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Ausgabe:

1965

Spalte:

149-150

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Hammerschmidt, Ernst

Titel/Untertitel:

Äthiopische liturgische Texte der Bodleian Library in Oxford 1965

Rezensent:

Nagel, Peter

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 2

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brare im Sprachgebrauch der römischen Liturgie. Für dessen Bearbeitung
erscheint es der Verfasserin in Folge der unvergleichlich komprimierten
Ausdrucksweise der römischen Liturgie«prache als unumgänglich
, die Texte der Sakramentare in bewußter Bezogenheit auf den
klassischen Sprachgebrauch, die Bibel und die Väter zu deuten. Zu diesem
Verfahren erscheint mir die Frage berechtigt, ob man so nicht
Gefahr läuft, fremde Gedanken in den liturgischen Ausdruck einzutragen
; sollte man nicht stattdessen bemüht sein, die Deutung liturgischer
Formulierungen aus sinnverwandten Formulierungen der Liturgie
selbst zu gewinnen? Die Verfasserin hat diesen wichtigsten Teil ihrer
Arbeit in drei Abschnitten aufgebaut, indem sie zuerst vom Subjekt
des celebrare handelt, dann das Wort sinnverwandten Verben gegenüberstellt
und schließlich sich mit dem Objekt des celebrare befaßt.
Als Subjekt des celebrare begegnet, in ganz ungewöhnlicher Weise als
vom Tun eines Einzelnen ausgesagt, schon in den ältesten liturgiesprachlichen
Quellen Abraham. Freilich mag dabei der Gedanke an den
„Vater der Kirche" (Diodor von Tarsus, Irenäus) und damit an eine
Vielheit der Feiernden mitschwingen. In den meisten Fällen ist das
Subjekt des celebrare innerhalb der Sakramentare das „Wir" der
Gemeinde, der Kirche. Ein celebrare allein des Priesters kennen die
Gebete der Sakramentare nicht. Gelegentlich können die Rubriken de6
Gelasianums davon sprechen; doch auch dann vollzieht es sich ja in
Gemeinschaft. Das „Wir" der zur Feier der Eucharistie Versammelten
kann sich auch bis in die Bereiche der himmlischen Welt weiten, doch
wird sich, wenn 60 das celebrare auf die Teilnahme der Engel am Kulthandeln
der Kirche ausblickt, kaum ausmachen lassen, ob dieses Kulthandeln
seinerseits teilhat am himmlischen Gottesdienst oder umgekehrt
.

In der Gegenüberstellung mit sinnverwandten Verbgruppen können
sich u.a. folgende Aspekte ergeben: die sammelnde Kraft des
Feierbegriffes (dies manchmal in starker Beziehung zum Opfer) als
Betonung des liturgischen Tuns; durch den dem Begriff eignenden
Charakter des Wiederholens celebrare als ein Gedäditnistun, als Erneuern
, Vergegenwärtigen; auch kann in diesem Wort etwas von der
dem Kult entsprechenden Geisteshalhing spürbar werden, oder es kann
eine Vertiefung in Richtung des Verkündigungsmomentes, speziell des
Verkündigenden Lobpreises, sich ergeben.

Schließlich zeigt die Verfasserin, wie der Gehalt von celebrare
nicht nur von seinem Subjekt her oder durch den Verglcidi mit wesensverwandten
Verben erhellt werden kann, sondern genauso von seinem
Objekt aus. Die Verfasserin wählt, um dies zu zeigen, zunächst Festtage
und Festzeiten, dann die Eucharistie als Objekte des celebrare.
Der Ausdruck „Missam celebrare" kann beiseite bleiben, weil er nur
in den Rubriken des Gelasianums vorkommt. Die Verfasserin muß
freilich zugeben, daß das Wort durch diesen Untersudiungsgang keine
über die Feststellungen des vorausgehenden Abschnitts hinausführende,
wesentlich neue Bedeutungsakzente empfängt. Allerdings gewinnt es
dadurch an Intensität. Vor allem wird es in seiner Richtung als Vollzugsterminus
für die Eucharistie vertieft und bewußt gemacht, da alle
genannten Objekte entweder selbst die Eucharistiefeier sind oder in ihr
ihren Höhepunkt haben. Am Schluß des Ganzen wird in aller Kürze
das dargestellte Ergebnis noch einmal zusammengefaßt. —

