kann die Theologie nun ihrerseits — vorausgesetzt sie
fällt nicht zurück hinter Hartmann in die teletisch bestimmten „Schöpfungsstufenleitern
" von Beth u. a. — den Abbau der Teleologie und die
Einebnung der Stufen weiter vorantreiben. Dabei wird sie grundsätzlich
von einem anderen Ausgangspunkt aus und in eine andere Richtung
arbeiten. Sie wird sich auf den in Jesus Christus handelnden Schöpfergott
besinnen müssen, der den seine Freiheit verwirkt habenden Menschen
mit neuer Freiheit begnadet. Als dieser Begnadete ist der Mensch
ein von allen Geschöpfen abgehobenes Geschöpf. Er braucht dazu keine
Bestätigung von Seiten der Philosophie und Naturwissenschaft in Gestalt
von Teleologie und Stufenschema. Der Zu- und Anspruch Gottes des
Schöpfers in Jesus Christus macht den Menschen vielmehr frei „für" eine
weltanschaulich unbeeinflußte Naturwissenschaft, die im Vollzug ihres
vorurteilslosen Fragens Zeugnis dafür sein kann, daß Gott die Weif
schuf und nicht stufenweise aus sich hervorgehen ließ, daß Gott diese
Welt dem Menschen gab, auf daß er sie sich Untertan mache, nicht aher;
daß er von ihr auf Gott schlösse oder Gott gar aus ihr verbanne und
den Menschen absolut setze. Von diesen Überlegungen her wird >n
Teil III die These ausgesprochen: Nur wer von Schöpfung weiß, kann
konsequent Entwicklung sagen. Die Begründung der These erfolgt m
Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Theologie und Naturphilosophie
. (K. Barth, E. Brunner, Fr. Gogarten u. P. Jordan. M. Hartmann
, C. F. v. Weizsäcker, A. Portmann).

Teil IV.

Bewahrt der in Christus mündige Mensch die ihm geschenkte Freiheit
, so kann er in „gläubiger Sachlichkeit" dem Darwinismus wie jeder
anderen naturwissenschaftlichen Theorie auch begegnen. Die durch die
Selektionstheorie kausal erklärte Evolution der Organismen verliert
ihre „Bedrohlichkeit" und kann sachlich referiert werden.