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Ausgabe:

1965

Spalte:

173-175

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Theologisches Jahrbuch 1964 1965

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 3

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leider ohne diesen wichtigen Gedanken genauer auszuführen.
Augustin und Hieronymus geben auf unsere Fragen kaum Auskunft
, für sie scheint an einem Wächteramt jedenfalls wenig
Interesse zu bestehen — oder sind sie bewußt zurückhaltend?
Die Mehrheit der Auslegungen läuft auf ein Wächteramt hinaus
, das der Kirche aufgetragen ist. So klingt es in 1. Cl. 59 an,
so ist es deutlich bei Justin, Lucifer von Calaris, Ambrosius,
Chrysostomus, Faustus von Reji und Facundus von/ Hermiane.
Alle Genannten sind sich darin einig: Sie selbst beziehen die
Drohung und Verpflichtung von Ez. 3, 17—19 auf sich. Zu fragen
'st weiter: Über wen soll das Wächteramt ausgeübt werden?
Justin will Wächter sein, um die Juden und Häretiker zu ermahnen
; Chrysostomus und Faustus denken an die Sünden ihrer
Gemeinden. Lucifer und Facundus wollen auch dem Kaiser
gegenüber ein Wächteramt ausüben. Ambrosius ist ein Grenzfall:
Zu seiner Gemeinde gehört ja tatsächlich der Kaiser. Doch war
das Wächteramt gegenüber dem Kaiser auch bei Lucifer und
Facundus letztlich nur ein Spezialfall innerkirchlicher Gemeindezucht
mit sehr speziell theologisch-dogmatischem Hintergrund.
Können wir heute davon ausgehen? Aber fragen wir weiter:
Wie sah die praktische Durchführung des Wächteramtes dem
Kaiser gegenüber aus? Nur 3 Fälle lagen vor und alle drei sind
recht problematisch. Der Protest des Ambrosius bei Theodosius

gegen den Wiederaufbau der zerstörten Synagoge war unhaltbar
. Daß ausgerechnet Ambrosius der einzige ist, der sein Wächteramt
mit Erfolg ausübte, wirft neue Fragen auf, die hier nicht
erörtert werden können. Besser begründet war jedenfalls der
Protest des Lucifer gegen Konstantius und des Facundus gegen
Justinian. Beide haben sich mit einem gewissen Recht auf Ez. 3,
17—19 berufen. Aber es stimmt nachdenklich, daß Lucifer und
Fakundus als Sektierer endeten. Hier meldet sich die ernsteste
Frage: Macht etwa das drohende Schwergewicht der Ezechielstelle
unfähig, die Botschaft von der Vergebung zu hören und
zu verwirklichen? Vielleicht ist es kein Zufall, daß Lucifer und
Fakundus ein so ähnliches Schicksal hatten? Dann wäre aber die
Zurückhaltung bei Augustin, Hieronymus und besonders bei
Chrysostomus gegenüber Ez. 3, 17—19 auch aussagekräftig. In
Gregors d. Gr. Regula pastoralis wird Ez. 3, 17—19 nicht zitiert,
obwohl es inhaltlich oft naheläge und andere Ezechielstellen
zitiert werden. Auch dieser Umstand kann zu denken geben. So
stellt die hier kurz skizzierte Geschichte altkirchlicher Auslegung
zu Ez. 3, 17—19 ein Warnzeichen dar, in der Berufung auf
jene Prophetenstelle die nötige Vorsicht nicht fehlen zu lassen.
Zugleich dürfte auch an diesem Beispiel wieder deutlich geworden
sein, welche Anregung die Auslegungsgeschichte dem Exegeten
bieten kann.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

Theologisches Jahrbuch, hrsg. v. A. Dänhardt. 1964. Leipzig:
St. Benno-Verlag 1964. 563 S. gr. 8°.

