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Ausgabe:

1966

Spalte:

200-201

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Kallen, Gerhard

Titel/Untertitel:

Die handschriftliche Überlieferung der Concordantia catholica des Nikolaus von Kues 1966

Rezensent:

Hürten, Heinz

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199

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 3

200

mont, Bari) fern von Rom abgehalten" (99). Kurzfristig konnte
er 1089 in Rom eindringen und in der Peterskirche eine Messe
lesen, doch „hatte dieser ephemere Erfolg im Grunde doch mehr
symbolische Bedeutung als praktischen Wert" (102). Erst 1093
betrat er die Stadt wieder, erst 1096 konnte er für längere Zeit
nach Rom kommen und 1097 seine erste Synode im Lateran
abhalten.

Gerade hier geht B. sehr ins Detail; er stellt eine Liste römischer
Kleriker und Kirchen auf, die sich für oder gegen Urban entschieden
haben oder haben könnten; man wundert sich kaum, daß „die sich hier
stellenden Fragen jeder präzisen und vollständigen Beantwortung entziehen
" (109). Obwohl es in Rom stets Opposition gegen Urban gab,
kann B. doch feststellen: „Gregor VII. war im Exil gestorben, Viktor III.
hatte seinen Pontifikat in Monte Casino beschlossen, Urban IL hat dem
rechtmäßigen Papsttum Rom wieder zurückgewonnen" (113). Rückhalt
fand Urban bei den Normannen Süditaliens, obwohl er ihnen nicht seine
Wahl verdankt. Urban hatte keine Illusionen über seine Bundesgenossen,
die er als „Räuber und Sünder" bezeichnete (11 5).In Mittelitalien bot ihm
Mathilde von Tuszien Hilfe (120—24), im Nordosten Italiens war Grado
ein Stützpunkt (124 f). Der Italienzug Heinrichs IV. zwang Urban nach
Süditalien auszuweichen; den Normannen gegenüber war er gezwungen,
„auf die Verkündigung umkämpfter Reformgrundsätze zu verzichten"
(130). Der kaiserliche Vorstoß mißlang und wurde zum Erfolg für Urban,
der sich jedoch zu B.s Bedauern „in die Niederungen eines Selbstbehauptungskampfes
" ziehen ließ (133). Die Verbindung eines deutschen
(Gegen-)Königs mit einer Normannentürstin — später von Päpsten mit
so viel Sorge betrachtet — wurde damals von Urban gefördert (137). In
Deutschland aber blieb Urban „ganz in die Defensive gedrängt" (139).
Dabei hat er bewußt „die Strenge gregorianischer Auffassungen" verlassen
(150). Gerade in der Durchsetzung gregorianischer Investiturgesetze
war Urban zurückhaltend, obwohl er „im Prinzip diese nie verleugnet"
hat (164). Bei solcher Haltung waren nach B. mehr seelsorgerliche als
politische Motive wirksam (147). B. spricht von einem „Wiederaufbauwerk
in Deutschland", das doch Fragment blieb (165). Nach Osteuropa
hatte Urban keine Beziehungen (165 ff), ausgenommen Ungarn (167).
Dem Wunsdi des Dänenkönigs nach einer eigenen dänischen Metropole
kam LIrban entgegen (168/69).

