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Ausgabe:

1965

Spalte:

138-140

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Wingren, Gustaf

Titel/Untertitel:

Evangelium und Kirche 1965

Rezensent:

Wiesner, Werner

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 2

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und Glaube werden in der Schrift so verstanden, daß sie ganz
innerhalb der „biblischen Grundkategorie personaler Korrespondenz
" bleiben.

Brunner zeigt weiter auf, wie diese seine Grundkategorie
sich an dem Rechtfertigungsglauben als dem Zentrum der Wahrheit
bewährt (drittes Kapitel, 111—129) und führt sie sodann am
Inhalt der Bibel, an der „Lehre" durch (viertes und fünftes
Kapitel, 130—173), zuletzt an der Kirche (sechstes Kapitel, 174
—198), ständig in kritischem Aufweis der Überfremdung des
theologischen Denkens und des kirchlichen Handelns durch das
Gefangensein in dem falschen Objekt-Subjekt-Gegensatz. „Der
ganze Bereich der Kirche und ihrer Theologie wird mit dem
Scheinwerfer der Begriffe Objektivismus und Subjektivismus abgeleuchtet
und so auf ihr Verständnis der biblischen Wahrheit
geprüft" (197).

Wir können nicht auf alles Einzelne eingehen. Das Buch
enthält ja fast eine ganze Dogmatik in nuce. Aber auf einiges
Besondere sei hingewiesen. Zunächst auf das Verhältnis des biblischen
Wahrheitsverständnisses zur Lehre. Das Wort Gottes
ist nicht Lehre: „Wir haben es im Glauben nicht mit göttlich
geoffenbarten Wahrheiten zu tun, sondern mit Gott, mit Jesus
Christus, mit dem Heiligen Geist selbst" (134). Und doch haben
wir das Wort nicht ohne die Lehre. „Gott sagt und gibt uns sich
selbst nicht anders als so, daß er uns etwas, nämlich die Wahrheit
von sich selbst sagt". „Das personhafte Geschehen ist unablösbar
verknüpft mit begrifflich-denkbarem Inhalt, mit Wahrheit
im allgemeinen Sinn des Wortes, Wahrheit als Lehre", als
..Theologie". Diese Wahrheit ist aber im Unterschied von der in
der Bibel zuletzt gemeinten durch den Objekt-Subjekt-Gegensatz
bestimmt. So ist für den Glauben, für das christliche Denken
auch dieser letztere Wahrheitsbegriff, obgleich der vom Glauben
ergriffenen Wahrheit fremd, doch unentbehrlich, „als Instrument,
als Fassung und Zeichen dessen, um was es im Glauben geht"
(134). Der Wahrheitsbegriff der personalen Korrespondenz bedarf
hier also einer Ergänzung. Die Lehre ist nicht die Sache,
aber ohne die Lehre ist die Sache nicht da (132). Hier hat die
Personalität des Wahrheitsbegriffes ihre Grenze.

Von hier aus wäre noch ein Wort zu E. Brunners Lehre von
der Kirche zu sagen. In unserer Schrift betont er mit Nachdruck,
daß im Neuen Testament „Kirche ein rein und ausnahmslos personal
verstandener Begriff ist" (168). Es bedeutet einen Abfall
vom Neuen Testament, wenn man die Kirche als „Institution"
versteht. Der Begriff der Kirche und des Amtes ist in der
Kirchengeschichte klerikal umgebildet worden. Daß es dazu
immer wieder gekommen ist und auch heute noch kommt, wird
niemand leugnen. Aber das ist die Frage, ob Brunner mit seiner
völligen und exklusiven Personalisierung der Kirche ihrem
Wesen gerecht wird. Er hat seine Gedanken hierüber 1951 in der
Schrift „Das Mißverständnis der Kirche" ausgeführt — sie gehört
mit unserer eng zusammen. Ich kann ihm hier nicht folgen. Die
Kirche ist, so scheint mir, schon im Neuen Testament nicht nur
Gemeinde, sondern auch Amt, Sendung (sie hat nicht nur Ämter,
sondern sie ist auch Amt, eben Sendung), insofern Institution,
indem sie ihr Handeln im Gehorsam gegen die Sendung ordnet,
in die Zukunft hinein geordnet zu sichern unternimmt. Sie
schafft also notwendig „Kirchenrecht". Brunners Entgegensetzung
des urchristlichen Pneumatisch-Charismatischen und des Rechtlichen
kann nicht das letzte Wort sein. Stehen hier nicht grundsätzlich
Kirchenrecht und Theologie in Analogie? Beide ein
Hinausgehen über das Elementare der neutestamentlichen Ekkle-
sia, beide ohne Zweifel voller Gefahren für das Leben der Kirche
— und doch beide schlechterdings unvermeidbar und notwendig
für die Christenheit in der Zeit, in der Geschichte.

