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Ausgabe:

1966

Spalte:

196-197

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Hornus, Jean-Michel

Titel/Untertitel:

Politische Entscheidung in der alten Kirche 1966

Rezensent:

Ruhbach, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 3

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tungen aufzulösen, von denen man nur noch zu sagen weiß, daß
keine „recht hat", einige wenige Außenseiter ausgenommen. Zu
wirklich geschichtlichem Verständnis kommt man so nicht, und
gesicherte Erkenntnisse gehen dabei verloren, die wir den großen
Kirchenhistorikern vergangener Zeiten verdanken. Sie haben in
vielem scharf und richtig gesehen, vielleicht weil sie zur ,,Kirche"
noch ein stärkeres Verhältnis hatten. Doch genug des Grundsätzlichen
. In Walter Bauers Werk bleibt an Gesichertem genug;
es enthält eine Fülle der trefflichsten Beobachtungen und Erkenntnisse
, sowohl zu einzelnen Personen (Ignatius von Antiochien
!) wie zur Kirchengeschichte der verschiedenen Länder und
zur altchristlichen Literatur (Pastoralbriefe!). Das Glanzstück ist
und bleibt, wie mir scheint, die brillante Aufhellung der christlichen
Anfänge Edessas. Fast kann man sagen, das übrige Buch sei
nichts anderes als die Anwendung des für Edessa Geltenden auf
die Gesamtchristenheit. Aber Edessa ist eben nicht die Welt,
auch nicht die christliche des zweiten Jahrhunderts.

Zum Nachtrag ist wenig zu sagen. Die Aufnahme des Buches wird
referiert, wobei vor allem Turner eine verdient scharfe Kritik erhält.
Streckers eigener Beitrag untersucht die sog. syrische Didaskalie, die
hypothetisch zu rekonstruierenden „Kerygmata Pctrou" und die alt-
kirdilichen Angaben über die sog. Ebioniten, alles unter Bauerscher
Fragestellung. Als Ergebnis springt heraus, was hineingesteckt ward:
die „Ketzer" waren zuerst da. Hier taucht die erwähnte Gefahr einer
neuen „Orthodoxie" der Geschichtsbetrachtung auf, freilich einer mit
umgekehrtem Vorzeichen, gegen die die ausgesprochenen Bedenken
bestehen. Abgesehen davon ist gegen die Ausführungen selbst nicht viel
einzuwenden doch vermitteln sie kein rechtes Bild von den ja sehr
verwickelten Verhältnissen und bringen sachlich auch nichts Neues. Es
wäre kein Schade gewesen, wenn der Nachtrag unterblieben wäre (auch
der Überblick über die Rezensionen ist nicht ertragreich). Er verteuert
den Band, was dessen Verbreitung gerade unter den Studierenden nicht
förderlich ist.

4) Die Behauptung, die Didaskalie habe sich mit einer fest etablierten
judenchristlichen „Häresie" auseinanderzusetzen gehabt, ist alles
andere als gerechtfertigt; für das „uneingeschränkt herrschende" Judenchristentum
Syriens, das von der Großkirche unabhängig gewesen sein
soll, fehlen mir noch die durchschlagenden Belege; aus den „Kerygmata"
sollten historische Schlußfolgerungen nur äußerst zurückhaltend und so
wenig bestimmt wie möglich gezogen werden. — Petersons Artikel über
die Behandlung der Tollwut bei den Elkesaiten wird zu rasch als erledigt
abgetan. — Zu S. 274: die Überlegung Holls zum Titel „die
Armen" gibt immer noch zu denken, trotz aller Bedenken. Die Bezeichnung
scheint doch uralt zu sein.

Tübingen Hans-Dietrich Altendorf

Augustinus, Aurelius: Über den Wortlaut der Genesis. De Genesi
ad Litteram Libri Duodecim. Der große Genesiskommentar in zwölf
Büchern. Zum erstenmal in deutscher Sprache von C. J. Perl. II. Band:
Buch VII bis XII. Paderborn: Schöningh 1964. XXXV, 348 S. 8° =
Deutsche Augustinusausgabe. DM 20.— ; Lw. DM 22.—.

Für diesen zweiten Band des Genesiskommentars können wir
auf die Besprechung des ersten Bandes (vgl. ThLZ 88, 1963,
Sp. 118) verweisen. Die Übersetzung ist ebenso exakt.

Im Vorwort zu diesem Band behandelt Perl die Bemühungen
der neuesten Forschung, den Genesiskommentar auch unter Heranziehung
der „Hilfswissenschaften" Paläontologie, Anthropologie,
Biologie und Psychologie zu erschließen, was trotz der so unterschiedlichen
Voraussetzungen von Damals und Jetzt nicht nutzlos
sei. Der „heutige Exeget. . . sieht den unverändert gebliebenen
Text gewissermaßen durch den Filter, den eine Summe von Einzelerkenntnissen
verschiedenster Wissenszweige gebildet hat"
(XVIII).

Gut hebt P. hervor, wie Augustin im Genesiskommentar die
Auseinandersetzung mit den Schismen und Häresien (deren pro-
videnticlle Aufgabe er in dem auf die Kirche ausgeübten Zwang
sieht, die Offenbarungswahrheiten ausführlicher darzulegen)
vorantreibt und damit die Dogmenentwicklung bestimmt. Inhaltlich
befassen sich die Bücher VII bis XI bzw. XII vornehmlich mit
dem Menschen als Mikrokosmos, der vor allem als homo peccator
ins Auge gefaßt wird, so daß Augustin von hier aus das Geheimnis
der Sünde deuten und in seiner „dialogischen Metaphysik" (so
schon R. Berlinger) die existentiellen Fragen behandeln kann. Von
hier aus gesehen ist das Werk oft noch von verblüffender
Aktualität.