Die Einigungsformel „Politische Verständigung mit dem
Kaiser — kirchliche Anerkennung Urbans" (141) lag wohl in der
Luft, war aber trotz Urbans Entgegenkommen nicht erreichbar,
da Heinrich IV. an seinem Gegenpapst festhielt. Umso wichtiger
sind die Beziehungen Urbans zu England, Frankreich und Spanien.
In England mußte sich Urban „auf das Minimum der Anliegen"
beschränken, denn dies war „zugleich das Maximum dessen, was
er damals von dort erwarten konnte" (171). Das „anglonorman-
nische Staatskirchentum" mußt er hinnehmen (172). Anselm von
Canterbury, der im Kampf mit seinem König bei Urban Hilfe
suchte, wurde so „statt zum Helfer und Vorkämpfer für die Sache
des Papstes und die Kirchenreform in England, zur Belastung für
Urbans Politik" (185). Doch blieb Urban von England anerkannt,
ohne Anselm gänzlich preisgeben zu müssen. Günstiger waren die
Beziehungen zu Frankreich (187—226). Zwar hat Urbans Zurückhaltung
gegenüber dem Eheskandal des französischen Königs ihm
harte Kritik eingetragen, doch B. möcht ihn auch hier in besserem
Lichte sehen: „Seine ganze von Mäßigung und Entgegenkommen
bestimmte Kirchenpolitik überhaupt wird wohl auch von diesem
freilich unausgesprochenen Streben Urbans her gesehen werden
müssen, gerade in seiner Heimat dem Reformpapsttum einen besonders
starken Rückhalt zu geben" (218). Die Synode von Cler-
mont gibt 1095 dem Papst Gelegenheit, „die gregorianische
Kirchenreform nicht nur in ihrer moralischen, sondern besonders
auch in ihrer politischen Ausprägung ungehindert" hervortreten
zu lassen (221). Militante Gedanken spielen besonders in seinen
Spanien betreffenden Äußerungen eine wichtige Rolle (227—54).
Da der Krieg gegen die Mauren von weltlichen Großen geführt
wurde, mußte man ihnen auch Rechte in der neu ausgeweiteten
Kirche zugestehen: „Die großen kirchenpolitischen und kirchenrechtlichen
Streitfragen des .gregorianischen Zeitalters' . . . schienen
hier nicht zu bestehen" (233). Die einzige Differenz zwischen
Staat und Kirche in Spanien hat B. erstmals genauer dargestellt
(23 3—38). Das Lehnsverhältnis des Königs von Aragon sah
Urban als Parallelfall zu einer Klosterexemtion, ohne daß sich
Widerspruch erhoben hätte (248).

Eine rein chronologische Darstellung hätte wohl besser die gewaltige
Dramatik der Jahre 1088—99 herausgestellt. Das geographische Gliederungsprinzip
läßt sich nicht streng durchführen: Die Möglichkeiten Urbans
gegenüber Rom hängen mit ab von der Lage in Deutschland; die Beziehungen
zu den englischen Normannen waren zeitweise gekoppelt mit
denen zu den süditalienischen Normannen; Spanien wird erst zuletzt behandelt
so daß der wichtige Brief an Alfons VI. von Kastilien aus dem
ersten Pontifikatsjahr erst auf Seite 222/28 und 234/36 zur Sprache
kommt. Die Zitate aus der gelasianischen Zweigewaltentheorie und die
Folgerungen daraus sowie das spätere „Zurückweichen Urbans nach
seinem anfänglich so festen Auftreten" (2 36) ist aber wohl mit ein
Schlüsel zum Verständnis für sein Verhalten auch auf anderen Schauplätzen
. Die Darstellung von L. Knabe „Die Gelasianische Zweigewaltentheorie
bis zum Ende des Investiturstreits" (1936) bleibt unberücksichtigt
Auch der Hinweis auf Kaiser Konstantin in jenem Brief weist in einen
größeren Zusammenhang (Vgl. E. Ewig in Hist. Jb. 75. 1956). Doch ist
zu berücksichtigen, daß B. grundsätzliche Erwägungen sich für den 2. Band
vorbehalten hat. Eine ganz klare Deutung hat der 1. Band nicht gebracht.

