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Ausgabe:

1965

Spalte:

167-174

Autor/Hrsg.:

Haendler, Gert

Titel/Untertitel:

Altkirchliche Auslegungen zu Ez. 3,17-19 1965

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 3

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Altkirchliche Auslegungen zu Ez. 3,17-19

Von Gert H a e n d 1 e r, Rostock Alfred jepsen Zllm 65 Geburtstag

Der Jubilar, dem die folgenden Zeilen gewidmet sind, hat Justin offensichtlich nichts. Jedenfalls zitiert er Ez. 3, 17—19 nur
uns junge Theologen oft gemahnt, bei der Exegese auch die im Dialog mit Tryphon, während er in den Apologien gegen die
Wirkungsgeschichte mit zu beachten. Zu jenen alttestamentlichen Heiden anders argumentiert: In der Apologie an Kaiser Antoni-
Stellen, die eine bedeutende Wirkungsgeschichte hatten, gehört nus Pius beruft er sich nachdrücklich auf die Vernunft, in der
Ez. 3, 17—19. Dem Propheten wird ein Wort des Herrn zuteil, Apologie an den römischen Senat betont er einleitend, daß
das Luther folgendermaßen übersetzt hat: ,,Du Menschenkind, Christen und Nichtchristen von gleicher Natur und daher
ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israels; du Brüder seien! Sicher klingen in den Schriften der Apologeten
sollst aus meinem Munde das Wort hören, und sie von meinet- zuweilen auch warnende und ernste Töne mit an, aber der An-
wegen warnen (17). Wenn ich dem Gottlosen sage: Du mußt sprach auf ein Wächteramt wird nicht erhoben. Selbst bei
des Todes sterben, und du warnst ihn nicht und sagst es ihm Tertullian, dessen Temperament wohl noch am ehesten einen
nicht, damit sich der Gottlose vor seinem gottlosen Wege hüte, Anspruch auf ein Wächteramt vermuten lassen könnte, habe ich
auf daß er lebendig bleibe: so wird der Gottlose um seiner kein Zitat unserer Stelle gefunden. Ähnlich liegt es bei den
Sünde willen sterben; aber sein Blut will ich von deiner Hand alexandrinischen Kirchenvätern des 3. Jahrhunderts: Bei Clemens
fordern (18). Wo du aber den Gottlosen warnest, und er sich von Alexandrien finden sich im Register 42 Ezechielzitate, aber
nicht bekehrt von seinem gottlosen Wesen und Wege, so wird die Stelle 3, 17—19 fehlt. Origenes bringt allein in' seiner
er um seiner Sünde willen sterben; aber du hast deine Seele Schrift Contra Celsum 45 Ezechielzitate, — und wieder fehlt
errettet (19)". Vor einigen Jahren wurde gezeigt, daß diese unsere Stelle. Seine Homiliae in Ezechielem, die uns in der
Stelle für Luther eine wesentliche Bedeutung hatte; Ermahnun- lateinischen Übersetzung (wahrscheinlich Rufins) erhalten sind,
gen an die christliche Obrigkeit wurden auch mit dieser Stelle streifen einmal kurz unsere Stelle. Es heißt da: „Per omnem
begründet: So gegenüber dem Grafen von Mansfeld, dem Rat prophetiam Ezechieli dicitur: fili hominis. Quis autem sie filius
der Stadt Zwickau, dem brandenburgischen Kurfürsten sowie hominis, ut Dominus meus Jesus Christus?" (GCS 8, 327).
gegenüber Juristen in Wittenberg1. Heute will man nun zuweilen Origenes geht es allein um die christologische Auslegung. Er
aus jener Bibelstelle ein Wächteramt der Kirche gegenüber dem nennt unsere Stelle nicht genauer; wollten wir aus seiner Aus-
nichtchristlichen Staat ableiten. Wir wollen im Folgenden fragen, legung Konsequenzen ziehen, so müßten wir sagen: Es gibt
wie die Prophetenstelle in der alten Kirche verstanden worden nur einen, der ein Wächteramt ausübt: Christus. Bei den be-
ist. kannten Spannungen zwischen Origenes und seinem alexandrinischen
Bischof wäre ja auch kaum eine Auslegung auf ein
I. bischöfliches Wächteramt zu vermuten. Näher könnte solche

Zunächst ist festzustellen, daß unsere Stelle in der ältesten Deutung immerhin bei dem nordafrikanischen Bischof Cyprian

Kirche vor Konstantin nur selten vorkommt. Ein erster Anklang he^n- Tatsächlich weist das Stellenregister im CSEL ein Zitat

könnte im 1. Clemensbrief vorliegen. Die römische Gemeinde vLon Ez- 3' 17 •„aus; aber dlf betreffende Schrift „De duodecim

ermahnt die Gemeinde in Korinth wegen gewisser Unruhen. Da abu/lvif saecuh; stammt von Cyprian sondern sie gehört

heißt es im 59. Kapitel: „Wollten aber einige gegenüber dem, rtach lrland und wird ins 6- 7- Jahrhundert zu dati«en sein!

was von Christus durch uns gesprochen wurde, den Gehorsam ji

verweigern, so mögen sie wissen, daß sie sich in Schuld und Erst nadl dem Umbrudl unter Kaiser Konstantin begegnet

nicht geringe Gefahr verstricken - wir aber werden an dieser unsere StdIe im Sinne dner Kritik an dnem christlichen Kaiser.