Wenn auch der Untersuchung eine sorgfältige Zusammenstellung
der benutzten liturgischen Quellen und der Literatur
vorausgeht, so vermißt man doch sehr ein eingehendes Register,
das vor allem die Aufgabe gehabt hätte, das in den Anmerkungen
gegebene reichhaltige liturgische und patristische Material
unmittelbar zugänglich zu machen. Im übrigen stellt die vorliegende
Untersuchung eine zweifellos sehr gründliche und
fleißige Arbeit dar, die geeignet ist, an einem eindrücklichen
Beispiel zu zeigen, welcher theologische Sachgehalt allein aus
der Sprache der römischen Liturgie erschlossen werden kann.

Greifswald William Nagel

Hammerschmidt, Ernst: Äthiopische liturgische Texte der
Bodlcian Library in Oxford. Berlin: Akademie-Verlag 1960. 72 S.,
4 Taf. 4° = Deutsche Akademie d. Wissenschaften zu Berlin,
Institut f. Orientforschung, Veröff. Nr. 38. Kart. DM 38.—.

Innerhalb der Wissenschaft vom Christlichen Orient hat
sich die Liturgiegeschichte bereits zu einer Sonderdisziplin ausgewachsen
. Hammerschmidt ist einer der wenigen Forscher, die
das umfassende Gebiet der orientalischen Liturgien sprachlich
und sachlich noch zu meistern vermögen. Er legt hier in Text,
Übersetzung und knappem Kommentar drei äthiopische Litaneien
und eine äthiopische Version des 28. Kapitels aus dem
Testamcntum Domini Jesu Christi, betitelt „Die Lehre der Geheimnisse
", vor. Die letztere Schrift hatte Carl Schmidt in
seinen Epistola apostolorum auch der evangelischen Theologie
für kurze Zeit ins Bewußtsein gerückt, und es besteht die Hoffnung
, daß H. sie wieder einmal aus ihrem Dornröschenschlaf
aufweckt.

Die Handschriftenbeschreibung der Litaneien (p. 11—15)
wird durch Faksimilebeigaben ergänzt. Das kleine Format
scheint auf privaten Gebrauch der äthiopischen Christen hinzuweisen
. Text und Übersetzung werden gegenübergestellt dargeboten
, darunter finden sich sprachliche Bemerkungen und
inhaltliche Erläuterungen. Die Litaneien zeichnen sich durch ihre
christozentrische Haltung und den strengen Biblizismus aus,
wie schon die Fülle der biblischen Parallelen zeigt.

Die erste Christuslitanei (p. 16—19) stellt in knappen Sätzen die
einzelnen Stationen des Eidenlebens Jesu vor, die als integrierender
Bestandteil der Erlösung aufgefaßt werden. Bei ihnen sucht der Beter
seine Zuflucht. Vielleicht hätte H. die fortlaufend numerierten Verse
in kleinen Einheiten zusammenfassen können (Geburt - Flucht - Taufe -
Gethsemane - Kreuzigung - Klage - Bestattung - Wiederkunft), um den
Vergleich mit verwandten Texten zu erleichtern.

In der zweiten Christuslitanei (p. 24—28) ist das Schema vereinfacht
: nach Geburt und Taufe wird sofort zur Passion übergeleitet. Die
Passionsdaten sind breiter, dafür weniger präzis als in der ersten
Litanei gestaltet.