Mit Recht hält B. die Etikette „Clunyazenser" oder „Gre-
gorianer" für nicht ausreichend zur Charakterisierung Urbans.
Noch energischer wendet er sich gegen die summarische Bezeichnung
„Opportunist" oder „Diplomat". Stattdessen will B. das
religiöse Motiv (40) und das seelsorgerliche Interesse (124, 147)
stärker betonen. Mit dieser Deutung könnte B. wohl recht haben.
Aber gerade weil mir solche Deutung sympathisch ist, wünschte
ich mir die Beweise noch überzeugender. Die Tatsache, daß Urban
zuweilen bewußt auf Gewalt verzichtete (57, 100), um dann doch
als Kreuzzugspapst in die Geschichte einzugehen, wird für den
2. Band kein leichtes Problem darstellen. Vorerst muß man
dankbar feststellen, daß nun ein erheblich diffenzierteres Bild
von Urban II. vorliegt, als es bisher erarbeitet war.

Rostock Gert Hann die r

Kalten, Gerhard, Prof. Dr. phil. Dr. jur.: Cusanus-Studien. VIII. Die
handschriftliche Überlieferung der Concordantia catholica des Nikolaus
von Kues. Heidelberg: Winter 1963. 80 S., 16Taf. gr. 8° *"
Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie d. Wissenschaften, PhiL-
hist. Klasse, Jg. 1963, 2. DM 19.80.

Als Gerhard Kallen zu Weihnachten 1938 seine „Vorbemerkungen
" zum 1. Buche der Concordantia catholica in der von der
Heidelberger Akademie veranstalteten Ausgabe niederschrieb,
meinte er das baldige Erscheinen nicht nur des 2. und 3. Buches,
sondern auch einer ausführlichen Einleitung in das Gesamtwerk in
Aussicht stellen zu können. Die Schwierigkeiten des handschriftlichen
Befundes haben Buch II erst im Jahre 1941 erscheinen
lassen; das schon zur Hälfte gesetzte Manuskript des 3. Buches fiel
am 3. Dezember 1943 einem Luftangriff auf Leipzig zum Opfer,
sodaß der vollständige Text der Concordantia erst seit 1959 nach
der Neuerstellung von Buch III greifbar ist. Nun soll das Gesamtwerk
erst nach dem Neudruck der beiden ersten Bücher, die wegen
der Kriegszerstörungen nur in wenigen Exemplaren erhalten sind
und jetzt nach dem Vorbild des letzterschienenen Buches typographisch
neugestaltet werden, mit der gesonderten Veröffentlichung
von Praefatio und Indices abgeschlossen werden.

Unter diesen Umständen ist es sehr zu begrüßen, daß der
Editor sich entschlossen hat, in einer gesonderten Studie zur handschriftlichen
Überlieferung Rechenschaft über die textkritischen
Grundlagen seiner Ausgabe zu geben. Dies ist um so wichtiger,
da in unserem Fall die Darstellung des hsl. Materials nicht nur
den edierten Text zu sichern vermag, sondern zugleich neue Aufschlüsse
über das Werk und seinen Autor gibt.

So zeigt der Vergleich der Hss. vornehmlich von Ba (Öffentl.
Bibl. der UB Basel AV/13 423) und Tr (Stadtbibliothek Trier
HS 1205/503), daß die Concordantia keineswegs ursprünglich als
ein Ganzes konzipiert wurde, sondern aus einer Vorarbeit mit
weit begrenzterem Ziel entstanden ist. Auf diesen Tatbestand hat
der Herausgeber schon in einer früheren Arbeit (Der Reichsgedanke
in der Reformschrift De concordantia catholica des N. v-
C. Neue Heidelberger Jahrbücher. N. F. 1940, S. 59—76) hingewiesen
. Die dort vertretene Auffassung, daß die ursprünglich „als
eine in Auftrag gegebene Denkschrift zur Frage der Konzilshohcit
über den Papst" erstellte Schrift zunächst nur die beiden ersten
Bücher umfaßt habe, hat Kallen nun weiter präzisieren können-
Tr. läßt das allmähliche Wachstum der endgültigen Concordantia
aus einem für die Bücher I und II vorliegenden Konzept durch eine
Fülle von Einschüben und Änderungen erkennen; wohingegen Ba