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Ausgabe:

1965

Spalte:

144-145

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Missionarischer Gemeindeaufbau 1965

Rezensent:

Mendt, Dietrich

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143

Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 2

144

Sein Beitrag ist zugleich eine gute Überleitung zu den
„Krisen der Lebenswende und des Alters".
Der einleitende Aufsatz von K. Mayer über die „Psychopathologie
vorzeitiger Versagenszustände" macht deutlich, daß diese
Ausdruck und Folge eines körperlichen und seelischen Über-
forderungssyndroms im mittleren Lebensalter sind. Die Beziehungen
des Menschen zur Arbeit werden weitergeführt in
K. Leonhards Ausführungen über „Neurotische Entwicklungen
auf Grund der Zur-Ruhe-Setzung", in denen er sich den Krisen
beim Verlust sinnerfüllender Tätigkeit widmet. — H. v. Bracken
geht es darum, „Wandlungen der menschlichen Persönlichkeit
im mittleren und höheren Alter" als Möglichkeiten zur Reifung
aufzuweisen und damit zugleich eine Hilfe zur Überwindung der
Altersphobien zu geben. In der gleichen Richtung führt A.Vetters
Aufsatz über „Das Alter in psychologischer Sicht" weiter. In
seinen Ausführungen, die sowohl psychologische, tiefenpsychologische
und geistesgeschichtliche als auch philosophische und
theologische Gesichtspunkte umspannen, zeigt er Alterskrisen
auf, die sich aus den positivistisch-naturalistischen Verengungen
des Blickfeldes in der Lebens- und Todeserfahrung ergeben. Die
daraus erwachsende Sinnentleerung des Daseins und Todes führt
zu Fluchten vor dem Alter und dem Tode, zeitigt Lebensangst,
Torschlußpanik und Verzweiflung. Dem „somatischen Daseins-
bogen", der nach dem Aufstieg und der Lebenswende absinkend
im Verfall endet, stellt A. Vetter den „pneumatischen Daseins-
bogen" gegenüber. Hier wird die Lebenswende zum Beginn eines
Aufstiegs durch die Lösung aus der Weltumklammerung und
durch vertiefte Selbst- und Gotteserkenntnis mit dem Ziel der
Heimkehr zum göttlichen Ursprung.

Auch im letzten Teil, überschrieben: „Vom Lebensalter
unabhängige Krisen" werden die Probleme:
Krankheit, Alter, Tod aufgenommen. In seinen Aufsätzen:
„Leitsymptom : Angst" und „Der psychologische und anthropologische
Aspekt der Krankheit" sieht A. Jores die Wurzeln
der Angst — die letztlich Todesangst ist — im Erlebnis der Un-
geborgenheit und der Einengung der erstrebten Entfaltungsmöglichkeit
durch unsere technisierte Umwelt. — Graf Wittgensteins
Ausführungen über „Sterbensangst und Todesfurcht..."
konfrontieren uns mit einer Fülle psychologischer, philosophischer
und theologischer Fragen, die sich für den Tieferdenkenden —
auch den Arzt — an der Grenze des Lebens ergeben.

In Darlegungen über den Schmerz (H. Bürger-Prinz), den
schweren Verlust (A. Lorenzer), die endogenen Psychosen
(J. Weitbrecht, Th. Winkler) werden wesentliche Situationen und
Arten von Krisen behandelt. Auch die Beziehungen des Lebensweges
zur Geschichtlichkeit (J. Zutt) und die Abhängigkeit der
Krisen von der Jahresperiodik (W. Hellpach) sind interessant
dargestellt. — Abschließend unterrichtet der Herausgeber aus
reichen Erfahrungen vielseitig über das „nostalgische Phänomen",
ein hochaktuelles Problem in der Kriegs- und Nachkriegszeit
mit Fluchten, Völkerwanderungen, Trennungen durch Berufsarbeit
und Gaststudium. In diesem Aufsatz verdichten sich in
gewisser Weise die behandelten Probleme, insofern das „Heimweh
" zumindest ein unbewußtes Grundthema verschiedenartiger
Krisen ist.

Wir dürfen mit dem Verf. eine Aufgabe darin sehen, unsere
Jugend in das Verständnis persönlicher, biologischer, psychologischer
und sozialer Krisen einzuführen, damit sie nicht unvorbereitet
und ohne weltanschaulichen Halt in unserer gefahrvollen
Wirklichkeit lebt und womöglich versagt. Der Sammelband
ist eine ausgezeichnete Hilfe für alle, die sich der Mitarbeit
bei dieser Aufgabe verpflichtet und dabei zur fruchtbaren Verarbeitung
eigener Krisen aufgefordert fühlen. Zwar setzt die
Lektüre des Buches einige Sachkenntnis voraus, doch das reichhaltige
Literaturverzeichnis und gute Register ermöglichen ein
vorbereitendes und vertiefendes Studium. Jeder ärztlich, pädagogisch
und seelsorgerlich Arbeitende wird von dem Buch reichen
Gewinn haben, denn die Aufsätze enthalten nicht nur ein wirklichkeitsgetreues
Bild des heutigen Menschen und damit eine
Hilfe zur Diagnose, sondern auch eine gute Kulturkritik und
Hinweise zur Therapie und Pädagogik. Was von der Psychologie
aus an Perspektiven überhaupt möglich ist, findet der Leser.
Die Lebenskrisen sind ein Spiegel der Problematik menschlichen
Lebens und Lebensschicksals als Gabe und Aufgabe, als Möglichkeit
zur Verfehlung und Erfüllung der menschlichen Bestimmung.