Die Marienlitanei (p. 24—28) ist besser als Karfreitagsliturgie aufzufassen
, da der Beter sich auf die einzelnen Ereignisse des Leidens
Christi bezieht. In den Anrufungen kommt der Gottesmutter „eine Art
Zeugenschaft" (p. 29 ad 1) zu.

Der „Lehre der Geheimnisse" (temherta hebü'at) stellt H. dankenswerterweise
eine forschungsgeschiditliche Übersicht über das
Testamcntum Domini voran, in der auch die einzelnen Versionen mitgeteilt
sind (p. 39—47, Literatur p. 42).

Die Auseinandersetzungen um sprachliche und inhaltliche Auffassung
werden vor allem mit Deborah Lifchitz, der dieses Kapitel
gewidmet ist, und mit einem nachgelassenem Manuskript S. Euringers
geführt. Geist und Methode der Auseinandersetzung dürfen als vorbildlich
bezeichnet werden. H. kann hier aus der Fülle seiner Kenntnisse
der orientalisdien Liturgien schöpfen, und man ist zu dem Satze
geneigt: wer eine Sprache des Oriens Christianus kennt, kennt keine.

Der Name des Traktats ist aus der altchristlichen Arkandisziplin
herzuleiten: die „Geheimnisse" wurden vor der Prosphora nur den
Getauften mitgeteilt. Der Name wurde beibehalten, als das Brauchtum
sich längst verändert hatte. Neben dem gottesdienstlich-liturgischen
Gebrauch steht der private. Das ganze Büchlein wurde als Amulett
auf der Brust getragen (vgl. die Märtyrer von Scili). Da der Text in
hohem Ansehen stand, sind zahlreiche Handschriften überliefert. Insgesamt
stellt sich die Lehre der Geheimnisse als eine Meditation über
das Sterben und Auferstehen des unsterblichen Gottessohnes dar.
Die Bemerkungen H.s können das gesamte Material natürlich nicht erschöpfend
behandeln, die Probleme und der Weg zu ihrer Lösung
werden indes so weit behandelt, daß der Interessierte selbständig
weiterarbeiten kann. Der Text bedürfte einer eingehenden patristi-
schen und religionsgeschichtlichen Kommentierung. Für Kap. 2 sei zunächst
auf Irenäus, Erweis der apostolischen Verkündigung, verwiesen.
Bei Kap. 4 (Descensus) dürften Budge's Coptic Apocrypha nicht
fehlen.

Zur Textgestaltung: Die Auflösung der Abbreviaturen an
allen Stellen wäre für den weniger Geübten hilfreich. Die Übersetzung
ist flüssig und gibt doch die stereotype liturgische
Formelsprache adäquat wieder.

Bezüglich künftiger Veröffentlichungen derartiger Texte
sei eine Bitte ausgesprochen. Edition und Übersetzung von
Texten, zu denen nur wenige selbständigen Zugang finden,
haben nicht zuletzt die Aufgabe, den Text sprachlich so weit zu
erschließen, wie es für die Interpretation erforderlich ist. Dazu
gehört ein vollständiger Index, der sich auch der syrischen und
koptischen Zitate annimmt, sowie ein Index der Bibelstcllcn,
der patristischen Verweise und ein Autorenregister. Die äthiopischen
Schriftzeichen sollten nach Möglichkeit auch transkribiert
werden. Ein Beispiel: die Christusprädikation 'amläk ist nach
Dillmanns Lexicon c. 151 mit ,Gott' wiedergegeben (2. Christusliturgie
). Wer kein Äthiopisch kann, wird schwerlich hinter der
Übersetzung die Wurzel mlk vermuten.

Wir danken H. für seine wertvolle, sorgfältige Arbeit. Umfassende
Kenntnisse und Ehrfurcht vor dem behandelten
Gegenstand befähigen ihn zu einer kongenialen Interpretation.
Was aber ist unter,,phänomenologisch-hermeneutischerMethode"
(p. 15) zu verstehen? Das ist es ja gerade, worum wir uns bemühen
.

Halle/Saale Peter Nagel