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Ausgabe:

1966

Spalte:

211-213

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schlette, Heinz Robert

Titel/Untertitel:

Die Religionen als Thema der Theologie 1966

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 3

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etwas distanziert bestaunen möchte. Nicht das soll uns am Schluß
beschäftigen.

Ohne Frage ist es ja die Eigentümlichkeit dieses großen
systematischen Entwurfes, daß die Geschichte die Beweislast zu
tragen hat. (Das täuscht den Leser freilich nicht darüber hinweg,
daß die Historie mitunter auch zum Abstellgleis offener Fragen
wird — zum bloßen dogmengeschichtlichen Referat.) Es sind immer
wieder geschichtliche Fragen, an denen sich die Leidenschaft des
Verf.s entzündet und an denen er mitunter auch einen ausgesprochenen
Ehrgeiz als Historiker entfaltet. Es sind durchweg diese
historischen Themen, an denen eine Bedrohung von der Kritik her
sichtbar wird, die geschickt aufgefangen werden muß. Mitunter
kommt es dann zu einer Operation der Umdeutung, nach deren
Erfolg plötzlich die alte bedrohte Wahrheit vielleicht in verändertem
, jedenfalls in neuem Glänze dasteht. Ich erinnere an
folgende Themen: Vor allem die Auferstehung Jesu, die Auferstehungsgeschichten
und die historische Echtheit des Berichts
von der Auffindung des leeren Grabes. Jesu Verhältnis zur Apo-
kalyptik gehört dazu: An der Bindung Jesu an den ursprünglich
apokalyptischen Horizont der Geschichte kann nicht gerüttelt
werden, gleichzeitig läßt P. erkennen, daß er die einzelnen Vorstellungen
des apokalyptischen Geschichtsbildes in einer nicht
näher bezeichneten Menge preiszugeben entschlossen ist (78 f).
Wie ist das aber zusammenzureimen? Jesus als Erfüller der alt-
testamentlichen Verheißungen! Was bedeutet das, wenn wir
hören, daß diese Verheißungen, wenn überhaupt, anders in Erfüllung
gegangen sind als sie von den Propheten vermeint waren?
Der Gedanke der Stellvertretung war, wie P. mit Recht dartut, ein
Lieblingsgegenstand der sozinianischen Kritik. Kann man diese
Kritik dadurch entkräften, wie es P. tut, daß man modernere
Einsichten der Anthropologie dagegen geltend macht? Die Stützung
der Christologie auf das historisch zu ermittelnde Selbtsbewußt-
sein Jesu war ein Lieblingsgedanke des neueren Biblizismus. Er
ist als unhistorischer Psychologismus entlarvt worden. P. gibt der
neutestamentlichen Kritik Recht, aber er macht dann aus den
Restbeständen eines historischen Jesusbildes eine neue Theorie
von diesem Selbstbewußtsein Jesu. Aber war denn das gemeint?
Ich verzichte darauf, die entsprechenden apologetischen Operationen
noch einmal zu erwähnen, die bezüglich der Naherwartung
(„Irrtum Jesu" 232 ff; aber Zeitfrage „ganz irrelevant" 105) oder
zum Ausgleich der Kritik an der Geburtsgeschichte mit dem Anspruch
der Christologie vorgenommen werden. Überall hat die
moderne Kritik Recht und der Anspruch der alten kirchlichen
Lehrform wird doch nach Möglichkeit gewahrt.

Die historische Reminiszenz liegt bei dieser Apologetik allzunahe
: die alte Devise aus den Tagen des älteren Seeberg:
„Modern-positiv". In der Tat: Dieses Buch ist Vermittlungstheologie
im Vollsinne des Begriffs.

Göttingei Wolfgang T ri 11 h aa s

Schlette, Heinz Robert: Die Religionen als Thema der Theologie.

Überlegungen zu einer „Theologie der Religionen". Freiburg-Basel-
Wien: Herder [1963]. 127 S. 8° = Quaestiones Disputatae, hrsg. v.
K. Rahner u. H. Schlier, 22. Kart. DM 10.50.

Diese Studie ist in der Überzeugung geschrieben, einen wichtigen
und neuen Aspekt zur theologischen Beurteilung der nichtchristlichen
Religionen zu weisen, und bringt in den ersten
Abschnitten vielmals zum Ausdruck, daß es eine eigentliche theologische
bzw. dogmatische Konzeption über die Bedeutung der
Religionen, eine „Theologie der Religionen", noch nicht gibt (in
den Dogmatiken noch kaum einen festen Ort der Behandlung
diesbezüglicher Fragenkreise), ja daß das Ausmaß an theologischer
„Auseinandersetzung" mit den nicht-christlichen
Religionen in gar keinem Verhältnis zur „Hut" der ,bloß' religionswissenschaftlichen
Literatur steht. Sosehr indes Schlette
einiges Recht zu derartigen Feststellungen durchaus hat und in
dankenswerter Weise einen neuralgischen Punkt berührt, so
empfindet man es doch als eine ungewollte Widerlegung dieses
Anspruches, wenn Schlette mehr und mehr auf eine wahre Fülle
an missionstheologischen Äußerungen und Konzeptionsentwürfen
aus beiden Konfessionen sich zu beziehen Anlaß hat oder nimmt
(im katholischen Bereich besonders auf Rahner).