Leipzig Adelheid Ren seh

Arnold, Franz Xaver: Eduard Spranger zum Gedächtnis (ThQ H3,

1963 S. 477—510).

Bodenheime r, A. R.: Der Arzt als Psychohygieniker (Wege zum

Menschen 16, 1964 S. 193—207).
E i c k e, Dieter: Das Gewissen und das Über-Idi. Eine psychoanalytische

Orientierung (Wege zum Menschen 16, 1964 S. 109—128).
Heidland, Hans-Wolfgang: Psychologische Aspekte der Seelsorge

am Mann (Dienende Kirche. Festschrift Julius Bender. Karlsruhe 1963

S. 173—191).

Jaedicke, Hans-Georg: Das Altern als Lebensleistung (MPTh 53,

1964 S. 144—154).

Köberle, Adolf: Psychopathologisches im religiösen Geschehen
(DtPfrBl 64, 1964 S. 337—340).

Kretschmer, Ernst: Die Selbstverantwortung des modernen Menschen
als medizinisch-psychologisches Problem (Universitas 19, 1964
S. 1-8).

Nauss, Allen: Freud's Superego and the Biblical Syneidesis (Concor-

dia Theological Monthly 33, 1962 S. 273—282).
Rüsche, Franz: Über ein bedeutsames Buch zum Thema „C. G. Jung

und die Religion" (ThGl 54, 1964 S. 81—90).
Seifert, Friedrich: Bild und Symbol in der Tiefenpsychologie von

heute (Wege zum Menschen 16, 1964 S. 130—141).
Thomae, Hans: Probleme der seelischen Reifung bei Jugendlichen in

dieser Zeit (Universitas 19, 1964 S. 147—160).

PRAKTISCHE THEOLOGIE:
ALLGEMEINES UND HOMILETIK

Missionarischer Gemeindeaufbau. Handreichung zu den Spandauer
Thesen. Teil 1. Berlin: Luth. Verlagshaus 1961. 64 S. 8° = Missionierende
Gemeinde, H 1. Kart. DM 2.80.

Die offene Gemeinde. Handreichung zu den Spandauer Thesen,
Teil IL Berlin-Hamburg: Luth. Verlagshaus 1963. 100 S. 8° =
Missionierende Gemeinde, H. 8. DM 6.40.

Heft 1 der Schriftenreihe versteht sich als Kommentar zu
Nr. 14—18 der Spandauer Thesen, Heft 8 zu Nr. 19—21, die
alle unter der Überschrift stehen: „Gemeindeaufbau und Volksmission
". Ohne daß eine strenge Zuordnung der Artikel zu den
einzelnen Thesen erstrebt wird, wird eine große Fülle von
Themen vor dem Leser ausgebreitet, die die Fragen der Struktur
der Gemeinde, ihrer Gliederung, ihrer Verkündigung und ihres
Dienstes an und in der Welt abzuschreiten versuchen. So geht
Heft 1 beispielsweise auf die Fragen des Laien, des Mitarbeiters,
der Geselligkeit, des Dienstes der Kirche auf Campingplätzen ein,
Heft 8 auf „Sonntag und Freizeit", Diakonie, Film, Funk, Fernsehen
, Presse, Evangelisation, Werke. Alle Artikel sind leichtverständlich
und kurz geschrieben. Sie bieten eine erstaunliche
Fülle von Anregungen, ohne daß man im einzelnen weiß, von
welchem Verfasser welcher Artikel stammt. Es wird aber beim
Lesen klar, daß jedes Teilgebiet von einem versierten Fachmann
behandelt ist. Eine große Zahl von Themenvorschlägen,
präzise Literaturhinweise für Spezialgebiete und ein Anhang,
der alle „Publikationen der Werke für den Dienst in der Ortsgemeinde
" (leider nur für die Bundesrepublik) enthält, helfen,
die Handreichungen in die tägliche Gemeindepraxis umzusetzen.
Die Hefte machen jedenfalls ernst mit der Grundthese von
Spandau: „Träger der Volksmission ist die Gemeinde in der
Gesamtheit ihrer tätigen Glieder".

Trotzdem kommen einem Gemeindepfarrer beim Lesen
einige Bedenken, die nicht verschwiegen werden sollen.

l) Weniger wäre mehr gewesen! Die große Fülle des Gebotenen
macht befangen. Überdies sind alle Artikel allgemein
gehalten, ohne daß zu erkennen ist, ob ihr Inhalt schon einmal
modellartig praktiziert wurde. Man möchte unwillkürlich immer
wieder zurückfragen: wo ist so etwas möglich? Wer hat es schon
probiert? Sicher ist vieles probiert worden. Es wäre hilfreich,
wenn man wüßte, wo. So wirkt vieles, herausgelöst aus der je-