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Ausgabe: | 1966 |
Spalte: | 189-191 |
Kategorie: | Neues Testament |
Autor/Hrsg.: | Bultmann, Rudolf |
Titel/Untertitel: | Jesus Christus und die Mythologie 1966 |
Rezensent: | Bartsch, Hans-Werner |
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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 3
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Gerhardssoii, Birger: Tradition and Transmission in Early Chri^ deutung zu wie den ebenfalls in englischer Sprache gehaltenen
stianity. Transl. by E. J. Sharpe. Lund: Gleerup; Kopenhagen: Münks- Vorlesungen von Martin Dibelius, die unter dem Titel „Evange-
gaard 1964. 47 S. gr. 8° = Coniectanea Neotestamentica, xx. ]ienkritik und Christologie" in den postum gesammelten Aufsätzen
„One of the basic assumptions of the form-critical school is erschienen. In beiden Fällen bieten die Gelehrten in zusammen-
that the early Christian Church was not interested in tradition or gefaßter Form ein Resume ihrer Arbeit, das durch die Konzeption
its transmission" (S. 5) — mit diesen Worten eröffnet der Verf. in einer Fremdsprache an Klarheit nur gewonnen hat. Da die
seine Streitschrift, in der er den Rezensenten und Kritikern seines Arbeit Bultmanns in der Diskussion oft genug Mißverständnissen
Buches „Memory and Manuscript. Oral Tradition and written ausgesetzt war, bietet er die deutsche Übersetzung mit Recht in
Transmission in Rabbinic Judaism and Early Christianity. Uppsala der Erwartung, diese zu beseitigen. Tatsächlich wird seine Absicht
1961" antwortet. Die Herausforderung, die im ersten Satz ent- unmißverständlich deutlich, „das Wort der Bibel für den moderhalten
ist, wird dann aber ein wenig eingeschränkt, indem nicht nen Menschen so verständlich zu machen, daß es als wirkliche
die formgeschichtlichen Untersuchungen der Evangelien schlechthin Anrede gehört wird." (6)
abgelehnt werden, der formgeschichtlichen Schule aber der Vor- Es kann jetzt nidl(. dje Aufgabe seirl( Jen Inhalt des Buches
wurf gemacht wird, die Frage nach der Technik von Tradition und darzubieten, es darf jedoch auf einige Aspekte hingewiesen
Überlieferung nicht gestellt zu haben. Diesem Problem gilt die werden, die zur Weiterarbeit herausfordern, wie sie z. T. von Bult-
Aufmerksamkeit des Verf., und zu seiner Lösung hat er in seiner manns Schülern bereits aufgenommen ist. Dies gilt vor allem für
Dissertation eine Fülle von rabbinischem Vergleichsmaterial zu- das Kapjtei )Die Bedeutung Gottes als des Handelnden" (69-101),
sammengetragen. Zunächst legt er in seiner neuen Schrift noch in dem B jenen Satz am Schluß geines Allfsatzes „Neues Testa-
emmal in drei Thesen seine Sicht der gestellten Aufgabe dar: ment und Mythologie" entfaltet: „Blieb ein mythologischer Rest?
..1) To what extent did the Pharisaic teachers apply the Rabbinic Wcr es sdl0n Mytno]ogie nermt, wenn von Gottes Tun> seinenl
Pnnciples of pedagogics during the first centrury A. D.? II) lo entscheidenden, eschatologischen Tun die Rede ist, für den gewiß."
what extent are we justified in regarding the pedagogics we find (Kerygma und Mythos, l4, S. 48) Diesen Satz grenzt B. zuerst gegen
among the Pharisaic teachers as representative of the normal das objektivierende Reden ab: „Das Handeln Gottes ist jedem
Practices of the Jewish milieu as a whole, i. e. even outside the Auge verborgen außer dem Auge des Glaubens." (71) Von daher
bounds of Pharisaism proper? III) To what extent did the teaching wjrd jedodl dne Abgrenzung gegen den Pantheismus not-
and transmission of Jesus and the early church follow the pnnci- wendig. ]m Unterschied zu diesem ist für den Glauben Gott nicht
Ples of practical pedagogics which werc common m their miheu, dcm Geschehen immanent. „Im Glauben leugne ich den geschlos-
and to what extent did they create new forms? (S. 12). Im senen Zusammenhang der Weltgeschehnisse, die Kette von Ursache
zweiten Teil der Abhandlung verdeut icht der Verf. erneut seine und Wirkungi wie sie dem natürjichen Beobachter erscheint." (75)
Auffassung über das Verhältnis von rabbinischer und urchnstlicher Afeer dies£ Verneinung geschieht nicht wie in der Mythologie
'rad.tion, indem er die in seiner umfangreichen Untersuchung aufweisbar_ sondcrn s0> daß ^meinc eigcnc Existenz> mejn persön.