Die eigene Lösung (natürlich auch nur „ein Entwurf und
also keineswegs eine allseitig befriedigende .Lösung'". S. 66)
geht auch von der Problemstellung aus, daß es zwei „Interpretationsmodelle
" zur Bewältigung des genannten Problems
schon gibt: die „dialektische" Entgegensetzung von
christlichem Glauben und nicht-christlichen Religionen sowie die
„Erfüllungstheologie" („das Christentum als die
Fülle und Erfüllung der nichtchristlichen Religionen und diese
selbst als Vorstufen", S. 30), daß beide Schemata indes „weder
den Aussagen der Heiligen Schrift noch denen der dogmatisch-
lehrmäßigen Tradition gerecht werden" (S. 35) und eine „.mittlere
' Position" (S. 39) gefunden werden muß. Dieser Problemansatz
leuchtet durchaus ein, ebenso die Einschärfung, daß es hierbei
nicht mehr um die Frage nach dem individuellen Seelenheil der
Personen und Menschen in den nicht-christlichen Religionen
zu gehen hat, sondern um das sachliche Problem einer
Sinndeutung der Religionen als solcher („als geschichtlicher,
sozialer Objektivationen", S. 67). Die Antwort, die Schlette
gibt, ist die: daß den Religionen durchaus ein providentieller
Sinn in der Menschheitsgeschichte, die von Anfang an zugleich
Hcilsgeschichte war, zukommt.

„Wenn die Religionen die Heilswege der allgemeinen Heilsgeschichte
sind, dann sind sie die allgemeinen Heilswege, und wenn
gegenüber der allgemeinen Heilsgeschichte die Kirche — wie wir sahen

— als specialis dispositio auf der Seite der speziellen Heilsgeschichtc
steht, dann darf man den Weg der Religionen als den ordentlichen
und den Weg der Kirche als den außerordentlichen
Heils weg bezeichnen" (S. 8 5).

In der näheren Begründung und Ausführung dieses Gesichtspunktes
(wenn Menschheitsgeschichte Heilsgeschichte ist, muß es
immer und überall Träger des göttlichen Heils gegeben haben
bzw. geben) gelangt Schlette indes zu derartig massiven Formulierungen
zugunsten der Religionen und der „Erfüllungstheologie
" (die S. 99 faktisch bestätigt wird), daß man nicht mehr
einsieht, wie auf dieser Linie noch die anerkannten Wahrheitsmomente
der „dialektischen" Abwertung der Religionen zur
Geltung gebracht werden können. Es kommt nämlich — besonders
im Zuge der äußerst deduktiven und „spekulativen" Art, in
der Schlette „argumentiert" — nicht nur darauf hinaus, daß
jedermanns gleichsam zuständige Religion insgesamt der für
ihn legitime Heilsweg sein kann (S. 84, 92, 103 f), sondern daß
damit auch alles einzelne an kultischen Verrichtungen
und Anschauungen eine pauschale Lizenzierung erfährt — jedenfalls
bei folgenden Formulierungen:

„Das bedeutet, daß z. B. das Gebet eines Häuptlings, der Kult
buddhistischer Mönche, die Meditation des Hindu, der Gehorsam des
Moslem gegenüber den rituellen und ethischen Geboten seiner Religion
keineswegs von der christlichen Theologie aus als belanglos erklärt
werden dürfen (indem man etwa allein die subjektive, ethische Integrität
des einzelnen für wichtig nähme), daß sich vielmehr das reale
Heilsangebot Gottes an jene Menschen dadurch als konkret und auch
als tröstlich erweist, daß sie die Weisungen ihrer Religionen aufrichtig
zu befolgen gehalten sind. Jeder religiöse Akt eines nichtchristlichen
Menschen hat also einen heilshaften Sinn" (S. 109). „Wir könnten darm
als Christen legitimerweise und aufrichtig (nicht nur wegen der Bedrohung
durch den atheistischen Kommunismus) daran interessiert sein,
daß es Buddhisten, Hindu usw. gibt und daß sie ihre Religionen mf
äußerster Konsequenz realisieren" (S. 19) — bis zur Selbstverbrennung
buddhistischer Mönche? (F.).

Wo bleibt hier noch das Wissen um Jesus Christus als .Ende
des Gesetzes', gerade angesichts der ethischen und praktischen
Auswirkungen der Kultgesetzlichkeit. Außerdem: Wenn Schlette
auch die Tendenz mit unterfließen läßt, daß es eine Art Zusammenschluß
alles Religiösen gegenüber dem Atheistischen geben
solle (S. 19, 117, vgl. 60), dient das gerade nicht der Toleranz
und einer gesamtmenschlichen Einheit, sondern bedeutet — umgekehrt
— die nur um so verständnislosere Verdammung Andersüberzeugter
(des nichtreligiösen Menschen) und die Verhärtung
in den unseligen Alternativen von religiös — irreligiös, theistisch

— atheistisch, kultisch — säkularisiert (die endlich zu überwinden
wohl der dringendste Fortschritt bei den Konzeptionsversuchen
um eine „Theologie der Religionen" darstellen dürfte!); noch
ganz abgesehen davon, daß jedenfalls in der frühen Kirchengeschichte
mindestens soviel Parallelität und Analogie des