Diese Frage an Emil Brunner stelle ich gerade, weil ich
mich sonst mit ihm im Verständnis der christlichen Wahrheit
so wie mit kaum einem anderen der Theologen unserer Zeit
verbunden weiß und den consensus mit ihm auch diesem Buche
gegenüber empfinde. Es ist gut, daß es aufs neue erschienen
•fit. Es hat noch heute seine Aufgabe. Es greift durch seine
harte Kritik an den einflußreichsten theologischen Gestalten
von heute kämpferisch in unsere gegenwärtige Lage hinein und
verlangt Antworten. Darüber hinaus möge diese Schrift Brunners

Anlaß sein, sein ganzes theologisches Werk wieder stärker zu
beachten, wie es in den dreißiger Jahren geschah, als seine
großen ersten Werke, „Der Mittler", „Der Mensch im Widerspruch
", „Das Gebot und die Ordnungen" erschienen und stark
wirkten. Inzwischen ist seine dreibändige Dogmatik herausgekommen
. Sie hat noch nicht die Beachtung bei uns gefunden,
die sie verdient. Sie bietet einen Reichtum gesunder Lehre, in
der Form, die wir von jeher an seinen Büchern lieben, ihrer großen
Klarheit, Lebendigkeit, schönen, auch dem Nicht-Zünftigen zugewandten
Lesbarkeit.

Erlangen Paul Althaus

W i n g r e n, Gustaf: Evangelium und Kirche. Göttingen: Vandenhoeck
4 Ruprecht [1963]. 281 S. gr. 8° = Theologie der Oekumene,
Bd. 10. Lw. DM 22.80.

In diesem Buch gibt der schwedische Theologe der Reihe
seiner Veröffentlichungen: „Die Predigt" 1955, „Die Methodenfrage
der Theologie" 1957, „Schöpfung und Gesetz" 1960 den
systematischen Abschluß. Schon in dem Buch über „Schöpfung
und Gesetz" war die jetzt vorliegende Arbeit angekündigt unter
dem Gesichtspunkt, daß in diesen beiden Büchern „die meisten
dogmatischen Probleme von größerer Bedeutung berührt"
würden. Wir haben es hier also gewissermaßen mit einer Gesamtdarstellung
seiner Theologie zu tun. Dies entspricht seinem
theologischen Grundgedanken, den Zusammenhang der Weltwirklichkeit
unter dem Gesichtspunkt von Schöpfung und Gesetz mit
dem spezifisch Christlichen: Evangelium und Kirche im Gegensatz
zu einer Theologie herauszustellen, die nach seiner Ansicht
diesen Zusammenhang in marcionitischer Weise zerrissen hat. Er
hat dabei die sog. dialektische Theologie und bestimmte Vertreter
schwedischer Theologie im Auge. W.s Polemik gegen eine
Überschätzung des kirchlichen Amtsgedankens, gegen eine Sukzessionstheorie
, gegen eine kirchliche Autarkie u. a. ist in dieser
Hinsicht durchaus zu begrüßen. Nun dürfte der Welt- und
Menschenbezug von Evangelium und Kirche in der deutschsprachigen
Theologie aller Richtungen mindestens seit 1945 in
einem Maße im Vordergrund stehen, daß schon die Gefahr der
Auflösung des Wortes Gottes in ein menschliches Sprachgeschehen
, des christlichen Glaubens in menschliches Selbstverständnis
, des Christentums in Geschichte, der Kirche in die Gesellschaft
, des christlichen Lebens in Weltlichkeit besteht. W.s
Buch steht also mit seiner Tendenz, den Lebens- und Weltbezug
von Evangelium und Kirche herauszuarbeiten, durchaus in einer
Linie mit allen deutschsprachigen Theologen der Gegenwart,
auch mit dem von ihm besonders kritisierten Karl Barth. Die
universale Gültigkeit des Evangeliums und die prinzipielle Weltoffenheit
von Kirche und Christentum ist heute in der Theologie
allgemein anerkannt. Die Unterschiede brechen erst in der Frage
des Wie auf. Während z. B. Karl Barth Schöpfungswelt und Gemeinde
durch den Bundesgedanken verkoppelt, versucht dies der
Lutheraner W. einmal mit Hilfe des Schemas Gesetz und Evangelium
und ferner durch den von Irenäus übernommenen Rekapitulationsgedanken
: Christus ist der Wiederhersteller der
Schöpfung (S. 14), die Kirche die wiederhergestellte Schöpfung
(S. 100), auch wenn die eschatologische Vollendung und Steigerung
noch aussteht. Bei diesem Ansatz W.6 spielt offensichtlich
außer einem theologischen auch noch ein soziologisches Interesse
mit, nämlich die aus dem Mittelalter überkommene, gerade
in den nordischen Ländern besonders gepflegte volkskirchliche
Einheit von Kirche und Gesellschaft in einer verwandelten Welt
neu zu begründen (S. 167/8).

Der Versuch, den Zusammenhang von Schöpfung und Kirche
durch das lutherische Schema: Gesetz und Evangelium herzustellen
, ist aber nur durch eine entscheidende Umwandlung des
Gesetzesbegriffs möglich. Während das Luthertum mindestens
seit Melanchthon die Verbindung von menschlicher Gesellschaft
und Kirche durch das Ergänzungsverhältnis zwischen dem inhaltlich
mit dem in der Schrift offenbarten Gesetz identischen natürlichen
Gesetz und dem Evangelium herstellte, wird bei W. das
Gesetz nicht als göttliche Norm, sondern als den Menschen
beherrschende gesellschaftliche Wirklichkeit verstanden, durch die
Gott als Schöpfer den Menschen regiert. „Die Forderungen, Bedürfnisse
und Wünsche der Mitmenschen sind Mittel, durch