Sünde unschuldig sein . Ez 3, 17-19 wird nicht genannt, aber Sowdt jdl sehe# hat Athanasius sie nicht verwendet. Lucifer von

man könnte schon sagen, daß die römischen Christen so etwas Ca]aris war der erste) der den modern-aktuellen Klang aus jener

wie ein „Wächteramt wahrgenommen haben um nicht mit- Bibelstelle herausspürte. Wie war die Lage? In der Mitte des

schuldig zu werden an den Sünden in Korinth Ein deuthehes 4 Jahrhunderts machte Kaiser Konstantia den Versuch, die

Zitat unserer Stelle liegt freilich erst im 2. Jahrhundert vor bei Kjrdle sdnes Rdches theologisch gleichzuschalten. Die Bischöfe

Justin Er bemüht sich im Dialog mit dem Juden Tryphon um des Abendlandes wurden besonders auf der Synode von Mailand

den Nachweis, daß die Kirche Erbin der alttestamentlichen Ver- 355 bedrangt. Zu denen> die am lautesten protestierten, gehörte

heißungen sei: „Bei uns gibt es nämlich noch bis auf den heuti- Bischof Reifer von Calaris, ein Bauernsohn aus Sardinien. Er

gen Tag prophetische Charismen. Daraus solltet auch ihr er- gehörte dann auch 2U denen> die in die Verbannung geschickt

kennen, daß sie von eurem Volk, wo sie früher waren, auf uns wurden In mehreren Schriften hat er gegen die Ungerechtig-

übertragen wurden. Wie es aber neben euren heiligen Prophe- keiten des Kajsers sich 2ur Wehr gesetzt Man hat das schlechte

ten noch falsche Propheten gegeben hat, so gibt es auch jetzt Latein getadelt und die Bibelkenntnis anerkannt. Hendrik

bei uns viele falsche Lehrer" (Kap. 82). Von diesem Zusammen- Berkhof hat si(h für Lucifer eingesetzt: „In den Terrorjahren,

hang her kommt Justin auf unsere Stelle: „Wir bemuhen uns, jn denen LudfeT wirkte und schrieb, kam es ^dit mehr auf den

diese (falschen Lehrer) wie euch umzustimmen und vom Irrtum Gdst sondem auf den Charakter an. Es galt standzuhalten

abzukehren; denn wir wissen, daß jeder, der die Wahrheit gggen die kaiserliche Einheitspolitik. Damals ist Lucifer der

sagen kann und sie nicht sagt, von Gott verurteilt werden wird radikalste von allen gewesen"2. Eine Schrift Lucifers trägt die

nach der Zusage, die Gott durch Ezechiel machte: .Ich habe dich Überschrift: De non parcendo in Deum delinquentibus,

zum Wächter gesetzt über das Haus Juda Wenn der Sunder was man frd übersetzen könnte mit. Keine Schonung für die

sündigt und du nicht gegen ihn zeugst, wird er zwar um seiner Fdnde Gottes_ Ausgangspunkt ist die Forderung des Kaisers

Sünde willen verderben, von dir aber werde ich sein Blut for- Konstantia, Lucifer solle ihm gehorchen, weil die Schrift dies

dem; wenn du ihm aber ins Gewissen geredet hast, so wirst du vorschreibe Welche Bibelworte Konstantius herangezogen hat,

schuldlos sein'. Wenn wir uns also bemühen, schriftgemäß zu wjssen ^ nidu vielleicht Römer 13? Eindeutig klar ist die

reden, so tun wir es aus Furcht, nicht aus Habsucht, Ehrgeiz Rejhe yon Bibelworten, die Lucifer dem Kaiser entgegenhielt. In

oder Vergnügen" (Kap. 82). Justin fühlt sich also durch Ez. 3, dieser Rdhe begegnet unsere Ezechielstelle, die sehr ausführ-

17-19 zu einem Wächteramt über die kirchliche Lehre gedrangt. ,jdi (?> 16_21) zirjert wird. ; Et factum est verbum domini ad

Justin fühlt sich dazu gerade auch um der anderen willen ver- mg dkens. Fjli hominis> ecce dedi te speculatorem domus Israel,

pflichtet: Auch die Irrlehrer und die Juden sollten „die Wahr- £t audks de ore meQ sermonem et Comminaberis eis a me in eo

heit" verkündigen, denn sie kennen die Schrift. Von einem quod djcam ad sceleratum: morte morieris, et non distinxisti illi

Wächteramt gegenüber dem heidnisch-römischen Staat weiß nequc locutus es ut distingueres scelerato avertere a viis suis,

') R.Götze, Wie Luther Kirchenzucht übte. 1959 (Theol. Arb. ut vivat, ille sceleratus in injustitia morietur..." (CSEL 14,

IX), S. 121 ff. S. 229). Lucifer fragt: „Was sagst du dazu, Konstantius?". Ein