Ein — nicht allzu umfangreicher — Anmerkungsteil, eine
kurze Bibliographie sowie ein Sachregister schließen den von P-
vorgelegten Genesiskommentar Augustins in wünschenswerter
Weise auf.

Halle/Saale Hans-Joachim D i e s n e r

Hornus, Jean-Michel: Politische Entscheidung in der alten Kirche.

Mit einem Vorwort von Nikolaus Koch. Aus dem Franz. übers, v.
R. Pfisterer. München: Kaiser 1963. 203 S. gr. 8° = Beiträge z.
evang. Theologie, Theologische Abhandlungen, hrsg. v. E. Wolf.
Bd. 35. Kart. DM 13.50.

Die vorliegende Arbeit ist keine eigentlich historische Untersuchung
mehr. Zu deutlich markiert Hornus an vielen Stellen,
unüberhörbar im Schlußkapitel des Werkes, seine Überzeugung,
daß Wehrdienstverweigerung der wahre christliche Standpunkt
sei. Das Vorwort von N. Koch unterstreicht diese Auffassung
noch deutlich. Die alte Kirche dient dem Verfasser lediglich als
Modell, an dem er die Richtigkeit seiner These aufweisen und
gleichzeitig erklären kann, wie die Umorientierung der Kirche in
dieser Frage möglich geworden sei. Hornus hat die sein Thema
betreffenden Quellen allerdings gründlich studiert, auf mehrere
noch nicht berücksichtigte Belege aufmerksam gemacht und die
Sekundärliteratur weitgehend benutzt. Wer sich über das Problem
in der alten Kirche informieren möchte, findet die einschlägigen
Stellen bei Hornus so gut wie vollständig vor. Dennoch sind
gegen seine Darstellung wie seine Arbeitsweise schwerwiegende
Einwände geltend zu machen.

Zunächst beschreibt Hornus ausführlich den politischen und
sozialen wie den weltanschaulich-religiösen Hintergrund, auf dem
sich die Einstellung der Kirche gegenüber dem Kriegsdienst
herausgebildet hat. Im zweiten Teil des Buches weist er anhand
vieler Zitate nach, daß die Kirche bis zur diokletianischen Verfolgung
dem Soldatentum und Dienst mit der Waffe ablehnend
gegenüber eingestellt war. Erst unter Konstantin und seinen Nachfolgern
habe sich die Kirche zu Kompromissen in dieser Frage
bereit gefunden, durch die sie immer mehr ins Fahrwasser staatlicher
Politik abgedrängt wurde. Über die Einstellung der Kirche
zum Kriegsdienst kommt Hornus nicht hinaus; der deutsche Titel
ist, verglichen mit den Fragen, die das Buch behandelt, zu allgemein
und anspruchsvoll.

Es verwundert nicht, daß bei dem bereits skizzierten Ansatz
des Verfassers die Aussagen der altkirchlichen Theologen vielfach
stark systematisiert und ihrer zeitgeschichtlichen Patina beraubt
wurden. Im Grunde hat Hornus das Ergebnis vor Augen, bevor er
seine Untersuchung beginnt (vgl. S. 17). Die Väter erscheinen
lediglich als Zeugen für eine theologische Position, womit die
schillernde Vielfalt der geschichtlichen Wirklichkeit notgedrungen
beschnitten wird. Was heißt schon, daß die „anderen Schriftsteller
(wer?)- mehr oder weniger offenkundig" (S. 120) die Ablehnung
des Militärdienstes von Christen durch Tertullian geteilt haben?
Wer liest nicht mit Verwunderung, daß „Maximilian als Kriegsdienstverweigerer
und nicht als Atheist verurteilt" wurde
(S. 13167), als ob man in der Spätantike von Kriegsdienstverweigerung
im modernen Sinn überhaupt reden könne! Auch die
pauschale Feststellung, „Ambrosius sei voll und ganz mit der bestehenden
Staatsmacht solidarisch" (S. 169), ruft Bedenken hervor.
Diese Beispiele, die sich ohne weiteres vermehren lassen, zeigen
zur Genüge, auf welche Weise der Verfassr seine Quellen gelesen
hat.

Aufs ganze gesehen, sind die Hauptergebnisse allerdings zutreffend
, aber auch keineswegs neu. Militärdienst und im weiteren
Sinn auch politische Ämter waren den Christen der ersten drei
Jahrhunderte meist ohnehin nicht zugänglich, und die Übernahme
staatlicher Funktionen war vielfach ein Zeichen dafür, daß der
einzelne Christ zu unerlaubten Kompromissen mit seiner heidnischen
Umwelt bereit war. Um davor zu warnen, haben die Väter
ihre Stimme erhoben, keineswegs aber, um das Problem Militärdienst
in der heutigen Grundsätzlichkeit zu erörtern. Der Verfasser
übersieht außerdem, daß der Widerstand gegen den Kriegsdienst
keineswegs schlagartig mit Konstantin aufhörte, sondern
hier und dort noch erhebliche Zeit später ungebrochen fortlebte.
Auch für den unerwarteten, durch Konstantin hervorgerufenen