Das Theologische Jahrbuch bringt diesmal 32 Beiträge von
31 Autoren (H. Volk liefert zwei Beiträge). Die Thematik erstreckt
sich über das ganze Gebiet der katholischen Theologie
ohne besondere Schwerpunktbildung (Konzilsaufsätze brachte
das vorige Jahrbuch; sie sind erst wieder zu erwarten, wenn Ergebnisse
des Konzils vorliegen). Die ersten vier Aufsätze behandeln
Probleme des Neuen Testaments, es folgen vierzehn zur
Dogmatik und Moraltheologie, zwei zum Kirchenrecht, zwölf
zur Kirchengeschichte und Praktischen Theologie. Am fremdartigsten
für den evangelischen Leser sind die kirchenrechtlichen Abhandlungen
, die sich beide auf das Eherecht beziehen und uns
etwas von der Problematik des katholischen Scheidungsrechtes
sichtbar machen. Die katholische Kirche läßt bekanntlich bei der
sakramentalen Ehe eine Scheidung mit dem Recht der Wiederverheiratung
in keinem Fall zu; dafür eröffnet sie aber in einem
sonst unbekannten Umfang die Möglichkeit zur Nichtigkeitserklärung
der Ehe. Nach einer Nichtigkeitserklärung hönnen
beide Ehegatten erneut heiraten; es wird also damit im Ergebnis
etwa dasselbe erreicht wie bei einer Ehescheidung nach weltlichem
Recht. Einer der seltsamsten Gründe für eine Nichtigkeitserklärung
ergibt sich u. U. aus einer (dem weltlichen Recht unbekannten
, im kanonischen Recht aber vorgesehenen) „bedingten"
Eheschließung. Obwohl zugestanden wird, daß die Ehe ein „bedingungsfeindliches
Geschäft" ist (315), kann man sich doch nicht
entschließen, die bedingte Eheschließung unmöglich zu machen, mit
der ausdrücklichen Begründung, daß die rigoristische Haltung der
Kirche in der Scheidungsfrage Erleichterungen für die Nichtigkeitserklärung
nötig mache (3 3 5). Besonders bedenklich erscheint es,
daß die Bedingung nicht in jedem Fall ausgesprochen zu sein
braucht: „Hat jemand seinen Ehewillen, wenn vielleicht auch
nur insgeheim, an eine Bedingung geknüpft, so liegt bei Nichterfüllung
der Bedingung eben kein hinreichender Konsens vor,
und an der Ungültigkeit der Ehe ist dann nicht vorbeizukommen"
(382). Oder was soll man zu folgendem Fall sagen: „In einem
anderen Fall wünschte sich der Mann, der letzte Sproß eines angesehenen
Geschlechts, aus seiner künftigen Ehe unter allen Umständen
Kindersegen. Aber da seine Braut, eine Witwe, aus ihrer
ersten Ehe kinderlos geblieben war, hatte er Besorgnis und
knüpfte seinen Ehewillen an die Bedingung, daß sie empfängnisfähig
6ei" (334)?! Ist es da nicht besser, das Ja der Nupturienten
in jedem Fall als hinreichend für das Zustandekommen der Ehe
anzusehen und für zerbrochene Ehen die Möglichkeit der Scheidung
mit dem Recht der Wiederverheiratung zuzulassen? — Auch
die (nichtsakramentale) „Naturehe" ist im allgemeinen unauflöslich
, jedoch gibt es hier Ausnahmen „zugunsten des wahren
Glaubens" (in favorem fidei). „Die Auflösung der Naturehe . . .
kann einmal unter Berufung auf das Paulinische Privileg (sc.
1. Kor. 7, 15) und zum anderen durch päpstlichen Gnadenerweis
auf Grund der allgemeinen Binde- und Lösegewalt des Papstes
erfolgen". „Die Geschichte zeigt eine fortwährende Ausdehnung
des Anwendungsbereichs und eine stete Minderung der gestellten
Anforderungen" (337). Auch hier entsteht die Frage: Wenn
der Papst das Recht hat, eine Ehe von Nichtkatholiken, u. LI.
von Nichtchristen, aufzulösen, warum wird dann das Prinzip der
Unauflöslichkeit der Ehe gegenüber den weltlichen Instanzen so
stark betont? Ist das Prinzip erst einmal durchbrochen, so ist
nicht einzusehen, warum nur der Fall „in favorem fidei" in Betracht
gezogen werden darf. Von den angeführten Beispielen sei
wenigstens eins wiedergegeben: „Ein ungetaufter Mann schloß
eine Ehe mit einer getauften nichtkatholischen Frau. Nach der
zivilen Scheidung versuchte er mit einer katholischen Frau eine
Ehe einzugehen. Er war niemals getauft worden, wollte sich auch
nicht taufen lassen und hatte keine Absicht katholisch zu werden
. Seine Einstellung zur katholischen Kirche war indes nicht
unfreundlich. . . . Der Bischof empfahl die Auflösung der Ehe in
favorem fidei, und zwar hauptsächlich und unmittelbar zum
Nutzen des Glaubens des katholischen Teils, der seine Verbindung
gültig zu machen und zu den Sakramenten zugelassen
zu werden wünschte, .... Der Papst hat am 2. 6. 1960 die erbetene
Gnade gewährt" (341 f.). D. h., der Papst hat die Ehe des
ungetauften Mannes mit der getauften nichtkatholischen Frau
aufgelöst, — eine Ehe also, bei welcher kein Teil der katholischen
Kirche angehörte! Diese Proklamierung eines päpstlichen
Scheidungsrechtes unter Ignorierung des staatlichen Scheidungsrechtes
muß als höchst bedenklich angesehen werden, auch wenn
sich der Papst in der Regel hüten wird, eine Ehe zu scheiden,
die nach weltlichem Recht noch gültig ist. — Fragestellungen,
die dem evangelischen Theologen vertraut sind, finden wir bei
P. Bläser: „Gesetz und Evangelium". Natürlich wird hierbei
auch auf Luther Bezug genommen, dem zugestanden wird, daß
er die Paulinischen Aussagen im wesentlichen richtig verstanden
habe. Nur in zwei Punkten wird Luthers Gesetzeslehre beanstandet
: Einmal, daß er dem Gesetz die Funktion zugeschrieben
hat, „den Menschen der Sünde zu überführen und ihn so zur
Verzweiflung zu treiben". Bei Paulus sei nur davon die Rede,
„das Gesetz habe (objektiv) die Aufgabe gehabt, die Sünde
zu mehren . . . und sie als Sünde offenbar zu machen". Ist diese
enge Interpretation der Paulinischen Gesetzeslehre in sich schon