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Ausgabe: | 1966 |
Spalte: | 213-214 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Allgemeines |
Autor/Hrsg.: | Schnurr, Günther |
Titel/Untertitel: | Skeptizismus als theologisches Problem 1966 |
Rezensent: | Mann, Ulrich |
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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 3
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Christentums zum damaligen .Atheismus' als Tempelreinigung
und Entgötzung der Welt bestanden hat (und heute zur Säkularisierung
bestehen sollte, Gogarten, Bonhoeffer), wie von einer
Gemeinsamkeit aller irgendwie (!) betenden Menschen (S. 116 f,
mit Hinweis auf Heiler) gesprochen werden kann.
Berlin Hans-Georg F ri tz 6c he
Schnurr, Günther: Skeptizismus als theologisches Problem. Göttingen
: Vandenhoeck & Rupredit [1964]. 261 S. gr. 8° = Forschungen
z- systemat. u. ökumen. Theologie, hrsg. v. E. Schlink, Bd. 14. Kart.
DM 26.—.
Der erste Teil des Buches bringt eine umfassende Phänomenologie
des philosophischen Skeptizismus. Diese Darlegung ist
grundsätzlich systematisch gehalten, verarbeitet aber zugleich in
umfassender Weise die wichtigsten historischen Ausgestaltungen
skeptischen Philosophierens von den griechischen Anfängen bis
zur Gegenwart. Die wesentlichen Begriffe werden dabei ausführlich
erörtert.
Skeptisches Denken ist nach Schnurrs Auffassung grundsätzlich
zu verstehen von der immer wieder zu machenden Erfahrung
"er, daß eine jeweilige große Epoche metaphysischen Philoso-
Phierens zu Ende geht. Skeptizismus ist so gesehen immer das
Ergebnis eines „ontologischen Schocks", in dem es zum, Verlust
von Gewißheit gekommen ist. Von einem solchen ontologischen
Schock her erklärt sich auch das stets neue Ausgreifen des menschlichen
Denkens nach einem neuen ..fundamentum inconeussum".
Der Skeptiker wehrt sich gegen eine neue dogmatische Sinn-Suche
Und „verharrt im Suchen und Fragen" (S. 25). In dieser Haltung
erweist sich jedoch auch der Skeptiker, in seiner Weise jedenfalls,
als metaphysisch ausgerichtet. Der Skeptiker ist kein bloßer
Agnostizist. Aber er verzichtet auf die absolutistische Antwort.
Er bleibt ein Suchender; doch er verbietet sich das Finden.
In diesem Teil der Untersuchung befaßt sich Schnurr eingehend
mit der skeptischen Methode; vor allem mit den An-
sehauungs- und Darlegungsformen, die der Epoche entsprechen.
Die wichtigsten inhaltlichen Problemkreise skeptischen Denkens
sind Anthropologie, Ethik, Religion und Theologie, Kosmologie.
Das skeptische Denken wirkt sich aus in einer bestimmten Lebenshaltung
, die vor allem metaphysische Bescheidung verlangt. In
einem besonderen Kapitel untersucht Schnurr die Ataraxie. In ihr
rindet der Verfasser noch einen Rest aus früherem dogmatischen
Denken: der pyrrhonische Skeptizismus mit seinen drei Grundlagen
nach der Beschaffenheit der Dinge, unserem rechten Verhalten
zu ihnen und dem Effekt dieses Verhaltens für den Denker
lst letztlich noch Eudämonismus. Der moderne, radikale Skeptizismus
dagegen ist gekennzeichnet durch die grundsätzliche Verzweiflung
.
Ein besonderes Kapitel ist den Abarten, Erscheinungsformen
und Vorformen des Skeptizismus gewidmet. Interessant ist
hierbei, daß auch der Historismus des 19. Jahrhunderts von
Schnurr unter die Kategorie der Skepsis subsumiert wird.
Der zweite Teil der Untersuchung behandelt zunächst die
Philosophische Legitimität der Skepsis und zeigt an fünf Typen
*fes Philosophierens die Unmöglichkeit auf, die philosophische
Skepsis wirklich zu überwinden; es sind dies: Descartes, Kant,
Eichte, die Existenzphilosophie und die Mystik.
In einem weiteren Kapitel wird, wiederum an fünf Typen,
dargestellt, wie alle theologischen Versuche scheitern müssen,
Welche den Skeptizismus apologetisch in Dienst nehmen wollen;
*s sind dies: Nikolaus von Cues, Pierre-Daniel Huet, August
Tholuck, Sören Kierkegaard und Paul Tillich.
Im vorletzten Kapitel wird der Skeptizismus anthropologisch
llnd theologisch begründet. Aus der Sündigkeit des Menschen ergibt
sich, immanent gesehen, geradezu die Notwendigkeit der
skeptischen Grundeinstellung; dieser mit der Sünde gegebenen
Grundhaltung entspricht Gottes Verborgenheit, die Verwechsel-
°arkeit der Offenbarung, die Unanschaulichkeit des neuen Lebens,
<lie Unverfügbarkeit des Heils und der ambivalente Ausgang der
Zeitgeschichte.