bereits vorgetragenen Gesichtspunkte wiederholt und erläutert. ^ Lebcn (jm Zusammcnhang von Weltgeschehnissen) nicht
Der Verf. sieht sich auch durch die scharfe Kritik, die sichtbarer oder beweisbarer (ist) als der handelnde Gott." (ebd.)
M. Smith in seinem Aufsatz „A Comparison of Early Christian Darum läßt sich das Handeln Gottes nur „als die Begegnung be-
and Early Rabbinic Tradition", Journ. of Bibl. Stud. 82 (1963), schreiben . . . welche meine persönliche Entscheidung verlangt."
S. 169-174 ausgesprochen hat, zu keinen Korrekturen oder Modi- (77) Von daher kann B. sogar die Notwendigkeit mythologischen
"Kationen veranlaßt. Den Einwand, daß die rabbinische Tradition Redens bedingt zugestehen, ohne daß damit jedoch die Not-
doch erst vom 2. Jahrh. n. Chr. an literarisch fixiert worden ist wendigkeit der Entmythologisierung in Abrede gestellt werden
""d inhaltlich vor allem halakhische Stoffe umfaßt, die Jesusübcr- kann Vielmehr fordert gerade die Verwendung mythologischer
"eferung aber kaum halakhische Stücke enthält, läßt er nicht Rede die Entmythologisierung als Weg des Verstehens.
Selten und möchte vielmehr die Gemeinsamkeiten, die in formaler -r c ui-it* j • j l. i j- al -i_
H;„ ■ i "'v«y* , , , . . , j , i. i Zu fragen bleibt dann jedoch, ob die Abgrenzung gegenüber
Tnsicht vorhanden sind, auch als wciterreichende sachliche Uber- ... . - . r ^ li j i_ i i • _l r
eir.*i- ' . ... ... , ,. , „illegitimen Aussagen über Gottes Handeln als kosmisches Ge-
c'nstimmung werten. Die Kontinuität rabbinischer Überlieferung , £ i v ni_ j i ■ ,. jn cl i
sni-» l j el? ii i! i -r • j -r n. ^ j jj «r schchen, als Kulthandeln, wie etwa, daß er seinen Sohn als
freche dafür, daß auch zur Zeit des Tempelbestandes die Weiter- c ,, , , , , , , , , . .,, , ,r
cak„ j t i , i n. t • i ii t v . • bchlachtopter hingab, und politische und juridische Vorstellungen,
saDe dcr Lehre in denselben Formen sich vollzogen habe wie . ,.r , * _ ,r . ,. ... „ . ?.
srnf„, /c ~~ ., m. i f ^ 1 j. m . j -r j-..- notwendig ist (81). Zu tragen ist, ob nicht die Aussagen über
"Pater (S. 13—16). Wird gefragt, ob die rabbinische Tradition , , 6. . ' , . * . ' . . , . , f ,
njrli* „• j. l jj i_ • ••• r a ££ •• das kosmologische Handeln Gottes als Ausdruck des umfassenden
"ent eigentlich nur die pharisäische Auffassung repräsentiere, so j i_ u j i ^ ... ^l j
hälf j„ u c ^ , c j. j n j- ii. . t, und unbegrenzten Handelns Gottes an mir zu verstehen sind.