Das letzte Kapitel stellt Christus als das Ende der Skepsis
^är und erläutert die Unverfügbarkeit des Heiligen Geistes, vor
allem in Anlehnung an das Luther-Wort „Spiritus sanetus non est
seepticus". Im Glauben allein wird die skeptische Epoche überwunden
.
Ein ausführliches Literaturverzeichnis beschließt das Werk.
Man muß der gründlichen Untersuchung (einer Heidelberger
Dissertation) bescheinigen, daß sie eine Lücke schließt, die in der
theologischen Arbeit bisher weithin offengeblieben war. Die
Auseinandersetzung mit der Skepsis ist ein dringendes Erfordernis
unserer gegenwärtigen Geisteslage. Diese Auseinandersetzung ist
vom Verfasser auf Grund einer erstaunlichen Materialkenntnis
und von einer klaren theologischen Grundhaltung her umfassend
durchgeführt worden.
Es tut der Anerkennung dieser wichtigen Arbeit keinen
Abbruch, wenn im folgenden ein grundsätzliches Bedenken geäußert
werden muß. Der Verfasser versucht zu zeigen, daß die
Skepsis philosophisch nicht überwunden werden könne. Ob dies
jedoch nicht gegen den philosophischen Wert mindestens der
radikalen Skepsis selbst spricht? Ob sich nicht gerade hieran zeigen
könnte, daß der Skeptiker in einen Teufelskreis eingetreten ist,
der schon philosophisch als ein solcher erkannt und bezeichnet
werden könte? Dies aber nur als Vorfrage.
Problematischer will mir noch der Versuch erscheinen, die
theologischen „Indienstnahmen" des Skeptizismus als verfehlt zu
brandmarken und dann doch wiederum den Glauben als die Überwindung
der Skepsis darzustellen. Jeder Theologe, der von der
Voraussetzung des Glaubens her spricht, kann in den Verdacht
geraten, den Skeptizismus in einer verkehrten apologetischen
Weise in Dienst zu nehmen. Der Vorwurf trifft dann auch die
Lehre von der Gerichts- und Gnadenbuße bei Luther. Und ob man
Paul Tillich so ohne weiteres eines identitätsphilosophischen
Denkens zeihen kann, wonach die Skepsis einfach ein notwendiger
Durchgangspunkt für das neue Sein darstellt, erscheint mir fraglich
. Der Verfasser zeigt gute Vertrautheit mit Tillichs Denken.
Deshalb überrascht es, daß er jener Dimension doch nicht voll
gerecht wird, innerhalb derer die Tillich'schen Aussagen verstanden
werden müssen. Tillich hat innerhalb seiner Kategoriali-
täten zahlreiche Sicherungen angebracht, welche diesen Vorwurf als
nicht gerechtfertigt erscheinen lassen. Man könnte dann nämlich
mit demselben Recht auch die Gesamtschau von Günter Schnurr
als identitätstheologisches Denken bezeichnen, diesmal unter der
Voraussetzung des Luther'schen „extra nos".
Dieser Einwand richtet sich nicht gegen den Wert des vorliegenden
Buches, der dankbar anerkannt werden muß. Er begründet
sich vielmehr in einer Fehlstruktur des radikal-skeptischen
Denkens selbst. Es ist dies jene Fehlstruktur, welche auch schon
philosophisch daran erkannt werden kann, daß man, wie auch
immer man es versucht, dem radikalen Skeptizismus theoretisch
so wenig beizukommen vermag, wie dem indiskutablen Solipsismus
von Max Stirner. Dies ist an mehreren Stellen des Buches
auch durchaus angedeutet. Zu fragen ist dann aber, ob der Skeptizismus
im Gesamturteil der Untersuchung nicht doch zu positiv
bewertet wird.
Auf jeden Fall aber ist die gründliche Untersuchung ein
wichtiger Wegweiser und eine umfassende Materialsammlung für
künftige theologische Arbeit.
Saarbrücken Ulrich Mann
Alszeghy, Zoltän: II peccato originale nelle professioni di fede
luterane (Gregorianum 47, 1966 S. 86—100).
Anton, Angel: El Espiritu Santo y la Iglesia. En busca de una formula
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Balthasar, Hans Urs von: Wer ist die Kirche? Vier Skizzen. Freiburg
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) [1965]. 175 S. kl. 8° = Herder-Bücherei, 239. DM 2.80.
Brunner, August: Offenbarung durch Geschichte (StZ 177, 91. Jg.,
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C a m i 11 e r i, Nazareno: Libertä, grazia e predestinazione (Salesianum
27, 1965 S. 410—424).
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Flick, Maurizio: 11 Cristo nel trattato „De gratia" (Gregorianum 47,
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