•<ut der Verf. entschlossen daran fest, daß man die rabbinische ... , & , ,. c , .. c , ^ . d
Pnvio i , ii • -r- £•■ j t j . Wenn Israel die Schöpfungsgeschichte von der Begegnung mit
■axis als nahezu allgemeingültig für das ganze Judentum zur , , ,,, t. j C i .. . t
Zeif i j - t tc - r> i j j- dem handelnden Gott her, der seine Existenz setzte, entwarf, so
■^'t Jesu ansehen dürfe (S. 16—21). Da Jesus und die ersten ,.. , , ... , . ,__.,.7 . „.
Chricf»« • —j. j. ii l. i u n durfte diese Zielrichtung der Aussagen deutlich sein. Die
Juristen in jüdischer Umgebung lebten, müsse angenommen , , 6, , T ?__. ,
Wenlo^ j n i it j Ji i t j t i. j- Schopfungs- und Naturpsalmen als Lobpreis Gottes sagen das-
. traen, daß ihre Methode des Lehrens und Lernens eben die im r , '6 , , , r v . , r ^ <___„ „8 . .
Judr-nf„„ i-Li- i. • ic £ ur- j j nL c selbe. Ist dann aber der Kult anders zu verstehen? B. gesteht
"'uentum übliche gewesen sei (S. 22 f). Wird demgegenüber auf , . . ... , ,. , ... . 6
die ii.cJ." i vi c * ii j r______i... l- • j£i hier Aussagen zu, wenn sie in rein symbolischer Weise ver-
'c ausdrückliche Feststellung der Evangelisten hingewiesen, daß , , e. uju i c
,es"s nicht wie die Schriftgelehrtcn, sondern mit Vollmacht lehrte, standen werden. Es bleibt jedoch zu fragen, was er unter
S° der Verf. diese Stellen ab als „a 'dogmatic' passagc in the "sym£° ls* ™tth«' 'st f3™* au* eingeschlossen, daß
editorial ».-i • i £ ki i i ii «7c ,r der Kult Ausdruck für das fortdauernde konkrete geschicht-
,loriai material of Mark and Matthew (S. 25). ,. , , , n ^ , i . , , ,. r . , j ru
. liehe Handeln Gottes an Israel ist, das die Existenz des Volkes
jüd' !/'cnlanc, wird ernstlich die Bedeutung bestreiten, die der setzt? |,t eingeschlossen, daß dieses Handeln den geschlossenen
zuk Umwelt fur die Interpretation des Neuen Testamentes Zusammenhang der Weltgeschichte durchbricht? Dasselbe gilt
^ Kommt. Was der Verf. durch seine gut dokumentierte Material- für die politischen und juridischen Vorstellungen. Wiederum
tracr "if ZUr ErnelIunS des «bbinischen Lehrbetriebes beige- dürfte das zugestandene symbolische Verständnis überschritten
Fol? ' 'St als tücnti?c Leistung anzuerkennen. Aber die werden, wenn die juridischen Vorstellungen als Ausdruck
HemirUi?gen' d'C Cr 8US Sciner Matcrialsammlung für die neutesta- dcr Konkretheit menschlicher Schuld und göttlicher Vergebung
"erat jThc°l0gie Z'eht' forclcrn zu deutlichem Widerspruch verstanden werden. Das heißt gewiß nicht, daß beides aufweisbar
zeueu "1 £abcn audl durdl ihrC erncutc Verteidigung an Über- jst> sondern es ist nur mit dem Paradoxon aussagbar, auf das B.
G««n n'dlt gcwonnen- öfter hinweist (97), von dem her auch die juridische Redeweise zu
B "gen Eduard Loh se verstehen ist. Illegitim wären gerade im Sinne B.s darum nur
"''mann, Rudolf: Jesus Christus und die Mythologie. Das Neue Aussagen, die nicht interpretierbar sind, von denen nicht auf ein
^stament im Lidit der Bibelkritik. Hamburg: Furche-Verlag, [1964]. sich in ihnen aussprechendes Selbstverständnis zu reflektieren
11 S. kl. 8" = Stundenbuch 47. wäre. Das scheint mir bei den genannten Aussagen aber nicht
Vers.Riesen im Oktober 1951 an der Divinity School der Uni- zuzutreffen. Es bleibt darum zu fragen, ob es im NT überhaupt
sitat Yale gehaltenen Vorlesungen kommt eine ähnliche Bc- in diesem Sinne ein illegitimes Reden vom Handeln Gottes gibt.